NALI & Samon Kawamura: Boom Bap brennt, lang lebe Boom Bap!
Der Berliner Newcomer NALI weilt gerade mal 25 Jahre auf dieser Erde, Produzent Samon Kawamura ist fast doppelt so alt. Als Routinier mit Blick für den Zeitgeist schneidert er die Beats für »Asche«, das Debütalbum des Rappers, das aus dem hauptstädtischen Alltag und von Selbstfindung in Nigeria erzählt.
Fragt man NALI und Samon Kawamura nach ihren liebsten dynamic duo, dann fallen zwei Namen sofort: Madvillain und Gang Starr. Und schon ist der erste Referenzrahmen für »Asche« gesetzt. NALI bewundert die lyrische Stärke Gurus auf den maßgeschneiderten Produktionen DJ Premiers, Samon zeigt sich begeistert von der musikalischen Reise, die MF DOOM und Madlib gemeinsam antreten. Aber natürlich klingt ihr gemeinsames Album, zudem noch NALIs Debütalbum, ganz anders. Preemo schön und gut, aber was hat der denn in den letzten zwanzig Jahren gerissen? Die Kick muss nicht mehr knallen, die Snare nicht ins Gesicht – das wäre altbacken. Und NALI ist auch nicht »America’s Most Blunted«, sondern ein Wilmersdorfer Bub auf »Weedentzug«.
So streut Samon Kawamura auf »Asche« beherzte Klimperloops von Piano und Gitarre, staubtrockene Snares und zurückhaltende Schläge in die Magengrube durch düstere Kicks. Wenn NALI in Battlemanier aufspielt, dürfen die Samples ruhig etwas verzerrter sein, Synths und Effekte from outer space. Wird es nachdenklicher, dann gerne auch mal phasenweise ganz ohne Drums. »Griselda-Hype!«, möchte man jetzt rufen, und es bietet sich schon an, denn Rick Hyde ist als Abgesandter des Buffalo-based Labels auf dem ebenso aufbrausenden wie melancholischen Track »Dachterasse« vertreten. »Oh, my shit out in Germany? Oh, fo’ sho!« In »Signalton« wirft NALI die typischen Westside Gunn-Adlibs gleich selbst ein. BRRRRRRRRRRRRRRTT. Doch Samon, der musikalische Visionär des Albums, sagt: »Voll cool, alles. Fashion Rap!« Und weiter: »Griselda setzt da an, wo Boom Bap endete, gepaart mit Lifestyle, Pop Art, wobblige Samples, reduzierte Beats. Einige dieser Elemente sind vielleicht eingeflossen. Aber am Ende ist es etwas Eigenes.«
Earl Sweatshirts »Some Rap Songs« hat 2018 dafür gesorgt, das Licht der Öffentlichkeit auf den brodelnden Untergrund der East Coast zu lenken. Dort rappen Visionäre wie MIKE, Maxo und Navy Blue über vertrackten Schnipseljazz, jede Zeile kryptisch und doch voller Emotion. Pink Siifu, dessen mitreißendes Konzert in Berlin Samon zuletzt besucht hat, probiert sich längst in Punk und Südstaaten-Trap aus. Hieraus zieht der Produzent heute Inspiration. »Diese Art von Rap und deren Ausdrucksweise und ihre Musik sprechen mich im Moment am meisten an.« Und die alte Schule? »Ich habe totalen Respekt vor der Old School, schließlich bauen die neueren Sachen darauf auf«, sagt Samon. »Das Gefühl und die Begeisterung, wenn man etwas Tolles hört, ist gleich geblieben. Für die alten Platten kann ich sie nur nicht mehr so empfinden wie damals.«
Während der Albumproduktion legt Samon seinem wesentlich jüngeren Partner NALI diese musikalischen Erfahrungen immer wieder nahe. Der wiederum findet das cool – interessiert sich allerdings in erster Linie für die mp3s, die ihren Weg in sein Email-Postfach finden. »Die Beats waren crazy, komplett neu. Ich war so: Oh shit, I just wanna fuck this up.« NALI glänzt auf »Asche« mit abwechslungsreichen, modernen und melodischen Flows, keineswegs Old School, aber immer mit viel Respekt für die Altvorderen. »Bei den ersten Tracks habe ich immer die düsteren Beats gewählt, the slappers. Und da einfach drauf geflext.« Messerscharfe Battletracks wie »Kaiserschmarrn« und »Gralskönig« entstehen, letzterer mit Feature von Megaloh, der den Newcomer mit seinem Auftritt zum Ritter schlägt. »Asche«, das ist auch eine Brücke zwischen Neu und Alt, zwischen Rap-Veteran Curse und Berliner New Wave.
Samon begleitet NALI auf seiner Suche nach der eigenen Sprache und Stimme. Und irgendwann, während eines Familienbesuchs in Nigeria, klickt es. NALI bricht aus dem Hamsterrad, all den deutschen Sorgen, aus der ständigen Cannabis-induzierten Benebelung und findet zu neuer Klarheit. Plötzlich gehen die Parts tiefer, die Gedanken werden reflektierter, die Frosch- wird zur Vogelperspektive. »Der Grund für meinen Besuch war der Tod meines Großvaters«, sagt NALI. »Ich hatte dadurch die Chance, zu reflektieren, was mir diese Herkunft eigentlich bedeutet. Als mein Großvater noch gelebt hat, kam ich jedes zweite Jahr zu Besuch und das war für mich einfach normal. Jetzt bin ich hingefahren und er war einfach nicht da. Weil er nicht da war, habe ich stärker gefühlt, dass ich da war. Ergibt das Sinn?« Selbstverständlich.
Der Jungspund lernt vom routinierten Produzenten, der ihn zur Entwicklung eigener Perspektiven und Narrative anhält. Am Ende steht da ein Album, das durch und durch underground ist. Aber niemals plump gegen die Anderen, frontal gegen den Mainstream. Stattdessen ein ganz eigenes Süppchen, das mit gutem Beispiel voranschreitet. Und auch den Kolleg:innen der neuen Generation zeigt, wie ein substantielles Debütalbum funktioniert. »Wenn du versuchst, etwas zu verändern, dann sind die Chancen, dass dir zugehört wird, größer, wenn du das indirekt rüberbringst«, sagt NALI. »Wenn ich dir direkt sage, was ich an dir nicht mag, wirst du defensiv. Wenn ich dir eine andere Perspektive zeige, dann kannst du deinen Standpunkt überprüfen.« Der Hochnäsigkeit des Antihelden entgeht er durch das Wissen um die eigene Entwicklungsfähigkeit: »Nenn mich nicht Rapper, denn ich bin zu broke« heißt es auf »Dunkelheit«.
Auf »Asche« schreibt NALI häufig situativ, entwickelt seine Assoziationen aus einem klar verorteten Moment. Beispiel gefällig? »Sitz’ auf dem Stromkasten«; »Mach Session auf Dachterasse«, »Ich ruf durch, du gehst nicht ran«. Und dann geht es immer los, dann erzählt NALI aus dem Leben eines Mittzwanzigers: Von Geldnöten und Überlegungen, doch mit dem Drogenhandel anzufangen. Von dem Kummer zerbrechender Liebesbeziehungen und der Unsicherheit, selbige Liebe endlich zu gestehen. Von dem Leben im Hamsterrad und auf dem Loop, von 24 Stunden, die aufhören, wie sie anfingen. Von Einsamkeit und Dummheiten, von einer Beinahe-Vaterschaft und den leuchtenden Zukunftsvisionen. Natürlich ist »Asche« ein Coming-of-Age-Album, die universellen Gefühle wohlbekannt, doch der 25-Jährige findet eigene Spins und Perspektiven, eigene Erzählweisen und -rhythmen. So gestaltet sich das Debütalbum als episodenhaftes Kaleidoskop des Erwachsenwerdens.
Dazu gehört auch eine ordentliche Portion Identitätskrise, die sich schon mit »Mayumi’s Intro« abzeichnet: NALIs kleine Schwester singt den weltbekannten Reim vom »Bi-Ba-Butzemann«, Samon fügt einige Verzerrungseffekte hinzu. Die freundliche Kinderstimme wirkt bedrohlich, Niedlichkeit wird zur Gefahr. Und tatsächlich manifestiert sich in dem kurzen Lied die universelle Angst vor einem bösen Fremden, meist als dunkle Sagengestalt gemeint. Doch auch als rassistische Beleidigung hat das Wort im englischen Sprachraum Tradition, nicht zuletzt in einem Akt der Aneignung betitelte sich Tech N9ne als »Boogieman«. NALIs Bruder Xaver machte daraus den »Butzemann«, denn er sei »immer noch ein deutscher Junge«. Auch in den Musikvideos zu »Asche«, allesamt in Nigeria gedreht, sticht der Rapper heraus, wird in diesem Kontext schnell weiß gelesen, macht er doch in Deutschland die genau umgekehrte Erfahrung. Insofern ist das Fremde im »Butzemann« nicht nur das platte Fremdsein, sondern auch das Fremdsein unter Fremden.
Mit einem nigerianischen Großvater und einer Wilmersdorfer Jugend lebt es sich nicht unkompliziert in Zeiten simplifizierter Identitätszuweisungen. Doch in Berlin ist er eben derjenige, der sich mit einem charakterstarken Album dem Schema F-Deutschrap widersetzt und sich vor HipHop-Traditionen verbeugt. Und in Nigeria findet er in »Weedentzug« neue Klarheit, neue Träume, neue Verbundenheit mit den Ahnen. »Chill mit meiner Oma statt saufen bis Koma / Esse Kolanuss und denk’ an meinen Opa / Weit entfernter Cousin kommt rum, erzählt mir von unser’m Dorf / Warum fühl ich mich so verbunden mit diesem Ort? War nie dort«. Anstatt sich in dem Zwiespalt zu verbeißen, nutzt NALI die Ambivalenz der Fremdheit, um die eigene Identität zu stärken. »Asche« ist eine persönliche Reise, auf der NALI sich selbst, Gott und der Welt mit Respekt und Urvertrauen begegnet. Und ein musikalisches statement piece, das in voller Konsequenz modernen Boom Bap im Deutschrap realisiert.