Baro Dano & Maio Die Gypsy-Funk-Rapper (Original Chabos)

Die überschaubare Sinti-Rap-Szene hierzulande ist voller eigenständiger Protagonisten, die ALL GOOD-Autor Philipp Killmann als die echten Chabos bezeichnet. Der sechste Teil seines Sinti-Rap-Specials handelt von Baro Dano sowie Maio, die sich beide dem G-Funk verpflichtet haben, genauer: dem Gypsy-Funk.

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»Das Ding lebt«, sagt Baro Dano und gibt der Akai MPC 4000, die vor ihm auf dem Tisch steht, behutsam einen Klaps. Es ist ein Sonntagabend im Dezember. Im Hintergrund läuten immer mal wieder die Glocken der Kirche von nebenan. Danos Heimstudio befindet sich in einem Dorf in der Nähe von Landau in der Pfalz. Eingerichtet hat er es in dem ehemaligen Kinderzimmer seines Sohnes. Davon zeugt noch das Spiderman-Poster an der Wand, das auf Wunsch seines Sohnes dort hängengeblieben ist.

Der Sound der MPC, fährt Baro Dano fort, »macht Druck und ist warm und trocken«, und zwar so, wie er es von seinen amerikanischen Vorbildern von der US-amerikanischen Westküste kenne. »Der Groove, der Swing – das kriegt man nirgendwo anders so raus«, sagt der 30-Jährige mit der massigen Statur über den Drumcomputer und nimmt einen Schluck aus einer Flasche Radler. Zwar würden sich in den letzten Jahren zwar vermehrt auch deutsche Produzenten im G-Funk-Sound versuchen. »Die sind cool, aber die haben ned den Sound, das wir haben«, meint Dano auf Platt und in dem freundlichen Singsang seines badischen Dialekts. »Ich mache den Ami-Sound – und bringe unser eigenes Ding noch mit rein.« Das Ergebnis dieser Mischung nennt sich Gypsy-Funk. Mit Baro Dano als gegenwärtige Speerspitze im deutschen Sinti-Rap.

Michael Wagner, wie Baro Dano mit bürgerlichem Namen heißt, wächst im Nussbaumweg auf, einem sozialen Brennpunkt in Karlsruhe. Musikalisch geprägt wird er von seinen Eltern, die neben traditioneller Sinti-Musik viel Soul und R&B aus den 70er und 80er Jahren hören. Barry White, George Benson, J.G. Watson, The Jackson Five und Michael Jackson, zählt Dano auf. Sein Vater fährt damals regelmäßig ins nahe Frankreich, um in Straßburg Platten zu kaufen, auf Partys macht er den DJ. Danos Urgroßvater war Klavierspieler, sein Großvater Bassist, der Großonkel Geiger und Geigenbauer. In der Werkstatt seines Großonkels schaut er ihm über die Schulter, lauscht seinen Geschichten, auch aus der NS-Zeit. Außerdem verbringt Dano als Kind viel Zeit vor dem Radio und nimmt die Musik, die ihm gefällt, auf Kassette auf.

Als er im Alter von sieben Jahren im Fernsehen Snoop Doggy Doggs »Who Am I? (What’s My Name?)« zu hören bekommt, hat er einen Erweckungsmoment. »Ich dachte: Was geht hier ab?!«, erzählt Dano. »Das ist doch die alte Funk-Musik, auf der jetzt einer rappt. Das hat mir sofort gefallen.« Seine Liebe zur Rap-Musik ist entfacht und wird durch sein gerade volljähriges Kindermädchen, eine Cousine seiner Mutter, gefestigt. Sie versorgt ihn mit weiteren Platten von Snoop oder auch von No Limit-Records. Er fängt selbst an, CDs zu sammeln und schließlich mitzurappen. In den Songs seines Idols Snoop erkennt er immer mal wieder alte Bekannte wieder, Leute wie Charlie Wilson von The GAP Band und andere Funk- und Soulgrößen.

2001 hört er mit »Jeu his geu Tschei« von Sin2, Bybo und Smooth G, ein paar älteren Jungs, die er aus der Nachbarschaft kennt, erstmals einen Rap-Song auf Romanes. »Die Single hat damals jeder gehört, die ging durch ganz Deutschland, lief auf allen Partys und in allen Autos«, sagt Dano über den damaligen Erfolg des Liedes innerhalb der Sinti-Community. Rap auf Romanes – »das hat mich voll inspiriert«. Aber neben der Musik verfolgt der jugendliche Dano auch andere Interessen, die weniger konstruktiv sind. Mit 15, erzählt er, sei er das erste Mal im Knast gelandet, in der Jugendstrafanstalt Schifferstadt. »Ich hab‘ halt viel Scheiß‘ gebaut damals«, sagt er und schiebt hinterher: »jung und dumm«. Ein Jahr Gefängnis habe er seinerzeit bekommen, davon acht Monate abgesessen. In der Haft habe er ernsthaft angefangen zu rappen: auf Romanes.

Doch nach dem Gefängnis bleibt die Musik zunächst Nebensache. Er macht vor allem da weiter, wo er vor dem Haftantritt aufgehört hatte und wird wenige Jahre später zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. »Richtiges Brett«, sagt er. »Doch ich wollte auf keinen Fall wieder in den Knast.« Er tritt die Haft nicht an und habe »auf Flucht« gelebt, wie er sagt. In dieser Phase nimmt die Musik an Fahrt auf. Er verbringt viel Zeit mit Rapper Bybo, der heute vor allem als Funk-Sänger aktiv ist. Mit ihm und Mondo nimmt er 2008 seinen ersten Song auf: »Oh Nijal Well« (Der Sommer kommt). Gypsy Dogg nennt er sich damals noch. In dieser Zeit bekommt er auch erstmals Maio zu hören, ebenfalls Sinto und Rapper aus Cloppenburg. Einerseits motiviert es ihn, dass es da noch einen Sinti-Rapper in seiner Altersklasse gibt mit demselben Faible für G-Funk. Andererseits stellt er fest, dass sein eigener Rap noch nicht ausgefeilt genug ist. Doch Danos weitere Musikpläne, etwa für ein eigenes Label, werden durchkreuzt, als er nach einem Jahr auf der Flucht schließlich von der Polizei gestellt wird und mit 19 erneut im Gefängnis sitzt…

Ortswechsel. Anfang Dezember in Cloppenburg. Es ist ein verregneter Sonntag, an dem es nie richtig hell wird. Maio, untersetzte Statur, schwarze Raiders-Cap, schwarzes Raiders-Shirt, schwarze Jeans, sitzt im Wohnzimmer seines Cousins Schanni. Schanni, hochgewachsen, das Haar kurz rasiert, trägt ein großes weißes und einwandfrei gebügeltes T-Shirt, lange Shorts und weiße Socken bis zu den Knien. Es ist spät am Nachmittag. Trotzdem sind die beiden noch etwas müde. In der Nacht haben sie sich im Fernsehen den Boxkampf des ehemaligen Weltmeisters im Schwergewicht Tyson Fury – seines Zeichens irischer Traveller und selbsterklärter »Gypsy King« – gegen den amtierenden WBC-Schwergewichtsweltmeister Deontay Wilder angeschaut. Und dabei habe es auch etwas zu trinken gegeben, erzählt Alexander Krahn, wie Maio mit bürgerlichem Namen heißt. Der Kampf endete in einem Unentschieden.

An der Wand über dem Sofa, auf dem Maio sitzt, hängt eine Flagge mit dem Hoheitszeichen von Kalifornien. Der Bundesstaat an der amerikanischen Westküste ist das Eldorado der beiden Cousins. Schanni sei schon dort gewesen, in den USA, und habe all das bestätigt gefunden, was sie beide schon immer geahnt haben: »Die Chicanos, die ich in LA oder Vegas kennengelernt habe, die waren zu 90 Prozent wie wir: Soul-Musik, Essen, Kinder, Feiern, Familie – die leben genau wie wir. Gypsy-Lifestyle! Nur, dass die halt Mexikaner sind.« Schanni, der manchmal als Maios Backup-Rapper fungiert, ist Mitglied des einzigen deutschen Chapters von »Rollerz Only«, einem seit 1988 bestehenden amerikanischen Lowrider-Club. Sein eigener Cadillac, ein Fleetwood, sei noch in der Mache. »LA ist für mich das gelobte Land, da würde ich gern leben«, sagt er. Diese Liebe, welche die beiden Cousins teilen, spiegelt sich nicht nur in Maios G-Funk-Sound, sondern auch in seinen Musikvideos wider. In dem Video zu »Das, was du brauchst« – produziert von Savon, einer Hälfte des französischen G-Funk-Produzenten-Duos Venom & Savon – ist ein himmelblauer Chevrolet Bel Air zu sehen. Das Video zu »Check The Plaque In The Back«, produziert von Maio und mit Sehrer an der Talkbox, wurde mit Mitgliedern von Rollerz Only in Belgien und Essen gedreht. »Check The Plaque In The Back« sei die Hymne des deutschen Rollerz Only-Chapters, sagt Maio.

Maio bezeichnet seine Musik zwar auch als Gypsy-Funk, aber er beschränkt sich beim Rappen nicht aufs Romanes, sondern rappt auch auf Deutsch oder Englisch. »Romanes ist cool, weil ich mit meiner eigenen Sprache meine eigenen Leute erreiche, aber davon abgesehen nicht so viele«, sagt der 30-Jährige. Was nicht heißen solle, dass er seine Wurzeln vergesse. Mit seinem selbstproduzierten Song »Schwarzer Zigeuner«, zu dem ihn Tomkats gleichnamiger, nur anders geschriebene, Track »Schwarza Zigeuna« inspiriert habe, hat er den Sinti ein Denkmal gesetzt. Das Lied basiert auf einem Sample aus »Cry Together« von The O’Jays sowie auf einer Melodie aus »For The Love Of You« von The Isley Brothers. Außerdem beinhaltet der Song ein Sprachsample aus »Arpad, der Zigeuner«, einer deutsch-ungarisch-französischen Fernsehproduktion, die im deutschen Fernsehen erstmals 1973 vom ZDF ausgestrahlt wurde, und in dem die göttliche Schöpfung des Menschen im Allgemeinen und der »Zigeuner« im Besonderen geschildert wird.

Der Song ist eine schonungslose Auseinandersetzung mit der Rassenverfolgung und Ermordung der Sinti im Dritten Reich sowie eine harte Kritik an dem Rassismus der Gegenwart. »Manchmal frag ich mich, hat der Himmel ein‘ Zigeunerplatz / oder hat im Himmel überhaupt ein Zigeuner Platz?«, rappt Maio da flowmäßig zwar noch etwas holprig – aber dafür umso aussagekräftiger. »All die negativen Szenen, schon von Kind auf an / merkt man, dass man nicht willkommen ist in diesem Nazi-Land / Und jetzt gibt es bei Euch Empörung für diesen Satz?! / Dann sagt mir, wieso man die NPD bis heute nicht verboten hat?« Im Spätsommer letzten Jahres trat er in Hanau auf Einladung einer jüdischen Gemeinde im Rahmen einer Veranstaltung gegen Rassismus auf. »Ich halt mein Maul nicht und sag meine Meinung laut / Frag das Polizeirevier in Oldenburg, falls du mir nicht glaubst / Pfefferspray und Schläge ham meine Meinung nicht geändert«, rappt Maio in »Schwarzer Zigeuner«.

»Death is certain, life is not« hat sich Maio auf seinen rechten Oberarm tätowieren lassen. Gestochen von keinem Geringeren als Spanky Loco, einem Tätowierer und Untergrund-Chicano-Rapper, als dieser gerade in Köln war. »Er ist kein Superstar«, sagt Maio, »aber für uns schon.« Der Cloppenburger sucht und findet die Nähe zu seinen musikalischen Vorbildern aus den USA. So sei er in Deutschland bereits als Show-Opener für MC Eiht, Bone Thugs’n’Harmony und Krazie Bone aufgetreten. Einmal habe er sich die Bühne mit B.G. Knocc Out teilen dürfen. Aber auch diesseits des Atlantiks ist Maio gut vernetzt. Der extrem druckvolle Beat und die Gitarre von »Das Leben« sind von dem österreichischen Jazz- und Funk-Musiker Uwe Arthur Felchle, die Talkbox ist von Sinti-Rap-Pionier Sin2 aus Karlsruhe. Sin2 hat auch Maios »Music & Me« produziert, der Gesang ist unter anderem von Funk-Sängerin Imaa. Derzeit schreibe er gerade an einem Rap für Baro Dano

Zurück nach Landau. Baro Danos Sohn kommt ins Zimmer gestürzt. Durch die geöffnete Tür dringt der Duft von Weihnachtsgebäck. Vater und Sohn wechseln ein paar Worte auf Romanes. Der Kleine schließt die Tür wieder von außen und Dano erzählt weiter. Wieder im Knast, habe er haufenweise Texte auf die Beats von C-Bos »West Coast Classics« geschrieben. Er nimmt seine Raps auf Handy auf, macht eine Ausbildung zum Fräser und wird nach zwei Jahren vorzeitig entlassen. In der Zwischenzeit hat seine Frau ihm das nötige Equipment besorgt, damit er nun, 2011 und wieder auf freiem Fuß, seine eigene Musik machen kann. Er nimmt viel auf, bald auch mit einer MPC 3000, veröffentlicht aber nur wenig. Er lernt Keyboardspielen, kauft sich ein Roland Fantom-S88 und nimmt ein Minialbum auf: das »Romno Tape«. Gemischt und gemastert von Sin2, in Teilen koproduziert von M.O. Funkx und Rusho Winterstein sowie mit Gastsängerin Imaa, einer Verwandten aus Offenburg. Er brennt das Romno Tape auf 400 CDs und verkauft, wie er sagt, alle bis auf das letzte Stück. »Die Leute sind ausgeflippt«, erzählt Dano. Innerhalb der Sinti-Community folgen Auftritte und eigene Veranstaltungen. Aber auch von Nicht-Sinti habe er Props bekommen. An der Wand seines Heimstudios hängt das eingerahmte Cover des Romno Tapes.

Dano rappt hauptsächlich auf Romanes, sein Sound ist G-Funk, Gypsy-Funk, wie er selbst sagt. Für viele an Rap Interessierte Sinti ist er derzeit die erste Adresse für Sinti-Rap. In seinen Texten verarbeitet er sein Aufwachsen am Nussbaumweg, sein Leben auf der Straße und im Knast, Beziehungsprobleme, den alltäglichen Struggle, sagt er. In der Schublade schlummere noch ein Track, den er schon im Gefängnis geschrieben und hinterher sogar mehrmals mit verschiedenen Beats aufgenommen habe. Aber mit der Veröffentlichung tut er sich offenbar schwer. Der Song handele von der NS-Zeit. Dafür habe er sich eigens das Einverständnis »der Älteren« geholt. Die hätten keine Einwände gehabt, da »meine Leute«, wie er sagt, selbst »im Lager« waren. »Meine Uroma hatte noch die Nummer auf den Arm tätowiert«, erzählt er. Der Aufstieg der AfD beunruhige ihn. »Ich frag mich, was wird, wenn die an die Macht kommen.«

Eine neue Seite an sich lernt Baro Dano kennen, als er die Bekanntschaft mit Tschabo Winterstein macht, einem Produzenten aus Düsseldorf, Sohn von Sinti-Jazz-Gitarrist Ziroli Winterstein und Neffe von Musiker Holzmanno Winterstein. »Mit ihm habe ich was ganz Neues angefangen, schon noch G-Funk, aber kommerzieller, kein Gangsta-Shit mehr, sondern mehr Party«, sagt Dano und verweist auf zwei seiner von Tschabo Winterstein produzierte Tracks, »Dancing Tonight« und »De man miro ziro« (Gib mir meine Zeit).

Produktionstechnisch bildet sich Dano unterdessen via Fernstudium weiter, arbeitet ordnerweise Mixing- und Master-Anleitungen des HOFA-Colleges durch. Außerdem besinnt er sich nach zwischenzeitlichen Software-Experimenten (»Das hat kein Leben«, sagt er.) wieder auf die Hardware zurück, steigt wieder um auf die MPC, nunmehr das 4000er Modell. »Sie ist mein ganzes Studio«, sagt er und streicht über das vor ihm auf dem Tisch stehenden Gerät. Damit macht er die Beats, wie er sie aus den USA kennt, den »Ami-Sound«, wie er ihn nennt.

Um nicht nur im eigenen Saft zu schmoren, sucht Baro Dano die Zusammenarbeit mit anderen Musikern. Mit Wesley von The Looneys nimmt er »187« auf, mit Imaa und dem Freiburger Sinti-Sänger Rosano »Hotel«, (https://www.youtube.com/watch?v=R7U40Nh4UsQ) und mit der IndoClique aus Mannheim und dem Landauer Sinti-Jazz-Gitarrist Julio Weiss »One Mo Drink«. Letzterer Track habe sie »unter den Sinti berühmt gemacht«. Ende 2018 veröffentlicht er mit M.O. Funkx als Gastrapper die Karlsruher Gypsy-Funk-Hymne »Straight Outta KA«, das dazugehörige Video hat Sin2 gedreht.

Für 2019 hat sich Baro Dano vorgenommen, über sein eigenes Label »Boss Life« ein Kompilationsalbum zu veröffentlichen. »Boss Life & Friends« soll es heißen. »Da will ich jeden Sinto-Rapper dabeihaben«, sagt er. Auch Maio soll mit von der Partie sein. Von dem Album zu erwarten sei eine weitere Qualitätssteigerung – aber stilistisch »nichts Neues«, sagt Baro Dano. »Der Sound ist auf 1992 bis 1995 fokussiert.« G-Funk halt. Nein, Gypsy Funk.