Visualizing Music – Die besten Musikvideos des Monats August 2021

An dieser Stelle sprechen Till Wilhelm und Charlie Bendisch monatlich über die besten Musikvideos, weil das einfach zu wenig getan wird. Im August mit Kendrick Lamar, Neromun und Nas.

VISUALIZING AUGUST21
Das Jahr vergeht zu schnell und irgendwie haben wir den gesamten, sehr kurzen Sommer damit verbracht, auf Screens zu starren. Jetzt ist es auch egal, wir machen genau gleich weiter. Im August ist trotz Albumrelease kein Musikvideo von Kanye erschienen, und trotzdem fällt sein Name in dieser Ausgabe mehrfach, er dominiert also auch in Abwesenheit auf gewisse Weise, das kennt man. Weg von Kanye, hin zu Baby Keem und Kendrick Lamar, die mit Selbstreferenz und Dualismen glänzen.

Hin zu aya, die den Dualismus der Gender-Identität visuell aufgreift und überwindet. Hin zu Pink Siifu, dessen Kamerabild alles zerstört, was ihm vor die Linse kommt und hin zu Neromun, der besonders cleane Kontraste schafft. Hin zu KAM-BU und Knucks, die sich in direkter Auseinandersetzung mit dem Überwachungsapparat befinden. Und hin zu Nas, den Till corny findet, Charlie aber zumindest diskussionswürdig. Kleiner Bonus am Ende: Schach-Knowledge. Rave on!

Die Playlist zur Kolumne findet ihr übrigens hier.

Liste starten

  • Baby Keem & Kendrick Lamar »Family Ties« (R: Dave Free)

    Charlie: Schon der Anfang erinnert krass an den Brit Awards-Auftritt von Kanye. Dort stand er mit einem Haufen UK-Rappern auf der Bühne, das ergab ein ähnliches Wimmelbild.

    Till: Ich wollte eigentlich sagen, diese Szene erinnert an Baby Keems Video zu »Moshpit«. Das wurde bei einer Sukkot-Feier in Brooklyn gedreht, die Kamera filmte von oben die feiernde Masse, in der Baby Keem und seine Freunde das Moshpit eröffneten. Die Einstellung, in der eine Frau vor Baby Keem twerkt, aber auch das Bild, wie er teilnahmslos inmitten einer Frauengruppe sitzt, erinnern wiederum an sein Musikvideo zu »hooligan«: Auch dort wird er von Frauen begleitet, die an seiner Stelle den Text mitrappen und damit häufig den Fokus des Bilds auf sich ziehen. Dann gibt es hier auch eine Einstellung, in der eine Menschenmasse eine Feuertreppe hinunter rennt. Das weckt bei mir die Assoziation an »no sense«, das Video hatten wir auch in dieser Kolumne besprochen. Darin steht Baby Keem am Fenster eines Bürogebäudes, während hunderte Menschen aus dem Haus stürmen.

    Charlie: Was sich durch diese Referenzen zieht: Baby Keem positioniert sich geisterhaft außerhalb der Szenerie. Ich musste an Kanye denken, weil später auch die Ballerinas im Bild erscheinen, in deren Mitte Baby Keem tanzt und rappt. Die kommen in ähnlichen Farben und Perspektiven in Kanye Wests Video zu »Runaway« vor. Es werden also viele Bilder neu aufgelegt und geremixed.

    Till: In »Runaway« dirigiert Kanye die Ballerinas, ebenso die gesamte Partygesellschaft. Baby Keem wirkt auch hier wieder eher deplatziert. Er schreitet dann sogar in das Cover Artwork im Splitscreen über – als wäre er ebenso fiktionales Design.

    Charlie: Ich habe mir eines dieser witzigen Analyse-Videos zu »Family Ties« angeschaut. Dort meinte der Typ, es ginge im Video um Dualismen. Ein wenig kann ich das nachvollziehen, das gibt es bei Kendrick öfter. Beispielsweise Black Swan, weißer Schwan. Dann gibt es diese familiäre Connection und die Zweiteilung des Songs. Im Video gibt es auch diese Crowd, in der Baby Keem erst die eine Seite jagt, dann die andere. Die Frau, die vor Baby Keem twerkt, trägt ein Shirt mit der Aufschrift »Angel«, später ist sie als Mutterfigur zu sehen. Das fand ich eher schwierig, da offenbart sich der verkürzte Horizont dieser zweiteiligen Logik. Kendrick wiederum bezeichnet sich in seinem Part als »oldschool gemini«, das ist ja das zweigesichtige Sternzeichen schlechthin.

    Till: In den Zwischentiteln bei 3:02 ist Kendrick Lamar als »Oklama« aufgeführt, so hieß auch seine Website mit der Album-Ankündigung. Das scheint ein neues Alter Ego zu sein, passt wiederum zum dualistischen Unterbau.
    Charlie: Zudem knüpft die neue Selbstbetitelung an die Zeile an, mit der er seinen Part einleitet »I’m the omega«, also das biblische Ende.

    Till: Er verlangt auch, man solle ihn nur mit vier Buchstaben ansprechen. Das kann natürlich »G.O.A.T.« sein, aber auch der biblische Name Gottes. Ebenso nennt er sich »Elohim« und behauptet, nur mit Gabriel und Metotron zu sprechen. Er macht sich mal wieder sehr, sehr groß. Im Video wird auf jeden Fall wieder die Flagge für pgLang hochgehalten, die mysteriöse Kreativagentur von Kendrick und Dave Free .

    Charlie: Vielleicht wird das mit dem Weggang von TDE auch sein neues Label. Auf jeden Fall wieder vieles, was kryptisch aufgeladen daherkommt.

    Till: Ich finde die Tänze bei 2:47 und 3:26 interessant, die Ausbeutung Schwarzer Tanzkultur in sozialen Medien steht ja seit Childish Gambinos »This is America« durchaus im Fokus. Gleichzeitig gibt es immer mehr Rapvideos, die schon zum Zweck des viralen TikTok-Dance inszeniert werden.

    Charlie: Baby Keem hatte ja das Boxen – auch das ist ein eigentümlicher Tanzmove.

    Till: Eigentlich einen drüber, gar nicht richtig verwertbar als TikTok-Trend. Ansonsten finde ich die Bilder irgendwie sehr Kendrick-typisch, sehr weite Flächen, sehr blauer Himmel, das war beispielsweise bei »ELEMENT.« sehr präsent.

    Charlie: Kurz anzusprechen wären noch die überlappenden Screens, die am Ende mit einem Augenpaar korrespondieren, das den Bildern hinter herschaut. Diese Screen-in-Screen-Methode wird etwas exzessiv betrieben. Die Augen scheinen daraufhin fast schon ermüdet und überlastet von diesen vielen Bewegungsschichten.

  • Pink Siifu »Roscoe’!« (R: Livingston Matthews, Shooter, Dani Aphrodite)

    Till: Ein sehr abruptes Ende!

    Charlie: Er ist eigentlich durchgehend maskiert. Die Maskierung mit dem Verband und dem Hut erinnert stark an das Cover von Mos Defs »The New Danger«

    Till: »The New Danger« war das zweite Album von Mos Def, wesentlich konfrontativer als »Black on Both Sides«, geprägt von Rockeinflüssen. Pink Siifu hingegen bewegt sich immer weiter hinein in einen klanglichen Kosmos aus Hardcore und Südstaatenrap.

    Charlie: Den Bildern haftet etwas zerstörerisches an. Als würden wir zusehen, wie sich das Magnetband einer alten Videokassette verheddert.

    Till: Spannend ist, dass die Settings ja Anderes implizieren. Es gibt den freundlichen blauen Himmel und ein Studiosetting, das auch komplett clean hätte aussehen können. Allein die Textur des Videobildes zerstört alles, was von der Kamera aufgenommen wird.

    Charlie: Genau, das ist natürlich zum einen das Gegenbild zum Prototyp des cleanen Musikvideos. Stattdessen wird der audiovisuelle Schutt, die für gewöhnlich nicht zu verwertenden Überreste der Promoproduktion, zelebriert und als interessantere Ästhetik präferiert. Natürlich bezieht es sich auch auf eine andere Ära von Rapvideos. Gleichzeitig bleibt immer das Gefühl: Es hätte anders sein können. Gerade bei den Studioaufnahmen. Dann gibt es auch noch die Szene, in der um ihn herum Geldscheine liegen – er verbrennt sie aber. Ich musste an Young Thugs Video zu »Wyclef Jean« denken, das den Zerfall und das Misslingen des Videodrehs dokumentiert

    Till: Ja, dieser Tag wurde sogar zufällig von Noisey begleitet, zu diesem desaströsen Videodreh gibt es auch ein desaströses Behind-the-scenes. Hier ist das ja anders, Pink Siifu zerstört schon absichtlich. Das fünfte Element von HipHop ist: Keine Ficks geben. Das Video hat eine Gleichgültigkeit gegenüber seinen BIldern und seinem Inhalt. Ob Auto, Straße, Gang, Apartment oder Studio – das ist ein demolierter Egalitarismus. Ich fand es spannend, dass du die Masken angesprochen hast. Dieses Thema hat ja durch Kanye West in den letzten Wochen auch ungewöhnlich viel Platz im HipHop eingenommen. Maskierung und Gleichgültigkeit passen vielleicht auch zusammen. Die Maison Margiela-Masken von Kanye entspringen ja einem kulturellem Verlangen nach Anonymität

    Charlie: Und das gibt es bei Kanye auch nicht erst seit »Donda«, das war inhärenter Bestandteil des Bühnenoutfits schon auf der Tour zu »Yeezus«. Bei Pink Siifu gibt es eine Sturmhaube und eine eher provisorische Maskierung, das hat mehr Gangster-Flair.

    Till: Das ist ja spannend: Masken sind ein Accessoire, das extrem mit Kriminalität verknüpft ist und gleichzeitig riesige Relevanz in der High Fashion und den Fine Arts einnimmt.

    Charlie: Bei Pink Siifu kommt dazu, dass er sich sehr wandlungsfähig präsentiert. Wie gesagt: Ein Hardcore Punk-Album, jetzt mehr Südstaatenrap. Aber sein bekanntester Track »stay sane« ist ein ganz ruhiger Song. Musikalisch ist er keineswegs festgelegt, aber dieses Interesse für Roughness ist häufig spürbar.

  • Neromun »Siblings« (R: Lavish X)

    Till: Lavish X hat nicht nur das Instrumental gemacht, sondern auch das Video gestaltet. Das war, so schreibt er auf Instagram, seine erste visuelle Arbeit und auch ein Schritt hinaus aus der Komfortzone.

    Charlie: Was für mich heraussticht, ist das Tempo. Neromuns Flow kommt in Wellen, wird schneller und langsamer, höher und tiefer, lauter und leise. Das Video fängt diesen Bewegungsrhythmus auf, die Kamera kreist, zoomt behutsam und die Perspektive bleibt auf der Suche.

    Till: Und das doppelt: Zu den Kamerabewegungen kommen bildliche Figuren hinzu, etwas der Fahrradfahrer, der durchs Bild schlängelt. Das ist nicht krass synchronisiert, erschafft aber eine grundlegende Atmosphäre.

    Charlie: Das Scharfstellen der Kamera passt ebenso in den atmosphärischen Modus, auch das ist ein Bild-Werden in seichtem Fluss. Manchmal wird in dem Video richtig posiert, häufig ist es aber eher ein unkoordiniertes In-der-Gegend-herumstehen. Dann gibt es wieder diese intensivierten Rave-Szenen.

    Till: Dann sind die Menschen nur noch Umrisse. Im Lied geht es ja um die Schwarzen Siblings, das wird im Video auch durch Kontraste hervorgehoben, die Personen stehen größtenteils vor weißen oder gräulichen Hintergründen. In diesen Exstase-Szenen werden diese Kontraste allerdings aufgelöst, die eigentlich Schwarzen Körper nehmen der Atmosphäre ähnliche Farben an. In diesen Szenen wird auch nochmal eine andere Form der Verbundenheit präsentiert.

    Charlie: Im Auto ist das auch nochmal ähnlich, vielleicht ist das auch ein Schutzraum. Am Ende gibt es noch einen christlichen Verweis mit dem Heiligenschein. Auf seinem Shirt ist auch eine Schwarze Maria und ein Schwarzer Jesus abgebildet. Man könnte auch dem Lied eine gebetsartigen Modus attestieren. 

    Till: Ja, das hat etwas von einer Beschwörung. Durch das wiederholte Mantra »Meine Geschwister sind Ikonen« werden all diese Menschen auf den Plan gerufen. Gleichzeitig hat das Lied eine tiefe Traurigkeit. Ich hatte zeitweise das Gefühl eines Abgesangs oder eines Klagelieds. Die portraitierenden Szenen hätten in diesem Kontext den Effekt eines Gedenkens.

    Charlie: Was hat es eigentlich mit der Namensänderung auf sich?

    Till: Er meinte, er wollte es schon immer so haben, hat es aber nie durchgezogen.

  • KAM-BU feat. Knucks »Call Me Back« (R: Jay Green)

    Charlie: Im Grunde wird die Geschichte eines Coups erzählt. Zwischendurch telefonieren sie mit Burner Phones, damit sie nicht überwacht werden können. Auch sonst geht es um Überwachung.

    Till: Die Überwachungskamera wird nicht nur dadurch etabliert, dass sie explizit gezeigt wird, sondern auch durch die Perspektive schräg von oben, ebenso durch die mechanischen Kamerafahrten und die Zooms auf die Personen. Es sind Kamerafahrten, bei denen die Kamera ihren Standort behält. Das allein ist schon sehr typisch für die Überwachungsästhetik.

    Charlie: Wie die Kamera sich bewegt und operiert, ist sehr technisch und algorithmisch.

    Till: Bei der Polizeikontrolle gibt es die Perspektive aus der Bodycam. Und gleichzeitig: die beiden filmen mit dem Handy zurück. Während die Rapper durch dieses Gelände laufen, wird mit schnellen Zooms auf Überwachungskameras und Hinweisschilder ihr eigener Blick auf die Überwachung dargestellt. Das führt einerseits zu einem gegenseitigen Beobachten, andererseits zu einer paranoiden Grundstimmung. Das spielt sich allerdings nur zwischen Überwachungsapparat und Rappern ab – die Überwachenden selbst spielen gar keine Rolle.

    Charlie: Das wird auch nochmal in den Bildern mit multiplen Screens aufgegriffen – Ähnliches hatten wir bei Baby Keem, hier bekommt diese Technik aber eine ganz andere Bedeutung. Diese Aufteilung des Körpers sind mit Überwachungsdispositiven verbunden.

    Till: Genau, die Bildausschnitte beinhalten Mund, Augen, Ohren. Das ist genau die Merkmale, die bei automatischer Gesichtserkennung durch Softwares zum Tragen kommen.

    Charlie: Überwachungstechnologie hat eine große politische Dimension, weil sie immer rassifiziert kodiert ist. In Chicago wurde mit der »Heat List« ein datenbasiertes System geschaffen, um das Gefährderpotenzial von Menschen jederzeit einzuschätzen. Durch den menschlichen Input hat der Algorithmus rassistische Vorurteile angenommen und sorgte auch sonst für tragische Geschichten. Der Überwachungskapitalismus geht aus einem Herrschaftsverhältnis hervor, die Menschen wie KAM-BU und Knucks unterdrückt. Die beiden werden im Video nicht wie im Gangsterfilm von Polizisten gejagt, es ist nur der abstrakte Kampf zwischen dem Subjekt und einer Maschine.

    Till: Es geht auch kaum um den Coup an sich, nur um die Paranoia der Überwachten.

    Charlie: Durch die Hektik der Technik wird das auch im Rhythmus des Videos eingeschrieben. Die Location mit seinen verwinkelten Hochhäuserblocks ist dabei eigentlich ein Terrain, das die Protagonisten im Video beherrschen, ein Ort an dem sie jeden toten Winkel kennen.

    Till: Das stellt die Frage: Welche Orte werden überhaupt überwacht? Welche nicht?

    Charlie: Genau, und welche Ordnung soll durch die Kontrolle erhalten werden? Noch ein aktueller Bezug: Armin Laschet hat beim Triell zuletzt dafür plädiert, mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum zu installieren.

  • aya feat. Iceboy Violet »Emley lights us moor« (R: Sweatmother)

    Till: Das ist wohl das erste Release von aya auf dem Label Hyperdub, sie ist außerdem Performance-Künstlerin und DJ. Ihr Album »aya, im hole« verzerrt laut Pressetext Gewohnheiten elektronischer Musik ebenso wie Normen von Sprache, Gender und Sexualität. Klingt auf jeden Fall spannend

    Charlie: Das Klicken in der Musik hört sich ein wenig an wie das Klappern von Fingernägeln.

    Till: Wir hatten im April über »Cha-Cha-Cha« von Bonnie Banane gesprochen, daran fühlte ich mich jetzt erinnert. Vor allem durch das Setting im leerstehenden Bürogebäude, aber auch durch die Düsterkeit und die Lichtsetzung. Bei Bonnie Banane war das Videos als Entführungssituation inszeniert, hier eher wie ein schlechter Trip, zumindest zu Beginn.

    Charlie: Das Video hat natürlich auch eine Queerness, die bei Bonnie Banane schon präsent war.

    Till: Die Abstände von Couch und Tisch ändern sich hier immer wieder.

    Charlie: Man wird räumlich irritiert. Die Kamera taumelt auch ständig, wirkt selbst wie benommen. Ästhetisch wird dieser Zustand durch Jump-Cuts und auch eine Art Blackout bei 1:08, in dem das Bild zerfällt, hergestellt.

    Till: In der Einstellung ab 1:20 ist der Tisch sehr nah an der Couch, auf der anderen Couch sitzt allerdings dann wieder die selbe Person.

    Charlie: Gemini! Vielleicht ist die andere Person weg. Der Regisseur des Videos bewegt sich zwischen Videoaktivismus und narrativen Arbeiten, konzentriert sich vor allem auf Videokunst rund um das Leben von Trans-Personen.

    Till: Sie erwähnt das Sternzeichen Zwilling ja auch wieder auf dem Track, die Dualität ist natürlich auch visuell präsent. Ich musste dann an Drangsals Video zu »Mädchen sind die schönsten Jungs« denken, da geht es ja gerade darum: Der Dualismus stößt an seine Grenzen. Der Dualismus ist eben doch ungenügend und zu überwinden.

    Charlie: Das gegenübergestellte Setting im Video ist auch spannend. Eine Art Versuchsanordnung.

    Till: Vor allem, weil aya sich immer wieder davon entfernt, den Raum außenrum performativ erkundet und dann wieder zurücksackt in eines von zwei Sofas. Könnte man eben auch als Ausbruch aus dem Dualismus erkennen, ohne ihn ganz aufzugeben. Iceboy Violet als nonbinäre Person nimmt hingegen gleich hinter der Couch Platz.

  • Nas »Rare« (R: Savannah Setten)

    Till: Ich finde das komplett corny.

    Charlie: Bedeutungsschwanger, so ist Nas. Ein bisschen Background: Regie hat Savannah Setten geführt, die auch Baby Keems Video zu »no sense« gedreht hat, darüber hatten wir im März gesprochen. Das war recht apokalyptisch. Hier ist das am Anfang ähnlich übernatürlich. Der Raum mutet mysteriös an, kurz darauf wird es metaphysisch, denn die Schachfigur bleibt einfach stehen. Das Bild hat eine gewisse Hitze, der große Eiswürfel im Glas reflektiert das blendende Licht, die Konturen verschwinden, alles wirkt wie ein Fiebertraum.

    Till: Dann herrscht plötzlich ein gewisser Stillstand, der Alkohol schwebt in der Luft und wirkt irgendwie auch bedrohlich. Schon das erste Bild des Videos, der Raum in der Reflektion der Deckenlampe, deutet irgendwie an, dass hier etwas nicht stimmt. Er wird ja eben nicht als Raum etabliert, sondern nur als verzerrtes Abbild eines Raums.

    Charlie: Nach der Eröffnungssequenz tritt das Video in eine neue Sphäre ein. Die zwischengeschnittenen Fotos sind von einem sehr berühmten Fotografen, Khalik Allah. Der hat früh angefangen mit Foto- und Filmarbeiten im Umfeld des Wu-Tang Clan. Mittlerweile ist er etablierter Autorenfilmer, 2018 hat er den Film »Black Mother« veröffentlicht. Das ist ein Dokumentarfilm, gedreht in Jamaika, es geht um seine Mutter, aber der Film ist auch ein essayistsiches Porträt des Ortes und seiner Menschen. Zuletzt war er auf vielen Festivals mit dem Film »IWOW: I Walk On Water« präsent. Sein Werk entfaltet häufig durch die wilde Montage und den vordergründigen freestyleähnlichen Voice-Over einen starken, unmittelbaren Sog. Auch seine Religiösität schimmert häufig durch. Khalil Allah hat auch einen leichten Hang zum predigenden Sprechen, ähnlich wie Nas. Hier stammen die Stills von ihm, durch die Fotografie auf den nächtlichen Straßen von Harlem ist er berühmt geworden. Mittlerweile steht er bei Magnum unter Vertrag. In den Fotos thematisiert er Schwarzes Leben in der Diaspora.

    Till: Beim Wu-Tang Clan war Schach ja auch immer ein wichtiges Thema. RZA und GZA sind elaborierte Schachspieler und nutzt das zur geistigen Schärfe, auf dem Albumcover zu »Liquid Swords« ist ein Schachbrett zu sehen ), »Da Mystery of Chessboxin‘« gibt es natürlich auch. Diese Mindgames waren da aber häufig musikalisch präsent. 2020 hat Schach dann nochmal ein Revival erlebt, durch die Netflix Serie »The Queen’s Gambit«. Nas‘ Angelegenheit mit dem Black King ist natürlich auch wieder ein bisschen corny.

    Charlie: Du hast ja vorhin schon gefragt, warum Nas überhaupt noch Alben macht. Seine Antwort: Er ist zwar der King, spielt aber weiter, gegen sich selbst. Natürlich auch ein wenig abgedroschen dieses Competition-Narrativ. Im ersten Teil des Videos ist auf jeden Fall die Lichtstimmung zentral.

    Till: Und auch später noch fällt auf, dass der Kontrast wahnsinnig hoch ist. Das Weiß ist blendend, das Schwarz extrem dunkel. Das ganze Video ist wie ein Schachfeld. In Deutschland ist Schach-Rap noch nicht so verbreitet. Bloß Majoe hat damit mal kokettiert: »Es is‘ Majoe, der die Knastrapper fickt / Diese Bauern sind nur Mitläufer beim King, wie auf Schachbrettern, Bitch«. Es ging auch das Gerücht um, er habe eine NRW-Schachmeisterschaft gewonnen. Laut Recherchen des Magazins »Perlen vom Bodensee« landete er beim Duisburger Schulschach-Pokal 2003 und 2004 allerdings bloß im hinteren Mittelfeld. Im Interview bei hiphop.de wird Majoe nach einem Schachduell gegen Erich zum Sieger erklärt, hat aber den letzten Zug regelwidrig gesetzt. Es bleibt kompliziert. Von Kollegah wiederum stammen die Zeilen: »Sieh, der Boss ist back in fürstlicher Pracht / Der Rest sind Randfiguren so wie Türme beim Schach«.