Visualizing Music – Die besten Musikvideos des Monats: November 2021

An dieser Stelle sprechen Till Wilhelm und Charlie Bendisch monatlich über die besten Musikvideos, weil das einfach zu wenig getan wird. Im November mit KUMMER, 100 gecs und DISSY.

VISUALIZING NOV21
Weihnachten rückt näher, der November gerät schon langsam in neblige Vergessenheit und unsere Kolumne ist wieder einmal verspätet. Dabei gibt es doch so viel Spannendes zu berichten! Hyperpop ist nun auch in Deutschland der Sound der Stunde und die Orsons versuchen sich an ihrer eigenen Interpretation, die sich in melodisch schwindelerregende Höhen schraubt – auch wenn dabei der eigentliche Edge des Genres auf der Strecke bleibt. Die 100 gecs hingegen, längst Lichtfiguren des verzerrt-vertrackten Sounds, schnappen sich bloß eine 360 Grad-Kamera und begeben sich in den nächstgelegenen Park, um sich visuell auszutoben. KUMMER zeigt mit dem Video zum »letzten Song« ein außerordentliches Gespür für visuelle Stimmungen, zunächst hektisch und treibend wird das Filmchen zum Quell der Ruhe und Melancholie, sobald die Hook einsetzt. Odd John wiederum fängt die einzigartige Stimmung schlafloser Nächte ein und knüpft an ein bildliches Sammelsurium des europäischen Horrorfilms an. Mausig! An DISSY scheiden sich dann noch die Geister: Till freut sich über das bunte Bällebad der Metaebenen, Charlie bleibt distanziert im Anblick der aufgeworfenen Fragezeichen. Beide können sich jedoch darauf einigen, dass Darién Geep ein ganz liebes Animationsvideo veröffentlicht haben. Wie die Bremer Band es statt Arca in diese Liste geschafft haben, bleibt in der nebligen Vergessenheit des Novembers verborgen. Jetzt aber: Kuscheldecke, Glühwein, Beamer an!

Die Playlist zur Kolumne findet ihr hier.

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  • Die Orsons »Oliven« (R: Delia Baum)

    Till: Die Orsons bringen wieder Singles raus. Und das hat Konzept: Pro Quartal gehen sie für eine Woche ins Studio, dabei entsteht sowohl ein Song, als auch ein Video zum Song. Die musikalische Klammer dieses Projekts: Hyperpop. »Oliven« ist jetzt das erste Erzeugnis dieser Arbeit und stützt sich auf die aus »How I Met Your Mother« bekannte Oliven-Theorie, nach der eine Beziehung nur funktioniert, wenn ein Partner Oliven liebt, während der andere sie hasst. Ich habe mich besonders über das Baby Keem-Sample gefreut. Dieses Projekt bringt natürlich auch frischen Wind in die Boygroup und wirkt der Stagnation entgegen.

    Charlie: Es kam jetzt auch erst das Maeckes-Album, dann das Bartek-Album, jetzt geht es straff getaktet weiter. Hyperpop schwappt ja momentan sehr krass nach Deutschland über, Haiyti nähert sich ja aktuell auf »Speed Date« auch streckenweise dieser Ästhetik. 

    Till: Und auf dem Haiyti-Album gibt es auch eine Produktion von TUA. Da scheint Interesse zu bestehen.

    Charlie: Das passt in der Hinsicht zu den Orsons, dass Hyperpop eben etwas Überdrehtes und Überzuckertes hat. Diese Weirdness einfach. Das Schelmische gehört sicherlich auch dazu, aber Hyperpop ist eben nicht einfach nur Ironie. Die Orsons tauchen nicht ganz in diesen Film hinein, sondern übernehmen bestimmte Elemente für ihren Song.

    Till: Es fehlt viel dessen, was Hyperpop so hyper macht. Das Tempo ist nicht ganz auf der Höhe, das Verzerrte fehlt, die Synthies sind nicht ganz so stechend. Die Orsons machen das schon gut mit den Melodien, aber es müsste eigentlich alles ein wenig nerviger sein. Und was ganz zentral auch im Video fehlt: Die Trash-Ästhetik. Mit dem Quarantäne-Album von Charli XCX wurde auch diese Webcam-Optik sehr deutlich, Hyperpop bedient sich an Bildern niedriger Qualität.

    Charlie: Diese digitale Textur bekommt durch die Musik meistens ein Pendant an die Seite gestellt. Das ist hier ganz anders.

    Till: Die Orsons ziehen das auf eine weirde Retro-Schiene. Das Video ist sehr clean, auch weich. Während Hyperpop häufig verzerrt und hart ist.

    Charlie: Natürlich gibt es mittlerweile auch viele softere Entwürfe, die dennoch eindeutig von Künstler*innen wie SOPHIE, Arca, A.G. Cook, Charli XCX geprägt sind. Ein tolles Beispiel wären Meth Math aus Mexiko City. Aber auch Projekte, die verschiedene Genres appropriieren, beispielsweise Dua Salehs tolle »CROSSOVER«-EP. . Am auffälligsten ist der Hyperpop-Einfluss in Kaas‘ Part, sehr vernuschelt.

    Till: Viele Autotune-Spielereien.

    Charlie: Ansonsten sehr moderat.

    Till: Die Orsons haben den Hyperpop gentrifiziert. Die Outfits sind aber wirklich toll. Ich liebe Maeckes‘ Rollkragenpulli. Das Beziehungsthema aus dem Lied wird im Video immer wieder nachgespielt, sonst besteht wenig Korrelation zwischen Bild und Ton. Sie haben es nicht mal geschafft, Oliven zu besorgen. Aber eher sind es Performance-Shots, vieles wirkt auch wie Improvisationstheater. Kaas passt hier vielleicht sogar am Besten rein, weil er diese Weirdness sehr gut spielt. Auch mit dem Besteck. TUA und Maeckes wirken wesentlich professioneller in der Schauspielerei. Übrigens wurde das Video im Berliner Kino International gedreht.

    Charlie: Die Blende am Anfang und am Ende finde ich noch ganz interessant. Das ist wiederum Hyperpop-typisch: überholte filmische Mittel, die eigentlich aus der Mode sind. Etwa die Irisblende, das ist überhaupt nicht stilvoll. Eher trashy, aber gerade in dieser verspielten Ignoranz und Spontaneität wieder kohärent.

    Till: Der Hula Hoop-Reifen verleiht noch einen ganz besonderen Seventies-Swag – Toll!

  • Odd John »Nights« (R: Julius Pfeiffer)

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    Till: Odd John kommt aus Marburg und hat gerade ein Album veröffentlicht, das heißt »Schlecht«. Letztes Jahr gab es schon eine EP, die ich sehr mochte. Das Video ist visuell schon das Hauptwerk des Albums. Ich finde es spannend, dass es mit der Maus anfängt. Es ist schon Nacht und die Maus wird aktiv. Und darum geht es im Lied: Im Dunkeln wird Odd John unruhig, sein Kopf beginnt zu rattern. Am Tag ist alles okay, in der Nacht kommt der Trouble. Im Kontext von Mental Health ist die Maus symbolisch, sie setzt sich nachts ins buchstäbliche Hamsterrad.

    Charlie: Was in den Tableaus filmisch aufgegriffen wird, ist dieser europäische Folk-Horror. Im österreichischen Kino gibt es viel davon, die Dorfkapelle spricht schon für sich. Das Bildrepertoire verweist sehr stark darauf: Kirche, Nebel, Landstraßen, Auto am Straßenrand.

    Till: Dabei gibt es in diesem Video gar keinen Horror per se, keine paranormalen Aktivitäten. Die Protagonist:innen werden aber von ihren eigenen Gedanken wachgehalten. Dadurch allerdings kommt das Horror-Gefühl auf, obwohl keine Bedrohung da ist. Und darüber singt Odd John: Es passiert ja eigentlich nichts in der Nacht, doch die Gedanken in seinem Kopf wachsen zu Übergröße heran.

    Charlie: Die Albtraumrahmung wird erst am Ende explizit, wenn sich das Bild im Glitch auflöst.

    Till: Die Süßmaus ist wirklich unfassbar süß. Die gezeigten Personen sind auch interessant, die gehören ganz fest ins Repertoire deutscher Filme.

    Charlie: Ganz typische Gesichter auch.

    Till: Die hochschwangere Frau Mitte Dreißig, die Omi, der ältere Herr, der super gläubig ist. Zwei Teenager sind im Auto unterwegs.

    Charlie: Was läuft denn da eigentlich im Fernsehen? Ah, Kerner! Scary…

    Till: Das Mädchen im Wald zeigt auch, was diese Figuren gemein haben: Eine extreme Verletzlichkeit wohnt diesen Figuren inne.

    Charlie: Spannend wird das Video auch als Gegenbild zum Urbanen, das sich in der Musik niederschlägt.

    Till: Die Farben sind total entsättigt, Lichtquellen in diesem Video sind immer innerdiegetisch. Das Ganze ist total dunkel gehalten, da gibt es keinerlei Kameralicht, zumindest kein klar ersichtliches. Odd John lässt die Nacht Nacht sein. Das ist speziell für Deutschrap sehr ungewöhnlich. Am Ende kommt die Dämmerung, der Teenager setzt sich wieder ins Auto, die Oma schält schon Erbsen draußen. Die Nacht geht vorbei, das Kopfrattern auch. Der Schlaf fehlt trotzdem, das macht dich am Ende nach ein paar Wochen eben zum Glitch.

  • 100 gecs »mememe« (R: 100 gecs)

     

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    Till: Ich finde, dieses Video sieht aus, als könnte es auch von Valentin Hansen stammen. Super-Weitwinkel, weirde Kameraplatzierung, extreme Geilheit und eine sehr digitale Optik. Das Filmen aus dem Mund heraus hatten wir beispielsweise bei Slowthai.

    Charlie: Hier ist es aber nochmal besonders eklig mit der Plaque hinten auf den Zähnen. Gerade im Vergleich zu den Orsons ist das natürlich spannend, weil die 100 gecs viel wilder vorgehen.

    Till: Alleine die Farbgebung und die Textur des Bildes ist ganz anders.

    Charlie: Das ist der typische Stil dieses Digitalkameras aus den frühen 2000ern. Die Auflösung ist okay, aber alles flimmert und krisselt.

    Till: Der Mund von innen ist natürlich spannend, aber dass die Kamera aus dem Schlund herausfährt und dann sein Gesicht so komisch verzerrt ist, das finde ich cool. Auch wenn ich nicht ganz verstehe, wie das gedreht wurde. Das sieht beinahe aus wie ein Facefilter.

    Charlie: Und dieses 360 Grad-Bild ist eigentlich ein total wackes Stilelement, aber das wird ebenso wie die Musik völlig überdreht und ad absurdum geführt. 

    Till: Auch der Dolly Zoom, das Reinzoomen bei Rückwärtsbewegung der Kamera, das ist ja nun schon lange ausgelutscht. Oder Übergänge, in denen das Bild anhält, noch bevor der Cut kommt. Schön trashig.

    Charlie: Dabei entstehen tolle Körpermorphungen. Dieses Thema haftet dem Hyperpop durchaus sehr an, das Genre ist ja sehr stark in einer queeren Sphäre verwurzelt, die eben auch in der Dekonstruktion von Körpern und Stimmen zum Tragen kommt.

    Till: Die 100 gecs sind eben auch queer und leben diese Ästhetik voll aus. Die Zauberer-Verkleidungen liebe ich.

    Charlie: Das Batman-Shirt auch. Wie sie am Ende in den Himmel gejagt wird, erinnert mich stark an Team Rocket von Pokémon.

    Till: Im Song geht es zumindest bei Dylan Brady darum, dass er viel Privates erzählt und sein Gegenüber hört ihm nicht zu. Dann heißt es in der Hook: »You’ll never really know anything about me«. Weird Guy Flex. Das Außenseitertum als Stärke, eigentlich ein Incel-Klischee von Leuten, die zu viel Death Note geschaut haben. Eine typische Internet-Erzählung.

    Charlie: Und auch eine strapazierte HipHop-Erzählung.. Der lonely wolf, der alleine auf der Rückbank Platz nimmt. Bei 100 gecs ist die Umgebung auch witzig, dieser komische Park.

    Till: Noch ein großer Unterschied zu den Orsons. Kein Studio, keine gute Beleuchtung, einfach der nächstbeste Park und ab geht’s.

    Charlie: Der Boden auch: kein glatter Rasen, sondern da liegt Laub, das Gras ist vertrocknet. Es fehlt jegliche Schönheit im klassischen Sinne, die ist komplett entzogen. Keine coolen Outfits, keine idyllische Umgebung, noch finden sich ästhetische Raffinessen oder eine plastische Ausleuchtung.

    Till: Auch die Performance, keine schöne Choreographie, sondern wildes Rumspringen. Nicht vorteilhaft, aber sehr authentisch. Uneitel. Laura Les‘ Gesicht sieht man fast nie.

  • DISSY »ARBEIT x CRINGE« (R: DISSY)

     

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    Till: DISSY ist in der Promophase, das heißt: Viele Videos und noch mehr Songs. Das ist jetzt schon das zweite Split-Video zu »ANGER BABY«, das nächstes Jahr erscheint. Er hat hier nun auch wieder Regie geführt, das macht er auch für andere Künstler:innen, beispielsweise Mine. 

    Charlie: Ich habe bei DISSY immer das Gefühl, er greift aktuelle popkulturelle Trends auf und speist sie in seine Videos ein. Bei »UNFALL« von Mine war es das Desktop-Video. Dieses Jahr gab es einen Hype um Arbeiterlieder, etwa mit »Bella Ciao« in »Haus des Geldes«, der Wiederentdeckung von Hannes Wader und Danger Dans Klavieralbum. DISSY überhöht das in der Hook durch die Melodik und Videoästhetik.

    Till: Es hat natürlich den stark ironischen Twist, dass alles, worüber er in »Arbeit« rappt, keine Arbeit im klassischen Sinne ist, er sich aber als Bergarbeiter inszeniert. Da geht es erstmal um sein Rapperdasein und darum, dass ihm diese luxuriösen Aufgaben schon schwer fallen. In der zweiten Strophe geht es um das Gefühl, ständig gestresst zu sein, aber keinen wirtschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Und die dritte Strophe nimmt alle Selbstverständlichkeiten der Woke-Werdung und stellt sie überzeichnet als harte Arbeit dar. Also: »Ich hab‘ heut den Geschirrspüler ganz alleine eingeräumt«, dafür braucht er aber auch nun etwas Lob. Die Situierung im Bergwerk setzt ihn als harten Arbeiter ein, während er eigentlich nichts Weltbewegendes macht. In der dritten Strophe ist er dann Plakatierer, der sich Kleister kauft, um Plakate zu kleistern, die für den Kleister werben. Eigentlich eine Sisyphos-Geschichte. Bei DISSY kommt immer noch eine Meta-Schleife oben drauf.

    Charlie: Aber worüber macht er sich überhaupt lustig? Über sich selbst im Grunde, über das Dasein als Rapper, aber steckt dahinter die These: Die Jugend von heute weiß nicht, was Arbeit ist?

    Till: Ich weiß nicht, ob man ihm das unterstellen kann. Ich denke schon, dass DISSY sehr bei sich bleibt und eben von persönlichen Erfahrungen ausgehend schreibt. Also, dass dieses Lied nur insofern eine Aussage über die Gesellschaft trifft, als dass man sich darin wiedererkennen kann. Das schätze ich auch an DISSY: Dass hier eben nicht mit pauschalen Aussagen reißerisch gearbeitet wird, sondern die Sozialkritik ergibt sich erst über den Weg der Identifikation.

    Charlie: Sein Video ebnet sich natürlich trotzdem diskursiv ein, aber eben nicht mit klarer Festlegung, sondern als Gedankenschleife. 

    Till: Es gibt hier tatsächlich einfach keine klare Message. Das steht ihm im kommerziellen Sinne vielleicht tatsächlich etwas im Weg: DISSY spricht vor allem über sich selbst und dreht dann noch fünf Donuts mit dem Kastenwagen auf der Metaebene. Eher selbstreflektives Privatprojekt als Karriere.

    Charlie: Was seine Videos allgemein prägt, ist dieser Ideenüberschuss. Es passt dann total, dass es sich hier um ein Split-Video handelt, weil er einfach enorm viele Ideen hat und sein Video mit neuen Einfällen und Ebenen zukleistert. 

    Till: Wenn ich seine Videos schaue, beschäftige ich mich wenig mit den Fragen, sondern stelle mich erstmal davor und bin ein bisschen beeindruckt. Es ist krass, wie viele seiner Ideen so stark verflochten sind und auch Sinn zusammen ergeben. Über den zweiten Teil haben wir jetzt noch gar nicht gesprochen.

    Charlie: Seine Sommersprossen kommen gut zur Geltung. »Cringe« ist halt jetzt auch schon Jugendwort des Jahres, da ist er eigentlich wieder hinterher.

    Till: Aber genau das ist doch cringe – perfekt.

  • Darién Geep »Paradise Pigeon« (R: Paul Lejeune)

     

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    Till: Man kann halt eigentlich niemandem erzählen, dass wir dieses Video statt Arca genommen haben. Aber hey, ist ja alles subjektiv. »Visualizing Music – die besten Musikvideos des Monats«.

    Charlie: Ja, Arca hat halt wieder ihr beeindruckendes visuelles Universum erweitert, aber es geht eben auch bescheidener. Dieses Video ist mega beruhigend, oder? Viele Flugwesen, sehr skizzenhaft, dadurch recht leichtfüßig und unaufgeregt.

    Till: Das Skizzenhafte erlaubt eine immerwährende Wandlung der Figuren. Wäre das super durchillustriert, dann wären die Übergänge, wie sie sind, nicht ganz möglich. Die Figuren lösen sich ständig auf.

    Charlie: Ja, manchmal geht es ineinander über, irgendwann gewinnt das Video eine surreale Qualität, mit den Menschen, die auf Kreisel schauen. Alles sehr verträumt, gegen Ende des Videos wird es aber zunehmend trippy. Beispielsweise diese abstrakter werdenden Schraffuren, die sich über das ganze Bild ausdehnen.

    Till: Gegen Ende sehen die Pinselstriche dann ganz anders aus. Dann wird das Bild sogar noch invertiert, weiß auf schwarz.

    Charlie: Insgesamt wirkt das Video sehr schlüssig. Und überhaupt eben nicht so überambitioniert, aber extrem charmant. Sweet.
    Till: Mit der Spiegelung wird sehr viel gespielt. Der Vogel nimmt am Anfang Drogen, oder? Und dann wird er zur Vielheit, das ganze Video ist ein abenteuerlicher Trip. Verwandelt sich in eine fliegende Banane, in Mikrofon und Flieger, Schallwelle und Palme. Interessant ist, dass es viele gegenständliche Objekte gibt, Abbildungen beinahe, die abstrakter werden und dann zum Bild im Bild übergehen. Kleineres Rechteck auf dem großen Rechteck des Bildschirms, darin passiert etwas mit der Form des Gegenständlichen, was zuvor da war. Als Zuschauer fliegt man hindurch, das Video zieht einen hinein in den Trip. Die Zeichnungen durchschreiten alle Bildebenen, das macht auch etwas mit der vierten Wand. Als wäre der Bildschirm bloß eine weitere Bildebene, die überschritten werden kann.

  • KUMMER feat. Fred Rabe »Der letzte Song« (R: Philipp Weiser / Hotel Rocco)

     

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    Till: Wieso ist KUMMER so viel besser gekleidet als sein Featuregast? Fred Rabe sieht aus wie die Herbstkollektion von H&M 2012. Naja. Als es alle Klamotten nur noch in Senfgelb und Dunkelblau gab.

    Charlie: Kleine Anekdote zum letzten Song: Die erste Band, die ich in meinem Leben live gesehen habe, bzw. mir Konzerttickets geholt habe, war Kraftklub. Als Vorband von Casper im Kamp in Bielefeld. Dementsprechend war Kummer mein erster Live-Act.

    Till: Da hast du damals einen Underground-Geheimtipp kennengelernt.

    Charlie: Diese Flattermänner, oder auch »Tube Men« sind spannend, denn es gibt einen Künstler, der ganz stark damit arbeitet, Doron Gazit heißt er. Cyprien Gaillard hat gerade ebenfalls bei der Ausstellung Berlin Atonal ein riesiges tanzendes Aufblasmännchen in der Halle platziert, dazu ein großes Soundsystem. Hier sind die Männchen Kulisse und korrespondieren ein bisschen mit KUMMER, der auch gegen den Wind zu kämpfen scheint.

    Till: Ich finde, das Video zeigt sehr gut, wie viel Gespür KUMMER für Stimmungsdynamiken hat. Am Anfang ist der Song schnell, laut, das Video zwar in Zeitlupe, aber voller Action. Dann wird das Lied mit dem Refrain sehr still und die beiden stehen in Gelb, eine hoffnungsvolle Farbe, vor dem blauen Block, eine beruhigende Farbe. Und diese Aufblasmännchen haben etwas total Melancholisches, sich im Wind treiben zu lassen. Im zweiten Refrain steht der Block auf der Wiese, es wird wieder ruhig und sie stehen quasi im Windows-Screensaver. Dazu natürlich: »Alles wird gut«, während die Strophen natürlich klarmachen, dass dem nicht so ist.

    Charlie: Im Grunde hat das Video zwei Sphären. Einmal das Cleane, in sich ruhende Runde und Abgestimmte. Da scheint so schön die Sonne, die reflektiert noch auf der Linse. Das ist alles zu perfekt. Und dann diese Zwischenschnitte…

    Till: Ah, ich sehe gerade LGoony im Video! Schau mal, da ist auch die gesamte Band Blond und BLVTH und auch KeKe.

    Charlie: Die Zwischenschnitte, etwa die Zeitlupe mit dem Fall und der Bilderstrudel mit den Ausschnitten aus all seinen Musikvideos. Diese Ausbruchsimpulse agitieren im Grunde gegen die durchgestylten Performanceszenen. 

    Till: Während er fällt, trifft das Sonnenlicht bei 1:55 kurz seine Augen. Daraufhin lässt er seine Karriere Revue passieren. Das ist natürlich auch ein wenig ähnlich zum Mythos, dass sich beim Tod das eigene Leben wie ein FIlm vorm inneren Auge abspielt.

    Charlie: Ja, die Bilder sind ziemlich bedeutungsvoll aufgeladen. Dieser blaue Würfel, den er auch auf der Tour verwendet, hat wieder etwas von einer Kunstinstallation. Das Video zeigt KUMMER als vollständig angekommen und bemüht sich dann, dieses Bild wieder zu dekonstruieren. Am Ende dann besänftigendes Vogelgezwitscher.