Karate Andi Drogen-Junkie mit Corporate Identity

Nach endlos langen zwei Jahren ist jetzt mit »Turbo« das zweite Album von Karate Andi erschienen. Was taugt sein Selfmade-Records-Debüt? Und wie wurde Karate Andi, wer er heute ist? Mathias Hansen hat ein wenig Recherche betrieben.

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»Leute gucken mich an und die merken: Ey, Cannabis-Junkie!/ Scheiß auf alles, ich hol‘ Pimmel raus, ich bin Karate Andi/ Servus!« Mit diesen Worten stellt sich am 17. Oktober 2012 ein bisher unbekannter MC der »Rap am Mittwoch«-Crowd vor – und zieht die Aufmerksamkeit in Sekundenschnelle auf sich. Schon die ersten Zeilen lesen sich wie ein Destillat des Images, was Karate Andi fortan von sich zeichnen sollte: Ein Drogen-Junkie, wie er im Buche steht und trotz zahlreichen Substanzen in der Blutbahn das Mic rocken kann und der deine Freundin mit nach Hause nimmt, obwohl seine Bude wie ein Saustall aussieht. Kurzum, in seinen eigenen Worten: der Boss vom Hinterhof.

Dass die dabei zur Schau gestellte Scheiß-auf-alles-Attitüde nicht nur gespielt war, sondern zu großen Teilen der Realität entspricht, dokumentiert das dazugehörige YouTube-Video des Auftritts. Andis Äußeres besticht durch einen Drei-Tage-Bart, eine ungestüme Haar-Tolle, die unter seinem viel zu weit hinten sitzenden Cap herausragt, und einer Schnur als Gürtel, für die er auch umgehend von Moderator Ben Salomo auf den Arm genommen wird. Hinzu kommen eine kratzige Stimme, die unerklärlicherweise schon zu Beginn des Abends äußerst heiser klingt, sowie Bewegungen, die irgendwo zwischen alkoholgeschwängerter Torkelei und angedeuteten Breakdance-Moves zu verorten sind. Insgesamt also eigentlich eher unübliche Stilmittel, mit denen sich Karate Andi erstmals der breiteren Öffentlichkeit präsentierte – aber genau dadurch fiel er auf und hob sich angenehm asozial vom typischen »Rap am Mittwoch«-Gänger und -Teilnehmer ab.

Ben Salomo erinnert sich noch genau an das erste Aufeinandertreffen mit Andi: »Der hatte einfach Ausstrahlung! So ein gewisses Charisma. Als er dann anfing zu rappen und seine verrückten Punchlines auspackte, war ich direkt begeistert.« Schnell mausert sich der »RAM«-Neuling zum Publikumsliebling. Karate Andi ist der neue Stern am Himmel von »Rap am Mittwoch« und perfektioniert seine anfangs noch etwas unsicheren Performance-Skills in Windeseile. Vielleicht verzichtet er auch einfach vorab auf ein, zwei Bierchen. Am Ende der Saison steht er im Gesamtranking zwar nur auf dem dritten Platz, doch im Gegensatz zu seinen Konkurrenten P-Zak und Drob Dynamic kann er eine deutlich größere Aufmerksamkeit für sich verbuchen, die ihn zahlreiche Connections knüpfen lässt. Am Ende springt sogar ein Deal dabei heraus.

So will es die Mär, das eines Tages der Produzent 7inch auf Andi aufmerksam wird. Der Berliner ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein Name in der Szene: Beats für Kool Savas, Xavier Naidoo, Snaga & Pillath, Prinz Pi und Casper sowie Produktionen für Tyga, Lil Wayne, Papoose und The Game. Gemeinsam nimmt man erste Songs auf, die Chemie scheint zu stimmen, und so entsteht letztendlich ein komplettes Album, das unter dem Titel »Pilsator Platin« über die Agentur Macheete erscheint und auf Platz 24 der Charts einsteigt.

Danach wird es auffällig ruhig um Andi. Hier und da ein Freetrack, mehr nicht. Bei »Rap am Mittwoch« hatte er sich schon während der Album-Produktion kaum mehr blicken lassen, höchstens als Zuschauer, und auch nach der Veröffentlichung battlete er nicht mehr. Lediglich die lapidare Mitteilung per Facebook, dass die Zusammenarbeit mit Macheete schon wieder beendet sei, sorgt noch einmal für Diskussionen. Der Großteil der User spekuliert über einen Deal mit Trailerpark, doch die Minderheit sollte letztlich Recht behalten: Im Juli 2014 lässt Selfmade Records die Bombe platzen und gibt das Signing von Karate Andi bekannt.

Nicht einmal zwei Jahre hatte Andi gebraucht, um sich von einem nahezu unbekannten Rapper, der nur aus Spaß an der Freude seine Drogen-Eskapaden und Mutterwitze in Reimform verpackte, zu einem der vielversprechendsten Newcomer Deutschraps zu mausern, der mal eben einen Deal mit einem der größten Indie-Labels Deutschlands eintütet. Was die wenigsten wissen: Die Geschichte von Karate Andi beginnt um einiges früher als zu »Rap am Mittwoch«-Zeiten – und sie beginnt überraschenderweise auch gar nicht in Berlin.

Angefangen hat alles in Göttingen. Andi, der eigentlich gar nicht Andi heißt, verbringt seine Kindheit in der niedersächsischen Großstadt. Schon früh legt er den unbefangenen Do-It-Yourself-Habitus an den Tag, durch den er sich auch noch heute auszeichnet: Der kleine Andi hört nämlich nicht nur gerne Hörbücher, er nimmt in seinem Kinderzimmer auch eigene Hörspiele mit seinem Kassettenrekorder auf. Die verschiedenen Figuren spricht er alle selbst. Jahre später vollzieht sich dieselbe Entwicklung vom passiven Konsumenten zum aktiven Produzenten erneut. Von einer ambitionierten Rap-Karriere kann jedoch nicht die Rede sein. Vielmehr dienen die Aufnahmen lediglich zum Zeitvertreib unter Kumpels, die darauf warten, dass es draußen dunkel genug wird, um sprühen zu gehen. Und so rappen sich Andi und seine Jungs durch sämtliche Instrumentals, die das Internet so hergibt – egal, ob von Marvin Gaye, Rammstein oder Udo Lindenbergs Panikorchester.

Aufgenommen wird über das Laptop-Mikrofon, denn Geld für vernünftiges Equipment ist nicht vorhanden – und selbst wenn mal Kohle da ist, wird sie anderweitig investiert. Denn letztendlich ist das mit dem Rappen ja auch gar nicht so wichtig, selbst wenn hier und da tatsächlich mal ein Track entsteht und mit Human Traffic sogar ein gemeinsamer Crew-Name gefunden wird. Die Pseudonyme der einzelnen Rapper hingegen werden von Tag zu Tag neu festgelegt. So steppen unter anderem Raketen Ronny 500, Schore Volker, Augen Rainer, John Borno, Josef K., der dicke Junge aus dem Schwimmbad oder eben Karate Andi ans Mic.

Letzterer scheint Rap dann doch einmal etwas ernster zu nehmen. Gemeinsam mit einem Homie namens Prisma nimmt Andi das »In dein Gesicht«-Mixtape auf. Andi firmiert für dieses Tape unter dem Namen Monty Burns, dem geizhalsigen Atomkraftwerkbesitzer aus »Die Simpsons« entliehen. Unter dem selben Namen soll wenig später übrigens auch eine Kollabo mit Architekt entstehen. Auf dem Tape selbst leiht er sich auch gerne mal den Namen von Mackie Messer, dem Gangsterboss aus Brechts »Dreigroschenoper«, und vergleicht sich hier und da mit Edgar Allan Poe, einem US-Schrifsteller von Kriminal- und Horrorliteratur. Ein Faible, das sich auch später noch bemerkbar macht: Andis heutige Facebook-Seite ist bezeichnenderweise in der Kategorie »SchrifstellerIn« angemeldet.

Musikalisch weiß das »In dein Gesicht«-Tape auch in der heutigen Zeit noch zu begeistern: Rumpelnde Beats und die dem billigen Equipment geschuldete schlechte Aufnahmequalität mindern den Hörgenuss nicht im geringsten. Im Gegenteil: Sie unterstreichen die Authentizität der Texte, die schon damals zwischen Müttern, Schwestern und Freundinnen auf der einen und Alkohol, Koks und Crack auf der anderen Seite hin und herschwanken. Wer mit Westberlin Maskulin und der Sekte aufgewachsen ist, erliegt sofort diesem Charme. Schon damals zeichnet sich Andi durch einen hingerotzten Vortrag, einen übermäßig ausgeprägten Reimfetisch und ein beeindruckendes Maß an Respektlosigkeit aus. Sein Talent ist schon deutlich erkennbar und die dumpfen Beats stehen ihm zeitweise sogar besser als die glattgebügelten 7inch-Produktionen, die er erst einige Jahre später berappen sollte.

Über den Umweg Leipzig, wo Andi zeitweise auf Messen arbeitet, führt es ihn schließlich nach Berlin. Dass ihn ausgerechnet eine Frau zum Umzug in die Hauptstadt bewegt, kann man angesichts seiner Texte kaum glauben. Dass er nicht eigentlich schon immer in Berlin lebt, ebenso wenig. Diese ungemein rotzfreche Art, die Drogen-Affinität, das übersteigerte Selbstbewusstsein, Seitenhiebe gegen Zugezogene – das passt wie die Faust aufs Auge. Andi fühlt sich wohl in der Hauptstadt, entfernt sich jedoch ein Stück weit von Rap und hört nun vermehrt andere Genres. Erst sein Kumpel Gustav weckt wieder das Interesse am Sprechgesang.

Schließlich folgt der mittlerweile schon legendäre Schritt auf die Bühne bei »Rap am Mittwoch«. Freunde schleppen Andi zu der Veranstaltung, er selbst hatte noch nie davon gehört. Im Glauben, er würde nur zuschauen, gibt er sich schon früh die Kante, bis besagte Freunde ihn schließlich auf die Stage drängen. Innerhalb weniger Sekunden musste ein Pseudonym ausgewählt werden, der spontan genannte Name Karate Andi beendete die ständig neue Namenswahl ein für allemal.

Der Rest der Geschichte ist bekannt, der Hype ist ungebrochen. Nur das für Sommer 2015 angekündigte Album, das von der „Juice“ zu einer der zehn meist erwarteten Platten des Jahres gekürt wird, lässt dann doch noch etwas länger auf sich warten. Selfmade Records überbrückt die ungeplante Wartezeit, die man getrost als weiteren Realness-Beweis ansehen kann, letztlich mit dem »Chronik 3«-Label-Sampler, auf dem Andi gemeinsam mit Zugpferd Kollegah am häufigsten vertreten ist.

Die Weichen für den nächsten Act aus dem SR-Roster sind also gestellt, jetzt muss nur noch endlich ein Album her. »Inhaltlich werden wir ihm kein Stück reingrätschen, es gibt also Karate Andi, wie man ihn liebt, aber mit neuen, besseren Produktionen«, gibt Label-Chef Elvir Omerbegovic Anfang des letzten Jahres zu Protokoll. Der Plan ist so simpel wie genial: Während das Image des einen oder anderen Selfmade-Künstlers noch herausgearbeitet werden musste, bringt Andi schon eine fertige Corporate Identity mit, der nur noch zum endgültigen Durchbruch verholfen werden muss.

Unter der Regie von Selfmade sind mindestens zweihundert Prozent zu erwarten. Hochprozentig wird es bei Andi ja irgendwie immer und mittlerweile ist es tatsächlich an der Zeit, um mal ordentlich aufs Gaspedal zu treten und die verlorenen Meter auf der Überholspur wett zu machen. Der Albumtitel »Turbo« verspricht jedenfalls nicht zu viel. Schon mit den ersten Zeilen legt Andi direkt einen Kickstart hin: »Früher malte ich mit Baumarkt-Cans auf Schallschutzwände/ Heute degradier’ ich Frauen-Rap auf Albumlänge/ Pump den Beat, bis die Dorfbräute kotzen, yoa/ Wie ’n ostdeutscher Gospelchor nach Nordhäuser Doppelkorn« Mit akkuraten Doppelreimen und einer rotzfrechen Attitüde im Gepäck brettert Andi über pompöse Bläser und scheppernde Drums hinweg, dass es eine Freude ist.

Über den Großteil des Albums hinweg gelingt es dem selbsternannten »Eckkneipenhustler« auch, sein Tempo beizubehalten: Ob auf verspielten Leierkasten- oder Spieluhren-Samples (»Eisen«, »Schwarzer Krauser«), minimalistischen Bass-Kick-Snare-Skeletten (»Mofa«, »Gebrochener Knieboogie«), einem klimpernden Spielautomaten-Theme (»Spiel des Lebens«) oder einem Südstaaten-Brett aus der »A Milli«-Schublade (»Komm im Bimma«) – Andi nimmt mit Hilfe seiner Produzenten Bazzazian und Farhot schnell an Fahrt auf und bringt Track um Track ins Ziel, als sei es eine seiner leichtesten Übungen.

Scharfzüngig und zielsicher, vorlaut und politisch inkorrekt – so liebt man Andi und so bekommt man ihn auch auf »Turbo«. In gewohnter Lässigkeit, mitunter mit bisher ungewohnter Flowvielfalt, pfeffert der Boss vom Hinterhof eine Punchline nach der anderen raus – popkulturelle Referenzen mit einer Bandbreite von Taktloss bis Günter Grass inklusive. Wenn er sich dabei auf »Haram Cipher« auch noch von MC Bomber und seinem Human-Traffic-Kollegen John Borno unterstützen lässt, ist die Mofa-Gang komplett.

Ab und an schaltet Andi jedoch auch mal einen Gang runter, um von seiner Paradedisziplin (namentlich »Unterschichten-Rap aus dem Amphetamin Labor«) abzulassen und sich diversen Themen am Rande seines sonstigen Kosmos zu widmen – was mal mehr und mal weniger gut gelingt. So will die Pro-Prostitutionshymne »Flatrate« leider humortechnisch ebenso wenig zünden wie das ironische »Kleid deiner Mutter«, das wie ein lauwarmer Aufguss von »Böhses Mädchen« wirkt – und das nicht nur wegen des Nico-K.I.Z-Features.

Auf »Lass mal bleiben« zeigt sich Andi überraschend melancholisch und beleuchtet mit Zeilen wie »Du hast gute Laune, ich wär‘ gern zuhause/ Doch stattdessen geh ich wieder an die Bar um ein‘ zu saufen« seinen sonst so euphorisch angepriesenen Lebensstil auch mal ein wenig kritisch. Wie souverän er hier abseits von zu Genüge eingeübten Battlerap-Pfaden wandelt, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren, zeigt das Potenzial, das insgeheim noch in Karate Andi schlummert.

Vollends ausgeschöpft wird es – ähnlich wie schon auf seinem Debüt-Album – auch diesmal nicht. Über weite Strecken liefert »Turbo« humorvollen Battlerap auf technisch hohem Niveau, zudem ist Karate Andi eine der am konsequentesten verkörperten Kunstfiguren, die Deutschrap anno 2016 zu bieten hat. Dennoch beweisen die wenigen, aber nach wie vor vorhandenen Lückenfüller, dass die Tachonadel ihr Limit hier noch nicht erreicht hat.