Die Geschichte von Megalohs »Regenmacher«

Parallel zum Release von Megalohs neuem Album »Regenmacher« erscheint das gleichnamige iBook mit einer ausführlichen Oral History, einem Track-by-Track zu allen Songs und vielem mehr – geschrieben von ALL GOOD. Die digitalen Liner Notes eines Meisterwerks.

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Megalohs neues Album »Regenmacher« ist kein Release-Schnellschuss, sondern ein über Jahre hart erarbeitetes Meisterwerk voller Referenzen und Querverweise. Genauso wie Megaloh auf »Regenmacher« konsequent seine persönliche Geschichte weitererzählt, kann man aber auch die Entstehungsgeschichte und die Hintergründe zum Album selbst festhalten. Genau das haben wir getan – und ein Buch zu »Regenmacher« geschrieben. Wir haben dabei versucht, so viele Stimmen wie möglich zu Wort kommen zu lassen, damit sie die Geschichte von »Regenmacher« erzählen und die Songs bis ins Detail sezieren. Um den Hörern die DNA jedes einzelnen Tracks zugänglich zu machen und die Beweggründe aufzuzeigen, die »Regenmacher« zu »Regenmacher« machen.

Wir sind davon überzeugt, dass dieses Album eine so tiefgehende Untersuchung verdient hat. Weil »Regenmacher« keines dieser Alben ist, die dank kurzer und intensiver Promo-Phase zwar steil gen Himmel schießen, dort dann aber unmittelbar verglühen. »Regenmacher« ist komplex und durchdacht – und auch wenn es als Kunst an keiner Stelle einer Erklärung bedarf, entdeckt man doch immer neue Facetten, wenn man Hintergründe beleuchtet und Querverweise näher erklärt.

Das Buch zu »Regenmacher« ist ab sofort zum freien Download als iBook erhältlich – die digitalen Liner Notes eines Meisterwerks. Als kleine Leseprobe daraus veröffentlichen wir hier auf ALL GOOD nun die Track-by-Track-Hintergrundinfos zu den Songs »Regenmacher«, »Wer hat die Hitze« und »Was ihr seht«, erzählt von Megaloh, seinem Produzenten Ghanaian Stallion, Max Herre, Nesola-Chef Götz Gottschalk, Saxofonist Ben Abarbanel-Wolff und Feature-Partner Trettmann.

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  • »Regenmacher« (prod. von Ghanaian Stallion)

    Megaloh:
    Das war der letzte Song, den ich geschrieben habe. Den ersten Song am Ende schreiben mache ich auch sehr gerne, weil es dann für mich komplett klar ist, was es wird. So kann ich ein Album einfach am besten und stimmigsten einleiten.

    Ghanaian Stallion:
    Irgendwann stand fest, dass ein Opener fehlt. Wir brauchten ein Intro, das dieses Afrikanische andeutet – in dem Fall machen das die Bläser. Es sollte dabei aber auch diesen HipHop-Vibe transportieren. Den Beat habe ich zusammen mit Josip, der die Keys gespielt und auch schon bei »Endlich Unendlich« mitgewirkt hat, im Studio gemacht. Wir sind gemeinsam auf die Melodie gekommen und haben sie dann noch mal von den Bläsern einspielen lassen. Dass der letzte Track, der entstanden ist, nun die erste Single geworden ist, ist ja eher ungewöhnlich. Aber wir hatten gerade nach hinten raus die Vision noch deutlicher vor Augen und konnten so den Titeltrack besser umsetzen.

    Max Herre:
    Die Aufgabenstellung war: Es fehlt noch ein Intro. Vielleicht sollte man nicht mit einem Trap-Ding reingehen, sondern auch die Leute abholen, die »Dr. Cooper« und solche Sachen mögen. Dazu sollte man einen Ausblick geben auf das, was einen auf dem Album erwartet. Uchenna und Alan können inzwischen mit so einer Aufgabenstellung gut arbeiten. Man hört zusammen ein Album und sagt: Das und das haben wir – es gibt Inseln, es gibt Geschwister, es gibt Farben, die zusammenpassen, es gibt bestimmte Tempi. Und man weiß irgendwann, was noch fehlt. Manchmal sind es zwei, drei Songs, Bausteine, die das ganze Album komplett an einen Platz rücken. Als »Regenmacher« kam, war klar, dass es der Opener ist, weil es diese ganze Welt, die Uchenna baut, erzählt und vorwegnimmt. Musikalisch hatte KAHEDI nichts damit zu schaffen.

    Megaloh:
    Ich erkläre da im Text nicht ganz genau, um was es bei »Regenmacher« geht. Diese abstrakte Ebene ist für mich die Kunst, die auch bewusst mit dem Titel gewählt ist. Ich habe da auch mit der Symbolhaftigkeit gearbeitet und damit auch Raum für Assoziationen gegeben. Natürlich ist es wichtig, dass man eine klare Geschichte erzählt, aber man muss dem Hörer auch immer einen Spielraum geben, damit er selbst Sachen entdecken kann und ihm die Möglichkeit bieten, das Gehörte auf eigene Art zu interpretieren. Man hört auch an keiner Stelle Regen – das wäre zu plump. Wenn der Hörer sich damit auseinandersetzt, wird deutlich, was gemeint ist.

    Götz Gottschalk:
    Megaloh hat eine gewisse Größe und Schwere – im positiven Sinne: einen Pathos – in seinen Aussagen. Das musikalische Äquivalent zu Pathos sind eben Streicher und, ich sage mal, Wagner – aber das ist nicht unsere Welt. Bläser haben zwar auch so eine Energie und Kraft, finden aber gleichzeitig auch schon Verwendung in ganz anderen Feldern, die uns näher liegen: Spirit Jazz, Afrobeat und Funk. Dementsprechend haben sie eine ganz andere Emotion und Temperatur. Wir bei Nesola haben eben das große Glück, da auf Strukturen mit Weltklasse-Instrumentalisten zurückgreifen zu können, die auch genau in dieser Richtung große Expertise haben. Die Bläser Section hat gerade das weltweit gefeierte Album der Afro-Sound-Legende Pat Thomas gemacht.

    Ben Abarbanel-Wolff:
    Ich glaube, Uchenna war es persönlich wichtig, so eine Verbindung zu Nigeria zu schaffen. Ich kenne ihn ursprünglich von einer Show mit Patrice in Köln oder Mülheim, bei der es darum ging, dass Afrobeat auf HipHop und Pop trifft. Eine große Show mit vielen verschiedenen Künstlern, für die extra eine Band zusammengestellt wurde – unter anderem mit Tony Allen. Dafür haben wir versucht, alle Tracks zu Afrobeat-isieren. Bei manchen hat das weniger gut geklappt, aber bei Uchenna passte es richtig gut! Er hat drei Tracks gespielt, die mit der Band echt nach Fela klangen. Er selbst fand das großartig. Als wir uns dann wieder trafen, wusste er sofort, wie cool er das damals schon fand. Dabei ist das Album jetzt gar nicht so sehr Afrobeat. Es sind eher ein paar Samples und Interludes und andere kleine Dinge, die für den Afro-Sound sorgen. Bei ein paar Intros und Outros merkt man das besonders.

    Megaloh:
    Es war mir schon wichtig, dass ich mit der ersten Line, die sich auf »Loser« von »Endlich Unendlich« bezieht, den Faden wieder aufnehme. Ich mag Schlüssigkeit – wenn alles konsequent ist. Die Geschichte sollte weiter erzählt werden: An welchem Punkt habe ich die Leute stehen lassen? Viele Menschen haben ja auch gesagt, dass ich es jetzt mit dem Album geschafft hätte. Ich wollte das aber gleich aus dem Weg räumen und klarstellen. Diese Fragen bekomme ich in Interviews auch immer gestellt: »Kannst du mittlerweile von der Musik leben?« Das ist eben leider immer noch nicht so. Die Line »Alle Songs geschrieben im Zwei-Quadratmeter-Badezimmer« ist nicht gelogen! Die 2-Zimmer-Wohnung, die wir hatten, bat da keinen großen Spielraum. Aufgrund von Kräuterkonsum blieb für mich daher nur das sehr kleine Badezimmer, um Texte zu schreiben. Das ging auch zwischen den Jobs zeitmäßig gar nicht anders: Familie, Arbeit und dann auch noch ein bisschen schlafen wollen – da gab es keine Zeit, um irgendwo ins Studio zu fahren und da zu schreiben.

    Ben Abarbanel-Wolff:
    Alan und Josip hatten schon für einige Sachen Bläser programmiert. Sie wussten bereits ganz genau, was sie wollten, und wir haben das genau so gespielt. Die Horns auf »Regenmacher« sind zum Beispiel so entstanden. Alan hatte alles produziert und wir waren die Session-Musiker im Studio. An den anderen Songs haben wir mit KAHEDI über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder gearbeitet. Max nennt das »einkreisen«. Er redet immer von »einkreisen, einkreisen«. Diesen Prozess finde ich als Musiker ganz großartig. Es macht wirklich Spaß, so etwas zu erarbeiten.«

  • »Wer hat die Hitze« feat. Trettmann (prod. von Ghanaian Stallion)

    Megaloh:
    Trettmann feier ich schon lange. Es gibt in Deutschland ganz wenige, die es verstehen, dieses Reggae/Dancehall-Klangbild auf Deutsch authentisch rüberzubringen, ohne dass es lächerlich wirkt. Darin ist er echt gut. Mittlerweile macht er es jetzt auf Hochdeutsch, was mir sehr gelegen kommt.

    Ghanaian Stallion:
    Ich schicke Uchenna ja immer ganze Beat-Pakete – auf dieses Instrumental hat er direkt angeschlagen und es geblockt. Zu dem Zeitpunkt war noch nicht ganz klar, wohin die Album-Reise gehen wird. Uchenna hatte die Hook sehr früh, die Parts kamen dann aber erst sehr spät dazu. Alle Leute, denen wir nur den Beat mit der Hook vorgespielt haben, fanden das schon so krass. Er wusste, da muss er noch mal richtig auspacken. Er wollte erst mal alle Arbeit erledigen, um sich voll und ganz auf diese beiden Rap-Parts konzentrieren zu können. Als er die Parts aufgenommen hat, bin ich auch komplett ausgerastet. Eingesungen hat Trettmann den Chorus dann erst ziemlich spät.

    Trettmann:
    Megalohs Parts sind wirklich unfassbar – die sind so komplex und trotzdem tight. Meine Hook ist zwar auch ein tragendes Element, aber was er macht ist brutal. Als wir uns das erste Mal im Studio trafen, spielte er mir Tracks vor, für die er noch einen Sänger suchte. Ich nahm dann vier Dinger mit. »Wer hat die Hitze« war letztlich der, bei dem mir direkt was zu eingefallen ist. Ich schrieb die Hook und die beiden haben dann noch Sachen rausgecuttet und überarbeitet. Sein Text stand schon, insofern war es ziemlich einfach, das Puzzle zu vervollständigen. Es ging um Hitze, also um eine musikalische Feuerwand. Das typische MC-Business: Wer ist tight? Wer rockt die Crowd?

    Max Herre:
    Der kam sehr spät und Uchenna fragte so: »Ist der überhaupt was fürs Album?« Weil ja auch der Beat Original-Trap ist – sehr hart und rough. Wir fanden ihn alle super. Vor allem mit Trettmann. Dadurch gibt es auch wieder diesen Reggae-Moment, den »Zug« hat, das Afrozentrische von »Oyoyo« oder »Wohin«. Für mich hat das total reingepasst, weil es eine andere Art von Roots ist. Es ist Trap, hat aber trotzdem einen Roots-Moment. Für Uchenna ist ein bisschen schwierig, dass er diese Trap-Sachen schon gemacht hat, bevor in Deutschland die ersten Dinger rauskamen. Da hatte er schon die ganzen Flows zerpflückt und auf Deutsch gemacht. Darin war auch ein Teil seiner Unruhe begründet: Jetzt kommen auf einmal die ganzen Typen und machen Trap – er macht das doch schon die ganze Zeit und killt alles.

    Ghanaian Stallion:
    Es ist ein organisches Album, aber eigentlich ist es ein musikalischer Hybrid. Natürlich hat ein Track wie »Wer Hat Die Hitze« Live-Bläser, aber davon abgesehen ist das kein organischer Sound bei dem Song. Das sind tatsächlich Midi-Bläser. Für mich könnte das auch ein Booba- oder Travis-$cott-Beat sein. Wir wollten dann aber so stringent sein und die Live-Bläser auch noch über die Midi-Linie drüberspielen lassen. So bekamen wir den Track wieder mehr in diese Album-Welt rein. Das ist schon unser Trademark: Die Songs, die wir machen, haben eine Seele, eine organische Echtheit, die aber in eine neue Zeit transportiert wurde. Die Ansätze dafür waren bei »Endlich Unendlich« schon da, wir haben sie jetzt bei »Regenmacher« nur noch mal verfeinert. Man ist einfach sicherer geworden. Die »Endlich Unendlich«-Schule hat uns gezeigt, was man alles machen und wie man Songs noch weiterbringen kann.

  • »Was ihr seht« (prod. von Ghanaian Stallion)

    Megaloh:
    Ich wollte hier noch mal meine Geschichte erzählen. Es gab einfach Dinge, die noch nicht gesagt wurden. Der Beat hat in mir ein Nostalgie-Gefühl ausgelöst – da hatte ich einfach Bock zu reminiscen. Der Song ist in der ersten Session mit den Bläsern entstanden. Das war dann auch der erste Song, bei dem ich gemerkt habe, wie geil dieses Organische kommt. Das Sample hat das schon vorgegeben – aber als es dann nachgespielt wurde und die Bläser dazu kamen, hat es alles noch viel runder und stimmiger gemacht. Das hat mich krass darin bestärkt, dass wir genau das Richtige machen. Die Nummer bedeutet mir viel, weil ich zum einen meinem technischen Anspruch gerecht werde, es aber zum anderen auch schaffe, die Geschichte zu erzählen. Da fällt keines dem anderen zum Opfer. In der Vergangenheit kam es diesbezüglich immer mal wieder zu Kompromissen: dass man die Geschichte erzählt und dann, der Einfachheit halber, Kompromisse auf technischer Ebene machen muss – oder du machst zu viel Technik und verkünstelst dich bei der Aussage. Hier habe ich es geschafft, beidem gerecht zu werden.

    Ghanaian Stallion:
    »Was Ihr Seht« ist, wie der Beat klingt, so ein bisschen »Traum Vom Fliegen« 3.0 – der könnte auch auf dem »Blueprint«-Album sein. Der Beat hat in Uchenna auch gleich etwas ausgelöst, er hat direkt Emotionen in ihm geweckt. Das war ähnlich wie bei »Traum vom Fliegen«: Ein früher Song, der viele Leute berührt hat. Es war sehr schnell klar, dass »Was Ihr Seht« eine zentrale Rolle auf dem Album spielen muss. Das Sample musste dann aus rechtlichen Gründen von KAHEDI noch mal nachgespielt werden.

    Max Herre:
    Das ist KAHEDI at its best, was diese Sample-Ebene angeht. Wir hören das und fangen an: Was für eine Gitarre spielt da, was für eine Orgel, wie klingen die Drums, wie klingt der Bass? Dann fängt man an, Kopfstimmen zu singen und zu zerschneiden, um hinterher einen Song zu haben, der nicht klingt, als hätte er kein Sample mehr, sondern als würde einfach ein Siebziger-Jahre-Soul-Sample laufen. Das ist schon nah an dem, was ursprünglich da war. Man ändert immer Tonarten und Akkorde, aber man probiert trotzdem, den entscheidenden Vibe des Loops zu erhalten, für den Alan sich entschieden hat. Die große Stärke ist, dass du ganz andere Freiheiten hast und bestimmte Sachen featuren kannst. Früher ging das im Rap ja nur so: Sample läuft oder Sample läuft gefiltert. Und so kann man eben nur die Bassline vier Takte lang spielen lassen oder die Orgel. Und das gibt auch dem Rap subtil immer neue Impulse, weil Dinge sich ändern und bewegen, obwohl es Loop-Charakter hat. Die Bläser spielen eine große Rolle auf dem Track. Uchenna spricht ja viele junge Leute mit dem Album an und dieses Lied hat trotzdem diese Heritage, diesen Soul-Ursprung, dem mit diesem Solo gehuldigt wird. Auch für Leute, die nicht originär Soulmusik hören, ist das cool, weil dieser Rapsong plötzlich ein Stück Musik wird.

    Megaloh:
    Wie wohl ich mich mittlerweile in der Musikindustrie fühle, kann ich nicht so leicht beantworten. Es ist immer gut, diese Sachen zu lernen, weil ich mich ja in der Materie bewegen muss. Aber ich sehe mich nach wie vor in erster Linie als Künstler und möchte die Musik aus einem Gefühl heraus machen und nicht aus einem Business-Gedanken.

    Ghanaian Stallion:
    Wir sind ja auch nie auf Industrie-Veranstaltungen. Man muss uns zu so was wie dem Echo immer hinprügeln. Wir sehen uns auch gar nicht auf irgendwelchen Veranstaltungen – uns interessiert es einfach nicht. Wir sind einfach die Late Bloomer und wir haben sehr großen Hunger. Ich möchte jetzt gar nicht raus auf irgendwelche Partys und erst mal genießen. Wir wissen jetzt, dass wir uns ein bisschen gefunden haben und so viel machen können – ich möchte nicht chillen, ich will viel lieber weitermachen.