Wesley Der King of Romno Rap (Original Chabos)

Die Original Chabos halten eine Sinti-Rap-Szene am Leben, die abseits der Öffentlichkeit floriert. Im dritten Teil der siebenteiligen Reihe »Original Chabos« von Philipp Killmann kommt der vielleicht beste Romno Rapper überhaupt zu Wort: Wesley.

Wesley

»Ich mag Rap nicht«, sagt mit Wesley ausgerechnet der wahrscheinlich beste deutsche Romno-Rapper. Deutschsprachigen Rap höre er gar nicht, allenfalls ein bisschen amerikanischen Rap sowie ein wenig Romno Rap. Romno Rap ist das Sinti-Äquivalent für Deutschrap und bedeutet: Rap auf Romanes. »Ich mag es auch nicht zu rappen«, schiebt Wesley sogar noch hinterher. Dabei hat Wesley eine ausgesprochen sonore Stimme, einen Flow, der fühlbar ist, auch wenn man kein Romanes versteht, und ist thematisch breit aufgestellt. Er rappt über soziale Probleme, Frauen, die Sinti-Kultur, inzwischen macht er sogar gelegentlich Battle-Rap. Aber Rap anhören? Nee. Wesley ist ein interessanter Typ.

Er steht in der Küche der RW Studios in Duisburg-Walsum und plaudert bei einer Tasse Kaffee mit Studiobetreiber und Musikproduzent Kelly Reischl (46). Die beiden könnten kaum unterschiedlicher sein. Hier der eher in sich gekehrt wirkende Wesley, der leise spricht und kaum ein Wort zu viel sagt. Da der redselige Kelly mit der rauen Stimme und dem lauten Lachen. Sie seien mehr oder weniger zusammen aufgewachsen. »Wir sind Brüder im Geiste«, sagt Wesley und lacht. Noch eine Zigarette vor dem Studioeingang. Es ist ein verregneter Dezembertag. Dann geht es in die Tonregie, wo das Interview stattfinden soll.

Goldi Mettbach alias Wesley ist 35 Jahre alt und eigentlich aus Düsseldorf. Dort wuchs er in der Otto-Pankok-Straße auf, einer Wohnsiedlung, die 1983 auf Initiative der Pfarrei St. Gertrud und mit Unterstützung der katholischen Kirche, des Caritasverbandes, der Stadt Düsseldorf und anderen kommunalen Einrichtungen für die Sinti errichtet wurde, als ihr Wohnwagenplatz aufgelöst wurde. »Otto Pankok war ein Maler«, merkt Wesley an. Leben und Werk des 1966 verstorbenen Expressionisten waren eng mit den Düsseldorfer Sinti verbunden, die Pankok malte und für die er sich einsetzte. Manchmal seien Fernsehteams in die Straße gekommen, um Wesleys Großeltern und andere ältere Sinti zu interviewen, die die NS-Zeit überlebt hatten. »Und der kleine Goldi war halt immer dabei«, erzählt Wesley. Die Siedlung umzugsbedingt zu verlassen, Ende der 90er Jahre, sei ihm schwergefallen. In der Otto-Pankok-Straße, erzählt er, standen die Türen Tag und Nacht immer offen und das Leben war von Zusammenhalt geprägt. Zurück wolle er heute zwar nicht mehr. Aber: »Mir fehlt es heute so, wie es damals war«.

Den Namen Wesley hat er einem kleinen Hasen zu verdanken, den er im Alter von zwölf Jahren mit der Flasche großzog und Wesley nannte, erzählt er. »Ooorh!«, spottet Kelly und ruft dem ALL GOOD-Autor zu: »Schreib‘ bitte ›Pitbullterrier‹!« Gelächter. Der Hase passt nicht ins Bild, das Kelly von Rappern hat. Er produziert hauptsächlich Schlager, Olaf von den Flippers zum Beispiel, auch wenn sein Herz für Soul und Funk schlage. Seine erste und bislang letzte Zusammenarbeit mit einem Rapper beschränkt sich auf Cesco47, den Duisburger Francesco Kiesewetter, der 2016 bei »Deutschland sucht den Superstar« antrat. Der Name des Hasen jedenfalls, fährt Wesley fort, sei irgendwann einfach auf ihn übergegangen. Heute würden ihn alle Wesley nennen, sogar seine Mutter. Goldi nenne ihn außer seiner Freundin keiner mehr. Geschweige denn René, wie er laut Ausweis heißt.

Der erste Sinti-Rapper, den Wesley zu hören bekommen habe, sei Sin2 gewesen. »Vielleicht gab es vorher schon ein paar Sinti, die HipHop gemacht haben, aber der erste, der es auf unsere Sprache gemacht hat, war er«, meint Wesley, ohne das Pronomen »unser« zu deklinieren. Das unterlässt er des Öfteren. Dasselbe gilt für Artikel, die er oftmals nicht beugt. »Ich hab‘ Romno Rap dann partytauglich gemacht und war der Erste, der für Veranstaltungen gebucht wurde und Romno Rap live performt hat.« Bislang trat Wesley ausschließlich vor Sinti-Publikum auf. Der Gedanke, als Rapper auch Nicht-Sinti zu erreichen, sei ihm noch nie in den Sinn gekommen. »Meine Musik sollte nicht zu den Deutschen«, sagt er. Was nicht heiße, dass er sich daran störe, wenn Nicht-Sinti seine Musik hören. »Aber so weit denk ich nicht, dass meine Sachen dann bei die Deutschen landen«, sagt er. »Für mich gilt in erster Linie: Wenn ein Sinto das hört und sagt ›cool‹, dann cool – Mission erledigt!« Wenn der Rap dann auch noch von Nicht-Sinti gemocht werde, dann sei das für ihn ein »kleiner Bonbon« obendrauf.

Aber es gibt auch eine Handvoll Songs, in denen Wesley auf Deutsch gerappt hat, Features, die er für Sinti-R&B-Sänger wie Vocalisto Peppino oder Jeremy La Gitano beisteuerte. Doch das sei für ihn »ungewohnt«, wie er sagt. »Ich mach’s ungerne.« Schließlich denke er auch auf Romanes und nicht auf Deutsch. Ein Grund, weshalb er hauptsächlich auf Romanes rappe, sei außerdem, dass er als Rapper keinerlei kommerzielle Ambitionen habe. »Ich hatte nie vor, groß was zu erreichen«, sagt er. »Deswegen rappe ich ja auch nicht auf Deutsch.« Musikproduzent Kelly schüttelt verständnislos den Kopf. Wieso er dann überhaupt Musik mache, fragt er. »Ich mach in erster Linie die Musik für mich«, antwortet Wesley. »Wenn jetzt einer kommt und sagt: Pass mal auf! Mach das mal für den und zwar schnell! – Dann frag ich mich: Warum soll ich mich jetzt unter Druck setzen? Dann macht mir die Musikmachen keinen Spaß.« Kelly schüttelt wieder den Kopf und sagt: »Ja, aber macht dir das Fegen bei der Stadt Duisburg auch nicht!« Gelächter.

Innerhalb der Sinti-Community machte sich Wesley aber durchaus einen Namen. Mit The Looneys, die er 2005 gemeinsam mit seinem Schwager Birko gründete und die später noch um Wesleys Zwillingsbruder Sony ergänzt wurden, habe er im Laufe der Jahre bis zu 300 Lieder aufgenommen. Über das Internet, den MSN-Chat und zigo.de, seien die Songs unters Volk gebracht worden. Wenn auch nicht durch ihn. »Ich habe nie irgendwas hochgeladen«, sagt er. »Ich hab Spaß an der Sache, am Schreiben, am Aufnehmen und Produzieren – am Machen. Aber wer es im Endeffekt hört, wo es hinkommt oder auf welcher Plattform es landet, da bin ich nicht so wild hinterher.«

Meistens habe es sich bei den Beats der Looneys bloß um Instrumentale anderer, meist amerikanischer Rapper gehandelt, auf die Wesley rappte und die anderen beiden sangen. Ein anschauliches Zeugnis aus dieser Zeit ist ein aus Jux gedrehtes Video zu ihrem Song »Kren Gilia an« (Mach die Lieder an) aus dem Jahr 2005: Ein in Unterhemd gekleideter Wesley schlendert an der Seite von Birko sichtbar gutgelaunt durch die Otto-Pankok-Straße und andere Schauplätze von Düsseldorf-Eller, flowt wie gegossen über den Beat von 213s »Groupie Luv« und verteilt im Refrain Props an Sin2, Vocalisto Peppino und Jeremy La Gitano. Innerhalb der Sinti-Community werden die Looneys damals gefeiert und für Auftritte in ganz Deutschland, aber auch in den Niederlanden, Belgien und Frankreich gebucht.

Seit 2009 produziert Wesley auch seine eigenen Beats. Im selben Jahr tat er sich mit dem Düsseldorfer Tschabo Winterstein, einem Sohn des verstorbenen namhaften Jazz-Gitarristen Ziroli Winterstein und Neffen des Musikers Holzmanno Winterstein, zu The Sound Jedis zusammen. Die grobe Arbeitsaufteilung: Tschabo produziert, Wesley rappt. Seine Themen sind breitgefächert. Hätten sich Romno-Rapper anfangs vor allem über die Liebe, Partys und darüber ausgelassen, dass »früher alles besser« war, sei er es gewesen, der die Bandbreite irgendwann erweitert habe, anfing, soziale Probleme aufzugreifen, Geschichten über Betrug und Verrat zu verarbeiten oder den Materialismus der Gesellschaft infrage zu stellen. »Bei mir ist nichts erfunden«, sagt er.

Ein Song der Looneys heißt »Flagga« (Flagge). Flagge als Symbol für die Sinti-Kultur, um deren Fortbestand sich Wesley sorgt. »Auf modern machen ist das Eine«, sagt er und mahnt, »aber vergesst nicht, was Ihr seid!« Zurzeit schreibe er an einem Song namens »Mari Mami« (Unsere Großmutter). Der Titel sei eine Metapher, die auch für die Sprache der Sinti stehe. Damit wolle er der jüngeren Generation, in der immer mehr kein Romanes mehr sprächen, die Sprache wieder näherbringen – aber auch einen Teil der Geschichte der Sinti. Viele »Probleme, die wir heute als groß und mies empfinden«, seien nichts »gegen das, was unsere Mami damals hatte«, sagt er mit Blick auf die Verfolgung der Sinti im Nationalsozialismus. Auch seine Oma sei im Konzentrationslager gewesen. »Ich möchte einfach nur daran erinnern«, sagt er, daher der Track.

»Wesley ist auf jeden Fall ein wahnsinniges Brain. Was der abliefert auf Romanes, das ist wirklich krass«, sagt Sin2. »Er ist der talentierteste Rapper, den wir haben. Er kriegt alle Arten von Rap und Styles unter in nur einem Song. Auch seine Wortwahl ist Wahnsinn.« Für den 22-jährigen Rapper Chawo aus Köln steht Wesley an erster Stelle der auf Romanes rappenden MCs. »Wesley ist für mich der beste Rapper auf Romanes. Er war einer der Ersten, die es wirklich cool gemacht haben. Er hat eine sehr eigene Stimme. Er war und ist Vorreiter für viele von uns«, sagt er.

Aber ausgerechnet der beste Romno-Rapper mag also keinen Rap. Hört, wie er sagt, lieber R&B, vor allem aus den 90ern, oder alten Soul von Barry White oder Stevie Wonder, Rock – und natürlich traditionelle Sinti-Musik, den »Klang der Geige oder der Gitarre, der einen nicht nur im Ohr trifft, sondern in der Seele«, so Wesley.

Wieso zum Teufel rappt er dann? Wesley erzählt, wie es dazu kam. Er habe früher seinen Bruder und seinen Schwager öfter zu Auftritten begleitet, bei denen die beiden traditionelle Sinti-Musik gespielt hätten. Bei einer Jam-Session mit anderen Musikern in Holland, er war etwa 14, habe ihn ein älterer Mann namens Bakro angesprochen und gefragt, was er denn mache: Ob er Gitarre spiele? Keyboard? Oder singe? Nein, habe er immer wieder geantwortet. Da habe der Mann noch ein paar andere ältere Leute hinzugeholt und gesagt: »Kuckt Euch mal den Jungen an, der macht gar nichts!« Das habe ihn dann den ganzen Abend beschäftigt, bis er noch am selben Tag den Entschluss fasste, fortan selbst Musik zu machen. Zuerst versuchte er sich in Gesang. Dann rappte er. Und blieb dabei. »Ich wollte nicht, dass nochmal jemand kommt und sagt: ›Der macht gar nix‹«, sagt er.