Visualizing Music – die besten Musikvideos des Monats Januar 2021
An dieser Stelle sprechen Till Wilhelm und Charlie Bendisch monatlich über die besten Musikvideos, weil das einfach zu wenig getan wird. Im Januar 2021 unter anderem mit Audio88 & Yassin, FKA twigs und Tightill.
Die Playlist zur Kolumne findet ihr hier.
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Audio88 & Yassin feat. Nura »Garten« (R: Valentin Hansen)
Till: Das Video erinnert mich an die elektronischen Postkarten, die ich von meiner Tante jährlich zum Geburtstag bekomme. Boomer, die Anfang der 2000er das Internet kennengelernt und seitdem kein Update mehr auf dem Computer installiert haben. Windows XP-Vibes. Mit Engeln und Blumen, die aus Ölgemälden kopiert wurden. Ästhetik direkt aus der Familien-Whatsappgruppe.
Charlie: Die barocken Engel in Kombination mit der Typographie bei 00:52 erinnern auch an so Grußkarten in Plastikhülle.
Till: Während die Schrift bei 0:35 direkt aus der WordArt-Hölle kommt.
Charlie: Diese Desktop-Ästhetik tritt zurzeit in Musikvideos immer häufiger auf. Im Januar war das beispielsweise auch bei Mine und SSIO zu beobachten. Audio88 & Yassin zelebrieren hier eine Art Digital-Nostalgie – die Windows XP-Ära inklusive Karl Klammer, der ikonischen leuchtend grünen Wiese und der nervtötenden Hochfahrmelodie.
Till: Man kann förmlich spüren, wie der Computer zwanzig Minuten braucht, um hochzufahren.
Charlie: Die Grundlage dieses Wiesenbilds war übrigens ein Foto namens »Bliss« von Charles O’Rear, das in Sonoma County in Kalifornien aufgenommen wurde. Die Künstler Simon Goldin und Jakob Senneby unterzogen dem Motiv zehn Jahre später eine Revision, die etwas weniger saturiert ausfällt. Auch Valentin enttarnt die Wiese bei 03:02 für einen Moment. Die »Grüne Idylle« wird hier zur digitalen Spielwiese. Die sich überlagernden Bildschichten sind wie Eindringlinge, als würde der PC gehackt werden.
Till: Das Eindringen in fremde Räume ist ein Motiv, dessen sich das Duo in letzter Zeit häufiger annimmt. Im Video zu »Schlechtes Gewissen« standen die beiden plötzlich vor der Haustür ihrer Feinde, gefilmt wurde häufig durch den Türspion. Mit dem vertikalen Video zu »Klingelton« drangen sie in den Handyscreen ein. Es geht also darum, sich Zugang zum Feindbild zu verschaffen. Auf dem kommenden Album »Todesliste« geht es viel um Hass und Gewalt. Allein der Albumtitel verweist ja schon auf rechtsextreme Umtriebe in diesem Land. Währenddessen wird in den Medien immer gerätselt, wie man die Leute erreichen kann, die immer weiter nach Rechts abdriften. Audio88 & Yassin machen es hier ein bisschen vor. In diese geschützten Räume der Rechtskonservativen eindringen und klare Worte sprechen. Daraus leitet sich für mich auch die Ästhetik des Videos ab: Eine Sprache sprechen, die der Mob versteht.
Charlie: Ab 02:14 sieht man übrigens ein Sternbild, dass die Worte »FCK AFD« bildet. Ab 00:17 gibt’s auch eine Teletubbies-Sonne mit dem Gesicht von Friedrich Merz. Eine kleine Schatzsuche. Interessant bei »Garten« ist auch, dass im Unterschied zu anderen Videos dieser Art das Desktop-Dispositiv gar nicht so extrem ausgereizt wird. Es tauchen nicht ständig neue Bildebenen auf. Valentin Hansen involviert stattdessen viele Motive aus anderen medialen Umgebungen. Die Blumen und Hasen und Engel sind alle sehr Boomer-esque, haben aber ja eigentlich genauso wenig mit Windows XP zu tun, wie die diversen Face-Filter, die wir ja auch aus Haiytis Video zu »tak tak« kennen.
Till: Die Meme-fication der HipHop-Videos schreitet voran, Xatar macht das ja zum Beispiel auf ganz andere Weise, mit Ein-Wort-Hooks und der Ausgestaltung des eigenen Mythos mit immer neuen viralen Phänomenen. Aber das finde ich sehr zeitgeistig.
Charlie: Quotables gehören sowieso schon immer zu Rap, alleine durch das Konzept Punchline.
Till: Dementsprechend wird hier alles zusammengeworfen und überhöht, vielleicht auch, um die Infantilisierung des deutschen Raps zu persiflieren.
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DÆMON & Endgame »Eye Teeth« (R: Brandon Tauszik)
Till: Die Idee hinter dem Video ist recht simpel: 360 Grad-Kamera, eine Fahrt durch den Baumarkt, etwas Performance. Dadurch wirkt es sehr roh. Trotzdem gibt es viel zu entdecken und zu beobachten. Man kann sich mittels der Technik immer wieder umschauen und die Umgebung erkunden, dann sieht man beispielsweise bei 00:34, dass der Rapper verschwindet und der Wagen auch gar nicht geschoben wird. Immer mal wieder muss man sich auch umsehen, um den Rapper überhaupt wieder zu finden.
Charlie: Bei 02:16 sieht man, dass zwischen den Kühlschränken ein Kunde mit dem Handy fotografiert. Das ganze Video wirkt sehr spontan, erinnert an Guerrilla Filmmaking. Als Location für ein Rapvideo ist das auch sehr ungewöhnlich. Fällt dir ein Video ein, das im Baumarkt gedreht wurde?
Till: Nee, ich kenne nur das Video, in dem Mauli ein Praktikum beim Sicherheitsdienst eines Baumarkts macht. Musikvideos habe ich da spontan keine parat. Übrigens ist der Regisseur dieses Videos normalerweise auf ganz anderen Pfaden unterwegs, dreht Reportagen für »Vice« und »Guardian« und produziert Werbespots. Alles wesentlich cleaner als »Eye Teeth«.
Charlie: Dass man bei »Eye Teeth« selbst bestimmen kann, wie man dieses Video schaut, macht natürlich den Großteil des Reizes aus. Interessant finde ich, dass sie mit dem Baumarkt einen Ort gewählt haben, in dem es eben gar nichts zu entdecken gibt. Es ist gewissermaßen ein Raum ohne Schauwerte. Die hohen Regale blockieren permanent unseren Blick. Die Baumarkt-Ästhetik mit ihren verpixelten Ansammlungen von Eisenstangen und ähnlichen Materialien korrespondiert mit dem industriellen Sound des Tracks. Das Bild ist etwas rough und verzerrt, wirkt dystopisch. Der Baumarkt als ein anonymer, geschichtsloser Nicht-Ort, den man eben einfach nur durchschreitet.
Till: Es ist ziemlich cool, dass mittels eigentlich neuer und teurer Technik hier eine Guerilla-Aktion durchgeführt wird. Normalerweise landet solche Innovation bei bestehenden Institutionen, etwa Fernsehsendern, die damit den immergleichen Effekt erschaffen. Ein Beispiel: die Dendemann-Abschiedsfolge des »Neo Magazin Royale«, die zusätzlich mit 360 Grad-Kamera gedreht wurde. Diese Ressourcen eignen sich DÆMON & Endgame hier auf sympathische Weise an. Bisschen schade, dass sie nichts gekauft haben.
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Body Meat »ULTIMA« (R: Daniel Brennan)
Till: Gedreht auf Kodak-Film.
Charlie: Mal wieder, das ist auf jeden Fall sehr beliebt, möchte man warme Stimmungen einfangen.
Till: Das Video ist im Kontrast zur Musik sehr fließend. Der Beat stolpert ja eher.
Charlie: Zuerst sehr verträumt, synchronisiert dann aber doch stark mit der Musik.
Till: Es geht erstmal viel um Naturverbundenheit und Bescheidenheit. Um eine Wohnsituation, in der man sich mit Essentiellem zufrieden gibt. Darin steckt für Body Meat und seine Mutter Freiheit. Trotzdem spielt Technologie eine große Rolle. Man sieht im Inneren eines Raums viele Bildschirme und Bodenplatten, auf denen der Protagonist den gleichen Tanz ausführt wie im Freien.
Charlie: Für mich hatte das starke Assoziationen mit Science-Fiction-Filmen. Aus diesen kennt man auch ähnliche Orte, verlassene Scheunen. Ich hatte den Eindruck, der Tänzer im Raum sei ein Avatar der Person, die draußen tanzt.
Till: Ich hatte es genau andersherum gelesen. Dass er als reale Person in diesem Raum voller Gerätschaften einen Tanz ausführt, der seine Erinnerungen an die Kindheit in der ländlichen Freiheit wachruft. Die Bodenplatten, auf denen er tanzt und verkabelt ist, erinnern mich an VR-Felder. In den Worten der Mutter geht es auch sehr stark darum, sich in das Gefühl dieser Lebenssituation zurück zu versetzen. Die Natur mit seinem alten Heim ist für mich ein virtueller Erinnerungsraum.
Charlie: Stimmt, beides ist möglich. Bei 04:30 schlendert er ganz neugierig durch die Natur. Es macht den Eindruck, als würde er das gerade erst entdecken…
Till: …oder wiederentdecken. Am Ende des Videos dankt er seiner Mutter, das finde ich immer schön.
Charlie: Der Raum voller Technik ist auf jeden Fall eine Negation der äußeren Welt. Es ist eigentlich unvorstellbar, dass die von gleißendem Licht erfüllten Szenen auf der Farm digital herstellbar sind. Anfangs wird das prekäre Leben in den Trailern sehr romantisiert. Dabei zieht er ein Fass durch den holprigen Waldweg in einer lichtgetränkten Landschaft und blickt auf die Wellen.
Till: Das Fass taucht auch später wieder auf, es hängt in der hochmodernen Scheune von der Decke. Das hätte ich als Symbol für die Bürde und Erinnerungen interpretiert.
Charlie: Das Fass an sich ist auch ein Konservierungskörper. Auch Film konserviert Erinnerungen. Die Ambivalenz zwischen Erinnerung und Technologie kommt auch zum Tragen, weil das Video analog gefilmt wurde. Ich bin gespannt auf die anderen Teile, »ULTIMA« ist nur ein Fragment aus einem längeren Filmprojekt mit dem Titel »4700«, das im Video bei 01:07 kurz über die Nummer auf dem rostigen, überwucherten Truck eingeführt wird.
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Tightill »Dealer« (R: Giulia Valenti)
Till: Das Video wird mit jedem Mal Anschauen besser. Das liegt auch zum großen Teil an Tightills Schauspielkünsten. Er verkörpert seine Rolle vollkommen, jeder Blick ist Gold wert. Gerade, wenn im zweiten Part die Paranoia seiner Figur steigt.
Charlie: Es bleibt ein bisschen unklar, ob das Video in einem Traumsetting spielt. Zumindest liegt Tightill ja zu Beginn im Bett und schläft noch halb. Zumindest imitiert er in den folgenden fünf Minuten eine Imagination, die den medialen Vorlagen entstammt. Gleich zu Beginn sieht man, dass er nicht nur die Dylan-Dog-Comics verschlungen hat, sondern auch »Scarface« auf dem Laptop schaut, die Neuverfilmung von De Palma mit Al Pacino als Tony Montana.
Till: Er nennt sich ja auch selbst Tilly Montana.
Charlie: Er trägt auch den ikonischen schwarzen Anzug mit weißem Hemd, dessen Kragen überlappt. Die Frau im Video wirkt zunächst sehr dekorativ, etwa bei 01:05 oder 02:05.
Till: Bis sie eben immer mehr eingreift ins Geschehen. Sie wird immer genervter und erschießt am Ende Tilly Montana.
Charlie: Michelle Pfeiffer hat in »Scarface« von 1983 eine ganz ähnliche Rolle. Auch Manolo, der Nebendarsteller, ist eine ganz witzige Figur, eine ähnliche Figur gibt es in vielen Drogenfilmen. Etwa in Narcos. Ein kleiner Bruder, ein Player, der den Drogen verfällt und sich selbst nicht unter Kontrolle hat. Diese ganzen typischen Elemente werden hier in sehr kurzer Zeit verdichtet.
Till: Viele Szenen sind auch einfach wunderschön. Sehr nostalgisch, melancholisch. Das weckt bei mir eine Sehnsucht nach etwas, das ich natürlich selbst nie erlebt habe. Szenen wie bei 01:16, wenn die beiden im Mondschein tanzen und hauptsächlich die Schatten gefilmt werden. Das hat mich irgendwie sehr berührt. The good times.
Charlie: Ich mag den Ort sehr gerne. Ein Ferienort an der Adria. Das mit dem Pool und der Terrasse, von der aus der Sonnenuntergang genossen wird, wirkt zunächst erstmal luxuriös, aber durch die Lo-Fi-Ästhetik und die blassen Farben erhält dieser Ort etwas sehr Glanzloses.
Till: Das ist sehr auf alten Prunk gestylt, was aber durch die grellen Lichter und die karge Einrichtung zunichte gemacht wird. Bei 03:10 finde ich das sehr deutlich. Auch diese Villa hat eine moderne Hässlichkeit. Das ganze Video, und damit auch die Locations, haben etwas Nacheiferndes.
Charlie: Klar, viele der Bilder sind klare Referenzen, die nicht ans Original herankommen. Das Video ist aber gerade unterhaltsam, weil es so bemüht wirkt. Tony Montana ist immer zu cool für alle, immer schlecht drauf. Das versuchen auch Tightills Blicke nachzuahmen. Tony Montana ist im deutschen Rap ja eine inflationär verwendete Ikone. Aber hier eben nicht als unantastbare Ikone der Jugend. Stattdessen im liebevollen 80s Gewand, in dem das Dilettantentum zelebriert wird.
Till: Das Referentielle kommt im Erotik Toy-Kosmos auch öfter vor. Auch die Doku zur »Stadtmusikbande« war eine Nachahmung des Lifestyles, den man eigentlich auch nur durch Medien kennt. Mir gefällt die assoziative Montage. Keine klare Story, aber ein Lebensgefühl.
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Blackhaine »Womb« (R: Rawtape)
Charlie: Ich gebe mal eine Einführung. Blackhaine ist ein Newcomer aus dem Umland von Manchester. Die Gegend spielt in dem Song durchaus eine Rolle, beispielsweise rappt er über die Autobahn M65. Er selbst bezeichnet die Region als »trapped between hills and moors«. Letztens ist seine Debüt-EP »Armour« erschienen. »Womb« ist nun die letzte Single von diesem Tape. In der Zeit, in der er die Texte geschrieben hat, hat er bei der Straßenbahn gearbeitet. Ende Februar kommt schon sein nächstes Tape.
Till: »Armour« ist wohl in einer Zeit entstanden, in der Blackhaine körperlich am Ende war. Das kam durch Alkohol und Medikamente. Er sagt: »It’s an autopsy of my own body.«
Charlie: Eigentlich kommt Blackhaine aus dem Bereich Tanz, er ist Choreograf. Unter anderem arbeite er mit Mykki Blanco und choreografierte das Video zu »Unveiled« von Flohio, das haben wir im September 2020 besprochen.
Till: Das Gedicht, das Blackhaine hier vorträgt, war eigentlich für einen anderen Zweck erdacht. Hier wird es nun verzerrt präsentiert, wie vom Boden einer Flasche Hustensaft vorgelesen. Das ist ja schon ein großer Kontrast zu einem Rapgame, das den Drogenrausch zelebriert. Der wird hier zwar thematisiert, aber aus der Perspektive eines zerstörten Körpers.
Charlie: Im Video sehen wir ihn selbst, er tanzt, in multiplen Ausführung. Die Verzerrung wird dabei hergestellt durch zwei neuronale Netzwerke, die gegeneinander arbeiten. Ich musste sehr stark an ein ikonisches Video denken, an »Corporate Cannibal« von Grace Jones. Sie tritt dort als rein digitales, zersetztes Signal auf. Ihr eigentlicher Körper, der repräsentiert werden soll, ist kaum noch erkennbar. Das findet vor einem luftleeren, weißen Hintergrund statt. Bei Blackhaine ist der Hintergrund schwarz, aber die Ähnlichkeiten sind deutlich sichtbar.
Till: Ich fand die Synchronisierung zur Musik sehr interessant. Oder eben die fehlende. Der Switch von der Masse an Körpern zur Perspektive aufs unverzerrte Individuum bei 00:48 hat eigentlich keine Entsprechung im Sound. Dann aber glitchen bei 01:52 die Vocals, woraufhin ein naturgetreues Abbild des Künstlers groß auftaucht, dass zwar transparent ist, aber sich mit den Zerrbildern überschneidet. Ab diesem Punkt überlagern sich auch die Stimmen auf der Audiospur immer häufiger.
Charlie: Ja, es ist interessant, dass sich die Tonebene auch verzerrt. Auf jeden Fall gibt es Drill-Elemente auf dem Tape, aber auch Ambient spielt eine große Rolle. »Womb« ist sehr introvertiert und traurig. Sein Verhältnis zu sich selbst schein zerworfen, fragmentiert. Am Ende zeigt sich wieder das volle Kabinett seiner dekonstruierten Formationen. »Womb« ist eine Suche nach Konsistenz, die uneingelöst bleibt.
Till: Trotz der Verzerrung ist die Choreographie sehr dominant. Die Anordnung ist spezifisch gewählt, auch wenn jeder einzelne Körper dem Zufall überlassen wird.
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FKA twigs, Headie One & Fred again.. »Don’t Judge Me« (R: Emmanuel Adjei & FKA twigs)
Till: Der Song ist in anderer Form schon mal veröffentlicht worden, als Interlude auf dem Album von Headie One und Fred again.., dort noch viel kürzer. Da FKA twigs jetzt auch ein Album veröffentlichen wird, kann ich mir vorstellen, dass der Song in voller Länge dort inkludiert wird.
Charlie: Stimmt, da ist ein ganzer Part hinzugekommen.
Till: Regie geführt hat hier Emmanuel Adjei, ein sehr renommierter Regisseur, der für sein Video zu Sevdalizas »Shahmaran« einen UK Music Video Award gewann. »Don’t Judge Me« ist recht monumental, auch durch die Skulptur im Video. Dabei handelt es sich um den »Fons Americana«, eine Skulptur von Kara Walker, die in ihrem Werk die Verknüpfungen Schwarzer Geschichte zwischen Europa, Afrika und Amerika untersucht. Über diesen Brunnen gibt es recht viel Lektüre, als Einstieg eignet sich der Eintrag auf der Website des Londoner Tate Museums sehr gut. Dort wird viel rund um das Kunstwerk und seine Bestandteile erklärt. »Fons Americana« bricht sehr stark mit der historischen Bedeutung von Brunnen im öffentlichen Raum, die meist zur Etablierung von Machtstrukturen gestaltet werden.
Charlie: Das Motiv des Wassers und des Hais knüpft stark an »The Black Atlantic« von Paul Gilroy an. Da geht es um diasporische Bezugssysteme.
Till: Das Video wurde eben zum Teil auch im Tate Museum gedreht, dieser Raum sieht hier aber natürlich ganz anders aus als im normalen Museumsbetrieb. Ich würde den Raum inklusive Brunnen als historisch-ideellen Ort deuten. An diesem Topos laufen Verknüpfungen des Kolonialismus zusammen, dort befinden sich die Menschen, die wir sehen, mental. Meta-Geschichte, aber auch ein Ort der Aufarbeitung und des Nachdenkens über Geschichte.
Charlie: Die Leute, die sich im Raum mit dem Kunstwerk befinden, sind ja auch zwiegespalten. Es gibt einerseits diejenigen, die fein gekleidet sind und auch skulptural wirken, wie eine Erweiterung des Kunstwerks. Andererseits gibt es diejenigen, die wie gefangen in diesem Raum scheinen, gebannt von der Anziehungskraft der Skulptur.
Till: Das spiegelt sich wiederum in den Szenen, in denen FKA twigs versucht, sich aus diesem Gebäude zu befreien und immer wieder zurückgeworfen wird. Am Ende sehen wir beispielsweise eine Person auf der realen Straße, der die Hände auf dem Rücken hält, ohne dass eine unterdrückende Person sichtbar wäre. Das verdeutlicht, wie systematische und historische Begebenheiten heute noch unterdrückend wirken, reale Gewalt ausüben.
Charlie: Es gibt viele interessante Elemente im Video. Es gibt wieder eine Synchronisation von zwei Körpern, die räumlich getrennt sind. Über die Bewegungen wird eine Verbindung hergestellt, wie bei dem Video von Body Meat. Außerdem nimmt die Atmung einen signifikanten Teil der Audiospur ein, gehört sogar zum Lied. Etwa bei 03:38. Seit »I can’t breathe« nimmt das durchaus hohen Stellenwert in der Musik ein. Und Anti-Blackness ist hier nicht individuell, sondern eine systemische Herrschaft. Unsichtbar, aber fest in Strukturen verankert. Tina Campt nennt das »the insistent gravity (read: graveyard) of white supremacy.«
Till: Unabhängig von der politischen Dimension ist die Performance von FKA twigs mal wieder sehr bestechend, eine Mischung aus Tanz und Kampfsport. Im Video zu »sad day« war das auch schon präsent, darüber hatten wir im August letzten Jahres gesprochen.
Charlie: In starkem Kontrast dazu steht die Performance von Headie One, der nur durch die Straße flaniert.
Till: Wobei Headie One auch sichtlich rappt, einen Strom der Assoziationen im realen Alltag von sich lässt. Die Szenen, in denen FKA twigs performt, sind aber wieder in einem mentalen Raum verortet. Mich würde eine Interpretation dieses Settings interessieren. Wenn sich jemand in unserer Leser:innenschaft mit antiken Stühlen auskennt, bitte melden!