M¥SS KETA Kunstfigur durch und durch

Die Mailänderin M¥SS KETA bezeichnet sich selbst als Muse in Form eines Popstars, Models, Trendsetters und Diva. Aber das ist längst noch nicht alles.

Myss Keta

»Milano, Sushi, Coca« rappt M¥SS KETA auf ihrem bis dato erfolgreichsten Song, in dessen Video wir fast ausschließlich ihre gegen eine Glasscheibe gedrückten Brüste sehen. Sie bewegen sich im Endlos-Loop zum Takt eines Techno-Club-Brechers hin- und her. Die Lyrics sind simpel. Keta zählt mit ihrer nasal-rauchigen Stimme die Zutaten für einen Ketamin-Cocktail, die auf der Speisekarte eines Japaners favorisierten Nigiri und weitere Zutaten für eine wilde Mailänder Nacht auf. Doch als reine Glorifizierung des hedonistischen Lifestyles kann dieser Banger dann irgendwie trotzdem nicht durchgehen. Zu monoton wird dieses angeblich so glamouröse, erfüllende High-Life berappt, zu redundant und flackernd-schmerzhaft ist das sich erbarmungslos ins Gehirn fressende Video. Es scheint dadurch eine Kritik am Geschilderten auf, eine subversive Kraft entsteht, die sie, trotz inhaltlicher wie rap-stilistischer Ähnlichkeiten, von den Money Boys und Hustensaft Jünglings dieses Rapgames klar unterscheidet.

Als »Muse in Form eines Popstars, Models, Trendsetters und Diva« hat M¥SS KETA, die in ihren Videos sowie bei Auftritten immer mit Sonnenbrille und wechselnden Maskierungen ihrer unteren Gesichtshälfte auftritt, sich einmal selbst bezeichnet. Viel mehr als Phrasen und Übertreibungen solcher Art sind ihr in Interviews nie zu entlocken, denn die Mailänderin ist Kunstfigur durch und durch, hüpft in ihren Videos in extra geschneiderten Kostümen, begleitet von den Ketaminis, einer Almost-Female-Gang, durch die Gegend.

Es ist auch diese Inszenierung omnipräsenter Weiblichkeit wie in »La Ragazzi Di Porta Venezia« oder »Xananas«, die ihr Werk endgültig politisch macht. Es wird sich knapp und sexy angezogen, oder gleich in Latex-Kostüme gezwängt, Stoppschilder inmitten einer vielbefahrenen Straße zu Pole-Dance-Stangen umfunktioniert, sich gegenseitig an den Arsch gefasst. Erotisch aufgeladen ist dies schon, durch einen männlich-lüsternen Blick inszeniert aber nie. Zelebriert wird vielmehr eine selbstbewusst selbstverständliche Weiblichkeit, die niemandem außer sich selbst gefallen will.

Dass M¥SS KETA aber keineswegs in die Queer-Feministische- oder Techno-Schuppen-Schubalde gehört, zeigte sie spätestens auf ihrer EP »Carpaccio Ghiacciatto« (2017). Dort flowt sie locker über eingängige, melodische Beats, die von Italo-Disko inspiriert sind, besingt Xanax im Besonderen sowie den mediterranen Lebensstil im Allgemeinen. Mit ihrem neuen Album »Una Vita in Capslock« setzt sie diesen Weg hin zu mehr Eingängigkeit fort, ohne ihre elektronische Herkunft zu leugnen. Neben den hochwertigeren, ausproduzierteren Beats und Gesangseinlagen (»Ultima Botta a Parigi«) zieht – wie beispielsweise in der Video-Single »Una Vita in Capslock« – die Gesellschafts-Kritik mit wehenden Fahnen vollends in ihre Texte ein.

So kritisiert sie auf dem Track den Hang zu übertriebener Selbstdarstellung in den sozialen Medien. Der Schein zählt, jeder ist wichtig, ein Star im eigenen digitalen Kosmos. So lassen sich der stupide Büroalltag, das traurige, leider immer noch reale Privatleben, zu dem man irgendwie das Passwort vergessen zu haben scheint, besser ertragen. Auch auf weiteren Tracks (u.a. »Botox«, »Stress«) wird dieser Hang zum maximalen Selbstbetrug zur Realitätsflucht (auch unter Zuhilfenahme der passenden Mittelchen) thematisiert, ohne jemals moralisierend oder kitschig daher zu kommen.

Dazu passen die Videos, in denen nichts ausgestellt oder visuell klar benannt wird. Stattdessen bewegen sie sich mit meisterhaft komponierten Bildern ebenfalls auf jenem schmalen, nicht ganz definierbarem Grat wie Ketas Texte, inszenieren sie dabei wie den Popstar, der sie schon immer sein wollte. Es deutet sich also an, dass die blonde Diva, bisher vermehrt unter italienischen Kunst-Mode-Hipstern und Rap-Auskennern bekannt, nicht nur weiterhin groß geschrieben, sondern auch tatsächlich immer größer werden wird. »Bigger than life« war sie ohnehin schon immer.