Visualizing Music – Die besten Musikvideos des Monats Juni 2021

An dieser Stelle sprechen Till Wilhelm und Charlie Bendisch monatlich über die besten Musikvideos, weil das einfach zu wenig getan wird. Im Juni mit Tyler, The Creator, Megan Thee Stallion und Maeckes.

VISUALIZING JUNI21
Oh je, es ist die große Mund-zu-Mund-Ausgabe unserer sonst so visuell angelegten Kolumne. Zähne zeigen ist angesagt! Bei der US-amerikanischen Band L’Rain zeigt sich das nur im Songtitel »Suck Teeth«, ansonsten zieht sie uns in den Bann ihrer ausgelaugten Trance. Dann aber beraubt Megan Thee Stallion einen fiesen Hater seiner verbalen und bildlichen Repräsentation und kehrt Gender-Machtverhältnisse um. Vince Staples und Mick Jenkins liefern hingegen paranoiden Horror, das breite Grinsen der Bedrohung ist dabei das Zünglein an der Waage, welches die Atmosphäre kippen lässt. Staples behandelt die Tücken des Erfolgs, Jenkins visualisiert gesellschaftliche Konflikte wie Gentrifizierung und Verdrängung Schwarzer Menschen. Zuletzt dreht Maeckes den Spieß der Sensibilität um und läuft mit schallendem Lachen durch einen Funpark turned-wrong, in dem sich die Eindrücke »wie Spitzen und Kreissägen« in den eigenen Körper bohren. Und Tyler, The Creator steht wie immer etwas außerhalb und erzählt einen Schwank aus seinem Leben, von Liebe und Reise, dabei wirkt er genau so extraordinär wie fehl am Platz im Kindergeburtstag des Lebens. Till Wilhelm und Charlie Bendisch hoffen, es mundet – Zähne zu und durch!

Die offizielle Youtube-Playlist zur Kolumne findet ihr hier.

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  • Megan Thee Stallion »Thot Shit« (R: Aube Perrie)

    Till: Zum Ende des Videos noch eine kleine Portion Body Horror.

    Charlie: Ich musste gerade an »Pieles« denken, den ich vor Jahren mal bei der Berlinale gesehen habe. Der wie immer in rosa getränkte Film von Eduardo Casanova interessiert sich sehr für Körper, die unsere Sehgewohnheiten herausfordern. Im Figurenensemble finden sich unter anderem eine Person mit Anus statt Mund. Der letzte Twist ist ja aber nicht das Zentrum des Videos von Megan Thee Stallion. Sie stellt hier Arbeiten in den Fokus, die gesellschaftlich unsichtbar gemacht werden. Care-Arbeit, aber auch Diner-Bedienungen, Putzkräfte, Müllwerker. Nicht nur thematisch – Megan und die Tänzerinnen nehmen immer mehr Bildfläche ein. Schon durch das Twerking sind viele Frames überfüllt. Zu Beginn des Videos steht der männliche Protagonist noch im Fokus, später rückt er in den Hintergrund. Die Kamera interessiert sich nur noch für Megan Thee Stallion.

    Till: Bei 03:30 kommt er aus dem Hausmeisterbüro, man sieht ihn schon nur noch schnell durchs Bild huschen. Kurz darauf filmt die Kamera die am Boden twerkenden Tänzerinnen. Während deren ganzer Körper zu sehen ist, laufen die durch den Bildrand abgeschnittenen Beine des Senators durch die Einstellung. Häufig ist es ja eher so, dass die Körper der Tänzerinnen in Musikvideos durch die Kamera zerstückelt werden.

    Charlie: Der Senator wird zum Fremdkörper, zum störenden Element im Bild. Auch interessant ist die Szene im OP-Saal. Hier findet sich das Video im Zentrum der gegenwärtigen Care Revolution-Diskurse ein. In den letzten Monaten wurde die Sensibilisierung für die Situation der Pflegekräfte durch die Pandemie enorm befeuert. Megan Thee Stallion trägt in dieser Sequenz ein feministisches Emblem auf ihrer Mütze.

    Till: OP-Zimmer, Hausmeisterbüro, Badezimmer, Lieferantenzugang – der Protagonist taucht später immer wieder an Orten auf, die auch gesellschaftlich unsichtbar gemacht werden. Alleine die Vertreibung aus dem Büro als Zentrum der Macht hin zum Bildrand, zu gemiedenen Orten, stellt einen direkten Machtverlust des Mannes dar.

    Charlie: Nachdem Megan Thee Stallion ihm die visuelle Repräsentation genommen hat, folgt mit dem Twist am Ende auch der Verlust der verbalen Potenz. Die Dominanz dieses Mannes ist sabotiert.

    Till: Während des Telefonats am Anfang wird eine Doppelmoral des Senators deutlich gemacht: Er schreibt einen Hasskommentar, um anschließend zum Video zu masturbieren. Darauf folgt der Anruf von Megan, die ihn zur Rede stellt. In diesem Video ist Feminismus nicht zentral ein ideeller Kampf um Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit, sondern vor allem eine Frage von Anerkennung und Respekt. Der Senator wird für seine Respektlosigkeit bestraft, in gewisser Weise eine Fantasie von ausgleichender Gerechtigkeit.

    Charlie: Natürlich interessant, dass der Senator sich ausgerechnet das Musikvideo zu Megan Thee Stallions »Body« anschaut, wenn man bedenkt, dass Megan mit dieser Figur ihre eigenen Hater imaginiert.

    Till: Klar, »Thot Shit« selbst handelt vor allem vom persönlichen Kampf Megans um Anerkennung und Respekt. Der Song hält sich weniger mit Genderfragen auf, speist sich mehr aus eigenen Erfahrungen.

  • L'Rain »Suck Teeth« (R: Nathan Bajar)

    Till: L’Rain ist eine Band aus den USA, die Frontsängerin hier im Video heißt Taja Cheek und viel mehr weiß man auch nicht unbedingt über die Gruppe. Es fällt mir jetzt auch schwer, sie einem klaren Dunstkreis oder Genre zuzurechnen.

    Charlie: Ihr Album heißt »Fatigue«, das fand ich sehr gut. Das Video hat mich an Memory erinnert, das Spiel. Immer wieder werden die gleichen Bilder aufgedeckt und man versucht, Konstellationen, Zusammenhänge und Synchronisierungen zu entdecken. Es ist schon interessant, dass die Aufnahmen sehr privat wirken, nicht aus anderen Sphären appropriiert werden, keine Youtube-Schnipsel, kein altes Archivmaterial. Das unterscheidet dieses Video von vielen anderen, die diese Screen-in-Screen-Ästhetik verwenden. Es sind auch immer wieder die gleichen Bilder.

    Till: Spannend, dass du »Memory« sagst. Das Wort hat ja auch noch die eigentliche Bedeutung des Gedächtnis – und die hier verwendeten Bilder wirken durchaus auch wie Fragmente von Erinnerungen, die immer neu zusammengesetzt werden. Das Bild im Bild ist an anderer Stelle oft bloßes Stilmittel oder kontemplativ eingesetzt. Was ich meine: Die Gegenstände werden auf dem Screen nebeneinander gesetzt und verhalten sich dann irgendwie. Als Zuschauer:in muss man dann über mögliche Relationen nachdenken. Hier wechseln diese eingeblendeten Bilder aber so schnell und abrupt, dass es schwer fällt, konkrete Zusammenhänge zu benennen. Stattdessen hat sich zumindest bei mir während des Schauens eine Art Trancezustand eingesetzt, ein Driften in das Bild hinein und seine auf mich einprasselnden, immer neuen Eindrücke. Es ist schon ein Bombardement.

    Charlie: Zwischendurch hat man nicht nur ein Bild im Bild, sondern auch Bilder von Bildern, von Polaroid-Fotos beispielsweise. Es ist dann überhaupt nicht mehr nachvollziehbar, worauf sich der Erinnerungsschnipsel bezieht, weil die Fotos nicht zu erkennen sind. Das verbindende Element zu ihrer Musik ist die Entnahme des Materials aus dem Alltag. Das sind einerseits die alltäglichen, privaten Bilder, andererseits Sounds wie die auf einem Lied ihres Albums eingespielte Geschirrspülgeräusche. Das Album ist nach dem Tod der Mutter der Sängerin entstanden. Diese Trance ist sicher auch eine Ermattung ihres Bewusstseins. Wenn man sie im Video sieht, sitzt sie bloß eingesunken auf einem Sessel.

    Till: Dazu kommt die Ermattung durch den Überfluss der Bilder. Mich würde hier mal ausnahmsweise die Arbeitsweise in der Produktion des Videos interessieren. Also, ob die Frames genau durchgeplant wurden, oder ob das Verfahren komplett intuitiv war.

    Charlie: Die Inszenierung deutet darauf hin, dass die Aufnahmen nicht unbedingt speziell für das Musikvideo entstanden sind. Den Eindruck gewinnt man, aber ganz durchsichtig ist es nicht. Ein Verweis, der interessant ist, ist »Life is a Killer« von John Giorno, einem visuellen Künstler und Dichter aus dem Dunstkreis von Andy Warhol, der bereits in den 60er-Jahren mit Robert Moog zusammenarbeitete. Das ist eine der wenigen popkulturellen Referenzen im Video von L’Rain, die wirklich exponiert wird.

  • Mick Jenkins »Truffles« (R: Andre Muir)

    Charlie: Ein kleiner Horrorfilm.

    Till: Gruselig, aber nichts Explizites. Horror-Musikvideos sind oft sehr blutig, das hier ist aber eher paranoid.

    Charlie: Es erinnert natürlich stark an Filme wie »Get Out« und »Us«, die den Grusel des weißen Amerikas und den endemischen Horror spielen.

    Till: »Get Out« ist ja fast umgekehrt, hier begibt sich der Schwarze Mann nicht in die weiße Gemeinschaft, sondern die Weißen übernehmen die Nachbarschaft mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Die neuen Nachbarn sind aber erstmal keine brutalen Mörder, sondern stehen höchstens am Ende im Weg herum. Der Horror ist nicht explizit, der Horror ist die weiße Übernahme.

    Charlie: Wenn die Psycho-Armee das Haus übernimmt, ist es auch interessant, dass der Bildraum furchtbar klaustrophobisch wird. Das erinnert auch an House Horror wie »mother!« von Darren Aronofsky oder »Der Würgeengel« von Buñuel. Bei Mick Jenkins hat man plötzlich das Gefühl, er steht permanent unter Beobachtung, ist eingesperrt.

    Till: Während Mick Jenkins am Anfang noch stets auf dem Rasen steht, isoliert er sich ab der Hälfte des Videos. Die Gardinen zugezogen, selbst in seinem Vorgarten steht nun ein weißer Mann, der den Schlauch hält. Draußen sind schon alle weiß. Ich finde es spannend, wie diese eigentlich recht belanglos aussehenden Menschen zu etwas Fremden gemacht werden. Das geht einerseits über das riesige Grinsen, andererseits über Kamerafahrten, leicht kippende Zooms. Und schließlich auch über Kulturpraxen, die Unwohlsein hervorrufen. Beispielsweise, wenn die Milch das Gesicht herunterläuft, wenn eine Frau immer mehr Parmesan auf ihr Essen kippt oder wenn die Großmutter dem Jungen beim Trainieren zu sieht. Alltägliche Situationen mit beunruhigenden Details machen diese Figuren zu gruseligen Eindringlingen. So funktioniert ja auch gesellschaftliches Framing, auch medial, aber eben umgekehrt. Dieses Video kann man auch auf ganz verschiedene gesellschaftliche Phänomene beziehen. Offensichtlich ist wohl die Gentrifizierung, aber auch andere Diskussionen der Verdrängung, beispielsweise der Profit weißer Musikindustrie von Schwarzer Kultur.

    Charlie: Ganz zentral ist natürlich die Hookline »Here go another young n**** makin‘ trouble«, was auf die Doppelmoral eines weißen Blicks verweist und beispielsweise direkt mit der übermäßigen Inhaftierung Schwarzer Menschen in den USA in Verbindung steht. Im Endeffekt ist Mick Jenkins auch eine Geisterfigur, die zwischen Albtraum und Paranoia umher wandelt. Die letzte Einstellung ist auch ganz creepy, da liegt eine Frau auf dem Boden.

    Till: Er schaut von außen, was die neuen Bewohner:innen in seinem Haus machen. Das ist nicht plakativ, das wirft eher ein Rätsel auf. Der Mann schaut auf das Störsignal im Fernsehen, die Frau liegt gekrümmt auf dem Boden. Dafür fällt mir keine gute Erklärung ein. Auf jeden Fall Bilder und Fratzen, die Unbehagen auslösen.

  • Tyler, The Creator CORSO (R: Wolf Haley)

    Charlie: Tyler hat wieder selbst Regie geführt, seit dem letzten Album ist Luis Panch Perez dabei ständiger Begleiter als Director of Photography. Ich kann mir gut vorstellen, dass das auf Film gedreht wurde. Bei »IGOR« war das jedenfalls Teil des Konzepts. Das macht natürlich auch etwas mit der Arbeit am Video, hier ist jedes Detail sehr präzise organisiert.

    Till: Und natürlich die große Illusion des Videos, es sei One-Take. Auch das ist auf Film nochmal eine andere Herausforderung. Der offensichtlichste Schnitt ist natürlich die Fahrt durch die Fensterscheibe.

    Charlie: Auch das ist ganz interessant, der Anfang wirkt schon etwas surreal. Die Fenster haben etwas von Bullseyes, man taucht in diesen Innenraum ein, in eine blaue Welt, vielleicht eine Art U-Boot.

    Till: Das Reisethema zieht sich natürlich durchs Album, das verklärte Europa und der Reisepass als Heiligtum.

    Charlie: Wes Anderson ist eine große Inspiration für Tyler, The Creator, das kommt auch in diesem Video zur Geltung. Sehr exakte farbliche Abstimmung, sehr clean, sehr geschlossene artifizielle Welten. Bloß auf die Zentralperspektive wird weitestgehend verzichtet.

    Till: Aber auch hier gibt es den Moment bei 04:20, der dem recht nahe kommt. »CORSO« ist nicht unbedingt ein Thementrack, greift aber verschiedene Stränge des Albums auf. Ein Corso hat an sich etwas Festliches, sein Rap wirkt, als würde er eine Rede halten. Es geht um die Dreiecksbeziehung, um das Reisen und seinen Status. Während die vorherigen Videos zu »CALL ME IF YOU GET LOST« Ausschnitte aus seinen Reisen präsentiert haben, hat dieses Video etwas Nachträgliches, Zusammenfassendes. Folgt man der Geschichte von Sir Baudelaire, ist er hier schon zurückgekehrt. Dass DJ Drama im Video ist, hat natürlich auch seinen Grund: Er moderiert das neue Album wie ein Gangsta Grillz-Mixtape.

    Charlie: Auch die Performance im Video fängt recht locker und uninszeniert an, Tyler redet sich aber schon bald in Rage. Dann übernimmt kurz seine Psycho-Schiene von früher. Er wirkt an der Stelle auch fremd: Die ganze Veranstaltung, die extrem formelle Feierlichkeit und sein erwarteter Auftritt sind nichts für ihn.

    Till: Das Kinderthema ist bei Tyler ambivalent: Einerseits möchte er gerne Vorbild sein, in seinen Songs versucht er, positive Messages zu verbreiten: »I just tell these black babies, they should do what they want«, rappt er auf »MANIFESTO«. Andererseits passt er, seine Zerrissenheit und sein Sprachgebrauch natürlich nicht unbedingt zu dieser Rolle. Auch im Video merkt man, dass er die gewünschte Vorbildfunktion nicht erfüllen kann: Die Eltern der Kinder sind schockiert, die Kinder ratlos. Er sitzt am Ende auf dem Boden und ist immer noch unverstanden.

    Charlie: Trotzdem wäre er nun eine Figur, die in Erinnerung bleibt. Alleine dadurch, dass er die gekünstelte Atmosphäre einer solchen Veranstaltung durchbricht.

    Till: Apropos »Durchbrechen«: Das Farbthema zwischen Blau und Rosa auf dem Kindergeburtstag ist natürlich im Kontext von Tylers Bisexualität spannend, darüber rappt er auch wieder auf dem neuen Album: »Tug-o-war with X and Y felt like a custody battle«.

  • Vince Staples »Law Of Averages« (R: Kid.Studio)

    Charlie: Rein farblich knüpft das gut an »CORSO« an. Im Punkt der Entfremdung schließt es eher an Mick Jenkins an, auch mit dem Grinsen, dass diesmal eher dem manischen Grinsen aus »The Man Who Laughs« von 1928 entlehnt ist.

    Till: Im Song geht es um Vince Staples Isolation im Starstatus, um finanzielle Unabhängigkeit und das Gefühl, jede:r möchte bloß sein Geld und Ruhm. Perfekt gespiegelt wird der Inhalt nicht nur durch die anderen Menschen im Video, die mit breitem Grinsen die Hand aufhalten, sondern vor allem durch die Einstellung, in der Vince Staples auf einer Treppe sitzt, die ins Nichts führt. Der Erfolg füllt nicht die innere Leere, wirkt der Paranoia nicht entgegen.

    Charlie: Den Topos kennt man natürlich gut aus dem HipHop. Vor allem fühlt sich Vince Staples missverstanden. Vereinnahmung geht damit einher. Dafür stehen natürlich die Bilder, die zu intradiegetischen Bildern werden.

    Till: Besonders interessant sind dabei die Memorial Shirts, er rappt schließlich auch: »I will put you on a shirt if you fuck me out my racks«. Das ist natürlich eine Form der Ikonisierung. Die höchste Form dessen bei 01:20: Jesus mit dem breiten Lächeln an der Himmelspforte, der auf einem Shirt mit dem Schriftzug »SAVE US« auftaucht. Kurz zuvor ein Shirt mit dem Schriftzug: »I don’t like famous people«. Das Jesus-Shirt ist die höchste Absurdität des Starkults, das Video spielt also auch damit, wie eine Gesellschaft mit ihren Vorbildern umgeht. Dabei ergibt sich, dass die Projektion und die Anforderungen in und an berühmte Personen durchaus etwas Religiöses hat. Vince Staples wird uns jedenfalls nicht von unseren Sünden reinwaschen können. Für ihn bedeutet das vor allem Entfremdung. Nicht umsonst wirkt die erste Szene des Videos, als wäre Vince Staples ein gerade in der Hood gelandeter Alien. Da wäre es sich auch mal interessant, die Darstellung dieser Hood mit der in seinem Video zu »FUN!« zu vergleichen.

    Charlie: Das Video wirft einige visuelle Fragen auf, die ich mir noch nicht beantworten kann. Die letzte Einstellung kommt mir sehr bekannt vor, auch die Szene mit dem leuchtenden Artefakt scheint Symbolcharakter zu haben. Das Grinsen ist auf jeden Fall eine Maskierung, gewissermaßen fehlende Realness. Vince Staples ist ja öffentlich häufig der funny guy, seine Musik ist aber gar nicht lustig. Ziemlich düster alles.

  • Maeckes »Zu Sensibel« (R: Matthias Gerding)

    Charlie: Wir haben viele transformierte und entstellte Münder dieses Mal.

    Till: Ich hatte mit Maeckes ja ein Interview geführt, da haben wir auch über dieses Lied gesprochen. Er sagt selbst: »Sensibilität ist nicht super soft zu sein, sondern dass alles viel zu krass ist. Man läuft durch die Welt und alles fühlt sich an wie Spitzen und Kreissägen, die sich durch einen durch fräsen«. Die Sensibilität ist hier nicht, wie häufig im Rahmen politischer Debatten, eine feinfühlige Empfindsamkeit. Im Gegenteil: Wer zu sensibel ist, wird immer häufiger die Augen schließen. Das Video ist dementsprechend unsensibel, schon die ersten zwei Einstellungen jagen einige Schauder über meinen Rücken. Ganz spannend finde ich auch, wie Maeckes in diese Situationen kommt. In der Achterbahn fährt er selbstbewusst durch die schlimmsten Settings, in der Sexmaschine wird auch er gezwungen, mitzumachen. An anderen Stellen schaut seine Figur mit einem breiten, grausamen Grinsen auf den Weltuntergang.

    Charlie: Das Grinsen scheint ihm auch aufgezogen, alleine durch den animierten Charakter des Videos. Die Geisterbahn trägt ihn von einem Szenario ins nächste, in denen er sich teilweise auch selbst erblickt. Der Vergnügungspark an sich ist schon maximale Überlastung und ein Ort, der sich normalerweise ausschließlich dem Spaß verschreibt. Darin ist er aber für viele extrem abstoßend.

    Till: Eine ganz tolle Szene ist, wie ein Flugzeug über dem schaukelnden Maeckes lauter Zwinkeremojis abwirft. Auch, weil das Zwinkern ein Über-den-Dingen-stehen bedeutet. Die ironische Überheblichkeit.

    Charlie: Das Video endet mit dem Bild vom Anfang, dem Eingang zum Funpark. Ein kurzer Ausflug in die Erfahrungswelt. Typisch für die Verbindung von Horror und Fun ist natürlich die Clownsfigur, die hier eng mit dem Thema von Rechtsradikalismus verbunden wird. Das erinnert an die Gruselmemes der rechten Netzkultur von Joker bis zu Pepe.

    Till: Bei der Jesus-Szene sieht man im Hintergrund übrigens ein Bild des toten Maeckes aus dem »1234«-Video, das wir im Februar besprochen haben. Es hängt wie immer leider alles zusammen.