Yung Screw 666 »Das ist einfach ein Image.«
Yung Screw 666 schießt dir auf düsteren Memphis-Beats mit der Glock ins Gesicht, bevor er ins Hallenbad geht, um Deals abzuwickeln. ALL GOOD-Autor Tobias Wilhelm traf den jungen Rapper und Produzenten in seiner Heimatstadt Worms.
Es ist eine Stimme, die mich beim ersten Hören wie ein gut platzierter Faustschlag ins Gesicht trifft. Hart, gnadenlos, mit dem unbedingten Willen zur Vernichtung. Von Schüssen auf Cops und Neider erzählt sie mir, von Hassficks nach Bühnenshows und dem harten Leben »in der Drachenstadt, wo keiner einen Plan hat.« Dazu dröhnen selbstproduzierte memphislastige Beats, kontrastiert von verspielten Jazz-Samples aus den Boxen. Auf einmal fühle ich mich wieder wie mit zwölf, als im Jugendclub Savas und Sido auf Dauerschleife liefen und wir uns ausmalten, was für krasse Verbrecher diese Typen sein mussten. Ja, für einen kurzen Moment möchte ich wirklich glauben, dass Yung Screw 666 ein abgewichster Killer und G ist. Zu kohärent sind Klangbild, Image und Lyrics. Zu wenig findet man auf seinen Social-Media-Kanälen, was dagegenspricht.
»Gib mir ne Gun und ich kill deine Fam, bitch. Denn das, was sie auf die Welt brachten ist einfach erbärmlich. Hab besser kein ungeschützten Verkehr, Kid.«
Als ich mich dem großgewachsenen 25-Jährigen drei Tage nach Weihnachten am Wormser Hauptbahnhof von hinten nähere, beobachte ich, wie er einer jungen Mutter mit Kinderwagen eine Tür aufhält. Und auch sonst bemüht sich Yung Screw bei unserem Treffen keine Sekunde lang irgendeine Art von Fassade aufrecht zu erhalten. »Ich bin eigentlich der netteste Mensch auf der Welt und das ist einfach ein Image« meint er mit stark rheinhessischem Einschlag, als wir uns in einem Café in der Wormser Fußgängerzone etwas zu trinken bestellen. »Ich höre selbst eher harte Sachen und mein Sound spiegelt halt alles, was mich inspiriert. Ich will nicht sagen, dass ich überall klaue, aber es ist schon ein bisschen so.« Über den Raider Klan fand Screw zur Triple 6 Mafia und tauchte von da an immer tiefer in Memphis-Rap ein. »Diese ganze Welt war mir zwar nicht unbekannt, aber ich hatte die bis dahin noch nicht so erforscht. Die Sachen waren krass für mich, weil das einfach real war. Ich habe die Videos gesehen und gedacht: Das ist HipHop so, wie ich ihn mir vorstelle. 2015, 2016 dachte ich dann schon, wie krass es wäre, wenn es das auf Deutsch gibt, hatte hier aber keine Künstler auf dem Schirm, die das machen – wirklich niemanden! Irgendwann habe ich dann Skinny Finsta auf YouTube gesehen und mitbekommen, dass der Tapes macht und das fand ich sehr krass. Da dachte ich mir: Das mach ich jetzt auch!«
»Und laberst du mich an, während du auf Keta bist, dekorier ich dein Gesicht mit meinen Tretern, Bitch.«
Schon damals entstanden mit Wormser Weggefährten die ersten Tracks der »Lost Junts Ep«, wie beispielsweise »Gib mir ne Gun« Warum es bis zum Release im Jahre 2019, dann noch einmal eine ganze Weile dauerte, beantwortet Yung Screw nur kryptisch. »Es ist halt nicht alles so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt habe. Privat und beruflich.« Nach Release dümpelt die EP eine Weile relativ unbemerkt auf Soundcloud und Bandcamp herum, bis Story Will von Stänz Tapez darauf aufmerksam wird und Screw anbietet, das Ganze noch einmal als streng limitierte Kassetten-Edition rauszubringen. »Das war dann schon sehr krass für mich, das erste Tape von mir selber im Regal stehen zu haben«, sagt der passionierte Kassettensammler heute dazu. Und auch bei Memphis-Rap Szenegrößen wie Skinny Finsta und Donvtello landet die »Lost Junts Ep« im Tapedeck. »Wenn du siehst, dass Leute, die dich selbst inspirieren dein Zeug feiern, dann machst du dir selbst auch ein bisschen mehr Druck. Gerade habe ich einen kleinen Hype und den will nutzen und noch bessere Sachen nachschießen. Ich habe halt auch einfach scheiß Arbeitszeiten. Wenn ich frei habe, sind alle anderen arbeiten, auch meine Freundin ist nicht da. Dann sitze ich meistens alleine zu Hause rum und mache Musik.«
»Bei schönem Wetter nehm ich ein Messer und die Beretta«
Da Screw aktuell keinen Bock mehr hat selbst zu produzieren, klickt er sich nächtelang durch irgendwelche Soundcloud-Profile, bis er passende Beats findet. »Im Sommer kommt ein Release mit nem Produzenten aus Texas, dem folgen auf Soundcloud 50 Leute. Jeder seiner Beats hat jeweils zwanzig Plays.« Sich musikalisch nicht mit dem erstbesten zufrieden zu geben, hat Yung Screw laut eigener Aussage von seinem Vater geerbt. »Schon in der Grundschule habe ich andere Sachen gehört, als die Kids in meinem Alter. Nicht weil ich mich bewusst abgrenzen wollte, sondern weil ich einfach wusste, was es noch alles so gibt.« Auch deshalb klingt sein aktueller Sound wahrscheinlich irgendwie anders. Weil er sich nicht nur auf reinen Memphis-Rap, sondern auch auf Jazz, Bands wie Sade und den kanadischen Ausnahmeproduzenten Freddie Dredd beruft.
Rap muss für ihn dennoch irgendwie »männlich« sein, meint Screw und ich nutze das ungute Gefühl in meiner Magengegend, um das Frauenbild in seinen Texten anzusprechen. »Ist dir das echt so krass aufgefallen?« Irgendwie wirkt der zwei Meter Mann komplett überrumpelt. »Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als es eben sowas zu sagen, weil es einfach in den Flow passt. Oder weil es eben auch einfach harte Musik ist. Aber ich versuche schon darauf zu achten, dass es nicht so oft vorkommt. Meistens schieße ich ja eher rum. Wenn ich ›Bitch‹, oder ›Hoe‹ sage, meine ich damit auch nicht zwangsläufig Frauen, sondern eben auch einfach Personen, die ich nicht mag.« Auf meinen Einwand, dass es 20 Jahre nach »LMS« aber auch irgendwie unkreativ wäre, ›schwul‹ immer noch als Synonym für scheiße und ›Hoe‹ als Wort für Menschen, die man nicht mag zu benutzen, wirkt Screw nachdenklich. Während einer längeren Diskussion wird klar, dass er sich der grundsätzlichen Problematik durchaus bewusst ist, beim Texte schreiben aber auch einfach seiner Intuition folgen möchte. »Es glaubt doch auch niemand ernsthaft, dass ich Leute abknalle.«
Mit Authentizität darf man Yung Screw sowieso nicht kommen. Denn der Wormser wurde in seiner Jugend ästhetisch nicht zuletzt durch den artifiziellen Odd Future-Stil geprägt. »Meine Jungs fahren alle Skateboard und das waren ja auch alles so Skaterboys. Ich bin selbst viel BMX gefahren. Der Style von denen hat mich auch einfach hart geschickt. Diese Petruskreuze, ausgekratzte Augen, farbige Kontaktlinsen. Das feiere ich. Früher habe ich auch alle meine Bilder so bearbeitet, dass ich die Augen ausgeschnitten und mit schwarz gefüllt habe. Ich hatte auch mal eine originale Wolf Gang-Cap, aber meine Mutter hat mich immer ausgelacht, weil da halt Wolfgang draufstand. Deshalb hab ich die verkauft.«
»Mister Yung motherfuckin‘ Screw, Worms am Rhein ist meine Stadt. Komm mit der motherfuckin‘ Gang, komm mit der motherfuckin‘ Glock. Komm in der Nacht im schwarzen Benz in deine Straße: Ey, gib Acht.«
Auf dem Weg zu meinem Auto passieren wir noch einmal den Vorplatz des Bahnhofs und Yung Screw erzählt mir, dass er und seine Freunde dort im Sommer oft skaten und Eichbaum-Bier trinken waren. In einem heruntergekommenen Haus ganz in der Nähe sind zudem viele seiner Tracks entstanden. »Da sind sonst nur Büros von der Bahn drin. Nach 16 Uhr ist da keiner mehr und wir konnten in der Dachgeschosswohnung einne Konzertanlage richtig aufdrehen. Inzwischen wohnt da aber niemand mehr.« »Willst du für immer in Worms bleiben?«, frage ich und er zuckt mit den Schultern. »Warum soll auch ich noch nach Hamburg, oder Berlin ziehen? Hier gibt es schon genug Leute, mit denen man was starten kann.«
Kurz erzählt er mir noch von den Zukunftsplänen seiner Mammon Posse Clique. Zu einem kleinen Recordlabel will er diese ausbauen und Leuten aus der Gegend auf diese Art Aufnahme-, sowie Vertriebsmöglichkeiten bieten. Dann schleppt Yung Screw 666 seine zwei Meter weiter zur Arbeit. Vorbei an Drachenstatuen und durch Straßen, die nach Siegfried und Kremhilde benannt sind. Worms, die Stadt der Nibelungen. Vielleicht ist seine Musik auch deshalb so düster.