Die DNA von Ratkings »So It Goes«
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»So It Goes« – Chromosom 1 Wu-Tang Clan
Wann immer man ein Interview mit Wiki liest, betont er seine Sozialisation durch klassischen New-York-Rap von Nas, Jay-Z, Biggie und Mobb Deep. Von »Dazed Digital« nach seiner Wahl zwischen dem Wu-Tang Clan und A Tribe Called Quest gefragt, fällt die Antwort allerdings unangemessen eindeutig aus: »Wu-Tang!« Ein klares Votum für die wütenden Straßen-Ninjas aus Staten Island, gegen die smarten Bohemiens vom Linden Boulevard. Ein Song auf »So It Goes« heißt sogar »Snow Beach«, nach der ikonischen Ralph-Lauren-Polo-Sport-Jacke, die Raekwon im Video zu »Can It Be All So Simple« vom ersten Wu-Album »36 Chambers« rockt. Nicht nur das kanonische Frühwerk, sondern auch das späte Meisterstück »Supreme Clientele« von Ghostface Killah hat Ratking stark beeinflusst.
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»So It Goes« – Chromosom 2 The Diplomats
Dass Cam’ron der erklärte Lieblingsrapper des 20-jährigen Lead-MCs Patrick »Wiki« Morales ist, daran lässt der Bursche mit der charakteristischen Zahnlücke keinen Zweifel. »S.D.E.« von 2000 hält Wiki für eines der besten Rap-Alben aller Zeiten, er feiert jedoch auch das Spätwerk zwischen »Killa Season« und »Public Enemy #1« bedingungslos ab. Für ein paar Kids von der Upper West Side sind die Diplomats eben die einzig legitimen Nachfolger des Wu-Tang Clan in einer New Yorker Rap-Ahnenlinie. Auf »So It Goes« findet sich ihre Hommage in Form eines Quasi-Remakes des 2003er Klassikers »Dipset Anthem«: »Remove Ya« basiert auf demselben prominenten Sanchez-Sample, das Sportinglife hier nochmal bisschen anders flippt.
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»So It Goes« – Chromosom 3 Zomby
Neben Kanye West, Pharrell und dem heute vergessenen ersten Cam’ron-Produzenten Digga ist Zomby einer der Lieblingsproduzenten des Ratking-Beatschraubers Sportinglife. Zomby gehört zu den zentralen Spielern der Bass-Music-Welt, spätestens seit seinem 2008er Album »Where Were U In ’92«, das ein weltweites Revival von UK Hardcore aus den frühen Neunzigern lostrat. Zomby pflegt die Anonymität (es gibt lediglich eine äußerst unterhaltsame Twitter-Persona zwischen Piratenradio-Archivar und britischem Nachtleben-Proll in Givenchy-Pullover) und sein nachhaltiger Einfluss auf Ratking kommt vor allem in den Drumsounds, Rhythmen und Arrangements zum Tragen.
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»So It Goes «- Chromosom 4 Jungle und Grime
Dass die Jungs durch Zomby auf Old School Jungle aus der Ära von 1992 bis ’94 gestoßen sind, spürt man sehr deutlich in den Sets, die sie in unregelmäßigen Abständen im New Yorker Internetradio Know Wave abfeuern. Doch ihre Vorliebe für britische HipHop-Adaptionen ist damit noch zu Ende: Das »Boy In Da Corner«-Album von Dizzee Rascal gehört genau so zu den Favoriten der New Yorker wie verschiedene Tunes von Mike Skinner, Wiley oder Skepta. Wenn man Wikis und Haks Reimstil betrachtet, findet man klare Parallelen zur Grime-Bewegung: Während Wiki immer mal für ein Doubletime-Silbenmassaker gut ist, transportiert Hak einen karibischen Ragga-Einfluss. Auch das Drum-Programming bei »Puerto Rican Judo« mit Princess Nokia (aka Wavy Spice) scheint von frühem UK Hardcore beeinflusst zu sein.
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»So It Goes« – Chromosom 5 Black Dice
Sportinglife, Wiki und Hak hegen ein ausdrückliches Faible für dieses Indie-Trio aus Brooklyn, das seit 2002 auf sechs Alben und zahlreichen EPs sperrige Noise-Experimente auslebt. Mit dem Black-Dice-Mitglied Eric Copeland nahmen sie für ein Converse-Marketing-Projekt sogar einen gemeinsamen Song namens »Gauchos« auf. Die größte Rolle spielen für Ratking die ungewöhnlichen Songstrukturen und die unkontrollierten Geräuschattacken. Auf »So It Goes« hört man zwar keine direkten Referenzen an den Black-Dice-Sound, doch die Produktionsweise dürfte durchaus von ihrem künstlerischen Ansatz geprägt sein.
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»So It Goes« – Chromosom 6 Suicide und No Wave
Alle drei Ratking-Mitglieder hegen eine Begeisterung für die New Yorker Ära zwischen 1977 und 1982, in der früher HipHop, Avantgarde-Kunst und Postpunk miteinander interagierten. Allen voran der exzentrische Alan Vega und seine Proto-Punk-Truppe Suicide werden immer wieder als lebendiger Einfluss vor allem von Wiki zitiert, der in der High School laut eigener Aussage auch eine ausgemachte Hardcore-Phase mit den Bad Brains und Minor Threat durchgemacht hat. Auf »So It Goes« gibt es davon wenig konkret zu hören, allerdings kommt in der Attitüde und den wütenden Texten eine klassische Punk-Haltung zur Geltung, während die Tradition des No Wave Cinema in den Visuals der Gruppe aufgegriffen wird.
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»So It Goes« – Chromosom 7 Kanye West
Der aktuelle Großmeister der Pop Art wird besonders von Produzent Sportinglife kultisch verehrt. Laut seiner Einschätzung hatte Kanye seine beste Phase in den Jahren 2006 und ’07, als er das unangreifbare »Graduation« veröffentlichte, mit DJ Toomp oder Mos Def zusammenarbeitete und ganz generell die urbane Musikwelt definierte. In seinen DJ-Sets spielt Sportinglife derzeit aber vor allem den von West produzierten Banger »Pain« vom aktuellen Pusha-T-Album »My Name Is My Name«. Und da Kanye mit »Yeezus« den Mainstream für neue Strömungen aus dem elektronischen Untergrund geöffnet hat, stößt auch ein Album wie »So It Goes« heute auf mehr Interesse als noch vor einigen Jahren.
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»So It Goes« – Chromosom 8 King Krule
Den 20-jährigen Singer/Songwriter King Krule und die Ratking-Truppe verbindet nicht nur eine offensichtliche Geistesverwandtschaft, sondern auch ein ähnlicher Musikgeschmack: Zusammen waren sie 2013 einmal beim britischen Ex-Piratensender RinseFM zu Gast und spielten eine spannende Stunde lang all ihre Lieblingsmusik von Dub über Postpunk bis MF Doom und Mixtape-Tracks von 50 Cent. Nach dem hervorragenden »Octopus«-Remix folgt auf »So It Goes« nun die echte Zusammenarbeit in Form der grandiosen Single »So Sick Stories«.
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»So It Goes« – Chromosom 9 Young Guru
Eine letzte Kuriosität: »So It Goes« wurde von Jay-Zs Haus- und Hof-Engineer Young Guru gemischt. Ratking wollten, dass die Vocals so präsent wie auf den Alben von Cam’ron oder Jay-Z klingen, gleichzeitig sollten die Beats klanglich ganz weit vorne, beinahe futuristisch wirken. Eine Aufgabe, die Guru mit Bravour meistert, indem er Ratking erstmals nicht wie die Rap-Punks aus dem Proberaum, die sie eigentlich sind, tönen lässt. Die 11 Songs auf »So It Goes« stehen für eine positive Vereinfachung gegenüber ihrer Debüt-EP »Wiki93« aus dem Jahr 2012, ohne den künstlerischen Anspruch der Band zu verlieren. Klarer Fall für die Jahresendlisten.