2Bias Der erste deutsche Straßenrapper

Vor ziemlich genau 30 Jahren ist der erste deutschsprachige Straßenrap-Song erschienen. Oder? Wie auch immer. Eine längst überfällige Würdigung von 2Bias und seinem Track »Hier im Viertel«.

2Bias für ALL GOOD - quer

Stell’ dir vor, es gibt Straßenrap und keiner hört hin. So war das Anfang der Neunzigerjahre. 1993 erschien ein deutschsprachiger Rap-Song, der im Grunde alle Kriterien eines Straßenrap-Tracks erfüllt, aber bis heute wenig bis gar keine Beachtung findet: Er handelt von der Straße, also dem Leben am sogenannten Rande der Gesellschaft, von Drogen und Junkies, von Sozialhilfe und Perspektivlosigkeit, von Klassenkampf und Rassismus – aber auch von der Hoffnung, dass die Marginalisierten des »Viertels« ihr Leben eines Tages selber in die Hand nehmen und gegen die Zumutungen ihres Alltags aufbegehren, anstatt sie als schicksalsgegeben hinzunehmen. So etwas hatte es bis dahin auf Deutsch noch nicht gegeben. Doch innerhalb der (HipHop-)Szene stieß der Track auf kaum nennenswertes Gehör, außerhalb zog er gar Spott und Hohn nach sich. Der Song heißt »Hier im Viertel«, der Rapper 2Bias.

Doch die Datenlage ist erst mal dünn. Bei Google finden sich nur wenige Treffer, die sich dann auch nur auf diesen einen Song beziehen und das nur sehr selten mit näheren Ausführungen. Hinzu kommt, dass Tobias Gruben, so der bürgerliche Name von 2Bias, unter diesem Alias lediglich »Hier im Viertel« veröffentlicht hat. Eine Spurensuche. Für die Schreibweise »2Bias« mag sich Gruben, damals bereits Ende 20, von Tupac Shakur inspiriert haben lassen. Der schrieb sich als Rapper »2Pac« und hatte 1991 sein sozialkritisches Debütalbum »2Pacalypse Now« veröffentlicht. Der Songtitel, »Hier im Viertel«, erinnert an Eazy-Es 1987 veröffentlichtes Lied »Boyz n the Hood« sowie an Ice Cubes vier Jahre später erschienenen gleichnamigen Film, der auf Deutsch den Untertitel »Jungs im Viertel« trägt. Eine der Figuren, die zwischen den Strophen von »Hier im Viertel« in einer Art Hörspiel auftreten, erinnert mit ihrer Sprechweise an den Junkie, der Ice-T in dessen 1988 veröffentlichten Track »I’m Your Pusher« um Dope anbettelt sowie an den cracksüchtigen Pookie aus dem Film »New Jack City« (1991). Kurzum: Tobias Gruben alias 2Bias scheint sich mit dem HipHop sowie mit dessen Straßen- oder gar Gangsta-Rap der damals noch eher langsamlebigen Zeit, in der die Hörerschaft noch nicht wöchentlich von Massen neuer Musikerscheinungen überflutet wurde, auseinandergesetzt zu haben. Ganz abgesehen davon, dass 2Bias, der in dem Song nicht nur rappt, sondern ihn auch selbst produziert hat, zu Beginn Chuck Ds »Hold it now«-Ausruf aus »Shut Em Down« (1991) samplete, einem Song von der conscious Rap-Gruppe schlechthin: Public Enemy.

Florian Langmaack, ein Freund und Mitmusiker (Cyan Revue) von Gruben, bestätigt diesen Eindruck ALL GOOD gegenüber. 2Bias habe sogar einen »sehr großen« Bezug zu HipHop gehabt, teilt er auf Anfrage mit. »Zu der Zeit, 1990 bis 1993, hörte und bewunderte er Public Enemy vor allem, aber auch Ice Cube, Terminator X, BDP, KRS-One, Ice-T, Professor Griff und Black Radical MKII«, so Langmaack. »Er konnte diese Styles, HipHop bedeutete ihm sehr viel. Genau so viel wie Madonna, Depeche Mode, Bob Dylan und Frank Zappa, an den er bestimmt auch gedacht hat, als er den Song (»Hier im Viertel«; Anm. d. Verf.) geschrieben hat.«

»Hier im Viertel« setzt mit einem kurzen Loop der anfänglichen Scratch-Sequenz von Public Enemys »Shut Em Down« ein, gefolgt von einem schweren, schleppenden Beat, der mit einem tiefen Bass unterlegt ist und von stimmig platzierten Klavier-, Bläser- und Gitarren-Samples sowie traurigem Gesang begleitet wird. Ein düster-melancholisches und für damalige Verhältnisse sehr lässiges sowie rundes Hörstück, das sich von vielen noch eher unbeholfen anmutenden Rap-Tracks jener Zeit abhebt. Der knapp sechs Minuten lange Song erscheint am 1. März 1993 auf dem »Kill the Nation with a Groove«-Sampler, einer HipHop-Compilation des Hamburger Independent-Labels »Buback«, auf der das Gros (darunter auch Cora E.) noch auf Englisch rappt, während 2Bias, die (damals noch Absoluten) Beginner und Advanced Chemistry die einzigen deutschsprachigen Tracks beisteuern. In dem 2021 veröffentlichten Epos »Eine Stadt wird bunt« über die Geschichte von Graffiti in Hamburg erinnert sich der Gründer und damalige Betreiber von »Buback« Ale Dumbsky an 2Bias und relativiert Florian Langmaacks Aussage über 2Bias´ HipHop-Bezug ein wenig. »Der war irgendwann da. Er hat wirklich alles andere als einen Rap-Hintergrund gehabt. Aber das ist einer von den Leuten aus meiner Generation gewesen, die von Public Enemy weggeblasen wurden. 2Bias hat mir ne Kassette mit vier Stücken gegeben, und ›Hier im Viertel‹ mit dieser komischen Hysterie fand ich geil.« So landete der Track auf »Kill the Nation with a Groove«.

»So ist das Viertel, Leute, spitzt Eure Ohr’n!«

Inhaltlich beginnt »Hier im Viertel« damit, dass 2Bias ankündigt, einen Song über das »Karoviertel«, also das Karolinenviertel in Hamburg-St.-Pauli, geschrieben zu haben, in dem er nun, wie er betont, seine Sicht der Dinge schildern werde. Daraufhin wird er von einem Bewohner des Karoviertels angesprochen, der ihn auf einen offenbar regungslosen Junkie aufmerksam macht. Weil nicht klar ist, ob der noch lebt, schlägt 2Bias vor, ihn »doch mal am Päckchen schnuppern« zu lassen. Es folgt ein tief-dumpfes Schnupfen, das an einen Scratch-Sound erinnert, dann setzt der Rap ein: »So ist das Viertel, Leute, spitzt Eure Ohr’n! / Für Penner zu verjunkt und für Junkies zu verdorben / Geworden, gewesen, was ist es denn jetzt eigentlich?! / Ein Spielplatz für die ein’, doch den andern wär’ das peinlich«. Dabei fungiert der Bewohner, der allem Anschein nach, wie auch der Junkie, ebenfalls von 2Bias gesprochen wird, quasi als Back-up-Rapper. Es folgen ein paar Schilderungen des Alltags, der von Drogen und Alkohol geprägt ist, bevor sich 2Bias der Hausbesetzer- und Künstlerszene des Viertels widmet. Zu Letzterer zählte er selbst, wie seine Schwester Imogen Gruben im Telefonat mit ALL GOOD erzählt, jahrelang habe er in einem Künstlerhaus an der Marktstraße gewohnt. Imogen Gruben hat eine Website ins Leben gerufen, auf der sie Leben und Werk ihres Bruders dokumentiert.

Demnach kommt Tobias Gruben 1963 als viertes Kind eines Archäologen und einer Dolmetscherin in Athen zur Welt. Er wächst im bayerischen Starnberg auf. In München besucht er die Fachoberschule für Gestaltung. Um 1981 gründet er unter anderem mit Christoph Schlingensief (1960-2010) die Band Die Vier Kaiserlein. Er entschließt sich, Musiker zu werden, und zieht nach Hamburg. 1984 wird er Teil von Cyan Revue, einer Band, die irgendwo zwischen Avantgarde beziehungsweise Dark Rock, Post Punk und New Wave zu verorten ist.

Mitte der Achtzigerjahre wohnt er in Hamburg eine Zeitlang mit Andrew Eldritch, dem Sänger von Sisters of Mercy, zusammen. Rocko Schamoni beschreibt in seinem Roman »Sternstunden der Bedeutungslosigkeit« (2007) eine Begegnung mit »Tobs« (Tobias Gruben) im Hamburger Palmerstraßen-Bunker: Schamoni gesellt sich in eine »Kammer«, aus der »infernalisches Getöse« dringt. Gruben hält dort »seine Gitarre an einen Fender-Verstärker, aus dem ein rauschender, vielstimmiger Sirenenheulton zerrt«. Schamoni setzt sich, trinkt ein Bier – und fühlt sich offenbar gut aufgehoben.

1987 ist Tobias Gruben Mitbegründer der Independent-Rock-Band Die Erde, in der er vermehrt auf Deutsch singt. Mit ihr feiert er seinen in kommerzieller Hinsicht größten musikalischen Erfolg. Ihr Album »Kch, kch, kch« (1989) soll sich 10.000 Mal verkauft haben, mit den Einstürzenden Neubauten gehen sie auf Tour. 1990 löst sich die Gruppe auf. Sechs Jahre später gründet Gruben die Band Die Erde II. In der Zwischenzeit schreibt er im Rahmen seines Projekts Heroina Cover-Versionen von Liedern von verehrten Größen wie Bob Dylan oder Leonard Cohen, teilweise von ihm selbst ins Deutsche übersetzt, und ruft die Band Sol ins Leben, die mit House- und HipHop-Elementen spielt. Zwischenzeitlich macht Gruben mit einem Sampler auch viel Musik allein in seiner Wohnung. Vermutlich entsteht in dieser Zeit auch »Hier im Viertel«, einer seiner Solo-Songs.

»Dunkelheit, weit und breit keiner, der mir leuchtet«

Mit der Diskurs-Pop-Szene der »Hamburger Schule«, die sich um 1990 um ihn herum entwickelt, kann 2Bias nicht viel anfangen. Er habe sie für »anti-künstlerisch und selbstherrlich« gehalten, schreibt Filmemacher Oliver Schwabe in einem Exposé über seine 2019 erschienene biografische Dokumentation über Tobias Gruben (»Die Liebe frisst das Leben«). Mit seinem Viertel, dem Karoviertel, geht 2Bias streng ins Gericht: »Karolinenviertel, ich finde dich zum Kotzen / Du magst mich Nestbeschmutzer nennen, dennoch muss ich motzen«, rappt er in »Hier im Viertel« – auch wenn das Karoviertel immer noch weniger schlimm sei als die von »grundsoliden Spießern« bewohnten »gutbürgerlichen Viertel«. »Die Hausbesetzerszene hier im Viertel redet gerne / über Helden und Idole, sie agieren in der Ferne / Keine Maus ohne Haus, das nicht schon vermietet wäre / Den Maklern und Vermietern kommt hier niemand in die Quere / Wozu auch? Das Sozialamt zahlt die Miete von den meisten / die hier tagtäglich alles andere als Widerstand leisten / Auch ich kassier’ das Geld, doch, bei Gott, nicht, um zu pennen / Mit dem, was Ihr jetzt hört, verdien’ ich nicht einen Pfennig«.

Es folgt ein weiterer Dialog zwischen 2Bias und dem Karoviertel-Bewohner, der von sich behauptet, ebenfalls Künstler zu sein, dabei hat er nur einen Song vorzuweisen, den er zudem schon seit drei Jahren spiele und das auch nur in Gedanken. »Richtig: Das Viertel hat mehr Künstler als es bräuchte / Dunkelheit, weit und breit keiner, der mir leuchtet / Zum Frühstück Intrigen, zum Abendessen Lügen / Tagsüber sich bekriegen und ansonsten stumm geschwiegen / Doch verschwiegen sollte Eure Kunst nicht sein, sie sollte schrei’n / schrei’n, schrei’n, schrei’n und noch mal schrei’n«, rappt 2Bias weiter. Dann folgt die Kernaussage des Songs, die er erst rappt und dann singt: »Den Leisen und den Feigen zu zeigen und zu beweisen / dass wir für sie mit frei sind, auch wenn sie darauf scheißen«.

Die in »Hier im Viertel« vorkommende Drogenthematik ist auch im Leben von 2Bias präsent. Bereits mit 13 Jahren habe er erste Erfahrungen mit Heroin gemacht, weitere seien in München gefolgt, dann in Hamburg, sagt seine Schwester im ALL GOOD-Gespräch. Sein Konsum sei »sporadisch« gewesen, mal habe er »zwei, drei Tage« hintereinander Heroin genommen, dann »nur einmal im Monat«, dann wieder einen Entzug gemacht. In dem eindrucksvollen Lied »Heroin« besingt er die verhängnisvolle Verführungskraft der Droge. 2Bias wusste also, wovon er rappt. In »Hier im Viertel« wird der Junkie vom Schnuppern am Päckchen wieder wach und will Stoff, um sich »wegzuballern«. 2Bias versucht, ihn davon abzuhalten und zu überzeugen, dass er sich damit nur kaputtmache. Aber der Junkie will davon nichts wissen und weist 2Bias als »Miesmacher« zurück, der dann wieder zum Gesang anhebt und die Schlüsselbotschaft des Songs, nun leicht abgewandelt, wiederholt: »Den Leisen und den Feigen möchten, müssen wir beweisen / dass wir für sie mit frei sind, auch wenn sie darauf scheißen«.

Ein Paradebeispiel für einen authentischen (Straßen-)Rapper

Es gibt noch weitere Strophen von »Hier im Viertel«, wie aus dem 1996 von 2Bias’ Schwester zusammengestellten »Liederbuch« hervorgeht, die er aber anscheinend nicht vertont hat. Darin übt er Kritik an »der Polizei«, die »regiert«, an »der Politik«, die »nichts für die Leute« tut, und an »der mächtigen Presse«, die »einseitig berichtet« und »Ausländerhetze« betreibt. Unklar ist, wann genau der Song entstanden ist, aber wohl deutlich früher als sein Erscheinungsdatum vermuten lässt. Der Autor und Musiker (Messer) Hendrik Otremba ordnet den Song in seinem 2013 in der »testcard«-Anthologie (Ausgabe 23) veröffentlichten Text »Tobias Gruben und die Wahrheit« in die Zeit »um 1991« ein.

Imogen Gruben erzählt im Telefonat mit ALL GOOD, dass ihr Bruder ihr sogar erzählt habe, mit »Hier im Viertel« den »ersten deutschen HipHop-Song gemacht« zu haben. Jedoch gab es zumindest »um 1991« bereits eine Handvoll ernsthafter deutschsprachiger Rap-Songs. Da 2Bias aber »kein Angeber« gewesen sei, hätte er nicht einfach wider besseres Wissen so eine Behauptung aufgestellt, sondern allenfalls in Unkenntnis der entsprechenden Lieder, relativiert seine Schwester. Und wenn es auch nicht der erste ernstzunehmende deutsche Rap-Song war, dann aber vielleicht der erste deutschsprachige Straßenrap. Dessen ungeachtet ist der Rap-Output von Tobias Gruben überschaubar. Offenbar gibt es nur noch zwei weitere Rap-Tracks von ihm: »Spott« und »Die Liebe«. Die erschienen allerdings nicht unter seinem Rapper-Namen 2Bias. Und abgesehen von »Hier im Viertel« taucht er im hiesigen HipHop-Kontext nicht weiter auf.

Die Kritik zu »Hier im Viertel« war 1993 gespalten und teilweise vernichtend. »Ein exponiertes Minus geht an 2Bias (…) aufgrund der peinlich-bescheuerten Texte über das Karoviertel. Schlimmer hätte es auch Gottschalk nicht hingekriegt«, befand die »taz«. Wohlwollender fiel die Kritik des »MZEE«-Magazins (Ausgabe 4) aus: »2Bias kommt anscheinend aus der Hausbesetzerszene und disst in seinem ›Hier im Viertel<‹ seinen ganzen Stadtteil und vor allem die Trägheit ›seiner ‹ Leute. Dies ist für mich der bisher beste Rap-Versuch aus der Welt der sogenannten alternativen Szene – das will aber nichts heißen (sic!).« Aber selbst Tobias-Gruben-Verehrer Hendrik Otremba kann dem Rap von 2Bias nicht viel abgewinnen: Dessen »Versuche in frühem 1990er-Jahre-HipHop der Hamburger Spielart« ließen ihn »etwas ratlos zurück«, wie er 2013 schreibt. »Stücke wie ›Hier im Viertel‹ mögen ein gelungenes Bild der Drogen-/Subkultur des Karoviertels um 1991 zeichnen, aber im Sprechgesang und im fast albernen Flow seines Vortrags entfaltet sich Grubens Stimme längst nicht so stark, wie im rockistischeren Teil seines Werkes. War er damit auch zu Beginn der 1990er Jahre Bestandteil einer innovativen Bewegung, im Rückblick funktioniert der Rap Grubens nur stellenweise. Vielleicht tut er das in zehn Jahren.« Das ist heute. Und? Tut er das?

»Unerreicht und schmerzlich vermisst.«

Für den Schreiber dieser Zeilen war »Hier im Viertel« 1993 der herausragende Song auf dem »Kill the Nation with a Groove«-Sampler. (Advanced Chemistrys ebenfalls auf dem Sampler befindliches und nicht minder herausragendes »Fremd im eigenen Land« war bereits 1992 als Maxi-Single erschienen.) Gleichzeitig fremdelte auch er mit dem Track. Aber wieso eigentlich? War es wirklich 2Bias’ Flow? War es sein Tonfall? Seine lyrische Sprache? Oder verrät das Fremdeln des Zuhörers mehr über dessen Engstirnigkeit als über den Rapper 2Bias? 1993 war es vielleicht bloß die leise Ahnung, dass 2Bias an und für sich kein HipHopper, sondern eher in einem anderen Genre zu Hause war und sich somit »von außen« des Raps bemächtigte, was ihn in der latent argwöhnischen HipHop-Szene »verdächtig« gemacht haben mag, sodass der Track womöglich deshalb weitestgehend ohne Widerhall verpuffte. Der Flyer, der die Release-Jam für den »Kill the Nation with a Groove«-Sampler am 5. März 1993 in der Hamburger »Fabrik« ankündigte, mag den Eindruck von 2Bias als Außenseiter der seinerzeit noch überschaubaren HipHop-Szene untermauern: In der Auflistung der Gäste, die zum Großteil aus den Interpreten der Compilation bestehen, fehlt er. Dabei war 2Bias im Grunde ein Paradebeispiel für einen authentischen (Straßen-)Rapper: Er kam zwar ursprünglich aus, wie man so sagt, »gutem Haus«, schlug sich als Erwachsener aber als asketischer Künstler im Karoviertel durch und kannte sich aus mit Dealern und Fixern, schon allein, weil er selber Konsument war. Doch der später vor allem von Straßenrappern gern zitierte Slogan »keeping it real« war zu dem Zeitpunkt im HipHop noch kein geflügeltes Wort.

Im Booklet der 2002 erschienenen Compilation »Buback Q.E.D. – 15 Jahre Buback Tonträger«, auf der auch der Song »Hier im Viertel« vertreten ist, findet sich eine kurze Würdigung. »Tobias Gruben schilderte 1993 ein Viertel an der Grenze der Kapitulation. Der besonders eindringliche, vermeintlich zynische Hörspiel-Rap bekam erst durch Tobias’ tragischen Tod, vier (sic!) Jahre später, den boshaften Schlusspunkt«, schrieb Lars Brinkmann und schloss: »Unerreicht und schmerzlich vermisst.« Auch Florian Langmaack findet positive Worte für »Hier im Viertel«. »Der Song ist fett, geniale Samples. Ich mag ihn und finde ihn heute aber eher schrecklich«, teilt er mit. »Textlich ein fürchterlicher Song, bildlich gesprochen, hier und da ungenießbar, direkt breit eingestartet. Was für ein Jammer, das zu besingen, was ihm drei Jahre später selber blüht. Doch so eine offene Haltung: selbstbewusst, übertrieben, Quatsch in Kauf nehmend, weil sich die Sache sonst nicht verdeutlicht – das muss man erst mal hinbekommen.« Am 2. November 1996 war Tobias Gruben alias 2Bias im Alter von 33 Jahren an einer Überdosis Heroin gestorben – unmittelbar zuvor hatte er mit seiner Band Die Erde II einen vielversprechenden Plattenvertrag unterschrieben. Doch seine Musik, verwaltet von seinem Bruder Sebastian Gruben, inspiriert nachfolgende Künstler bis heute.

Ob sich auch Rapper von 2Bias inspirieren ließen, ist fraglich. Wenn es im Diskurs um die frühen Anfänge von Straßenrap geht, wird als Grundstein meist auf den von etwa 1993 bis 1997 entstandenen Battle-Rap von Konkret Finn, Rödelheim Hartreim Projekt (RHP) und Westberlin Maskulin verwiesen. Aber wer Konkret Finn, RHP und Westberlin Maskulin sagt, muss auch Äi-Tiem (»Fot#en Rap«; 1991), LSD (»Ohne Warnung«) oder C.U.S. (»Das Gesetz des Dschungels«; beide 1993) sagen. Oder eben 2Bias. Fakt ist, dass der Track »Hier im Viertel« Anfang der Neunzigerjahre seinesgleichen suchte. Nahezu zeitgleich erschien im Übrigen der gleichermaßen gesellschaftskritische wie ironische Song »Ratingen West« von der Fresh Familee, die darin die Klischees auf die Spitze trieben, die ihnen als Bewohner ihres Viertels zugeschrieben wurden, und somit ebenfalls als früher Straßenrap bezeichnet werden kann. Die Blaupause für deutschen Straßenrap, wie er später dann populär wurde, lieferte 1997 Charnell (4 4 Da Mess) mit »Mein Leben«. Gut 15 Jahre nach »Hier im Viertel« rappte nunmehr Nate57 in sozusagen ausgereifter Straßenrap-Manier über das Karoviertel. Deutscher Straßenrap im Wandel. So oder so: 2Bias war einer der Pioniere – wenn nicht, der Pionier.