Rodinia Als hätte Madlib eine Krautrock-Hommage produziert
Jan Weissenfeldt war Gitarrist der Poets of Rhythm. Nun hat der Münchner mit Rodinia ein experimentelles Krautrock-Album veröffentlicht, das der HipHop-Ästhetik von Madlib und Dilla ebenso viel schuldet wie den Pionieren von Can und Tangerine Dream.
Rodinia ist der Kontinent, aus dem alle anderen Kontinente entstanden sind. So zumindest lautet eine verbreitete wissenschaftliche Hypothese. Vor über einer Milliarde Jahren entstanden, wurde Rodinia von einem einzigen Ozean umgeben, bevor die Landmasse irgendwann in zwei Teile zerbrach. »Rodinia steht für die Sehnsucht nach der Zeit, als alles eins war und es noch keine Grenzen gab«, erklärt Jan Weissenfeldt. »Alles hing und hängt miteinander zusammen. Das kann man, muss man aber nicht musikalisch interpretieren. Es ist auch ganz generell philosophisch zu verstehen.«
Jan Weissenfeldt, auch bekannt als JJ Whitefield, ist Gründer der Poets of Rhythm, jener Münchner Deep-Funk-Truppe, die in den 1990er Jahren den Grundstein für das Revival dieses Sounds legte. Seit er sich mit seinem Bruder Max, dem Drummer der Poets, auseinandergelebt hat, spielt er mit seiner Band Karl Hector & The Malcouns einen aufregenden Mix aus Jazz, Funk und afrikanischen Einflüssen. Seine Platten veröffentlicht er häufig über das kalifornische Indie-Label Now Again, das von Eothen »Egon« Alapatt betrieben wird, der wiederum auch der Manager von Madlib ist.
In den letzten Jahren war Alapatt für die Wiederentdeckung und Wiederveröffentlichung des Zamrock verantwortlich, eines kurzlebigen, psychedelischen Musikstils aus Zambia, der vor allem von verzerrten Gitarrensounds lebte. »Mit Karl Hector & The Malcouns haben wir 2013 und 2014 als Backing-Band für ein paar der alten Zamrocker gespielt, zum Beispiel für Jagari Chanda oder Ricky Ililonga«, erzählt Jan. »Durch diese Gitarrensounds kam es dann, dass ich mich auch wieder stark auf die Krautrock-Bewegung der 1970er Jahre rückbesonnen habe: Nicht nur Bands wie Can oder Embryo, sondern gerade die unbekannteren Bands wie Agitation Free, Exmagma, Gila, Ibliss oder Annexus Quam.«
Nun ist Krautrock eine diffuse, ungenaue Bezeichnung, die progressiven Rock, aber auch Vorläufer elektronischer Ambient-Musik umfasst. Letztere spielen für die Musik von Rodinia die größere Rolle. Auch in den Live-Shows von Karl Hector & The Malcouns wurden zuletzt immer mehr improvisierte Klang-Collagen eingebaut. »Als wir einmal eine zweitägige Tourpause in München verbracht haben, sind wir in mein Studio gegangen und haben die ganzen Vintage-Synthies von Juno und Korg angeschlossen, die dort verstaubt in der Ecke rumstanden«, erzählt Weissenfeldt. »Die haben wir mit einer Drumbox aus den 1970er Jahren getriggert. Ohne MIDI, ohne Computer, alles analog. Und diese Klangexperimente haben wir einfach mal aufgenommen.«
Diese Aufnahmen wurden zur Basis für das Rodinia-Album »Drumside/Dreamside«. Das Album orientiert sich an den frühen Platten von Bands wie Ash Ra Tempel oder Popul Vuh, bei denen sich die Stücke in der Regel über eine ganze Vinyl-Plattenseite erstreckten. Klassische Songstrukturen sucht man bei Rodinia vergebens, stattdessen wurden Ausschnitte aus den Sessions zu zwei langen Suiten zusammengefügt. Für die »Drumside« wurde in Berlin noch Schlagzeug aufgenommen; die »Dreamside« hingegen schwebt ohne Drums dahin. »Mir ging es dabei um das Konzept der Entschleunigung. Die Musik einfach mal wieder fließen zu lassen und etwas über längere Zeit aufzubauen, so dass ein hypnotischer Charakter entsteht«, so Weissenfeldt. »Musik ist bei mir stets nach innen gerichtet, Entertainment spielt dabei keine Rolle. Industriestandards habe ich mich immer bewusst widersetzt. Musik entsteht zum Zwecke ihrer selbst, völlig ohne Gedanken an ein potenzielles Publikum.«
Die andere zentrale Figur bei Rodinia neben Weissenfeldt ist Johannes Schleiermacher, ein Berliner Saxofonist, der bei der Free-Jazz-Legende Gunter Hampel studiert hat. Schleiermacher spielte bei der ersten Reunion der Poets of Rhythm und später bei Karl Hector & The Malcouns mit. »Ich hatte noch Aufnahmen aus Guinea, die wir auf der ›Dreamside‹ verwendet haben«, erzählt Schleiermacher beim Kaffee in Kreuzberg. »Ich war dort auf Reisen. Irgendwann war ich in einer Grenzstadt, mitten im Nirgendwo, an einem Platz. Da gab es nicht mal Strom, dafür aber jede Menge Insekten, die so polyrhythmisch Töne von sich gegeben haben. Ab und zu kam ein Moped vorbei.« Diese Field Recordings bilden eine zusätzliche Ambience-Schicht aus Natur- und Straßengeräuschen, Insektenzirpen, Mofahupen und Kinderstimmen. »Bei Rodinia geht es darum, auf Nuancen zu hören, kleine Veränderungen wahrzunehmen und dadurch in einen gewissen Zustand einzutauchen«, so Schleiermacher.
HipHop spielt für beide Köpfe hinter Rodinia immer noch eine große Rolle. Während Schleiermacher, Jahrgang 1984, vor allem auf die Produktionen von Madlib und J Dilla verweist, ist Weissenfeldt, Jahrgang 1969, mit dem HipHop der goldenen Ära aufgewachsen, Ende der 1980er Jahre. »Meine Rhythmik ist bis heute mehr an HipHop als an Krautrock orientiert«, sagt Weissenfeldt. »HipHop wird im Unterbewusstsein immer mein Haupteinfluss sein. HipHop ist für mich eine Ästhetik, ein Groove. Die Platten, die ich mache, sind nicht rückwärtsgerichtet, nicht nostalgisch zu verstehen. Es geht darum, eine bestimmte Ära durch einen HipHop-Blickwinkel zu betrachten. Und natürlich auch darum, Aspekte aus dieser Zeit ins Hier und Jetzt zu retten: Zum Beispiel die Freiheit und Unbedarftheit, einfach nur Musik machen wollen, ganz ohne kapitalistische Verwertungslogik.«
Am Ende klingt »Drumside/Dreamside« genau so: Als hätte Madlib eine Hommage an die Krautrock-Platten der 1970er Jahre produziert. Von Nerds für Nerds. Eine Live-Umsetzung des Rodinia-Konzepts sei auch bereits in Arbeit, so habe Weissenfeldt kürzlich ein altes Live-Video von Tangerine Dream an Schleiermacher zur Inspiration geschickt. »Wir sind derzeit voll auf dem Krautrock-Trip und auch die nächste Karl-Hector-Platte wird unter diesem Eindruck stehen«, sagt Weissenfeldt. »Wobei ich nicht Krautrock sagen würde, sondern eher Spacerock. Unter dem Begriff Krautrock wurden ja viele Dinge zusammengefasst, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Live bauen wir schon jetzt viele dieser Elemente in unsere Shows ein. Die nächste Platte wird aber nochmal was ganz anderes.«