Visualizing Music – die besten Musikvideos des Monats November
An dieser Stelle sprechen Till Wilhelm und Valentin Hansen monatlich über die besten Musikvideos, weil das einfach zu wenig getan wird.
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Florida Juicy »Trapped In My Head« (R: Steven Breden und Miklas Hoffmann)
Valentin: Bevor du mir das geschickt hast, hatte ich den Song weder gehört noch gesehen. Dann habe ich das erstmal ohne Ton gesehen und wegen Erotik Toy Records dachte ich halt, das wäre deutschsprachig und habe da voll rein interpretiert, dass das so artsy Deutschrap ist. Dann habe ich das vorhin gehört und war komplett geschockt, dass das etwas ganz Anderes ist. (lacht) Ich dachte irgendwie bei dem Video, dass das jetzt so ein Yung Hurn Type-»Ich will Sex mit dir«-Track ist.
Till: Uff…
Valentin: Kennst du den Florida Juicy persönlich? Ist der auch aus Bremen?
Till: Ja, das ist quasi der Producer von denen. Und »Trapped In My Head« ist seine zweite Solo-Single.
Valentin: Das ist auch krass gut produziert. Erster Kommentar unter dem Video: »Zweite Single, zweiter Hit.«
Till: Ist halt wirklich richtig catchy. Ich liebe es, dass er und die Frau im Video beide abwechselnd das gleiche Juicy-Couture-Outfit rocken. Ich finde besonders interessant, wie das Video mit Oberflächen spielt. In vielen Shots hast du einen ganz sanften, undefinierten Raum und im Zentrum dieses Raumes treffen verschiedene Texturen aufeinander. Das glatte Wasser, die rauen Scherben, das heterogene Gesicht zwischen der homogenen Haut der Frauenbeine und so weiter. Das finde ich total spannend. Das läuft auch nochmal in der Szene, in der die Schatten der Wassertropfen über sein Gesicht laufen, voll zusammen. Da stecken auch so viele richtig coole Ideen drin, die eigentlich einfach zu shooten sind, die ich aber bisher noch nicht in der Art gesehen habe.
Valentin: Safe, das ist eh eine total signifikante Szene. Auch zurecht das Thumbnail des Videos geworden. Finde es auch angenehm weird, dass man zum Beispiel bei den Einstellungen, in denen er zwischen ihren Beinen liegt, die Konstellation gar nicht so verorten kann. Also: Wie sind die beiden überhaupt positioniert? Ich dachte erst, sie sitzt auf seinen Schultern.
Till: Das sieht man dann ja auch erst zum Ende. Mir gefällt es auch, dass in den einzelnen Bildern so viel Bewegung passiert. Man hätte das ja auch so Stillleben-mäßig machen können. Passt auch sehr gut zum Sound und Thema des Tracks. Gerade durch diese sanften, unendlichen Räume kommt dieses »Trapped In My Head«-Gefühl wahnsinnig gut zustande.
Valentin: Und dieser 3D-Kopf, der da zweimal kommt und dann auch crasht, sieht auch super aus. Like, Daumen hoch!
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OG Keemo & Funkvater Frank »Zinnmann« (R: Breitband)
Valentin: Sick! Du bist großer Keemo-Fan, ne?
Till: Voll. Aber das ganze Team ist krass. Die Beats von Frank, die Videos von Breitband. Das ist alles super stimmig. Bei »Zinnmann« war es für mich so, dass ich das Video erst recht spät gesehen habe, nur den Track vorher gepumpt. Und das war eh schon so Gänsehaut jedes Mal, aber das Video hat es dann komplett gekillt. Meine Freundin hat geweint, glaube ich.
Valentin: Ja, das Ding ist hart.
Till: Ich finde die Effekte krass, diesen Fokus auf die Neuner, die Detailarbeit. Und dann bei den Badewannen-Szenen, dass du als Zuschauer meistens kaum erkennst, wer da eigentlich gerade wen ertränkt.
Valentin: Auch, dass du das immer nur durch Akzente zuordnen kannst. Ihre roten Fingernägel, seine Ringe, etc. Die ziehen ja auch so einen bestimmten Style bei allen Videos voll durch: Die übersättigten Farben, wenn es ins Bunte geht, die Körnigkeit des Bildes und diese total krassen Nahaufnahmen. Kennst du diesen Regisseur aus den USA, BRTHR? Das ist vom Vibe her irgendwie sehr ähnlich. Der macht halt so Videos für Travis Scott und The Weeknd.
Till: Ah ja, den kenn ich vom »Just A Stranger«-Video von Kali Uchis. Da sehe ich auf jeden Fall die Ähnlichkeit, was die Farben angeht.
Valentin: Ja, manchmal hat das irgendwie immer eine ähnliche Ästhetik, auch was die Übergänge zwischen den Shots angeht. Ich habe mir da auch mal ein Behind The Scenes angeschaut zu einem seiner Videos, das ist alles so absurd kompliziert. Naja, beeindruckend!
Till: OK, zurück zum Keemo-Video…
Valentin: Ja, also: Seine Videos sind ja auch gar nicht so teuer produziert, die setzen ihre Visionen ja mit einsamen Mitteln um. Das kommt halt auch immer geil, wenn man das auch spürt.
Till: Aber im Kontrast zu »216« sieht dieses Video irgendwie auch gar nicht mehr Low Budget-mäßig aus.
Valentin: Ansonsten: sehr schöne, düstere Energie. Gefällt mir sehr gut. Es ist auch einfach schön, dass da ein Album rausgekommen ist, an dem insgesamt einfach ein einziges Team gearbeitet hat, sei es jetzt in Bezug auf die Musik, Artworks oder Videos. Das macht einfach alles viel runder.
Till: Die Location ist auch super. Die letzte Szene ist auch einfach so geil gedreht. Gar nicht kompliziert, aber eindrucksvoll.
Valentin: An sich muss ich auch noch sagen, dass es natürlich fies ist, dass er seine Freundin ertränkt.
Till: Keine Gewalt.
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Tua »Wenn ich gehen muss« (R: Eric van den Hoonaard)
Valentin: Ich muss vorab ehrlich gesagt sagen, als ich das Video zum ersten Mal gesehen habe, hatte ich etwas gemischte Gefühle. Ich fand es gewagt, diese Thematik auf sich selbst zu beziehen. Es sterben halt wirklich Menschen im Mittelmeer und da jetzt ein Musikvideo zu machen, in dem man sich so im Mittelpunkt inszeniert…
Till: Ich hatte ähnliche Gedanken. Das Video impliziert ja auch irgendwie, das könnte ihm als weißem, mittelständischem Mann unter Umständen wirklich passieren…
Valentin: Das auch. Deswegen war ich erst überrascht, dass er das so aufgreift. Aber als dann das Video weiter lief, hat es voll Sinn gemacht, dass das eben am Anfang so ist, weil dann ja eh der krasse Switch weg von ihm kommt. Das Sounddesign ist übrigens überkrass.
Till: Ja, ist sowieso ein reines Gänsehaut-Video. Auch da hat meine Freundin geweint. Ein anderes Magazin hat kurz nach dem Release dieses Videos verlauten lassen, dass sei das wichtigste und beste Musikvideo des Jahres. Ich würde dem widersprechen und behaupten, es ist die wichtigste Kampagne des Jahres.
Valentin: Stimme ich dir zu. Sehr gute Idee, sehr gut umgesetzt. Aber halt streng genommen kein Musikvideo. Steht dann ja aber auch direkt da: »Kein Musikvideo. Sondern tödliche Realität.«
Till: Das ist ja sowieso auch ein technisch einwandfreies Endprodukt. Wie da auch das düstere Schwarz-Weiß-Bild aufbricht und die Aufnahmen am Ende in strahlenden Farben präsentiert werden, das gibt ein riesiges Gefühl von Hoffnung.
Valentin: Das hat mich in dem Moment auch komplett geschockt. Inhaltlich sowieso, aber Tua in Farbe? Das überrascht. Und das ist vielleicht auch wichtiger als alle anderen Musikvideos.
Till: Voll. Musikvideos haben dann für mich auch einen anderen künstlerischen Anspruch, da gibt es dann durchaus Sachen, die ich für krasser, radikaler und progressiver halte als »Wenn ich gehen muss«. Deswegen würde ich das gar nicht erst in die Kategorie stecken.
Valentin: Übrigens doppeltes Chimperator-Placement auch diesen Monat.
Till: s/o Chimperator. Die haben ja dieses Jahr auch eh stark abgeliefert, auch Musikvideo-technisch: Die Orsons, OG Keemo, Tua.
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Angèle »Oui ou Non« (R: Brice VDH)
Valentin: Das ist auf jeden Fall das bisher meistgeklickte Video in dieser Liste.
Till: Kannst du Französisch?
Valentin: Non. Aber ich les dir mal die deutsche Übersetzung vor. (liest) Naja, ist eigentlich ein Lovesong über Unsicherheit.
Till: Also, es geht schon irgendwie um den Betrug durch die schöne Welt.
Valentin: Ich finde das auch clever, aus diesen persönlichen Lügen, die im Song besprochen werden, so ein gesamtgesellschaftliches Ding zu machen. Das funktioniert an der Stelle gut.
Till: Das ist auf jeden Fall funny und sweet. Ich bekomme da nur leider leichte »Switch: Reloaded«-Vibes. Wo dann auch so Werbung parodiert wird. Aber daran ist ja auch mehr das grottige deutsche Fernsehen schuld.
Valentin: Ich find’s auch manchmal echt witzig, dass das so teuer gewesen sein muss. Da stimmt ja wirklich jede Sekunde im Video. Da muss so unfassbar viel Geld reingeflossen sein.
Till: Ich liebe zum Beispiel die Parfüm-Szene mit dem Wolf. Das kommt so absurd geil. Was meinst du, was die als Ersatz für die Hautcreme benutzt haben, die sie isst?
Valentin: Wahrscheinlich Mayonnaise.
Till: Das ist ja auch nicht viel weniger nasty…
Valentin: Ich habe, als ich 17 war, auch mal so eine Fake-Werbung gedreht mit einem Kumpel. Wir haben da ein Katzenfutter beworben, was für Mensch und Tier gleichermaßen geeignet ist. Daran erinnert mich die Katzenszene hier total.
Till: Diese Werbeästhetik ist halt auch so perfekt umgesetzt. Die Anfänge der Szenen, das sind genau die Bilder, die du in jeder Werbung hast. Das macht so viel Spaß, dass das so klar erkennbar ist. Aber auch gruselig, wie sehr man auf Werbung konditioniert ist.
Valentin: Das Parfüm-Ding ist wirklich funny. »Eau De Moi«. Und wie er dann so riecht und würgt.
Till: Und so viel Liebe zum Detail! Auch diese kleinen Texte überall. Das kann man so super oft ansehen, bevor es langweilig wird. Kanntest du die Musikerin davor?
Valentin: Ja voll, das ist so französische Popmusik, sie kommt aber aus Belgien. Die ist aber auch richtig groß im französischsprachigen Raum. Was man von ihr mitbekommt, ist auf jeden Fall immer sehr unterhaltsam. Der Autounfall am Ende killt mich gerade. Das ist so aufwändig und teuer. Diese zwei Sekunden müssen um die 80.000,- Euro gekostet haben.
Till: Vielleicht ist’s ja auch Stock-Footage. Auch ultralange Credit-Liste. Nasty, wie da die Brandblase noch aufplatzt.
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Zack Villere Sore Throat (R: Dan Streit)
Valentin: An dieser Stelle s/o an den YouTube-Algorithmus. Der hat mir dieses Video vorgeschlagen, vorher kannte ich Zack Villere gar nicht.
Till: Von mir auch s/o, YouTube hatte mich aber schon 2017 mit dem Herrn bekannt gemacht, mit dem Video zu »cool«. Da sah der aber definitiv noch nerdiger aus. Starkes Glow-Up!
Valentin: Das hier ist auf jeden Fall ein geiler Song.
Till: Und ein richtig schönes Video. Gerade diese schrägen Aufnahmen auf die Stadt sind super schön, langsam und trotzdem super voll, es gibt ganz viel Bewegung. Auch die Einstellung mit den Basketbällen ist wunderschön. Aber wenn er alleine auf dem Motorrad ist, ist er auch richtig alleine.
Valentin: Das hat mich auch überrascht. Ich dachte zunächst mal, das ganze Video wäre jetzt so voll.
Till: Aber das passt ja ganz gut, es geht ja auch im Song um Isolation, darum, dass immer so viel los ist und er sich dann seine Zeit nimmt.
Valentin: Diese weirden Tänze mit seinem komischen Outfit…
Till: Und diese Leute in den Spiderman-Masken. Das wirkt alles irgendwie hyperreal. Weird, aber auf eine gute Weise. Der Song verläuft ja auch so langsam, da ergibt es ja auch total Sinn, das Video einfach so viben zu lassen.
Valentin: Ich mag das auch total gerne, wenn man den Modus, das Konzept vom Video nicht sofort checkt. Vielleicht gibt’s da auch gar nichts Großes zu verstehen. Aber es langweilt mich manchmal, wenn ich die ersten zehn Sekunden eines Videos sehe und direkt weiß, worum es genau geht. Dann läuft das so, dann wiederholt sich was, aber eigentlich ist es total lame. Aber dann gibt’s eben Videos wie dieses, wo sich der Aufbau auch nicht sofort erschließt. Da sind Sachen drin, die passen nicht so wirklich, aber irgendwie gehört es doch zur selben Thematik, zumindest auf einer Metaebene. Das ist cool.
Till: Was ist das eigentlich für eine abgefahrene Location im letzten Shot? Das setzt dem nochmal die Krone auf.
Valentin: Ich glaube, das ist wahrscheinlich gar nicht echt.
Till: I feel betrayed.