Visualizing Music – Die besten Musikvideos des Monats: Juni bis September 2022

An dieser Stelle sprechen Till Wilhelm und Charlie Bendisch monatlich über die besten Musikvideos, weil das einfach zu wenig getan wird. Dieses Mal mit M.I.A., Pashanim und schon wieder Stromae.

image0-2
Nach einem schönen Abend mit tollen Musikvideos und tollen Gästen im Filmrauschpalast Moabit setzte sich Charlie im Juli überraschend nach Kolumbien ab. Till brach sich daraufhin den Ellenbogen und litt an Covid, man einigte sich auf eine Sommerpause. Nun sind die Tage wieder düster und die YouTube-Playlist prall gefüllt mit starken Musikvideos, Visualizing Music ist zurück – mit Zeitverschiebung. Noch im Juli bedienten sich Stromae und Camila Cabello an Reality-TV und House Horror, im August veröffentlichte M.I.A. ein merkwürdiges Audition-Tape mit Doppelgängerin. Die Dreifaltigkeit medialer Referenzen komplettiert Pashanim im September mit dem Diashow-Video zu »Doppel G«. Auch mit dabei: Black Midi und ein verhängnisvoller Boxkampf, UWE mit einer nebulösen Untersuchung der Phänotyps der Herrschenden und Maxo und Pink Siifu schichten Bild auf Bild, als würden sie Stacks stapeln. Na, dann kann’s ja wieder losgehen.

Die YouTube-Playlist zur Kolumne findet ihr hier.

Liste starten

  • Pashanim »Doppel G« (R: Pashanim & Paul Fanger)

    Till: Erster Eindruck?

    Charlie: Toll, überfordert, weil es mega schnell ist. Gut gemacht, weil man total reingesogen wird. Man spürt die diversen Einflüsse total und die wichtigen Elemente von Pashanims Ästhetik destillieren sich auch schön heraus.

    Till: In den letzten Jahren finde ich es im Deutschrap interessant, dass digitale Formen ihren Weg in die musikalische und visuelle Ästhetik finden. Das erste Mal richtig wahrgenommen habe ich das wahrscheinlich bei »Don’t Like« von RIN. Der ganze Song ist ein Moodboard, da werden einfach Stichpunkte zusammengestellt. Symba hingegen klingt manchmal, als würde er eine Twitter-Timeline vorlesen, Tracks wie »Holiday Inn« oder auch »Paris Freestyle« von Pashanim wirken wie VLOG-Rap. »Dann sind wir nach Paris geflogen, da habe ich mir eine Tasche gekauft, jetzt bin ich wieder in Berlin.« Und hier bei »Doppel G« eben: Die gesamte iPhone-Fotogalerie, in einer Slideshow, die genau auf die Drums getaktet ist.

    Charlie: Genau, daher dieses Tempo. Das Lyrische und das Visuelle greifen komplett ineinander. Witzig, was da alles so zitiert und aneinander montiert wird. Chief Keef trifft Wim Wenders’ »Himmel über Berlin«, nach dem das Album benannt ist.  

    Till: Auch Dönerläden und Autos – schön auch, dass die Fotos ganz unterschiedlichen Zuschnitt und Auflösung haben. Manchmal sind es auch einfach random Memes.

    Charlie: Auch Serena Williams. Übrigens war genau der Clip von Serena Williams bei 1:16 auch in Arthur Jafas »Love is the Message, the Message is Death« zu sehen. Dieses Diashow-Format erinnert auch an Jafas Image-Books. Zumindest im Aspekt des intuitiven Sammelns.

    Till: Na ja. Abgesehen davon ist »Doppel G« in meinen Augen sehr weit entfernt von der ästhetischen Erfahrung, die Arthur Jafa bietet. Gerade durch die genaue Taktung geht der improvisatorische Aspekt verloren und die Bilder können kaum ins Spiel miteinander treten. Dieses Video treibt das Konzept der Bilderflut soweit, das selbst die eigentlichen Bedeutungen der Motive in der Rezeption verblassen.

    Charlie: Total, das Video ist auch sehr an die Figur Pashanim gebunden.

    Till: Ein Schnelldurchlauf durch seine charakterlichen Bauteile vielleicht, aber es entsteht keinerlei Bedeutung abseits dessen. Selbst die klaren politischen Botschaften zu Palästina und Kurdistan, die eigentlich Anstoß von Debatten sein könnten, verblassen hier und verlieren ihre Schlagkraft komplett. Und werden dann auch wieder ausgehebelt durch die türkische Flagge, oder?

    Charlie: Das Bild mit der türkischen Flagge zeigt ja Christoph Daum.

    Till: Ah, stimmt, siehst du. Das geht dann wieder in den Bereich Meme, aber in dieser Schlagzahl lässt sich der Unterschied gar nicht mehr wahrnehmen. Klar setzt er Statements, aber der kurdische Freiheitskampf verkommt dann zu einer Referenz unter Tausenden. Auf einem Level mit dem Stockfoto vom Apple Store Ku’damm.

    Charlie: Diese Dinge werden gleichgewichtig. Trotzdem sollen diese Bilder seine Position und seinen Alltag widerspiegeln, glaube ich.

    Till: Die Aussage geht verloren. Aber genau das ist ja das Interessante an dieser Slideshow-Ästhetik. Ich würde ja sagen: Slice of Life. Aber dafür ist »Doppel G« wahrscheinlich auch zu opulent. Ich mag die Stelle bei 1:08 sehr gerne, bei der er erzählt, wie es mit 19 Jahren so war. Wie bubihaft er da noch aussieht, das ist sehr lieb.

    Charlie: Ist er eigentlich immer noch independent?

    Till: Nee, der ist schon bei Universal gesignt, Max Mönster würde sich das nicht entgehen lassen.

    Charlie: Moment mal, ich glaube, ich habe gerade Godard gesehen.

    Till: Das ist so random, da kann direkt dahinter ein iCarly-Meme kommen.

    Charlie: Godard mag natürlich auch diese Bildschnipsel-Verarbeitungen, von seinen Materialarrangements in »Histoire(s) du Cinéma« (1988-97) bis hin zu seiner ephemeren Filmcollage »Le Livre d’image« (2018) hat er immer mit großer Hingabe vorgefundenes Material miteinander verwoben und in Beziehung gesetzt. Godard ist vergangenen Monat gestorben, sein Porträt bei Pashanim also als ein flüchtiges, bildliches Rest in Peace. Direkt danach Kodak Black. Der 2015 verstorbene A$AP Yams wird auch öfters eingebaut. Da werden natürlich einige Linien und Einflüsse sichtbar.

    Till: Und vieles ist einfach reingeworfen. Mein Group Chat ist weniger chaotisch. Wenn man hier einzelne Frames isoliert ausstellen würde, könnten die total bedeutungsgeladen rüberkommen. Ich mache uns jetzt ein neues Zoom-Meeting.

  • Black Midi »Sugar/Tzu« (R: Noel Paul)

    Charlie: Erstmal bildet das einen totalen Kontrast zu Pashanim. Was hier wunderschön ist für mich, ist dieser eigenwillige Rhythmus. Bei Pashanim schmiegen sich die Bilder an den Beat, sehr gleichförmig. Auch das Video zu »Sugar/Tzu« ist eng mit der Musik verbunden, aber durch die verschiedenen Spielereien mit Rhythmen sehr dynamisch. Der erste auffällige Synchronität ist dieses Zungenschnattern von dem Äffchen. Das wird eigentlich auch immer wieder aufgegriffen, beispielsweise in dem blinkenden Smartphone bei 3:18. Oder in seiner Brustmuskulatur bei 0:42.

    Till: Ja, das geht dann immer wieder mit den Drums zusammen. Würdest du sagen, Black Midi ist Math-Rock?

    Charlie: Ist da so viel Math drin?

    Till: Zumindest sind diese krassen Tempo und Rhythmuswechsel ja typisch. Aber eigentlich müsste das dann auch im 7/16-Takt sein oder sowas.

    Charlie: Ich verorte Black Midi immer sehr vage zwischen Jazz und Alternative Rock, aber eigentlich zeichnet sie ja gerade aus, dass sie sich multipler Stile bedienen, zwischen ihnen wechseln und sich immer wieder überraschende Elemente in den Songs finden .

    Till: Die langsamen, atmosphärischen Liedpassagen sind mit Videosequenzen in Slow Motion gepaart. Und die Parts mit sehr hektischen und lauten Drums werden stark synchronisiert mit Schlägen und Zuckungen. Der Song erzählt die Geschichte von diesem Boxkampf am 31. Februar 2163. Clash of the Century. Es ist also ein futuristisches Szenario, dafür sieht das Publikum aber sehr nach Nullerjahren aus. Gerade die jungen Leute auf den Motorrädern, die sogar Linkin Park-Shirts tragen. In diesen Sequenzen denke ich eher an so typische Rio Funk-Videos.

    Charlie: Die zappligen Bewegungen erinnern eigentlich stark an Stummfilme.

    Till: Klar, diese überzeichneten Boxerfiguren sind auch typisch für den frühen Film, der immer wieder zirkusreife Körperspektakel zum Gegenstand hatte. Im Songtext scheint es mir so, als sei dieses kleine Mädchen, das den Boxer Sun Sugar erschießt, auch die Ich-Erzählerin.

    Charlie: Also schüttelt sie ihm die Hand und tötet ihn dann?

    Till: Ja. Sun Tzu gewinnt durch den Tod seines Gegners, es ist kein Doktor vor Ort. Im Outro heißt es dann, die Ich-Erzählerin sei im Gefängnis, zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie bekommt Liebesbriefe als »youngest executioner in tabloid memory«.

    Charlie: Boah, die Genius-Annotationen sind sehr ausführlich.

    Till: Der Song bleibt offen für Interpretationen.

    Charlie: Eigentlich scheint sie ja ein Fan zu sein.

    Till: Ja, das ist die Frage: Warum erschießt sie ihn? Vielleicht hatte sie den Auftrag.

    Charlie: Auf jeden Fall toll, wie sie visuell eingeführt wird. Erst schaut sie bei 1:06 durch ein Guckloch, dann schlüpft sie ganz langsam aus der Tasche. Das Video hat auch einen bizarren Grusel, eine Faszination mit dem Monströsen, auch im Publikum.

    Till: Auch durch diese Virtual Reality-Epilepsie des Schiedsrichters. Gleichzeitig ist alles total weichgezeichnet, die Lichter haben einen sanften Glow, der die Brutalität konterkariert.

    Charlie: Dadurch potenziert auch das Traumhafte des Videos, insbesondere wenn die Jugendlichen in die Kamera starren und ihre verschwommenen Körper geisterhaft leuchten. Was sagst du zum Kind, das zum Schluss im Knast an der Wand liegt?

    Till: Das geht dann ja zusammen mit dem Outro des Songs. Sun Sugar wäre nichts ohne seine Henkerin. Warum das Kind da jetzt so im Raum hängt, weiß ich auch nichts.

    Charlie: Ah, das sind dann auch die ganzen Briefe der Verehrerinnen. Was steht denn da drin? »Je t’aime«, »I love you always«, »I want you«.
    Till: »Fuck fuck fuck fuck fuck«. Gibt Schlimmeres!

  • M.I.A. »Popular« (R: Arnaud Bresson)

    Till: M.I.A., sie ist immer noch am Start.

    Charlie: Und ein bisschen muss man sagen: Sie springt auf einen musikalischen Trend auf. Der mittlerweile global allgegenwärtige Dembow-Reggaeton-Beat ist da jetzt zumindest sehr präsent.

    Till: Der Dembow passt natürlich irgendwie zu dem Thema, das hier verarbeitet wird, also die Reproduzierbarkeit und Austauschbarkeit der populären Stars und Instagram-Figuren. Dieser Beat, seit Jahren omnipräsent, wird so ausgearbeitet, wie er in die eigene Ästhetik passt. Auch »Popular« verweist wieder auf ein existierendes mediales Format. Nach Diashow und Reality-TV haben wir hier das Audition-Tape. Gerade mit dem Timecode am unteren Bildschirmrand und dieser krissligen, niedrigen Bildqualität.

    Charlie: Diese VHS-Ästhetik.

    Till: Die wird gebrochen, wenn das Video in den digitalen Raum übergeht.

    Charlie: Das Video ist voller ganz eigentümlicher Bewegungen. Wie sie dann bei 2:12 tanzt, das ist total zappelig und natürlich motorisch zum Beat. Ist eben eine künstliche Intelligenz. Die Unzulänglichkeit dieses Roboters wird sehr deutlich herausgestellt. Einfach, weil alles noch sehr holprig aussieht.

    Till: In dem Video läuft zusammen, dass M.I.A. einerseits die eigene Ersetzbarkeit reflektiert und andererseits dem Alter Ego schon auch alles selbst beibringt, bevor sie die K.I. tötet. Deutlich wird das etwa mit den Fingerpistolen bei 1:32, eine klare Referenz an ihren eigenen Über-Hit »Paper Planes«. Damit zeigt sie durchaus, dass sie diese medialen Spiele durchaus versteht und mitspielen kann. Am Ende möchte das Video aber die Performanz im digitalen Raum unterlaufen und brechen.

    Charlie: Und gleichzeitig wirkt es am Anfang schon so, als würde sie sich wünschen, dass jemand ihre Stelle einnimmt. Sie bringt ihrer Doppelgängerin ja alles bei und scheint auch Spaß zu haben, wenn sie Regieanweisungen gibt.

    Till:  »Popular« ist auf jeden Fall mehr als eine platte Kritik an Influencer*innen, das Video dokumentiert auch das eigene Scheitern an den Image-Spielchen. Die echte M.I.A. bleibt hingegen komplett unberechenbar. Pünktlich zum Albumrelease gab es nun Schlagzeilen aufgrund eines Tweets, in dem sie den rechtsextremen Verschwörungstheoretiker Alex Jones scheinbar in Schutz nimmt und sich außerdem gegen Impfungen positioniert. In einem Interview mit dem Guardian sagte sie, in ihrem Umfeld wären drei Menschen an einer Covid-Impfung gestorben. Man darf natürlich bezweifeln, dass es so einfach ist. Ein Roboter kann allerdings solche Schwurbeleien nicht unbedingt ersetzen.

    Charlie: In Bezug auf »Popular« muss man auch sagen: Diese Zwischenschnitte, die Social Media thematisieren, bleiben häufig zu generisch. Also diese hochschnellenden Like-Zahlen, die akzelerierte Montage und auch K-Pop als Inbegriff von Massenkultur – alles ziemlich einfallslos. Das fand ich schade, da flacht die sonst unangestrengte Kritik ein wenig ab.

    Till: Selbst die Hinleitung zu diesen Bildern ist recht beliebig durch die typischen TikTok-Tänze und -Posen.

    Charlie: Es ist fast wie eine Anleitung. Als würde M.I.A. dem Roboter zeigen: Guck mal, so funktioniert die Welt, das musst du verstehen.

    Till: Dann darf der Roboter endlich selbst in die Analyse.

    Charlie: Am Ende steht wieder der Tod.

    Till: Mir fehlt da irgendwie noch das Frustmoment – zumindest im Video. Warum erschießt sie die falsche M.I.A.? Im Kontext ihrer aktuellen Äußerungen passt natürlich diese Pose: Dass sie nur real und authentisch wäre, alle anderen fake. M.I.A. als große Kämpferin gegen die Verlogenheit der Welt. Dazu kommt bei 2:42 die Nahaufnahme mit dem traurigen Lächeln des Roboters. Wie heraus gezwungen. Vielleicht ist der Mord am Ende auch ein Gnadenstoß.

    Charlie: Vielleicht, weil sie das ihrer Doppelgängerin nicht antun will, ja.

    Till: Regie geführt hat Arnaud Bresson, den kennt man, oder?

    Charlie: Genau, er hat für Kanye das Archiv-Deep-Fake-Video zu »Life Of The Party« gemacht. Diesmal hat er übrigens mit dem Deep-Fake-Künstler  French Faker zusammengearbeitet. 
    Till: Ein Franzose. Alles klar. Da hat er ja mit Kanye und M.I.A. gerade zwei absolute PR-Katastrophen am Hals.

  • UWE »Politisch Korrekt Sein« (R: Jansen & UWE)

    Charlie: AI-Spielereien und Deep-Fakes in Musikvideos sind definitiv ein Trend, hier haben wir also das deutsche »The Heart Part V«. Das ist aber nicht das erste Video von UWE, in dem sie mit Deep Fakes spielen, es gab im Oktober 2020 schon »Junge Milliardäre«, da sang ein selbstverliebter Elon Musk den Text. Für das Video erhielt UWE damals den MuVi Preis beim Internationalen Kurzfilmfestival in Oberhausen. Bei solchen Körpermorphungen schwingt immer ein gewisser Grusel mit.

    Till: Auch durch das quadratische Format erinnert das Video an die DALL-E 2-Bilder, die zurzeit einen größeren Hype haben. Das ist ein Generator, der aus Stichpunkten immer neun Bilder erstellt, da gab es eben viele Memes und virale Posts. Es gibt sogar einen ganzen Twitter-Account namens »Weird Dall-E Mini Generations«

    Charlie: UWE haben allerdings ihre AI mit 10.000 Porträts realer westlicher Politiker gefüttert. Daraus wurden dann eben all diese neuen Porträts generiert.

    Till: Da steht der Satz: Die folgenden Politiker existieren nicht. Eigentlich wäre es mal lustig, die Suchmaschinen nochmal rückwärts laufen zu lassen. Vielleicht hat man ja zufällig ein Porträt generiert, dessen reale Entsprechung doch da draußen rumregiert. Bei den meisten dieser Bilder hätte ich auf jeden Fall nicht mit der Wimper gezuckt, wenn mir jemand sagt, das ist ein Bundestagsabgeordneter.

    Charlie: Man fragt sich natürlich: Warum machen die das? Es scheint ein Interesse daran zu geben, welche Gemeinsamkeiten sich dabei herausschälen. Gibt es einen bestimmten Typus der Herrschenden im Westen?

    Till: Ich habe damit folgendes Problem: Objekt der Kritik wird hier doch ein bestimmter Phänotyp – und nicht etwa die tatsächliche Politik, die Menschen mit diesem Aussehen vielleicht machen. Die sind natürlich alle sehr weiß, sehr gestriegelt. Aber kann man daraus tatsächlich irgendwas ableiten? Dass Menschen mit anderem Aussehen auch andere Politik machen würden, das ist nicht unbedingt belegbar. Weiß und privilegiert, das ist schonmal etwas. Darin erschöpft sich die Idee des Videos dann in meinen Augen recht schnell.

    Charlie: Interessant sind natürlich schon die verschiedenen Frisuren, die verschiedenen politischen Ären, auch, wenn das Video dann ins Schwarz-Weiß geht. Am Ende bleibt es natürlich eine Spielerei. Und lustig, wie sie sich zur Musik bewegen.

    Till: Mit dem Schunkeln und Augenbrauen-Wackeln dieser Porträts bekommt das ganze einen heftigen Schlager-Swag.

    Charlie: Es gibt ja auch diese peinlichen Aufnahmen von tanzenden Politikern bei Parteitagsfeiern. Verhaltenes Schunkeln.

    Till: Mir wird nicht so ganz klar, welche Position dieses Lied einnimmt. In der ersten Strophe klingen die Sätze nach konservativem Gebabbel, in der zweiten Strophe gibt es diese offen rechtsradikale Drohung: »Bald machen wir aus Menschen wieder Lampenschirme«. Das ist total drüber. Im Refrain geht es anscheinend um die Doppelmoral von Bioladen und SUVs. Ich weiß nicht, aber das ist doch total beliebig. Hier mal Konsumkritik, da mal gegen die da oben, dann mal gegen Nazis. Wogegen richtet sich denn die Kritik? Das ist nicht konsistent.

    Charlie: Voll, das driftet in viele Richtungen und wird dadurch unklar.

    Till: Und mit den gleichförmigen Politikern hat das dann auch nicht mehr viel zu tun.

    Charlie: Die Gleichförmigkeit und das Abgeschirmte ist eigentlich der Kern der Kritik. Political Correctness ist natürlich ein rechter Kampfbegriff, es verwundert dann, dass eine linke Band den aufgreift. Ich fühlte mich aber erinnert an diese Szene von Scholz, in der er Klimaaktivisten zurechtweist und angeblich mit den Nationalsozialisten vergleicht. Das Publikum klatscht unter anderem auch, weil jemand den ach-so-anständigen Diskurs hochhält. Als wäre die Redeordnung wichtiger als alle Inhalte. Die Kritik von UWE richtet sich in meinen Augen schon gegen diese Diskursversessenheit, in der Menschenfeindlichkeit toleriert wird, solange sie sich gewählt ausdrückt. »Paar Tage campen gehen für Sneaker / Und nächste Woche retten wir die Welt« – da geht es vielleicht gar nicht um die Doppelmoral, sondern darum, was man noch als erträglich für die Debatte sieht, und dieses oszillieren zwischen Pathos und Konsumfixierung. 
    Till: Dazu kommt: Der Text beinhaltet so viele Touchpoints, dass man sich vorstellen könnte, er wäre von einer AI geschrieben. Der Zusammenhang dieser Referenzen bleibt aber so nebulös wie die ineinander übergehenden Politikerporträts.

  • Maxo & Pink Siifu »48« (R: Vincent Haycock)

    Charlie: Das Video ist zweigeteilt, die erste Hälfte etabliert direkt den Suspense. Eine verlassene Straßenecke und eine flatternde Krähe oben im Bild, die hinter der Straßenlaterne lauerte.

    Till: Schön, dass der erste Teil so eingeklammert ist, weil sich das Bild öffnet und dann wieder schließt. Das ist episodenhaft, wie ein geträumtes Zwischenspiel.

    Charlie: Es ist ein Gefühl von Trance und eine bedrohliche Grundstimmung. Dann verliert er seinen Kopf.

    Till: Als erstes verliert er den Körper. Bei 1:02 fehlen schon die Hände.

    Charlie: Stimmt, aber er steht noch.

    Till: Nur die Kleidung hält noch zusammen.

    Charlie: Irgendwie ist eine Form von Körperbewusstsein da, er boxt und schlägt um sich, die Leute gehen einfach vorbei. Das hat eine total schöne Mystik und Poetik in dieser Hood-Umgebung.

    Till: Gerade weil es so eine existentielle Angst darstellt, die ihren Ausdruck in dem langsamen, rauschhaften Gesang findet. Die Angst, vergessen zu werden, die Frage, was von einem bleibt. Am Ende sind es nur die Schuhe.

    Charlie: Das wiederum ist ein universelles Bild: Ein Paar Schuhe ohne Besitzer, ohne Kleidung.

    Till: Auch in Berlin. Normalerweise glaubt man, da hat jemand Schuhe verloren, aber in dem Fall sind sie das Einzige, was bleibt. Sie haben den Menschen verloren.

    Charlie: Dann geht das Video zum eigentlichen Song über, bleibt aber schwarz-weiß. Auf einmal ist das Bild sehr krisselig, es wird mit Überblendungen, Überlagerungen, Bildtexturen und Zooms gespielt.

    Till: Das begeistert mich am meisten. Die Bildschichtungen, dass man teilweise drei, vier, fünf Motive in einem Frame hat, die auch aus ganz unterschiedlichen Medien stammen. Teilweise wie Stillleben, Nahaufnahmen, es rennt jemand oder die Kamera schwenkt durch den Raum. Teilweise, etwa bei 3:43, ist eine Bildebene so weit verlangsamt, dass die Lichtstreifen wie Fotografien wirken. Natürlich bietet die zweite Hälfte auch musikalisch und lyrisch viel mehr Tiefe, viel mehr Vielschichtigkeit als die erste, die natürlich sowohl vom Look als auch vom Erzählten sehr clean und geradlinig ist.

    Charlie: Voll. Gleichzeitig werden da viele Themen miteinander verbunden – es gibt den Hood-Alltag vor dem Jewelry Store, sie rauchen, die Kreuzung wird auch wieder eingeführt. In den Schichtungen wird dann nochmal Anderes thematisiert. Familie, Freunde, Zusammenhalt, das ist das letzte Bild, in dem alles aufgeht, die Stränge gewissermaßen hoffnungsvoll versöhnt zusammenlaufen.

    Till: Pink Siifu beginnt den Part mit »Big up to the ones that I still got around«, währenddessen umarmt er im Video eine Frau, das könnte seine Mutter sein. An anderer Stelle dreht sich der Song um Tod und Gefängnis.

    Charlie: Im Endeffekt tatsächlich ein sehr existentieller Track.

    Till: Übrigens produziert von Madlib.

    Charlie: Krass, das steht gar nicht dabei.

    Till: Nee, die flexen hier nicht. Es steht aber auf Genius. Maxo ist wahrscheinlich auch neben Frank Ocean der Letzte, der immer noch einen Tumblr-Blog führt. Der ist in der Beschreibung verlinkt, da postet er auch Video-Stills und andere Bilder.

    Charlie: Ja, die Bilder aus der zweiten Hälfte funktionieren sicher auch als Fotos sehr gut. Die Überblendungen sind nicht nur visuell reizvoll, sondern bedeuten auch immer ein Dazwischen-Sein der Protagonisten. Zwischen den Orten, zwischen den Narrativen, zwischen den Körpern.

    Till: Gerade da bilden die Überblendungen auch Brücken. Wenn bei 4:05 im schwarzen Bildteil einer Einstellung das nächste auftaucht, dann wird das gesamte Video enger zusammengewoben.