Visualizing Music – die besten Musikvideos des Monats Oktober

An dieser Stelle sprechen Till Wilhelm und Valentin Hansen monatlich über die besten Musikvideos, weil das einfach zu wenig getan wird.

VisualizingMusic_Oktober
Valentin Hansen und Till Wilhelm haben sich zum Monatsende wieder zusammengesetzt, um die besten Musikvideos des Monats zu besprechen. In einem Restaurant am Savignyplatz in Berlin tranken die beiden Aperol Spritz, wurden vom Kellner mit WLAN ausgestattet und die Audioaufnahme des Gesprächs wechselte eine Stunde später per AirDrop die Hände. So läuft Arbeit 2019. Till war eine Viertelstunde zu früh, Valentin eine Viertelstunde zu spät, es war arschkalt. So viel zum Privaten. Diesen Monat gibt es Videos von FKA twigs und Clipping, die mit ihrer düsteren Atmosphäre glänzen, außerdem Selbstreferenzialität von Bilderbuch und einfach auf diverse Arten schöne Bewegtbilder von Serious Klein und Låpsley. Film ab!

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  • FKA twigs »home with you« (R: FKA twigs & Object & Animal)

    Valentin: Erstmal einfach ein sehr schönes Format, das 4:3.

    Till: Ja, das switcht dann ja auch nochmal.

    Valentin: Das switcht ja generell auch komplett das Video. Jetzt am Anfang ist ja auch erstmal alles dunkel und blurry und später bekommen wir dann weite und ganz cleane Bilder.

    Till: Das passt ja auch zur akustischen Entwicklung. Abseits vom Video finde ich es auch krass, wie gut sie diese tiefe, dunkle Stimmfarbe ausfüllt. Das ist ja doch ungewohnt für FKA twigs.

    Valentin: Das ist so geil Retro-Future alles.

    Till: Ich liebe zum Beispiel die Choreographie im Auto, aber ehrlich gesagt: Das Video hat mich sofort beeindruckt, aber es erschließt sich mir noch nicht ganz. Hast du eine Deutungstheorie? Zum Beispiel, warum die Augen der anderen Frauen anders aussehen als ihre Augen?

    Valentin: Also ich habe auch nur eine grobe Theorie: Am Ende zeigt sie ja ihren Bauchnabel und da ist auch nochmal ein Auge drin. Ich glaube, die aufgemalten Augen bei den Anderen, das sind die Augen der Nacht. Für so Party, Dunkelheit, Drogen und Exzess. Und wenn sie da so in weiß gekleidet ist, im Garten, in der Natur, bei der Mutter, frisch gewaschen, dann ist sie wieder ein Kind, dann ist das Auge der Nacht eine Wunde. Und die anderen haben eben nur noch diese aufgemalten Augen, während sie hin- und hergerissen ist zwischen Dunkelheit und Licht.

    Till: Klingt schlau auf jeden Fall. Das ist ja auch sehr offen gehalten für allerlei Interpretationen, ist ja auch alles sehr symbolträchtig.

    Valentin: Voll, ich mag das halt auch total, dass man dann ein Video mehrmals schauen kann und jedes Mal fallen einem neue Sachen auf. Da steckt einfach mehr dahinter, als man in diesen vier Minuten Länge auf bei einem einzigen Schauen rauslesen kannst.

    Till: Nur so lohnen sich ja Musikvideos heute eigentlich noch. Als Marketingstrategie macht’s gar nicht mal mehr so viel Sinn, deswegen hilft das eigentlich nur, wenn man da zeigt, dass man diese Kunstform auch angemessen nutzen kann. Das bedeutet dann halt auch eben, nicht schnell was zu produzieren, was dann auf »MTV« laufen kann, weil das eigentlich auch keine wirkliche Relevanz mehr hat heutzutage. Sondern da ordentlich Zeit und Mühe reinzustecken, um etwas zu schaffen was Künstler*in und Werk angemessen visuell repräsentiert.

    Valentin: Oft sind Musikvideos ja nur Werbemittel, aber es ist schon geiler, wenn man merkt, da hatte jemand Muße und Money, um was geiles zu machen, das für sich selbst steht.

  • Serious Klein »Lil Capo« (R: The Family Tree)

    Valentin: Ich will zum Anfang sagen, dass das ein sehr guter Beat, ein sehr guter Song ist. Dieser Rascal ist crazy. Ich hab auch bei ihm ein der Story gesehen, dass Timbaland das geliket hat.

    Till: Ist auch Zeit, dass der seine Lorbeeren bekommt.

    Valentin: Die machen ja auch so krassen High Quality-Kram, auch die Videos. Ich versteh gar nicht, dass das noch nicht so durch die Decke gegangen ist.

    Till: Same, der hat ja auch vor paar Monaten das erste Mal in den USA gespielt, aber das hat ja auch voll Potenzial, richtig big zu werden.

    Valentin: Und trotzdem ist es voll eigen. Da sagt man ja jetzt auch nicht: »Das klingt genauso wie XY…« Und er macht immer weiter, der lässt sich ja kein bisschen zurückhalten.

    Till: Zurück zum Video: Da wird so viel Wert auf geile Details gelegt. Wie sie da speisen mit dem Fried Chicken.

    Valentin: Und der Havana Club-Bottle. Die legen ja auch immer sehr viel Wert auf Family, dieses 555-Ding, Family Tree. Das find ich cool, wenn man das Gefühl hat, das kommt alles aus einer Crew, da wird nicht so endlos viel rumexperimentiert mit Features oder Regisseuren.

    Till: Deswegen ist das ja auch alles voll aus einem Guss, so einheitlich, ohne immer das gleiche zu sein. Bei solchen Videos find ich es immer sehr geil, dass die so rich white spaces besetzen. Das hatte Salwa Houmsi letztens in ihrer Instastory über Fero und ähnliche gesagt, dass die sich quasi in einer Szene, in der sie nie einen Platz hatten, einen Klappstuhl aufgestellt haben und jetzt halt einfach da sind. Serious Klein chillt da ja auch einfach mit seiner Family in so einem edlen Herrenhaus, während es sicherlich Leute gibt, die das ungern sehen.

    Valentin: Ich bin da auch voll gespannt, was da noch so kommt. Ich fand die Grundstimmung im Video einfach so cool. Es ist alles so slow bouncy, einfach ein geiles, gechilltes Gefühl. Die Bilder sind alle so ruhig, das ist laid back, nicht so stressig.

    Till: Es gibt dann ja auch die Einstellung, in der eine Frau anfängt zu tanzen, das sticht dann auch direkt voll raus, weil da auf einmal so viel Bewegung reinkommt. Sonst gibt es ja noch die Szene mit dem brennenden Regenschirm, die direkt auffällt. Aber an sich ist das alles total ruhig, da spielt ja auch Slow Motion eine große Rolle.

    Valentin: Es ist gar nicht mal so krass spektakulär, aber es ist so schön gefühlig. Auch das Bild, wo er im Auto sitzt und die Sonne so auf ihn scheint, das ist ein richtig schön ausgerichtetes Bild. Auch zu Beginn, wo er in der Mitte steht und seine Jungs sich um ihn herum bewegen, ist einfach richtig schön ausgerichtet.

    Till: Da ist ja auch die Entwicklung so cool, dass da aus dem Stillstand heraus diese Bewegung kommt. Außerdem: Dickes Shoutout an die Stylisten, falls es welche gab.

    Valentin: Ja ey, Serious Klein sowieso Best Dressed Rapper Germany.

  • Bilderbuch »Kitsch« (R: Henrik Alm)

    Valentin: Das fängt ja schon mal gut an mit der Frisur, wie er sie mal getragen hat, aber heute eben nicht mehr. Und in dem Song geht es ja auch viel um seine Vergangenheit.

    Till: Deutsche Tyler auf jeden Fall mit der Perücke.

    Valentin: Ich finde bei Bilderbuch immer geil, dass sie es schaffen, so Styles zu performen, die so out sind. Wie zum Beispiel hier jetzt Dubai. Dubai ist meiner Meinung nach so komplett out.

    Till: Dubai ist ja auch mittlerweile reines Afrotrap-Setting. Wenn, dann ist das so Modus Mio-Type.

    Valentin: Ja, man sieht ja auch hier, dass es eigentlich gar nichts mehr hergibt, dieses Setting. Ich finde auch die Einstellung geil, wo man dann auf einmal so sieht, wie sie das gedreht haben, die Autofahrt. Das ist wieder so ein Video, das so Brüche hat, wo man auf einmal hinter die Kulissen schaut.

    Till: Das ist ja auch gerade so geil, weil da so viele Referenzen drinstecken zu anderen Bilderbuch-Videos. Also auch vor allem zu »Maschin«, wo er die ganze Zeit so mit dem Sitz hoch- und runterfährt. Aber das war eben auch eine Phase, in der bei Bilderbuch alles sehr clean war, akustisch und visuell auf Hochglanz, das ist bei diesem Video ja ganz anders. »Kitsch« ist von Anfang an so ein bisschen zerfasert, zerfallen.

    Valentin: Das hat ja Ähnlichkeiten zu dem Giant Rooks-Video vom letzten Mal. Wo man nicht so genau weiß, wo die Grenze zwischen Video und Making-Of liegt.

    Till: Wobei das bei Giant Rooks noch eine richtige Struktur im Video hatte, das hat sich richtig aufgebaut. Hier ist das von Anfang an nicht so klar, was eigentlich passiert.

    Valentin: Da gibt’s ja auch hier gar nicht so wirklich eine Handlung, er fährt halt irgendwie einfach nur mit dem kleinen Auto in der Gegend herum, das stimmt schon.

    Till: Das nehmen wir ja wahrscheinlich auch erstmal nur so war, weil das jetzt nicht so Hochglanz ist, mit diesen analogen Elementen auch. Andere, ältere Videos von Bilderbuch haben ja auch nicht unbedingt eine Handlung.

    Valentin: Auch cool: Ich glaube, das ist alles real auf 16mm gedreht. Sehr geil. Hab ich vorgestern auch gemacht, für meine nächste Single. 22. November.

    Till: Uff, belastender Promophasen-Talk.

    Valentin: Dann nächstes Mal mehr dazu. Ich habe echt Angst davor, dass du irgendwann Videos vorschlägst, die ich gedreht habe…

    Till: Mal sehen. Zurück zu Bilderbuch.

    Valentin: Also Bilderbuch gefällt mir immer am besten, wenn die das schon so halbwegs ernst meinen, nicht so dolle ironisch. Das mit den Billardkugeln vor ein paar Monaten… das war goofy. Hingegen »eine nacht in manila«, das war richtig cool. Also diese Performance-Videos funktionieren für die auch voll gut, weil das voll die Typen dafür sind.

    Till: Hat das für dich einen Symbolwert, das Video zu »Kitsch« jetzt? Es ist halt viel weniger Hochglanz als früher Bilderbuch-Videos. Er sieht auch so ein bisschen runtergekommen aus in Unterhemd und Anzugshose… Auch die Perücke. Aber ich kenn mich gar nicht genug mit denen aus, um jetzt was daraus schließen zu können.

    Valentin: Die nehmen sich da ja auch voll auf den Arm. Da ist ja auch so ein Scheich im Video, oder? Zumindest sieht der eine Dude so aus. In Dubai mit so einem kleinen Auto im Gegensatz zu diesen krassen Lambos in »Maschin«. Ich finde, das integriert sich aber stilmäßig voll in deren Katalog eigentlich. Mit noch mehr Selbstreferenzialität.

  • Clipping »All In Your Hand« (R: C Prinz)

    Till: Das neue Album ist jetzt schon das vierte, aber ich hatte die Band vorher nie so krass mitbekommen. Der Rapper ist ja auch Schauspieler, der war in »Hamilton«. Und die beiden Produzenten kommen auch stark aus so einer Soundtrack-Richtung. Das Video passt auf jeden Fall noch voll in den Spuktober.

    Valentin: Die famose Grundstimmung ist die eine Sache, aber die Details sind so krass. Es gibt da zum Beispiel diese ruhige Einstellung, in der der Wind anfängt, durch ihre Haare zu wehen, wenn der Bass im Song einsetzt.

    Till: Das ist ein richtiges Erlebnis.

    Valentin: Das Video und der Song sind natürlich voll artifiziell, aber haben trotzdem so eine coole Schnittstelle mit Popkultur. Ohne Hook oder sowas, aber man kriegt das total mit.

    Till: Es gibt da ja auch diese bestimmten Einstellungen, beispielsweise mit diesen Analog-Effekten, die ja voll bekannt und in der Popkultur voll etabliert sind. Aber der Inhalt und die Collage macht halt den Unterschied. Das ist auch alles in allem sehr cineastisch, vom Sound her genau wie vom Visuellen, gerade wenn man bisschen mehr im modernen Horrorfilm-Genre drin ist.

    Valentin: Ich mag auch total gerne diese abstrakte Dynamik. Es gibt Stellen, an denen geht’s auf einmal voll schnell, da zieht das Schnitttempo so an. Und dann fließt es wieder gemächlich, dann steht wieder ein Bild für zehn Sekunden. Das changiert auch voll zwischen Szenen, die könnten aus einem Kendrick-Video sein, dann gibt es aber auch welche, die könnten einer Videoinstallation im MoMA entnommen sein.

    Till: Ich liebe auch die Räume im Video, die sind alle so gut strukturiert, aber auch voll runtergekommen. Das ist auch ein starker Kontrast zu diesen krassen Outfits. Auch die anderen Videos zum Album sind voll gut.

    Valentin: Clipping ist auf jeden Fall eine richtig gute Neuentdeckung für mich. Gerade das Düstere, Abstrakte der Songs wird durch die Videos so unfassbar stark unterstrichen. Das wechselt andauernd und baut sich am Ende nochmal so krass auf, wenn die Sängerin da reinkommt.

    Till: Auch gerade, weil man erstmal nicht alles versteht, macht es dann noch spannender und furchteinflößender. Am Ende geht’s in dem Song um Prostitution und wenn man den Text analysiert, kann man damit auch das Video auseinandernehmen und das ergibt alles viel Sinn. Aber ich finde auch den ersten Eindruck einfach besonders, weil das alles so stark ist und mich als Zuschauer erstmal so enorm fasziniert.

    Valentin: Und ich möchte nochmal die Details loben. Auch wie das mit der brennenden Hand vorher schon angeteaset wird, so kleine Sachen, die führen dazu, dass man das einfach weiter und wieder gucken möchte, weil da so viel Potenzial drin steckt.

  • Låpsley »My Love Was Like The Rain« (R: Camille Summers-Valli)

    Valentin: Irgendwie passen die Videos diesen Monat alle so schön zusammen. Die hätten teilweise auch jeweils bei den anderen Artists gepasst.

    Till: Das Video ist überkrass. Nicht nur wie’s gefilmt ist, sondern auch diese Choreographie, wenn man das so nennen kann. Als du mir den geschickt hast, saß ich im ICE und hatte richtig schlechtes Internet, deswegen habe ich erstmal nur den Song gehört. Und das klingt erstmal voll nach einem Lovesong, auch wenn es gar nicht unbedingt einer ist. Aber das Video bringt auch nochmal was total Suizidales mit rein, da kommt auch noch eine Eltern-Kind-Beziehung und dieses Tanzelement. Das Video kitzelt irgendwie so viel Inhalt nochmal raus aus dem Song.

    Valentin: Ich find’s richtig krass, wie die verschiedenen Ebenen im Video, die erstmal wenig miteinander zu tun haben, so stark verbunden werden. Zum Beispiel wie er ins Wasser fällt, dann fällt das Glas um, dann fällt er vom Dach.

    Till: Auch dass sie erstmal nur ins Wasser springen, aber dann sieht man, wie sie da die Lust so zwanghaft anhalten. Wieder dieses Suizidale.

    Valentin: Auch krass, wie das Kind tanzt und man dann immer die tanzende Meute sieht.

    Till: In der tanzenden Meute sieht man dann ja auch kurz die Sängerin, so in einer Nebenrolle quasi.

    Valentin: Das Kind ist ein richtig guter Cast. Das Kind geht auch mega ab und passt voll gut da rein. Aber den tieferen Sinn habe ich jetzt auch noch nicht ganz herauslesen können.

    Till: Naja, ich glaube, es geht halt um all diese Facetten des Lebens in einer Spannweite, die vom Exzess des Tanzes bis hin zum Suizid reicht. Sie singt ja auch »I embodied these elements«. Ich glaube aber auch, dass da Musik als Ventil für Lebensenergie eine große Rolle spielt. In die Musik fließt dieser positive Exzess genau wie der negative ein, das Video steht ja auch immer am Abgrund. Das ist eigentlich vom Ding her sehr ähnlich zum FKA twigs-Video, nur halt im Style komplett anders. Aber diese Verhandlung von Kontrasten, von Licht und Dunkelheit, von Leben und Tod, das ist natürlich etwas ganz Grundsätzliches, aber in diesen beiden Videos recht ähnlich bearbeitet.

    Valentin: Ich habe dann auch überlegt, ob es vielleicht um den Tod eines Freundes oder so geht… Aber vielleicht machen diese rationalen Erklärungen auch gar nicht so viel Sinn und es geht mehr um die Atmosphäre, die ja auf jeden Fall stark und vorhanden ist.

    Till: So oder so wunderschönes Video. Die Sängerin kannte ich auch vorher gar nicht, aber ich werde das jetzt im Auge behalten.