Muso Letzte Rettung Heidelberg

Einmal Star und zurück – ein bisschen ist es Muso so ergangen. 2013 veröffentlichte er sein Album »Stracciatella Now« bei Chimperator und wurde als das nächste große Ding gehandelt. Aber dann passierte: nichts. Wenn heute nach drei Jahren der Nachfolger »Amarena« erscheint, dann ist klar, warum Muso diese Auszeit gebraucht hat.

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Ein warmer Juninachmittag in Heidelberg. Hupende Autokolonnen schieben sich durch den zähen Feierabendverkehr um die Altstadt herum, in deren Fußgängerzone mit Selfie-Sticks und Sonnenschirmen bewaffnete Touristentrauben herumschlendern. Unweit des Schlossbergs sitzt Muso im Café Friedrich zusammen mit seiner Hündin, der französischen Bulldogge Mathilda, auf einem Sofa. Das wuselige Tier quetscht seinen Hintern zwischen zwei Sofakissen und kommt langsam zur Ruhe, während sein Besitzer bei der Bedienung einen Cappuccino à la Muso bestellt, den er prompt und mit einem Lächeln serviert bekommt. Muso ist Stammgast – auch, weil er hier selbst schon eine ganze Weile hinter der Theke arbeitet. »Weißt du«, sagt Muso und nimmt einen Schluck aus seiner Tasse, »ich rappe, seit ich zwölf Jahre alt bin. Ich war immer ein richtiges HipHop-Kind und habe mir zu jedem Geburtstag beim Kerzenausblasen gewünscht, dass ich ein erfolgreicher Rapper werde. Dann kommt irgendwann der Moment, an dem es soweit ist, und plötzlich fällt es dir wie Schuppen von den Augen und du fragst dich: ›Will ich das?‹ Und ich wollte nicht!«

Der Moment, von dem Muso spricht, liegt gut drei Jahre zurück. Damals, im Sommer 2013, veröffentlichte er sein Debütalbum »Stracciatella Now« über das Indielabel Chimperator Productions. Das Album war anders – nicht nur, weil Muso sich auf dem Cover mit einer französischen Bulldogge im Arm und ansonsten gänzlich nackt in der Pose einer heroischen Statue präsentierte, sondern vor allem auch, weil er über die Beats von Konstantin Gropper – besser bekannt als Get Well Soon – und Markus Ganter überartikuliertassoziative Endlosreimketten vortrug, zu denen man nur in den seltensten Fällen sofortigen Zugang erlangt. »Stracciatella Now« war ein sperriges Stück Kunst, das sich in seiner Verspultheit erfreulich vom Gen-Y-Einheitsbrei der damaligen Zeit abhob.

Nicht selten fragte man sich beim Anhören der Platte, was dieser junge Mann und seine Musik denn bitteschön bei Chimperator verloren hatte. Dem Label, das in den Jahren davor unter anderem Cro groß gemacht hatte – ein Rapper, mit dem Muso bis auf die etwas enger anliegende Hosen und weit geschnittene Tanktops nicht viel gemeinsam hatte. Wenngleich das Album von den Kritikern hochgelobt wurde, verkauft es sich am Ende nur etwas weniger als 2000 Mal. »Vielleicht ging alles zu schnell. So etwas wie den Chimperator-Deal hätte ich erst jetzt bei der neuen Platte machen sollen«, sagt Muso.

In den Video-Interviews aus der Zeit vor dem Release wirkt Muso aufgekratzt und unruhig. Er redet viel, vielleicht auch zu viel. »Manche Interviews hätte ich heute anders geführt.« Auch die Troll-Kommentare über sein mutiges Artwork und dass sich sein Künstlernamen auf das Wort Huso, die Abkürzung für Hurensohn, reimt, gehen ihm auf die Nerven. Hinzu kommen ein paar private Angelegenheiten. Manchmal liegt Muso nächtelang wach oder flüchtet sich ins Nachtleben. »Es sind echt viele Sachen vorgefallen, die mich fertiggemacht haben. Ich wollte überhaupt nichts mit diesem Hype zu tun haben. Das hat alles Energie gekostet. Ich habe so viel in die Musik reingegeben – und es hat mich einfach aufgefressen.« Muso spielt vereinzelt Auftritte und ist Anfang 2014 noch gemeinsam mit Julian Williams auf einem Song des Psaiko.Dino-Albums »#hangster« vertreten. Dann wird es still um ihn.

Konstantin Gropper, Markus Ganter und Muso beschließen, nicht mehr zusammenzuarbeiten, woraufhin sich Muso mit dem Produzenten LO zusammentut. Nachdem auch der Vertrag mit Chimperator nicht verlängert wird, werkeln beide an ersten Songs für ein neues Album. Aber irgendwie will es nicht so recht funktionieren. »Ich bin ein sehr künstlerisch denkender Mensch. Aber ich finde, Kunst ist etwas, womit man nicht seinen Alltag bestreiten, sondern ihn verarbeiten sollte. In dem Moment, in dem Kunst Arbeit wird, mache ich komplett zu. Dann blocke ich ab. Das war schon immer so. Aber wenn du am Ende des Tages mit deiner Kunst nicht genug Kohle zum Leben verdienst, musst du halt schauen wo du bleibst.« Muso muss sich entscheiden und steht bald nicht mehr am Mikrofon, sondern hinter dem Tresen des Café Friedrich.

Um diesen Schritt zu verstehen, muss man Musos Geschichte kennen. Muso wird 1986 als Daniel Giovanni Musumeci in Tiengen, einer Stadt im Südwesten Baden-Württembergs unmittelbar an der Grenze zur Schweiz geboren. Seine Kindheit am Hochrhein ist alles andere als leicht: Die Ärzte diagnostizieren ADHS bei ihm, seine Eltern lassen sich scheiden, er muss mit seiner Mutter eine Zeit lang ins Frauenhaus ziehen, wiegt mit 15 Jahren gut 100 Kilo, fliegt vermehrt von Schulen und fängt an, sich zu prügeln. Ein weiteres Problem: Muso hat zu dieser Zeit zwei Freundeskreise. Da sind einmal die Jungs in seinem Alter, aber dann eben auch noch eine Gruppe älterer Typen, die schon 17 oder 18 Jahre sind. »Das waren alles Multikulti-Typen, die seit ihrem sechsten Lebensjahr im Boxverein waren und so. Richtig harte Jungs, die wie es oft so ist, einen guten und weichen Kern haben und zur falschen Zeit am falschen Ort aufgewachsen sind«, erinnert sich Muso und bestellt noch einen weiteren Cappuccino.

»Das waren Russen, Türken, Kurden und ein Deutscher. Er war der krasseste von allen und hatte echt ein heftiges Schicksal. Wir haben ihn Donald Duck genannt, weil er sich seit er neun Jahre alt war, selbstfinanziert hat. Der hatte immer ein Bündel Scheine dabei.« Viele der Jungs verkaufen Drogen. Das verdiente Geld bringen sie bei organisierten Schlägereien als Wetteinsatz ein. Muso macht nicht mit. »Für mich war das nie was, aber ich war trotzdem immer mit dabei und musste mich eigentlich ständig verstellen. Ich wollte lieber rappen und reden und mich nicht brettern.« So ganz klappt das nicht. Er schlägt sich, teilt aus und muss selber einstecken. Einmal erstickt er fast, weil ihm im Gefecht mit voller Wucht vor den Kehlkopf geschlagen wird. Ein anderes Mal hält ihm jemand eine scharfe Waffe an den Kopf.

Ein paar dieser Geschichten erzählt Muso auf seinem ersten Album »Arrestato Uno«, das er 2006 aufnimmt und im Eigenvertrieb die Runde in seiner Gegend macht. Kurz nach dem Release zieht Muso für den Zivildienst nach Heidelberg. Der Ortswechsel ist auch ein Versuch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. »Als ich vor einem halben Jahr mal wieder bei meiner Mum war, habe ich beschlossen, dass ich da nicht mehr hin zurück kann. Ich hatte da total den psychischen Breakdown, weil alles, was ich in der Zeit dort erlebt habe, wieder hochgekommen ist. Das hat mich krass geprägt.«

Als Muso vor zehn Jahren in Heidelberg ankommt, ist er, wie er heute selber sagt, ein Psycho. »Ich habe hier in Heidelberg mit meinen Freunden alles aufgearbeitet. Die mussten echt leiden wegen mir. Ich bin manchmal einfach durchgedreht. Teilweise ist das immer noch so. Ich habe heute noch oft Angst.« Musos Stimme kippt. »Ich hasse es, auf der Autobahn zu sein, weil ich anderen Menschen nicht vertraue. Ich kann meinen Hund nur schwer mit anderen größeren Hunden spielen lassen, weil ich den Tieren und den Besitzern nicht vertraue. Warum? Weil es in diesem Leben für nichts eine Garantie gibt. Ich will einfach nur mich und meine Liebsten beschützen.« Er macht eine Pause. »Ich habe den beiden Martins echt viel zu verdanken. Die haben mich auf die richtigen Wege geleitet. Ich kannte hier niemanden und wer weiß, mit wem ich angebandelt hätte, wenn es die beiden nicht gegeben hätte.«

Die beiden Martins – damit sind Martin Stieber, die eine Hälfte der legendären Stieber Twins, und Martin Müller, der Programmleiter des Karlstorbahnhof in Heidelberg, gemeint. Muso lernt beide gleich zu Beginn seiner Zeit am Neckar kennen, als er im »The Flame«-Shop von Martin Stieber vorbeischaut und dort auch Martin Müller zugegen ist, der sich noch gut an die erste Begegnung mit Muso erinnert. »Muso meinte zu mir, er würde auch rappen. Das hat mich erst mal noch nicht beeindruckt, weil ich zu der Zeit ja schon Booker war und mir ständig Leute irgendetwas vorgerappt haben. Aber Martin Stieber meinte, dass ich das unbedingt mal checken sollte.« Müller nimmt das »Arrestato Uno«-Album mit nach Hause und ertappt sich dabei, wie er die Platte sehr konzentriert hört und sofort von Musos Geschichten begeistert ist. Er bucht Muso ins Vorprogramm von Looptroop, platziert den Song »Ein Blick« von Muso und Martin Stieber auf einem lokalen Sampler und vernetzt ihn auch mit Konstantin Gropper und Markus Ganter.

»Martin ist für mich der krasseste Mensch, den ich in meinem Leben kennenlernen durfte. Ein hochkultivierter Mann von dem ich alles, was ich weiß, gelernt habe«, antwortet Muso, wenn man ihn nach Martin Müller fragt. Die beiden werden beste Freunde und ziehen wenig später gemeinsam mit Sizarr-Mitglied Marc Übel in eine Wohngemeinschaft. »Muso hat da in seinem totalen Chaos gehaust, aber eben auch einen wahnsinnig kreativen Output gehabt«, erinnert sich Müller. »Manchmal hat er die ganze Nacht wachgesessen und auf einen Beat geschrieben, bis der Song fertig war.« Müller wird Musos DJ, die beiden unternehmen Reisen nach Südfrankreich und Asien. Sie gehen durch dick und dünn – auch als Muso in wilden Clubnächten mal wieder über die Stränge schlägt, nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht, keinen vernünftigen Tagesablauf mehr hat und kaum noch isst. »Eine Zeit lang war ich ziemlich fertig«, blickt Muso auf die Zeit vor der Entstehung von »Stracciatella Now« zurück. Wer in dieser Phase hilft, ist Elmo, der Vater von Musos jetzigem Hund Mathilda. Martin Müller und Muso bekommen den Vierbeiner von Xavier Naidoo nachdem dessen Bulldogge Sinclair Nachwuchs gezeugt hat. »Da hatte ich auf einmal eine Aufgabe«, so Muso.

Jetzt, bei den Arbeiten am neuen Album, habe ihm außerdem auch der Job im Café geholfen. »Gerade am Anfang, als der Laden neu aufgemacht hat, konnte man nicht davon ausgehen, dass die Leute dir die Bude einrennen. Da musstest du strugglen und immer da sein. Das ist wie mit der Musik. Du stehst für ein Produkt und wenn jemand was davon will, dann musst du eben da sein. Ich mag es total, hier zu arbeiten. Wenn ich nach dem Job nach Hause komme, bin ich immer gut gelaunt. Wenn ich nicht arbeite, falle ich in ein Loch. Das Arbeiten gibt mir dann einfach ein gutes Gefühl, eine richtige Wärme.«

Etwas, das man auch dem neuen Album »Amarena« anhört. Hinsichtlich der Stimmung nennt Muso »Graduation« von Kanye West und Drakes »Thank Me Later« als Referenzwerke. Die Produktionen von LO, Gianni Brezzo und DAVID + ELI klingen wärmer, die Texte sind zugänglicher – vielleicht auch, weil Muso selber ein bisschen mehr über sich Bescheid weiß. Wenn man so will, dann ist die Platte fast so etwas wie die Gegenthese zu »Stracciatella Now«. Vielleicht stand Muso damals auf dem Cover auch gar nicht in heroischer Pose, sondern vielmehr schutz- und orientierungslos herum, nackt, verdreht und sich an Hund Elmo klammernd im dunklen Nirgendwo. Drei Jahre später prangt ein sattes Türkis auf der Vorderseite des Albums. Die grünblaue Farbe macht gute Laune, stimmt optimistisch. Und so wie damals die Schatten nach ihm griffen, ist da jetzt diese Positivität ausstrahlende Fläche, eine gut gelaunte Basis, die sich Muso mit seinem Job und seinem Umfeld im wahrsten Sinne des Wortes selbst geschaffen hat. »Ich habe ein Studio, ich habe ein Team. Ich habe viel an mir selbst gearbeitet und kann mich selbst verwirklichen. Drake sagt doch: ›Last night I made a decision that I would die for it<. Ich sterbe zwar nicht für Rap, aber ich habe mich dafür entschieden, weiter Musik zu machen. Ich glaube, im Leben ist alles eine Frage von Timing« , sagt Muso. »Jetzt ist die Zeit reif.«