Andrew Emery über die Magazine »Hip-Hop Connection« und »Fat Lace«
Andrew Emery hat durch seine langjährigen Beiträge und Kolumnen in der »Hip-Hop Connection«, die Gründung des Satiremagazins »Fat Lace« und nicht zuletzt durch seine Bücher der HipHop-Kultur seinen Stempel aufgedrückt. Seine Texte zeugen von Fachkenntnis und Schreibkunst, Humor und Reflektiertheit – eine Kombination, die in der Welt der Hip-Hop-Medien keine Selbstverständlichkeit ist. Aber vor allem sind sie Zeugnis einer leidenschaftlichen Liebe zu HipHop. ALL GOOD hat dem Kingpen aus England Titelseiten und Auszüge aus der »Hip-Hop Connection« und »Fat Lace« vorgelegt und um Kommentierung gebeten. Eine Bitte, welcher der Gentleman in gewohnter Manier nachkam.
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1. Hip-Hop Connection #1 (July 1988) »…and you don't stop«
Wie auch viele andere Rap-Fans aus dem Vereinigten Königreich und Europa war ich begeistert, als »Hip-Hop Connection« (HHC) ins Leben gerufen wurde. Das Magazin war aus einer kostenpflichtigen Hotline mit einer Ansage von DJ Dave Pearce hervorgegangen, bei der die Anrufer ihre eigenen Raps einrappen konnten. Als die Leute, die hinter dieser Hotline standen, merkten, wie gut das ankam, kamen sie zu dem Schluss, dass sich eine Zeitschrift lohnen könnte. Was mir an der Erstausgabe auffällt, ist, dass sie schon sehr viele UK-Inhalte enthielt: Derek B, Wee Papa Girls, Tim Westwood. Daran hielt man auch später weitgehend fest. Dennoch bekam HHC Briefe von Leuten, die sich beschwerten, dass UK-Rap in dem Magazin nicht ausreichend abgebildet werden würde. Ich frage mich, wer damals wohl den Drumcomputer gewonnen hat…
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2. Hip-Hop Connection #211 (Mai 2007) »Who We Be?«
Ich hätte nie gedacht, eines Tages so intensiv für die »Hip-Hop Connection« zu schreiben, wie ich es schließlich tat. In einer Tour Wörter, Features, Kolumnen, Interviews und Reviews für das beste HipHop-Magazin der Welt zu produzieren, und das weit über die 200. Ausgabe hinaus – das war ein echtes Privileg. Ich lernte dadurch nicht nur wunderbare Menschen und Künstler kennen, sondern lernte auch mein Handwerk. Jeder hat etwas, das er in seiner Karriere bereut, und wenn ich im Rückblick sehe, welche Haltung ich manchmal vertreten oder welche Sprache ich teilweise benutzt habe, dann ist mir das etwas unangenehm, aber im Großen und Ganzen bin ich recht stolz auf meine Arbeit für HHC. Dabei war es natürlich hilfreich, einen unterstützenden und toleranten Redakteur zu haben, der für die meisten Ideen offen war. Die Kehrseite bestand darin, sehr schlecht bezahlt zu werden – ein Resultat der wirtschaftlichen Lage der UK-Rap-Szene und des Magazingeschäfts. Die meisten Autoren von HHC bekamen fünf Penny pro Wort. Als ich in den Nullerjahren sehr viel für HHC schrieb, bekam ich als mitwirkender Redakteur darüber hinaus 200 Pfund monatlich.
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3. Hip-Hop Connection #199 (August 2006) »Def Chef«
Ich habe mich schon immer für Essen und Kochen interessiert. Und Andy Cowan, der Chef von HHC, war für die meisten meiner Ideen immer offen, also passte es, eine Rap-Koch-Kolumne ins Leben zu rufen. Das war übrigens eine weitere Weltneuheit, die ich zwar erfand, aber aus der ich nie Profit geschlagen habe! Ich habe es jedenfalls geliebt, die Seite für das Magazin zusammenzustellen. Es war eine gute Gelegenheit, zu kochen, mit einem das Essen kostenden Gast abzuhängen und Wortspiele auszubrüten, die mit HipHop und Essen zu tun haben. Oft war es so, je obskurer ein Rapper war, desto interessanter war das Rezept. Indie-Künstler neigten dazu, experimenteller zu sein, oder waren vegan, sodass ich manche interessante Zutat erst mal suchen musste. Dagegen bestand das Rezept von Method Man lediglich aus einem Käse-Toast. Manchmal habe ich sehr brauchbare Rezepte per E-Mail bekommen, aber wie man an der Kolumne sieht, musste ich teilweise bei den einfachsten Sachen improvisieren. Später wollten ein paar Freunde und ich mit einem der Produzenten von »Dragon’s Dan« (eine britische Fernseh-Reality-Show; Anm. D. Verf.) aus der Kolumne sogar ein Fernsehprojekt machen, aber das lief leider ins Leere. Schade.
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4. Hip-Hop Connection #218 (Dezember 2007) »The Andrew Emery Column«
Als ich zu schreiben anfing, habe ich davon geträumt, eines Tages eine eigene Kolumne zu bekommen. Einen wöchentlichen Beitrag in »The Guardian« oder »The Independent« (der damals noch eine sehr gute Tageszeitung war), in dem ich mich über was auch immer auslasse, um im Gegenzug einen fetten Scheck zu bekommen, das wäre schön gewesen. Aber Karrieren laufen selten so, wie du es gerne hättest. Stattdessen habe ich viele langwährende Features für HHC gemacht: Kolumnen über Slang, seltene Platten, Essen. Aber erst kurz vor dem Niedergang des Magazins bekam ich auch meine erste nach mir benannte Kolumne. So eine Kolumne gibt man sich schließlich nicht selbst, sondern man muss dazu eingeladen werden. Natürlich habe ich auch in vielen meiner anderen Features meine Meinung einfließen lassen, aber in der Andrew-Emery-Kolumne konnte ich alles ungefiltert sagen. Ich konnte mich über welches Thema auch immer auslassen, so wie ich wollte. Eine Freiheit, die man beim Schreiben selten bekommt.
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5. Hip-Hop Connection #105 (November 1997) »Webheadz«
Diese Kolumne sieht heute unweigerlich veraltet aus: der Titel, der Untertitel und die Screenshots. Das sieht schon sehr nach Web 1.0 aus. Manchmal erzähle ich meinen Kindern von der Zeit vor dem Internet. Eine Zeit, in der es noch keine Smartphones gab, keine derartige Informationsflut und die Möglichkeit, seine Zeit mit den Fingerkuppen zu verschwenden. Jedenfalls: Als das Internet aufkam, war ich sehr daran interessiert, was es dort an HipHop-Inhalten zu finden gab, daher die Idee für die Kolumne. Es war recht spannend. Es gab unbefangene und liebevolle Sachen wie Fan-Seiten für Künstler. Da gab es noch keine Blogs. Außerdem konnte ich in der Kolumne auch in Themen eintauchen, die über HipHop hinausgingen: Politik, Sex, Cartoons. Ich trieb mich auch in einigen der frühen HipHop-Foren herum, um Meinungen einzufangen, Fragen zu stellen und mir einen Überblick zu verschaffen. Es war eine aufregende Zeit.
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Hip-Hop Connection #222 (Mai 2008) »The Original« (von #219 bis #232)
»The Original« war ein in der späten HHC-Ära eingeführtes kleines Magazin innerhalb des Magazins. Darin wurde auf die Siebziger- und Achtzigerjahre von Hip-Hop zurückgeblickt, so wie es keine andere Zeitschrift zuvor gemacht hat. Mir kam das sehr entgegen, da ich inzwischen kaum noch neue MCs und DJs interviewte, und eher daran interessiert war, tief in die Geschichte der Old-School-Persönlichkeiten einzutauchen. Durch »The Original« hatte ich die Möglichkeit, genau das zu tun. Ich flog nach New York und traf mich mit Doug E. Fresh, der mich anschließend nach Harlem brachte, um LA Sunshine von den Treacherous Three zu treffen. Ich traf Mr. Magic in Brooklyn, der tolle Geschichten zu erzählen hatte. Ich habe mit Milk Dee von Audio Two gesprochen, den ich zuvor schon für Fat Lace interviewt hatte. Ich habe ein Trenton-Special gemacht, für das ich mit Wise Intelligent von Poor Righteous Teachers, Tony D und YZ telefonierte. Das Schöne an diesem Special war, dass alle drei unterschiedliche Perspektiven und Meinungen über dieselben Ereignisse haben, was die Geschichte stark bereichert hat.
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7. Fat Lace #3 (1999) Eminem-Titelbild
Diese Ausgabe hat »Fat Lace« auf ein anderes Level gehoben. Wir kamen in den landesweiten Vertrieb von HMW, hatten neue Autoren mit an Bord und fanden in anderen Magazinen positive Erwähnung. In dieser Ausgabe wollte Barrie, unser Layouter, »ego trip« huldigen, einem US-amerikanischen Magazin, das wir alle verehrten. Leider führte das zu Beef mit der Belegschaft von »ego trip«, die ihn in diesem Zuge als »Barrie Biter« bezeichnete. Im Nachhinein denke ich, dass ihr Ärger teilweise berechtigt war; ein paar Seiten sahen schon sehr »ego trip«-mäßig aus. Aber ich glaube, es hatte auch damit zu tun, dass unser Magazin auch in New York in Plattenläden verkauft wurde und wir somit in ihrem Einzugsgebiet auftauchten. Wir bekamen schon früh Eminems »My Name is…«-Video zu sehen, da wir ihn bereits auf dem Schirm hatten, seit er auf New Yorker Untergrund-Platten zu hören war, und Kontakt mit seinem Manager aufnahmen. Der »Fat Lace«-Titel war Eminems erster Magazin-Titel überhaupt, und ich bin froh, dass wir nur ein Bildschirmfoto verwendet haben anstatt ein normales Pressefoto. Es macht das Magazin irgendwie kerniger.
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8. Fat Lace #2 (1998) »Meet the Staff«
Die erste Ausgabe von »Fat Lace« wurde ziemlich eilig zusammengeschustert und bestand aus Texten von Mike Lewis, Dan Greenpeace und mir. Ich habe die Ausgabe auch gestaltet, und jeder, der noch ein Exemplar hat, kann sehen, dass ich null Talent für Layout habe. Die zweite Ausgabe nahmen wir etwas professioneller in Angriff, und dazu gehörte, ein paar neue Leute mit an Bord zu holen. Barrie B kannten wir schon seit Jahren – er war mal als Rapper namens Sade bekannt und hing schon in Leeds mit uns ab. Er war Grafik-Designer, der schon für große Firmen und Marken gearbeitet hatte. Rob kam über Dan zu uns, der ihn mal in Leeds in einem Plattenladen – wo sowieso immer die besten Bekanntschaften zustande kommen – kennengelernt hat, und wurde schnell zu einem festen Freund von uns und wichtigen Mitarbeiter. Das »Fat Lace«-Graffiti-Logo haben wir, glaube ich, nur für diese Ausgabe verwendet. Das hat Part Two von New Flesh 4 Old gestaltet, mit dem wir gemeinsam Demos aufgenommen und lokale Auftritte hatten. Die zweite Ausgabe bedeutete für uns einen großen Schritt nach vorne – größer, besser und immer noch sehr, sehr albern.
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9. Fat Lace #4 (1999) »Meet the Readers«
Die anderen und ich haben uns den Kopf darüber zerbrochen, wer dieses Foto für uns gemacht hat. An die Details erinnert sich niemand mehr, aber einer aus dem Dunstkreis der »Fat Lace«-Crew überredete im Urlaub mal ein paar im Meer paddelnde Gentlemen dazu, eines unserer Promo-T-Shirts anzuziehen. Es war das »Who Shot Scott La Rock?«-Shirt, mein Lieblings-Shirt von uns. Ich mochte es, für jede Ausgabe ein eigenes Shirt zu entwerfen, und so haben wir auch ein »Free Steady B«-Shirt und ein »Milk-Dee-›I Get The Papers‹«-Shirt gemacht. Jedenfalls, als ich dieses Foto erhielt, war es zu gut, um es nicht zu verwenden. Es war einerseits willkürlich, aber spielte andererseits auch spaßeshalber auf die ältere Leserschaft unseres Magazins an. Denn wer sonst wollte schon über Spoonie Gee und T La Rock lesen?!
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10. Fat Lace #5 (2000) »Cover Me Badd«
Ich habe die Fotoshootings, die wir für »Fat Lace« gemacht haben, geliebt. Auf diese Weise konnten wir zusammen abhängen und den ganzen Tag über Witze reißen. Der Steady-B-Banküberfall hat besonders viel Spaß gemacht, und wir haben die Messlatte damit noch mal angehoben. Das ikonische »Power«-Cover von Ice-T wurde schon oft parodiert, aber wir waren definitiv die ersten. Leider besteht das Ergebnis unter anderem aus einem Foto von mir, auf dem ich als »Darlene« den Badeanzug meiner damaligen Freundin trage, was mir heute noch Albträume bereitet. Mein guter Freund Nat Saunders hat die Fotos gemacht, und wir haben alles an einem Tag geschafft. Alle haben sich verkleidet – Dan, Barrie, Rob, DJ Yoda, der damals ein umtriebiger Mitarbeiter von uns war, und ich. Wir hätten damit in den folgenden Ausgaben gut weitermachen können, aber es wurde schon damals zunehmend schwieriger, alle an einem bestimmten Tag zusammenzubringen. Alle waren inzwischen etwas älter geworden, hatten einen Beruf, Familie oder Kinder in Aussicht. Ich glaube, wir hätten alle gerne weitergemacht mit »Fat Lace«, zumal wir Ideen ohne Ende hatten. Aber es fehlte dann einfach an der nötigen Freizeit für so was.
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11. Fat Lace #4 (1999) »Cowan on Cats«
Jeder, der Andy Cowan, den langjährigen Chefredakteur und späteren Eigentümer von Hip-Hop Connection, mal getroffen hat, wird schnell zu dem Schluss gekommen sein, dass er einer der am wenigsten nach HipHop aussehenden Menschen dieser Welt ist. Nicht, weil er nicht über tiefes Wissen verfügen und keine große Leidenschaft für die Musik haben würde – sondern wegen seiner Herangehensweise, seinem Auftreten und seinem Style. Er ist ein leise sprechender Gentleman, ein ausgezeichneter Redakteur und ein wunderbarer Mensch – lauter Eigenschaften, die in den HipHop-Medien voller Angeber und Egomanen selten anzutreffen sind. Er hat meine Karriere und die von »Fat Lace« stark unterstützt, also war klar, dass wir früher oder später ein Feature über ihn bringen würden. Als hartgesottene Investigativjournalisten, die wir waren, wussten wir, dass die Leserschaft von Andy wissen wollte, wie das Tagesgeschäft von HHC abläuft, wer über die Titelseite entscheidet und welcher Rapper welches Geheimnis hütet. Also fragten wir ihn stattdessen über seine Katzen aus. Falls wir jemals eine sechste Ausgabe von »Fat Lace« machen sollten, wird sie sicher ein »Cowan on Cats – Teil 2« beinhalten.
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12. Fat Lace #5 »Crap Graf«
Als ich 1984 zu HipHop kam, nahm ich alles mit: Breakdance, die Musik und Graffiti. Doch mit Beginn der Neunzigerjahre war ich völlig gelangweilt von Graffiti, genauso wie viele Writer von HipHop gelangweilt waren. Ich hatte das Gefühl, es aus seiner Pflicht heraus mögen zu müssen, aber in Wirklichkeit fand ich das meiste Graffiti einfach uninteressant. Ich spreche hier natürlich nur für mich selbst. Dan zum Beispiel scheint Futuras sich wiederholenden Unsinn zu lieben. Mich dagegen juckte es, mich über die Wichtigtuerei einiger Mitglieder der Graffitiszene lustig zu machen. Außerdem sammelte ich gerne Toiletten-Sprüche, die ich lustig fand. Also dachte ich, diese beiden Komponenten lassen sich doch gut kombinieren: dumme Graffitis, die aber mit einer Ehrerbietung behandelt werden, so als würden sie von einem Kunstkritiker besprochen werden. Ich hätte wirklich gerne mehr aus »Crap Graf« gemacht, Bücher oder Websites. Freunde lassen mir nach wie vor solche Glanzstücke zukommen. Vielleicht ist es an der Zeit, »Crap Graf« online wieder ins Leben zu rufen. Ich habe noch eine ganze Kammer voll von Bildern.
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13. Fat Lace #2 »Notorious B.I.G. Autopsy«
Das Prinzip von »Fat Lace« bestand darin, dass uns absolut nichts und niemand heilig war. So wie wir uns erlaubten, über längst vergessene Künstler zu schreiben, die wir liebten, so erlaubten wir uns, große Stars aufs Korn zu nehmen. Unser Ansatz war, dass es für uns keine heiligen Kühe gab, wenn es darum ging, einen guten Witz zu machen. Ich wünschte, ich könnte die Urheberschaft für die Biggie-Autopsie allein für mich reklamieren, aber das kann ich leider nicht. Ich habe nur das Brettspiel »Operation« gekauft, als Grundlage für Barries Layout, und das Bild beschriftet, der Rest ist das Werk des großartigen Mike Lewis. Es ist voller bescheuerter Witze mit sehr britischen Referenzen (Mr. Kipling, Walls Sausages, Kula Shaker) und Wortspielen. Mein ewiger Lieblingssatz von »Fat Lace« ist aus diesem Beitrag: »Blutproben ergaben, dass sie das Fünffache der zugelassenen Menge von ›Kit Kat‹ enthielten.« Viele Leute haben diesen Beitrag sehr gemocht, wir haben sogar Fan-Post dazu bekommen. Aber es gab auch Kritik. Auf dem »Fresh 98«-Festival bekam der amerikanische Freestyle-Rapper Supernatural das Magazin mit der Biggie-Autopsie zu sehen und suchte dann nach uns. Aber als er uns schließlich fand, waren wir leider zu fünft, also hat er nichts gesagt.