Hans Solo Der Porno-Rap-Pionier

Hamburg, Stuttgart, Berlin – wenn von Deutschraps Hochburgen die Rede ist, fällt Köln meist hinten runter. Dabei kommen ein paar der schillerndsten Akteure aus der Domstadt. Das Äi-Tiem zum Beispiel. Ein Tag an der Seite von Hans Solo, dem Erfinder des deutschsprachigen Porno-Raps.

Hans Solo - Philipp Killmann - ALL GOOD

»Ich bin ein Rap-Pionier, die Sprache mein Elixier / Betrittst du mein Revier, hab‘ ich dich schon im Visier / Hans Solo, Cock Commander, ich bring dich durcheinander / Prallen wir aufeinander, nehm‘ ich dich auseinander / An mich kommt keiner ran, den Äi-Tiem-Grobian / 1986 fing ich mit der ›Fotze‹ an / Von Sex und Fickerei handelt diese Plapperei / Im Prinzip ´ne Schweinerei, aber Hip-Hop zweifelsfrei« — Hans Solo in »Erbarmungslos« (1993)

Wenn es um Rap im Besonderen und um Kunst im Allgemeinen geht, gibt Frank Schnütgen alias Hans Solo keinen Fick. Er rappt, wie er rappt, und macht Kunst, wie er Kunst macht, ohne sich, das kann man wohl so sagen, an Trends oder einem wie auch immer gearteten Publikum zu orientieren. Er macht das alles inzwischen auch lange genug, um zu wissen, dass nur weil er ein Ergebnis für gelungen hält, dies noch kein Garant dafür ist, dass das Publikum das genauso sieht. Und umgekehrt. »Lust am Scheitern«, nennt er das.

Und so krakeelt er seine Raps ins Mikrofon, als wäre es immer noch Mitte der Achtzigerjahre. Aber das ist auch nicht verwunderlich, fand er doch in eben jener Zeit zu HipHop und in Rappern wie LL Cool J (»Radio«) und Just-Ice (»Kool & Deadly«), den Beastie Boys (»Licensed to Ill«) und Public Enemy (»Yo! Bum Rush the Show«) maßgebliche Künstler, an denen er sich orientiert hat. Grundsolides Fundament also. Nichtsdestoweniger entwickelt er sich stetig weiter, inhaltlich wie musikalisch. Von Porno-Rap auf Deutsch, den er zunächst eher beiläufig erfindet, über radikale politische Ansagen zu vermehrt tiefsinnigen Spoken-Word-Stücken. Er hält es – augenscheinlich – bloß schlicht und einfach simpel. Das hat auch was von Punk.

Der Grund, weshalb er sogar auf den fluffigsten und funkigsten Beats seinen Flow selten großartig anzupassen scheint, ist banal: »Ich schreibe die Texte in der Regel ohne Beats.« Seine Lyrics verfasse er jederzeit und überall. So klingt am Ende Auf-die-Fresse-Rap, der allerdings auch was zu sagen hat. Der Anarcho-Rapper ist vielleicht nicht politisch korrekt, aber er hat sein Herz am rechten Fleck. Durchaus sperrig, aber einmal zu schätzen gelernt, will man ihn nicht mehr missen.

Heute ist Frank Schnütgen 57 Jahre alt und mehr denn je ein unabhängiger Geist, der wie gehabt nach links genauso austeilt wie nach rechts und Faschisten ganz besonders auf dem Kieker hat. »Die größten Idioten zeigen waagerecht auf«, rappt er in »Still Fotze« an der Seite von Disko Degenhardt. Einer, der sich immer noch Wahnsinn und Wut von der Seele rappt, experimentelle Beats und kuriose Noise-Boxen bastelt, immer noch BMX und inzwischen auch Wakeboard und Kajak fährt, Leinwände bemalt, künstlerisches Mobiliar kreiert und sich in Rezitationen des Physikers Hans-Peter Dürr ergießt.

Folglich gäbe es en masse zu erzählen über all die Facetten der komplexen Persönlichkeit Frank Schnütgen: über den BMX-Profi, Informationselektroniker, Kunstmaler, Bildhauer, Geschäftsführer (Dom-Sports-Skate-Halle), Mailorder- und Vertriebs-Betreiber (Def-Dick), Dom-Turm-Besteiger, Hörbuchsprecher oder Flugsimulator-Erbauer. An dieser Stelle soll der Fokus jedoch auf Frank Schnütgen alias Hans Solo liegen, auf dem Rapper und Produzent. Und schon das allein langt für ein ausschweifendes Portrait, das doch nur an der Oberfläche kratzen kann.

Der Name Schnütgen ist in Porz ein Begriff

Anfang Dezember in Köln-Porz. Es ist Mittwochmittag, viertel nach 12 Uhr. Der Himmel ist grau, das Wetter bei 5 Grad Celsius nasskalt. Hans Solo – untersetzt, weite blaue Jeans, blaue Arbeitsjacke, Sportschuhe, schwarzer Zip-Hoodie und rote Cap – tritt vor die Tür seines Hauses im Porzer Stadtteil Ensen. Freundlich begrüßt er den ALL-GOOD-Autor, bittet ihn herein. Genauer: in den Keller. Dort befindet sich seine nur wenige Quadratmeter zählende »Schaltzentrale«, wie er sagt. Es ist sein Büro, in dem er etwa die Bestellungen für Platten oder Merchandise seines Labels Holy Chaos Recordings bearbeitet. Für den Pressebesuch an diesem Tag hat Hans Solo extra eine Liste von Lebensstationen in Köln-Porz angefertigt, die er mit dem Besucher abfahren will.

Hans Solo kommt im Februar 1967 als Frank Schnütgen in Bergisch-Gladbach-Bensberg, östlich von Köln, zur Welt, wächst in der Domstadt im heutigen Stadtbezirk Porz auf. Sein Vater betreibt einen Radio- und Fernsehtechnik-Laden (»Radio Schnütgen« in Porz), seine Mutter arbeitet erst als gelernte Friseurin, später als zivile Büroangestellte in der Luftwaffenkaserne Porz-Wahn. Der Name Schnütgen ist in Porz ein Begriff. Es gibt das nach Alexander Schnütgen (1843-1918), einem katholischen Priester und bedeutenden Kunstsammler, benannte Museum Schnütgen – das Hans Solo eigenen Angaben zufolge allerdings noch nie betreten hat.

Nichtsdestotrotz sei er wahrscheinlich ein Nachkomme eines Bruders von Alexander Schnütgen, aber genau weiß er das nicht, der von seinem Vater erstellte Familienstammbaum ist verschollen. Das Einzelkind Frank Schnütgen verbringt jedenfalls viel Zeit bei seinen Großeltern mütterlicherseits in Ensen. Sein Urgroßvater Balthasar Hochwald war Mitbegründer des örtlichen Turnvereins Ensen-Westhoven 07. Er turnte noch im hohen Alter. Darauf führt Hans Solo seine Sportaffinität zurück.

Mit zehn Jahren hat er einen verheerenden Unfall. Ein Ford Granada überfährt den Jungen samt Rennrad, bricht ihm beide Beine. Fast ein halbes Jahr lang liegt er im Gipsbett, muss das Laufen erst wieder erlernen. In dieser Zeit, schreibt er auf der äußerst detailreichen Homepage des Äi-Tiems, habe er »einen extrem starken Willen entwickelt«. Dieser Wille schlägt sich wenig später prompt beim Schwimmen nieder, bei dem er über die Schwimmtherapie für den Muskelaufbau landet, sodass er bald gut genug ist, um an einer deutschen Meisterschaft teilzunehmen. Dennoch muss er kurz darauf den Wassersport an den Nagel hängen, weil sich in seinem Mittelohr ein Geschwür gebildet hat, das operativ entfernt werden muss und einen bleibenden Schaden hinterlässt. Mit zwölf Jahren entdeckt er Roller-Skates für sich, kurz darauf das BMX-Fahren. Letzteres wird zu einer großen Liebe seines Lebens.

Nach einer kurzen Stippvisite am Rheinufer, gegenüber der Kölschen Riviera, wo Hans Solo im Sommer schwimmen geht oder Kajak fährt, steuert er seinen Toyota Avensis ins sogenannte Demo-Gebiet in Porz-Finkenberg zu den Überresten eines Skate-Platzes. Die Siedlung mit ihren Hochhäusern war in den Sechziger- und Siebzigerjahren ein Projekt, das der Stadt Köln zufolge ein »menschenfreundliches Wohnerlebnis« zum Ziel hatte. 20-stöckige Wohnblöcke und Einfamilienhäuser sollten stadtbaulich und sozial miteinander verschmelzen. Ein ehrenwertes Ziel, findet Hans Solo, das ihm zufolge aber grandios gescheitert ist. Seither sei das Viertel das, was man gemeinhin einen sozialen Brennpunkt nennt.

Am Rande der Hochhäuser bekommen Hans Solo und seine Mitstreiter 1983 nach langem Ringen von der Stadt einen Platz zugewiesen, auf dem sie ihre ersehnte BMX-Strecke bauen dürfen. Noch im selben Jahr schafft Frank Schnütgen es bereits ins Guinness-Buch der Rekorde, indem ihm ein Bunny Hop über 19 auf dem Boden liegende Menschen gelingt. Zuvor hatte er sich schon mit siegreichen BMX-Rennen einen Namen gemacht. Doch das Trickfahren findet er interessanter und er schwenkt um von »Racing« zu »Freestyle«. 1987 wird Frank Schnütgen in England auf der Quarterpipe als erster Deutscher BMX-Weltmeister und als solcher sodann durch die Medien gereicht, zum Beispiel in Thomas Gottschalks Sendung »Na sowas!«.

Politisch kontroverse Aussagen, pornografische Inhalte und brachialer Sound

Parallel zur Entdeckung des BMX-Rads entdeckt Hans Solo seine Leidenschaft für HipHop. Der Grundstein für seine Liebe zur Musik war schon früh gelegt worden. Als Kind bekam er Klavierunterricht, spielte zu Hause auf dem Piano Platten nach, die er in Porzer Plattenläden für sich entdeckte, Kraftwerks »Europa endlos« zum Beispiel. In der Schule – er besucht die Integrierte Gesamtschule (heute: Lise-Meitner-Gesamtschule) in Porz-Finkenberg, macht sein Abitur in Mathematik und Sport – beeindruckt ihn der Unterricht eines Musik- und Physiklehrers namens Sixt. »Er hat quasi versucht zu erklären, wie Mathematik, Physik und Musik zusammenhängen«, erzählt er. Gedanken, die er so oder ähnlich Jahre später bei dem Physiker Hans-Peter Dürr wiederfinden wird. Über Disco und Electro, Breakdance und Graffiti findet er schließlich zum damals neuen Ding: dem Rap.

1985 schließt er sich mit ein paar Freunden zu einer Band zusammen. Zunächst gar nicht ausschließlich auf Rap ausgerichtet, doch am Ende führt die Reise genau dort hin. Sie nennen sich 3PM Posse, rappen zuerst auf Englisch, wechseln dann aber doch ins Deutsche. Über die BMX-Szene kommt er zudem in Kontakt mit anderen Hip-Hoppern, die ebenfalls BMX fahren, wie Robert Möller alias D-Tex Law (CUS, Blitz Mob), Haluk Korkmaz alias Tuareg (STF, Blitz Mob), Georg Melching alias Chicken George (Rude Poets), Frank Becker alias DJ Nine Double M (Rude Poets, Das Duale System) oder Frank Rumohr alias DJ Air-Knee (Jazzkantine).

Ende der Achtzigerjahre gründet er mit Ralph Dammers (heute Hoffmann) alias Lord Fader das Äi-Tiem – eine Verballhornung des Namens der US-amerikanischen TV-Serie »A-Team«, die im März 1987 erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wird. »Zwei Turntables und ein Mikrofon« ist zunächst die handfeste Devise. Nach einiger Zeit stößt Benjamin Hartung alias Obi Wahn Def Benski hinzu. 1992 schließlich erscheint das Äi-Tiem-Debüt, die EP »Alles Absicht«, über Hans Solos im Vorjahr gegründetes Label Holy Chaos Recordings in einer Auflage von 500 Exemplaren, die eigenen Angaben zufolge nach drei Monaten im Eigenvertrieb ausverkauft ist und heute bei Discogs für 80 bis 120 Euro gehandelt wird.

Im selben Jahr bekommt das Äi-Tiem Verstärkung von einigen Instrumentalisten, sodass die Gruppe live nun mit einer Band auf der Bühne steht. 1993 erscheint mit »Kein Kommentar« die zweite Äi-Tiem-EP, koproduziert von Fader Gladiator (CUS, Blitz Mob, Die Firma) und gemischt von Future Rock (LSD, Blitz Mob), vertrieben über Blitz Vinyl. Der Titeltrack ist eine Abrechnung mit korrupten Politikern. Unterdessen verliert die Band ihren Schlagzeuger erst an die Drogen und dann an die Justiz. OG Dirk Nitsche, wie er später auf dem Blitz-Mob-Album »Die Organisation« (1995) bezeichnet wird, war nach etlichen Überfällen auf Postbanken und Tankstellen verhaftet worden.

1995 erscheint über Holy Chaos Recordings mit der Plattenfirma Intercord als Vertrieb das Debüt-Album des Äi-Tiems: »Wenn hier einer schießt, dann bin ich das«. Die Platte – wieder mitproduziert von Fader Gladiator und gemischt von Future Rock – hebt sich vom Gros der übrigen, relativ braven HipHop-Szene deutlich ab: auf der einen Seite mit seinen politisch kontroversen Aussagen, auf der anderen Seite mit den pornografischen Inhalten, vom brachialen Sound und rohen Style zu rappen ganz zu schweigen. Das war im deutschsprachigen Rap weitestgehend neu – und rief vielleicht mehr Kritiker als Liebhaber auf den Plan. »Gerade die teilweise sexuellen, textlichen Ausschweifungen geben Stoff zu anregenden Diskussionen«, schreibt Hans Solo süffisant auf der Äi-Tiem-Website.

Die Geburt des 20-Zoll-Manns

Wie auch immer. Das Äi-Tiem erschließt sich spätestens mit seinem Debütalbum eine ureigene Fanbase. Durchs Land getourt wird mit internationalen Rap-Größen wie Hijack und Gunshot aus England sowie Tim Dog (1967-2013) aus den USA. Unterdessen gewinnt das Äi-Tiem mit Johannes Quadt (Schlagzeug), Olek Gelba (Percussions) und Frank Leben (†, Gitarre) auch wieder Instrumentalisten für sich. Tim Dog indes wird Jahre später, 2012, von Hans Solo mit dem englischsprachigen(!) Track »Tim Duck« gedisst. Ihr Fett weg bekommen im Laufe der Jahre auch die Fanta 4, Anarchist Academy, Massiv, Prinz Pi oder JuliensBlog.

Auf YouTube gibt es Aufnahmen vom Besuch des Äi-Tiems 1995 bei der damaligen HipHop-Sendung »Freestyle« des Fernsehsenders Viva. Zu sehen ist Hans Solo, umgeben von einem Pulk Jungs und einer Handvoll Mädels, der Hansa Posse Porz. Auf einer Krücke gestützt gibt er, während er mit Bier übergossen wird, souverän den Track »Kleina Wixa« zum Besten. Im Interview auf der Couch beantwortet Hans Solo – als BMX-Profi an Fernsehauftritte gewohnt -, die Fragen von Moderator Scopemann (Rude Poets, STF, Blitz Mob) betont cool und abgeklärt, was von der Horde im Hintergrund mit Lachen und Grölen honoriert wird. So weit, so gut.

Und dann gibt es noch Aufnahmen, die seinerzeit aus den Reihen des Äi-Tiem-Mobs hinter der Kulisse gedreht und erst 2015 bei YouTube hochgeladen wurden. Da sind palettenweise Hansa-Bierdosen im Freestyle-Studio zu sehen, auf der Toilette wird Eimer geraucht – und Sony-A (heute Kunstmalerin), die, wenn man so will, »First Lady Bitch Ray«, rappt den von Hans Solo geschriebenen und bei Spotify heute meistgespielten Äi-Tiem-Song »All das mag ich«: einen frühen Porno-Rap aus weiblicher Perspektive. Sexpositiver Feminismus lässt grüßen. Eskalation jedenfalls, die es aus offensichtlichen Gründen nicht in die ausgestrahlte Sendung geschafft hat. Provokation ist Teil des Programms.

Auf »Wenn hier einer schießt, dann bin ich das« findet sich im Übrigen auch eine Live-Version des Tracks »20-Zoll-Mann«, der schon auf »Alles Absicht« vertreten war. Der Song hat eine besondere Bedeutung und ist untrennbar mit dem Skate-Park im Demo-Gebiet verbunden. Zum Hintergrund: 20 Zoll bezeichnet die Reifengröße eines BMX-Rads. Als eines Tages eine Gruppe Jugendlicher aus den Finkenburg-Blocks dort auftaucht und Ärger macht, lassen Hans Solo und seine Freunde ihnen das nicht durchgehen und mischen sie kurzerhand auf.

»Die (BMX- und Skate-)Szene aus dem Viertel war immer größer geworden, und wir hatten uns da mit dem Skate-Park unser Refugium geschaffen«, erzählt er, »und dann kommen irgendwelche Arschlöcher und wollen uns das kaputtmachen.« Aber nicht mit Hans Solo & Co. »Früher waren wir wenige, da hattet Ihr noch Glück / Heute sind wir viele, jetzt schlagen wir zurück«, rappt Hans Solo im »20-Zoll-Mann«. Gesagt, getan. Der 20-Zoll-Mann war geboren und der gleichnamige Track kurz darauf geschrieben. Mögen, geschweige denn spielen tut der 20-Zoll-Mann das Lied allerdings schon lange nicht mehr. Es sei aus einer Laune heraus entstanden und habe sich inzwischen selbst überlebt, sagt Hans Solo.

Die Autofahrt führt am psychiatrischen Krankenhaus Alexianer in Porz-Ensen vorbei. Hier sind, erzählt Hans Solo, bedauerlicherweise schon einige seiner Bekannten eingewiesen worden, was oft, aber nicht immer mit den Folgen von Drogenkonsum zu tun gehabt habe. Tracks wie »Direkt aus der Klapse« (2006) von und mit KPA – Köln, Porz, Asozial und Grobian/Professor Te (Creme de la Creme) sowie sein Solostück »Einer dieser Tage« (2018) spielen auf die Einrichtung an.

Weiter geht es vorbei an der Glashütte St. Gobain (früher Vegla), wo Hans Solo beim Bau der Spiegelglasanlage mitwirkte, nachdem er beim Berufsbildungszentrum Köln seine Ausbildung zum Informationselektroniker gemacht hatte.

Dabei habe er eigentlich Pilot werden wollen. Doch die Ausbildung sei ihm wegen der Folgen seines Unfalls verwehrt worden. Aber: »Ich hätte Jets geflogen, auf jeden Fall«, sagt Hans Solo. »Ich hätt‘ mich in diese Scheiß-Zentrifuge gesetzt, hätt mich quälen lassen, nur um dieses Scheiß-Ding fliegen zu können, weil ich das einfach wollte.« Da kommt er wieder durch, der starke Wille. Intrinsische Motivation.

Die nächste Station ist das größtenteils von Hochhäusern umgebene Jugendzentrum (Juz) »Glashütte«. Hier hat Hans Solo erst vor anderthalb Jahren gemeinsam mit den Kids aus dem Viertel eine Minirampe gebaut. »Um etwas zurückzugeben«, sagt er, aber auch, um der Stadt Köln »einen reinzuwürgen«, indem er zeigt, wie leicht etwas zu machen ist, wenn man es denn wirklich will.

Den »Fotzen-Rap« schreibt Hans Solo 1986 mit einer Klassenkameradin

In einem Nebeneingang des Jugendzentrums steht Gianni Navarra und raucht eine Zigarette. Der 50-Jährige aus dem Dunstkreis der Porzer HipHop-Band Die Firma – der Gruppenname ist auf seinen Unterarm tätowiert – ist hier aufgewachsen und arbeitet nun in dem Juz, in dem er sich schon als Zehnjähriger rumtrieb, als Koch. Hier hat er auch früh Äi-Tiem auftreten sehen und, jung wie er war, zu dem sieben Jahre älteren Hans Solo aufgeschaut, erzählt er in der Kantine und schenkt seinen am Tresen sitzenden Gästen Kaffee ein.

2001 veröffentlichte er mit »Der Sizilianer« sein eigenes Album. Firma-Rapper Alexander Terboven alias Tatwaffe arbeitet hier ebenfalls, als Sozialarbeiter, steckt aber gerade in einer Dienstbesprechung fest. Gianni will noch eine rauchen. Vor der Tür zückt er sein Handy. Mit Tatwaffe hat er gerade ein neues Album aufgenommen, »Das Straßentape«, erzählt Gianni. Er spielt einige Tracks an und rappt bei den besonders krassen Ansagen kichernd mit. Er amüsiert sich offensichtlich köstlich. Auch Hans Solo muss bei der einen oder anderen Zeile lachen.

Roh waren und sind des Öfteren auch seine eigenen Texte. Der 57-Jährige nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Startschuss für deutschsprachigen Porno-Rap fällt bereits Mitte der Achtzigerjahre mit ihm – und damit lange vor dem Aufkommen der berüchtigten Berlin-Fraktion um die Jahrtausendwende. Inspiriert von 2 Live Crews 1986 erschienenem Song »We Want Some Pussy« schreibt Hans Solo gemeinsam mit seiner Berufsschulkameradin und späteren Freundin Martina noch im selben Jahr in der Schule den »Fotzen-Rap«. »Man saß halt nebeneinander, hat die gleiche Musik gehört«, erzählt Hans Solo. »Man hat sich das auf Englisch angehört und gesagt, komm, wir legen noch einen drauf – das war nur ein Spaß.« Veröffentlicht wird der Song erstmals 1992 mit der Debüt-EP »Alles Absicht«. Tracks wie »Dicke dumme Liese«, »All das mag ich« oder »Fikken« folgen.

Kritik, wie sie sich heute oftmals in Shitstorms äußert, war damals eher physischer Natur. Wiederholt muss sich der Fotzenrapper kurzerhand von selbsternannten Linken und Feministinnen beziehungsweise den Veranstaltern zusammenschlagen lassen, wenn er auf Konzerten, den Track »Fotzen-Rap« spielt, weil sie sich an dem Wort »Fotze« stören. Doch während Hans Solo sich denkt, »wenn ein einzelnes Wort solche Reaktionen auslöst, dann erst recht«, ist das für Def Benski irgendwann Grund genug, beim Äi-Tiem auszusteigen. »Er meinte, er würde sich doch nicht auf die Bühne stellen, um sich vermöbeln zu lassen«, sagt Hans Solo.

Doch die Empörung ist Hans Solo auch heute noch gewiss. »Weil ich dir zu oft das Wort ›Fotze‹ benutze, zeigst du mit deinem dreckigen Finger auf mich?!«, rappt er 2012 in dem Song »Still Fotze«. »Die Welt steht in Flammen und keiner kümmert sich darum / Doch sag einmal das Wort ›Fotze‹ und alle dreh’n sich um.«

Das Äi-Tiem macht Musik, die auch ohne hohe Chartplatzierungen ihr Publikum findet. »Ignorante Texte, prollige Attitüde, Pornofilm-Samples – Fotzenrap statt Deutschrap eben, das war das, was ich hören wollte«, schreibt Sven Bischoff 2017 auf seiner empfehlenswerten Website 90erhiphop.de in einer Retrospektive. »Das Äi-Tiem war wie die 2 Live Crew auf Deutsch, nur mit mehr Gewalt in den Lyrics (und politische Tracks hatten sie tatsächlich auch noch). Genau die richtige Mischung, um ein Album indizieren zu lassen.«

Indiziert wird das Album »Wenn hier einer schießt, dann bin ich das« von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (heute: Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz) dann tatsächlich. Damit die Platte nicht vom Markt genommen werden muss, lässt Hans Solo sie in Absprache mit Intercord mit einer roten Pappbanderole verschweißen, sodass vom Cover nur noch der Barcode sichtbar ist. »Den Hinweis ›Ab 18‹ hatten wir natürlich extra groß drauf geschrieben«, erzählt Hans Solo. »An den Tankstellen gab‘s damals ja auch Pornos, und die waren auch von so einer Banderole abgedeckt, und da hatte ich mir das abgekuckt.«

Zwischen Politik, Protest und Stromkästen

Aber Hans Solo kann nicht nur explizit über Sex rappen, sondern auch über Politik. So verarbeitete er auf dem Album »Wenn hier einer schießt, dann bin ich das« in dem gleichnamigen Track zum Beispiel das Geiseldrama von Gladbeck aus dem Jahr 1988. »Warum mich ausgerechnet dieser Fall interessiert? / Weil dieses Land von potentiellen Mördern wird regiert / Falsche Entscheidungen, soweit das Auge sieht / Eine Geisel musste sterben, weil man falsche Schlüsse zieht / Wo war der Notarztwagen als die Schüsse fielen? / Kein Bedarf zu dieser Zeit, weil wir nur ›Räuber und Gendarm‹ spielen«, rappt Hans Solo da.

Zwei junge Menschen waren von den Geiselnehmern, die auf ihrer Irrfahrt durch Nordwestdeutschland von zahlreichen Medien begleitet wurden, getötet worden, während sich die Exekutive von den Verbrechern vorführen ließ – vor aller Augen live im TV. An anderer Stelle mit einem den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) imitierenden Sprachsample rappt Hans Solo: »Hör mir endlich zu und schnall es / Für Geld tun Politiker alles / Korrupte Schweine, weißt du was ich meine / Das Äi-Tiem macht Politikern Beine« (»Kein Kommentar«). Wenige Jahre später, 1999, flog die Spendenaffäre der CDU auf.

Heute fallen die politischen Statements von Hans Solo immer noch deutlich, aber abstrakter aus. »Todbringende Maschinen verkaufen sich einfach am besten / Dich ham sie im Auge, um sie zu kaufen / damit möglichst viele, ohne es zu merken, lächelnd in den Tod laufen / Ihr bezahlt die Maschinerie, um zu sterben«, heißt es zum Beispiel in »Maschinerie«, einem Spoken-Word-Track, inspiriert von dem Song »Mean Machine« aus dem Jahr 1971 von dem afroamerikanischen Dichterkollektiv The Last Poets. Oder in »Es kümmert mich nicht«: »Kein Fleisch auf dem Tisch? Auch das kümmert mich nicht / Es ist dein Tisch der leer ist. Was kümmert das mich? / Wenn der Aktienmarkt einbricht, das kümmert mich / Doch ob du was im Bauch hast, kümmert mich nicht / Scheiß auf Brot für die Welt. Ich will Luxus für mich / Die Maschine braucht Kohle. Brot braucht sie nicht.«

Aber das Äi-Tiem will es nicht nur bei schlauen Sprüchen belassen. So spendet es beispielsweise 1998 den Erlös ihrer gemeinsam mit der Obdachlosenzeitung »Von Unge« präsentierten und gleichnamigen EP mit einem Cover des Graffiti-Künstlers Darko aus Paris an Gefängniswerkstätten und Resozialisierungsprojekte. »Das Äi-Tiem will damit ein Zeichen setzen, das Kritik üben allein nicht immer ausreicht«, schreibt Hans Solo dazu auf der Website der Band. »Man muss auch Wege aufzeigen, wie man aktiv etwas verändern, bewegen kann.«

Auf dem Weg zur nächsten Station klingelt Hans Solos Handy. Es ist sein alter Freund Beule. Holger „Beule“ Sander, erzählt Hans Solo, ist ein legendärer Rollerskater und hat in Australien wegen Drogenhandels 13 Jahre lang im Gefängnis gesessen. Inzwischen sitzt er seine Reststrafe in Deutschland ab, ist im offenen Vollzug.Um die Anwaltskosten begleichen zu können, unterstützen Hans Solo und Freunde ihn unter dem Motto »Free Beule« mit Spendenaktionen, wie zum Beispiel dem Verkauf von Action-Figuren, die der Kölner Rapper Adelsmann gebastelt hat. Hans Solo und Beule verabreden sich für den Besuch einer Kunstausstellung am Freitag.

Eine gewisse Affinität zu Leuten, die ihren Lebensunterhalt jenseits der Legalität erwirtschaften, habe Hans Solo schon in seiner Jugend gehabt, erzählt er, sich aber stets aus den damit verbundenen Machenschaften herausgehalten, mal abgesehen von Diebstählen auf Baustellen, um aus dem geklauten Material eine neue Rampe zu bauen. »Ich bin mit den Leuten aufgewachsen«, sagt er. Aber im Großen und Ganzen seien sie Jungs gewesen, die Straße für Straße an ›ihren‹ Stromkästen rumhingen und darauf warteten, dass was passiert, und im Zweifel auch mal nachhalfen. »Wenn ich drüber nachdenke, waren wir wahrscheinlich die Talahons früher«, sagt Hans Solo.

Die Dom-Sports-Skate-Halle war »so was wie eine Kommune«

Er biegt den Toyota in den Alten Deutzer Postweg in Köln-Rath-Heumar und durchquert nach einigen Metern die Einfahrt eines Industriegeländes. Hier stehen alte Hallen, die früher zu einem Maschinenwerk gehörten. Heute dienen sie offenkundig als Lagerhallen. Hans Solo hat Glück, kennt einen der anwesenden Mitarbeiter, der ihn und den ALL-GOOD-Autor eintreten lässt. 1998 hatte Hans Solo gemeinsam mit vier weiteren Gesellschaftern hier die Dom-Sports-Skate-Halle eröffnet.

Auf den ersten Blick ist von den Räumen, die einst auch als Konzert-, Jam- und Partyhallen sowie Domizil »des Äi-Tiem-Klans« dienten, nichts wiederzuerkennen. Das ändert sich beim Gang über eine kleine gusseiserne Wendeltreppe, die zur Empore im Obergeschoss führt. Hier zeugen mit Markern an die Wand gekritzelte Sprüche, Graffiti und Veranstaltungsplakate von der urbanen Subkultur, die hier mal zu Hause war. Am Rande gibt es einen Verschlag, die Fensterscheiben sind allesamt zerbrochen. »Da hab‘ ich fast fünf Jahre lang mehr oder weniger drin gewohnt«, sagt Hans Solo. Mehr als ein Bett passt da kaum rein. Aber darum ging es auch nicht. »Das war hier so was wie eine Kommune«, sagt er. Hier fanden sich nicht nur Skater und BMX-Fahrer ein, sondern auch Künstler und andere kreative Köpfe. Er habe in der Halle eine der schönsten Zeiten seines Lebens verbracht.

Auch Prominenz gibt sich in der Dom-Sports-Skate-Halle die Klinke in die Hand. Allen voran Tony Hawk, der US-amerikanische Skateboard-Pionier und -Profi. Aber auch Fernseh-Entertainer Stefan Raab begab sich hier »in Gefahr«. In dem Studio, das Hans Solo in der Halle einrichtet, entsteht zudem das zweite Album des Äi-Tiems: »Musik für taube Ohren«, an dessen Produktion unter anderem wieder Fader Gladiator und Future Rock sowie als Rapper nunmehr auch Patrick Nagler alias Der Nagler alias Lando Karisma beteiligt sind.

Im Inlay der 2003 erscheinenden Platte findet sich ein Foto vom Inneren der Skate-Halle. Das Cover basiert auf einem Graffiti der Künstler Seak aus Köln und Besok aus Augsburg. Auf dem Album verarbeitet Hans Solo unter anderem die Kehrseite, die der Betrieb einer Skate-Halle mit sich bringen kann: Ärger mit Anwohnern, Ämtern und Polizei zum Beispiel. Die Platte »setzt sich hauptsächlich mit dem aufgestauten Frust und der Wut über all diese Geschehnisse auseinander, und da ist man auch verbal natürlich nicht zimperlich«, schreibt Hans Solo auf der Äi-Tiem-Website.

Ein paar Monate nach der Veröffentlichung wird das Album dann per Gerichtsbeschluss verboten, da auf der Platte die Telefonnummer eines CDU-Politikers veröffentlicht worden war, was zu einer Anzeige führte wegen Eingriffs »in das Persönlichkeitsrecht, Beleidigung, Androhung von körperlicher Gewalt (da der Text dazu in diese Richtung tendierte), sowie wegen Aufrufs zur Verübung von Straftaten«, schreibt Hans Solo weiter.

Zwei Jahre später erscheint das Album dann noch mal neu, indem der strittige Skit »Dreista Jakob« durch »Meister Petz« ersetzt wird. Ansonsten bietet »Musik für taube Ohren« klassischen Äi-Tiem-Stoff: gefährliche Beats, rabiate (Battle-)Raps, Sozialkritik und schräge Skits. Und mit »Kündigung« gibt Hans Solo einen kleinen Vorgeschmack auf den Spoken-Word-Style, der auf späteren Veröffentlichungen noch häufiger vorkommen wird. Doch die Dom Sports GmbH muss noch im selben Jahr wegen »astronomisch hoher Gerichtskosten« Insolvenz anmelden. Ein wichtiges Kapitel im Leben des Hans Solo geht schmerzhaft zu Ende.

Der Grenzstein, den Hans Solo als nächstes ansteuert, gibt noch Zeugnis davon ab: Rath-Heumar gehörte bis zur Gemeindereform 1975 zur damals noch eigenständigen Stadt Porz, dem heute größten Stadtbezirk von Köln. »Stadt Porz am Rhein« steht auf dem Stein, an dem Hans Solo nun fürs ALL-GOOD-Foto posiert und der schon das Cover seines ersten und bis dato letzten Soloalbums »Dissertation« (2018) ziert; im selben Jahr erscheint als digitaler Release die Äi-Tiem-EP »Zeitreise 1«.

Props von Frauenarzt

»Ich kann nix dafür, ich liebe die Stadt / Dieses Loch, dieses Kaff, hier dreh’n alle am Rad / >Ach, wat?< Sicher dat. Is genau, wie ich sag‘ / Aber gerad dat is dat, wat ich an Porz so mag / >Ziel vieler netter Leute<, damals wie heute / Die derbsten Partys und krassesten Bräute«, rappt Hans Solo auf dem Album in der lokalpatriotischen Hymne »Porzist«. Aber auch: »Porz hat auch andere Seiten, Mann, ich weiß ja / Im Sog der Gezeiten war nicht alles heiter / Zu viele gestorben, verrückt und gescheitert / Entweder du gehst oder kommst mit dem Scheiß klar / Pack schlägt sich, Pack verträgt sich / Nicht jeder hier verdient sein Geld redlich / Schließlich weiß jeder hier dennoch: Red nicht! / Und kommt mal wieder die Polizei und sagt: >Keiner bewegt sich!< / Lachen alle mal kurz, aber herzlich. Man kennt sich.« Das trifft das Porz, in dem sich Hans Solo bewegt, wohl ganz gut. Weiter geht’s in die Kölner Innenstadt. In der Nähe des Hansa-Rings befindet sich der »Bogen 2«. »Das ist mein Lebensinhalt«, antwortet Hans Solo beim Rundgang durch das geräumige Veranstaltungszentrum auf die Frage, was es ihm bedeute.

Nach dem Ende der Skate-Halle muss Hans Solo einen neuen Weg finden, wieder Geld zu verdienen, und steigt beim Bogen 2 ein. Da kommt ihm wieder seine Ausbildung zum Informationselektroniker und die berufliche Erfahrung, die er im Laufe der Jahre gesammelt hat, zugute. Er ist der Bauleiter bei der Einrichtung des Veranstaltungslokals und sorgt heute dafür, dass die Elektrotechnik, die Beleuchtung und die Tonanlage funktionieren.

Durch diese Tätigkeit bleibt er auch musikmäßig auf dem Laufenden. Manchmal amüsiert es ihn, wenn auf der Bühne Nachwuchsrapper stehen, die nicht die geringste Ahnung haben, dass da gerade einer ihrer Wegbereiter – ein Pionier der Alten Schule – den Sound für sie macht. Aber es gibt auch andere Momente. Einmal, erzählt er, war er in der »Klangstation« in Bad Godesberg für den Sound von Frauenarzt verantwortlich. Der habe ihn am Mischpult aber prompt erkannt und ihm von der Bühne aus Props gegeben. Das habe ihn gefreut. 2014 kommt zusammen, was zusammenkommen muss: Mit dem Rapper Schwartz nehmen Hans Solo und Frauenarzt einen gemeinsamen Track auf (»Alte Schule«).

In die Zeit der Neuorientierung fällt 2006 auch die Veröffentlichung des Äi-Tiem-Albums »Murphies Gesetz oder wegen Geldmangel verschoben«. Es handelt sich um ein Sammelsurium von Songs, die in der Zeit zwischen 1993 und 2004 entstanden sind, deren Veröffentlichung aber größtenteils nie zustande kam. Aus Gründen, die Hans Solo im Inlay der Platte zumindest andeutet: »Zum einen aus chronischem Geldmangel, zum anderen, weil viele verschiedene Probleme einzelner Personen, wie zum Beispiel Knast, Psychiatrie, Rollstuhl, Konkurs, Vertriebe ohne Eier und so weiter, dieses nicht zugelassen haben.« Nichtsdestotrotz handelt es sich bei »Murphies Gesetz« um ein rundes Äi-Tiem-Album, das neben sozialkritischen und philosophischen Ausführungen mit einer hohen Anzahl starker Battle-Rap-Tracks überzeugt.

Es dämmert. Und die Fahrt führt raus Köln. Zirka 30 Kilometer nordwestlich der Domstadt, mitten in der Einöde, befindet sich die Burg Geretzhoven, eine ehemalige Wasserburg, dessen Anfänge bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Fanden hier früher BDSM-Partys statt, werden hier heute vornehmlich Hochzeiten gefeiert. Außerdem befindet sich hier unter anderem das Studio von Holy Chaos Recordings. In jahrelanger Arbeit hat er hier seit den Neunzigerjahren das Gesindehaus von Grund auf restauriert und bewohnbar gemacht.

Hans Solo macht mit seinem Gast einen Rundgang. Ein kurzes Hallo im Büro im Herrenhaus, weiter durch Werkstätten und Lagerräume in einem Nachbargebäude. In einer Werkstatt hat Burg-Besitzer und Aktionskünstler Fakir Alyn (76) gerade zu tun, in einer anderen befinden sich die Arbeitsutensilien von Hans Solo. In einem Raum lagern neben Antiquitäten, Nippes und alten Schallplatten zig Bilder, die Hans Solo auf Leinwand gemalt hat.

Baseballschläger nicht nur zur Deko

Im Gesindehaus geht es über eine schmale Treppe vorbei an alten Jam-Plakaten, darunter auch die legendäre Spring-Jam von 1994 in Frankfurt am Main, die nicht zuletzt das Äi-Tiem als Act ankündigen, in einen Aufenthaltsraum. Auf dem Tisch liegen Elektrogeräte-, -materialien und -werkzeug, zur Rechten ist eine Schallplattenwand. Im darüber liegenden Stockwerk lagern unter anderem Noise-Boxen, die Hans Solo angefertigt hat, darunter auch ein aus einem Wasserrohr hergestellten und mit einem Akkuschrauber angetriebenen Drum-Computer. Am Küchentisch wird bei Kaffee, Tee und Keksen das Gespräch fortgesetzt.

Hans Solo setzt seine rote Cap ab, zum Vorschein kommt leicht angegrautes Haar, der Haaransatz ist immer noch recht tief. Auf die Frage, was das Alter mit ihm macht – in gut zwei Jahren wird er 60 –, antwortet er: »Früher hab‘ ich gesagt, ist mir egal, heut scheiß‘ ich drauf.« Auch dass er bislang nicht groß Anerkennung für die Erfindung des deutschsprachigen Porno-Raps bekommen hat und in den zahlreichen Dokus und Büchern über Deutschrap kaum Erwähnung findet, sei für ihn bedeutungslos. »Das ist mir egal«, sagt er nüchtern. Schließlich sei es sowieso unmöglich, ein vollständiges Bild der (HipHop-)Geschichte zu zeichnen. Dessen ungeachtet macht Hans Solo ohnehin schon immer sein eigenes Ding.

In dem Podcast »Reden wir über Musik« gab er unlängst zu Protokoll, dass ihn Extremismus und Militanz abstoßen würden. Aber ist er beziehungsweise seine Kunst nicht selbst extrem und militant? »Das ist ein Paradoxon«, räumt er ein und zitiert aus seinem Track »Wir wollen in den Krieg«: »Der Mensch liebt die Gewalt, ich hasse Gewalt / Doch willst du mir was antun, dann mach ich dich kalt«. Er zeigt auf den an der Wand lehnenden Baseballschläger neben sich. »Das Ding steht hier nicht zur Deko«, sagt er. Es sei auf der Burg schon eingebrochen worden, und bis die Polizei hier in der Abgeschiedenheit ankomme, dauere es zu lange. Selbst ist der Mann.

»Ich bin der Wald«, sagt Hans Solo, »aus dem schallt es raus, wie du reinsprichst.« Das mit dem Extremismus und der Militanz habe er aber eher auf die Politik bezogen. »Bei ›Kein Kommentar‹ sag ich ja ›Rechter Wichser, mieser Faschist und autonomer Schwachkopp‹«, führt er aus. Auf dem neuen Äi-Tiem-Album, das 2025 erscheinen soll, gebe es nun einen Track namens »Radikaler Liberaler«. »Dir isses egal, aber mir isses egaler«, zitiert sich Hans Solo selbst und erklärt: »Ich reite da quasi auf der Mitte rum.« Doch im wirklichen Leben könne er nicht mehr machen, »als zu kucken, dass wir in meinem engeren Kreis, circle of trust, miteinander klarkommen«, sagt er und schiebt hinterher: »Ich bescheiß dich nicht.«

Doch auf Schicksalsschläge hat der Mensch keinen Einfluss. 2009 stürzen ihn Krankheit, Beziehungsende und der Tod seiner Mutter nicht zum ersten Mal in eine tiefe Krise. Er verarbeitet sie auf dem von The Staticfield produzierten Beat (dope!) des Tracks »Einer dieser Tage« und kämpft sich allmählich wieder aus dem Loch. Der Song erscheint 2018 auf seinem Soloalbum »Dissertation«, auf dem der Doktor neben altgedienten Kameraden wie Lustikus und Ponchmann auch Adelsmann featuret, ein Kölner Jung, der ein Jahr zuvor sein sehr hörenswertes Album »Der Junge aus Porzity« über Holy Chaos Recordings releast hatte.

Ebenfalls vertreten ist Hans Solos Alter Ego Endo Monk, hinter dem sich experimentelle und hiphop-beeinflusste Electro-Musik verbirgt. Eines von vielen musikalischen Projekten des Hans Solo nebst Phobos, Raum 3, Büdche Boys, Musikalischer Abschirmdienst, Panzerberries oder dem auf Klingonisch eingerappten Album »Nuqneh«. Im Februar aber soll erst mal wieder ein neues Soloalbum von Hans-Solo erscheinen. »Reise durch die Zwischenzeit« soll es heißen.

Der Physiker Hans-Peter Dürr und Quantenmusik

Noch eine letzte Frage: Geht er seine Musik und Kunst genauso nüchtern an, wie es sein Abitur in Mathematik und seine Ausbildung zum Informationselektroniker vermuten lassen? »Bei den alten Griechen ist Mathematik und Philosophie eins«, antwortet er und kommt auf Hans-Peter Dürr (1929-2014) zu sprechen. Auszüge eines Interviews des Physikers hat er in dem Endo-Monk-Song »Materie« gesamplet. Da geht es darum, dass es gar keine Materie gebe, zumindest ist der langjährige Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik Hans-Peter Dürr nach jahrzehntelanger Forschung zu diesem Schluss gekommen.

»Das heißt, dass alles im Endeffekt nur Frequenz ist«, sagt Hans Solo, »und da sind wir wieder bei der Musik.« Damit hat er sich auch in dem Endo-Monk-Song »Wires« befasst, in dessen Video nebst allerhand Kabelage auch immer wieder Windräder zu sehen sind. »Der Wind bläst, das Windrad dreht sich«, sagt Hans Solo und führt aus: »Es entsteht elektromagnetische Energie. Durch das Kabel kommt sie in meinen Synthesizer, der erzeugt einen Ton. Der geht über den Lautsprecher auf mein Trommelfell und erzeugt wieder elektrische Impulse, die ein Klangerlebnis im Kopf erzeugen. Wo ich am Ende sag: Wir sind eigentlich alles Quantenmusiker.«

Zirka 20.30 Uhr im Sonic Ballroom in Köln-Ehrenfeld. Das Motto des Abends ist »Pass da Mic«. Für 21 Uhr ist auf Einladung von Veranstalter DJ Funky Fresh Mike das Äi-Tiem, inzwischen nur noch zu zweit, angekündigt, der Eintritt ist frei. Ein paar Freestyle-MCs auf der Bühne machen, was Freestyle-MCs machen – und das machen sie gut. Der kleine Club füllt sich allmählich. Mit schließlich etwa 50 jungen wie junggeblieben Männern und Frauen wird es schon etwas eng. Einer von ihnen ist der Kölner Rapper Dr. Knarf, der anwesend ist, »um echten deutschen HipHop zu supporten und ein Stück deutscher HipHop-Geschichte«, wie er zuvor auf Instagram angekündigt hat.

DJ Lord Fader und Hans Solo liefern ab. Auf einen Back-up-MC ist der Äi-Tiem-Kopf nicht angewiesen, Hans Solo rappt seine Raps am Stück runter und ist dabei sogar zu verstehen (was auf Rap-Konzerten keine Selbstverständlichkeit ist). Bei »Es kümmert mich nicht« wird bereits gejohlt, weitere Stücke sind »Hier kommt das Äi-Tiem«, »Auf die Fresse, fertig los!«, »Kleina Wixa« oder »Lass uns einen bau’n auf den Sex und die Frau‘n«. Dann sagt Hans Solo: »Viele distanzieren sich ja von ihren Jugendsünden – wir nicht.« Jubel. In anscheinend freudiger Erwartung, gleich den »Fotzen-Rap« zu hören zu bekommen, ruft der eine oder andere ›Fotze!‹. Stattdessen gibt es zum Abschluss die »Dicke dumme Liese«. Applaus. Dann ist Feierabend.