Evian Christ Chasing Waterfalls

Evian Christ

Es hätte nicht besser laufen können für Joshua Leary. Als der damals noch angehende Grundschullehrer Ende 2011 seine abstrakten, skellettartigen, aber wunderbar vollkommenen Songcollagen auf YouTube hochlädt, wird er sich kaum ausmalen, 15 Monate später auf einem Kanye West-Album zu landen.

Die Tracks, die kurz nach ihrer inoffiziellen Veröffentlichung als »Kings & Them« auf dem Brooklyner Boutique-Label Tri Angle Records erscheinen, sprechen ihre eigene Sprache zwischen Dystopie und kontemporärer Wirklichkeit. Evian Christ schmeißt Rap-Fetzen in einen brodelnden Kelch aus Ambient-Flächen und vorbeiziehenden 808-Club-Rhythmen, destilliert sie in einem Klang-Teppich, der so karg ist wie ausdrucksstark. Er entwirft aus der Behaglichkeit seines Schlafzimmers heraus einen höchst eigenen Sound, auf dessen Fortsetzung vielerorts seit jeher mit Spannung hingefiebert wird.

Evian Christs am 17. März erscheinende »Waterfall«-EP auf Tri Angle wurde in Kenner-Kreisen sehnlich erwartet. »Pitchfork«, »Resident Advisor«, »FACT« und »XXL« buhlen um seine Aufmerksamkeit. Der Verlagsdeal mit Kanyes Produzentenschmiede Very G.O.O.D. Beats ist unterzeichnet, eine eigene Party-Reihe und europaweite Tour-Stops in den Startlöchern. Im Jahr 2014 bietet sich dem schüchternen Jungen aus dem verschlafenen Ellesmere Port in West-England eine Situation, um die ihn viele ähnlich gepolte Produzenten, die an der Schnittstelle zwischen Tanzfläche und Kofferraum agieren, beneiden werden. Zum ersten Mal in seiner noch jungen Karriere lastet auf dem 24-Jährigen ein gewisser Druck, sich zu beweisen. Leary weiß erstaunlich gut, damit umzugehen.

»Bei der Arbeit für ‚Cruel Summer’ hörte man in Kanyes Camp anscheinend viel ‚Kings & Them’«, erklärt Evian Christ im Interview mit »Pitchfork«. »Im Januar [2013] meinten sie nur, ‚Kanye ist am Sonntag im Studio. Es wäre gut, wenn du ihm etwas vorzuspielen hättest.’« So geschehen an einem Freitag. Der Brite schloss sich demnach zwei Tage lang unter Schlafentzug in seinem Zimmer ein und baute acht oder neun Beats, von denen einer als »I’m In It« auf ‚Yeezus’ landen würde. Eine Punktlandung von Leary, die ihn wortwörtlich über Nacht vom heißen Untergrund-Tipp zum gefeierten Nachwuchs-Produzenten katapultierte. Der darauf folgende Produktions-Deal mit GOOD Music erhob ihn in eine Liga mit Hudson Mohawke, No ID und auf dem Papier sogar mit Q-Tip. Eine Last, die es für schmale Schultern erst einmal zu tragen gilt.

In den Folgemonaten bleibt Evian Christ seiner Linie des Sich-bedeckt-Haltens weitestgehend treu. Er erklärt, was es zu klären gibt, im Hinblick auf die Arbeit mit Kanye, verleiht seiner EP derweil den letzten Feinschliff. »Waterfall« ist für Evian Christ nicht zuletzt eine willkommene Möglichkeit, sich mit Nachdruck neu zu positionieren.

Im Interview mit »FACT« heißt es, dass er sich in letzter Zeit bewusst neuen Einflüssen gegenüber öffnete. »Zu der Zeit, als ich an ‚Waterfall’ saß, waren es laute, aggressive Künstler wie Vatican Shadow, Wolf Eyes und The Haxan Cloak, mit denen ich mich beschäftigte. Live Shows wie ihre brachten mich zu der Erkenntnis, dass ich jetzt nicht so ein ‚Ambient Typ’ werden wollte.«

Der Hang zu raueren Sounds, den man bereits bei seinen vereinzelten Live-Auftritten im vergangenen Jahr erahnen konnte, spiegelt sich auf der neuen EP unverkennlich wider. »Salt Carousel« setzt flächig ein, stürzt aber nach wenigen Sekunden in bedrohliche Lowend-Tiefen herab und bricht kurze Zeit später in ein psychotisches Synthie-Gewitter aus. »Fuck Idol« bietet knallharten Thriller-Trap, der sich nie ganz einer klaren Linie hingibt. Der Titeltrack orientiert sich mit seinem Industrial-Dancehall-Entwurf am ehesten an der »Yeezus«-Formel, kracht aber härter in die Boxen, als man es als Beatgrundlage einem Rapper je zumuten würde. Auch wenn die EP nur vier Tracks umfasst – am Ende bleibt keine Frage offen, ob Evian Christ auch im Jahr 2014 noch an der avantgardistischen Frontlinie der HipHop-Instrumentals agiert.

Der gesteigerten Aufmerksamkeit um sein Schaffen tritt Evian Christ scheinbar entspannt entgegen. Auf Twitter gibt er sich souverän zwischen Troll und unbekümmertem, bisweilen überfordertem Jungstar, lässt bei einer gewachsenen Zahl an Interviewaudienzen gerne seine flachsige Seite durchblicken. Nach seinem anfänglichen Versteckspiel und medialem Abschotten, betreibt er inzwischen gezieltes Selbstmarketing, das nicht aufdringlich wirkt, seinen Namen aber in Blog- und Magazin-Haushalten immer vorherrschender etabliert.

Das Star-Potenzial, das für Evian Christ durch seine »Yeezus«-Mitarbeit zum Selbstläufer wurde, entfaltet sich vor einem sympathischen und glaubwürdigen Hintergrund. Am schönsten zu sehen und vor allem zu hören ist aber, dass Evian Christ mit seiner Musik noch immer keine Kompromisse eingeht. »Für beide Seiten hat es gut gepasst«, sagt er rückblickend über die Zusammenarbeit mit Kanye West. Selbstbewusste, aber durchaus wahre Worte eines Produzenten, der dabei ist, der Szene seinen Stempel aufzudrücken.