2015 / THE RAP UP:
Die Alben des Jahres

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Was noch fehlt? Klar, der »RAP UP« und somit auch unsere obligatorischen Jahresendlisten. Die ALL GOOD-Autoren und -Redakteure haben abgestimmt und die 15 besten Alben des Jahres gewählt.

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So, jetzt aber wirklich Endspurt, Mois. Nachdem wir hier den 15 besten, schönsten oder anderweitig wichtigsten Songs ihre Rolle als offizielle™ HipHop-Würdenträger für das zurückliegende Jahr zuteil haben werden lassen, folgen nun entsprechend, genau: die Alben des Jahres.

Das Wachstum von HipHop war auch in 2015 ungebrochen und so sind Woche für Woche Veröffentlichungen erschienen, die es nicht selten ad hoc bis an die Spitze der Charts geschafft haben. Freilich hatte das keine Relevanz für unsere Bewertung – aber es zeigt, dass es Jahr um Jahr »schwieriger« wird, sich in einer fast unüberschaubaren Menge an Releases zu entscheiden. Aber gut, zumindest hatten wir bei der Kronenvergabe keinen Steve-Harvey-Moment – und letztlich jammern wir da auch auf recht hohem Niveau.

Wie dem auch sei – hier sind unserer und der Meinung unserer Autoren nach diejenigen 15 Alben, die man für ein gelungenes Zwofuffzehn nicht verpasst haben darf.

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  • A$AP Rocky »At.Long.Last.A$AP«

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    A$AP Rocky hätte sich für seinen Zweitling einfach auf die Hits der ersten Platte berufen können. Ein bisschen arrogantes Aufschneidertum à la »Fuckin’ Problems«, Braggadocio auf Brostep-Basis in der Tradition von »Wild For The Night« oder runtergeschraubte »Goldie«-Lässigkeit. Denkste! Stattdessen hat Rakim Mayer sich noch ein paar mit Lysergsäurederivat beträufelte Zettelchen eingeworfen und die Psych-Schiene gefahren. Der Hippie-HipHop schmeckte nicht jedem – vielleicht auch, weil man »At.Long.Last.A$AP« streckenweise anmerkte, dass der kurz vor Veröffentlichung verstorbene Rocky-Mentor und Mob-Mastermind A$AP Yams vielleicht nicht mehr ganz so stark wie in der Vergangenheit in den Schaffensprozess der Platte involviert war. Aber andereseits waren »L$D«, »Holy Ghost« und »Jukebox Joints« mit Retro-Kanye am Beat schon auch verdammt gute Songs. Neuer Sound hin oder her.

  • Earl Sweatshirt »I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside«

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    »›I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside‹ ist eine Chronik von Bipolarität und Sozialphobie, von Verlust und Betäubung.« Dieses Statement aus Stephan Szillus’ ALL GOOD-Review kann man getrost so stehen lassen. Oder man kann sich einfach immer wieder Hiro Murais geniales Video für Earls »Grief« ansehen und die passenden Rückschlüsse auf das Album ziehen. »I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside« ist schwarz. Und wenn dann mal Lichter aufblitzen, dann mag man den Lichtblicken nur schwer glauben. Sie sind grau-schleirige, beängstigend fluoreszierende Negative, sie illuminieren die vermeintlich falschen Stellen und kaschieren die vermeintlichen Wahrheiten. Earls misanthropisches Storytelling macht es einem nicht leicht. Aber wieso sollte es das auch? Vor kurzem fragte man Earl nach seinem Album des Jahres – »Days With Dr. Yen Lo« von Brownsville-Rapper Ka gibt er zu Protokoll. Natürlich, möchte man sagen. Seine Erklärung bringt den Mindset des Wunderkinds Earl Sweatshirt anno 2015 auf den Punkt: »I don’t have the patience to sit (…) and explain to stupid people why Ka ist the best, if you don’t understand why that’s your bad.«

  • Fatoni & Dexter »Yo, Picasso«

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    »Yo, Picasso«, war sich Jan Wehn am Ende seiner Review sicher, sei das bessere Kollabo-Album der KW 45 und außerdem »neben ›Alles brennt‹ von Zugezogen Maskulin und LGoonys ›Grape Tape‹ eines der drei besten deutschen Rap-Alben des Jahres.« Daran hat sich auch in der letzten Woche von Zwofuffzehn nichts geändert. Was Fatoni und Dexter auf dieser gemeinsamen Platte im Spätherbst veranstalteten, strotzte nur so vor ehrlicher Liebe für Sprache und Sound und war genau deshalb eine – vielleicht gar nicht so gedachte, aber vermutlich gerade deshalb so gekonnte – Antithese zum schnelllebigen Standardscheiß.

  • Skepta »The Tim Westwood Mix«

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    Wieder kein »Konnichiwa«! Aber dafür ein Mixtape, das ähnlich wie »If You’re Reading This It’s Too Late« von Soulbrother Drake, wie ein Album klang – und das vom Boy-Better-Know-MC mit seinen Mandem höchstpersönlich auf den Straßen von New York verteilt wurde. Darauf zu hören: Feel-good-Flexereien wie sein 16er auf dem »I Know There’s Gonna Be (Good Times)«-Remix, das mächtige »Ace Hood Flow«, gemeinsame Sachen mit den Flatbush Zombies (»Red Eye To Paris«) oder verschiedene Dinge wie der »Ojuelegba«-Remix oder exklusive Freestyles.

  • Xatar »Baba aller Babas«

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    Frisch aus dem Knast, der Goldzahn er glänzt! Nur wenige Monate nach der Entlassung aus fünfjähriger Haft, die Xatar wegen einem spektakulären Goldraub absitzen musste, veröffentlichte der Alles-oder-Nix-CEO sein zweites Soloalbum »Baba aller Babas«. Bis dato hierzulange ungeahnt wuchtige Beats, Sprüche und Stories noch und nöcher, sowie eine ungemeine Präsenz machten die Platte zu einem der ganz wichtigen Releases des Jahres – und sorgen dafür, dass »Baba aller Babas« neben Bushidos »Vom Bordstein bis zur Skyline«, Azads »Leben« und »Russisch Roulette« von Haftbefehl hierzulande zu den wichtigsten Alben des Genres Straßenrap überhaupt gezählt werden kann.

  • Morlockk Dilemma »Der eiserne Besen II«

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    Nach fünf Jahren wurde 2015 im deutschen Rap endlich wieder gehörig durchgefegt – glücklicherweise. Morlockko Plus ließ jede Menge abseitige Sampleabfahrten aus seinem Leierkasten und Pferdelunge Morlockk Dilemma, nach eigenen Aussagen »Leipzigs bösester Motherfucker seit Sebastian Krumbiegel«, echauffierte sich auf 35 (!) Songs und Skits gemeinsam mit schlechgelaunten Kollegen wie Audio88 & Yassin, Absztrakkt, R.U.F.F.K.I.D.D., Edgar Wasser und Retrogott wieder was das Zeug hält. #beste

  • LGoony »Grape Tape«

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    Es ist so verrückt wie logisch: Da muss erst so ein völlig unscheinbarer Knabe daherkommen und von Oberarmumfang über Promo-Gags bis Chartplatzierungsschachtel alles falsch™ machen, um damit Deutschraps Innovator auf der einen, und auf der anderen Seite doch hundert Mal mehr HipHop zu sein als der Großteil der gut geölten Rap-Industrie. LGoonys zweites Free-Mixtape/Album »Grape Tape«, dieses Amalgam aus faszinierend dadaistisch-materialistischem HipHop-Habitus, Referenzen, die bis tief ins dunkle Deutschrap-Mittelalter zurückreichen und dem gleichzeitigen Entsagen tradierter Bummtschakologismen zugunsten eines wunderschönen Cloudrap-Manifestos auf Produktionsseite macht dieses Album zu einem unbedingten Meilenstein für Nullfünfzehn.

  • Drake »If You're Reading This It's Too Late«

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    Auf den Tag genau sechs Jahre nach »So Far Gone« – also jenem Mixtape, das wie ein Album klang und somit einen neuen Qualitätsstandard für dieses Freebie-Medium setzte – veröffentlichte Drake am 13. Februar 2015 und damit lange vor dem herbstlichen »Hotline Bling«-Hype sein »If You’re Reading This It’s Too Late«. Wieder so ein Mixtape, das wie ein Album klang und irgendwie auch ein Album war oder, in Anbetracht der Vertragsfehde mit Birdman, auch ein Album war. Wer weiß das schon so genau? »IYRTITL« stand ganz in der Tradition von seiner 2014er-Single »0 to 100 / The Catch Up«, die saloppes Imponiergehabe und gründliche Selbstreflektion im Verhältnis 2:1 mischte und ein ums andere Mal Aubrey Grahams Ambivalenz zwischen guten 30 Millen Gesamtvermögen und der Unfähigkeit des Zurechtfindens im V.I.P.-Bereich auf den Punkt brachte – und mitsamt dem Kurzfilm zu »Jungle« auf geschickte Weise seine Heimatstadt Toronto als essenziellen Dreh- und Angelpunkt des für Anfang 2016 angekündigten »Views From The 6«-Albums einführte.

  • D’Angelo »Black Messiah«

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    Als »Black Messiah« letzten Dezember so unerwartet wie plötzlich erschien, kam es zu spät für die Jahresendlisten 2014. Für die Musik von 2015 gab es allerdings kein wichtigeres Album. »Black Messiah« bereitete mit seinen Verweisen auf bluesigen Psych-Rock und den Spiritual Jazz der 1970er den musikalischen Nährboden für Kendrick und Kamasi. Die nervöse Ästhetik untermalte die Dringlichkeit, mit der D’Angelo die sozialen Spannungen angesichts der eskalierenden, rassistischen Polizeigewalt in den USA beschrieb. Klar, manche wollten wahlweise lieber den »Brown Sugar«- oder den »Voodoo«-D’Angelo zurück, doch stattdessen lieferte er zum dritten Mal wichtige Impulse fürs Jetzt, anstatt sich im Selbstzitat zu verlieren. Ein kompromissloses Statement, das dank seiner positiven Rezeption auch anderen Künstlern mehr Mut zum Nonkonformismus machte.

  • Audio88 & Yassin »Normaler Samt«

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    Mit der AK auf dem Plattencover posieren? Normal. Dazu sperrige Pulloverauswahl? Spätestens seit »Bei Nacht«: ganz normal. »Normal« zum hegemonialen Abgrenzungsmerkmal machen und sich dabei auf Torch beziehen? Genial. Mit »Normaler Samt« lösten Audio88 & Yassin 2015 endlich das Versprechen ein, das sie nie gemacht haben: Eine stellenweise recht zynische und ebenso anstrengende wie überfällige, albumgewordene Großabrechnung mit eigentlich allem: Harte, klug verpackte Gesellschaftskritik im Ganzen, die Abstrafung hip verpackten Spießertums im Detail und eine reichlich ungeschminkte, bleierne Rückhand ins Gesicht der sich gerade die Augenbrauen zurechtzupfenden Deutschrap-Szene. »Normaler Samt« hat Style ohne zeitgeistig rumzustylen und ist damit im Prinzip Normcore per definitionem. Das einzige, was dem Album fehlt: ein Song mit Massiv.

  • Kamasi Washington »The Epic«

    Kamasi Washington

    »The Epic« ist das einzige Album in unserer Jahresbestliste, das für seine Verkaufszahlen eine Goldene Schallplatte in Deutschland bekommen hat: ein 3-CD-starkes, knapp drei Stunden langes Jazz-Manifest, der kürzeste Song ist sechseinhalb, der längste 15 Minuten lang, aufgenommen von einem 34-jährigen Saxophonisten aus Compton. Auch wenn diese Punchline einen kleinen Haken hat – in Deutschland gibt es sogenanntes »Jazz Gold« für bereits 10.000 (und nicht wie regulär 100.000) verkaufte Alben –, sie ist zu bezeichnend, um sie nicht zu bringen. Kamasi Washingtons »The Epic« ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Das gilt auch für die Rezeption – medial wurde das Meisterwerk immer wieder dafür gelobt, dass es gerade durch Washingtons Nähe zu Flying Lotus’ Brainfeeder-Posse sowie seiner Involvierung in Kendricks »To Pimp A Butterfly« so zeitgemäß und generationsübergreifend klinge. Dabei ist das nur ein ganz kleiner Teil dieser hochkomplexen Angelegenheit. »The Epic« – das mag abgedroschen klingen – lebt. Es windet sich an den richtigen Stellen, bezirzt und schlägt einem dann sogleich wieder mitten ins Gesicht.

  • Zugezogen Maskulin »Alles Brennt«

    ZMAB

    Bei dem, was dieses Jahr in Deutschraphausen so alles passiert ist, hätte man beinahe vergessen können, dass eines der besten Alben schon im Februar erschien. Nach der ersten EP, einer LP und zwei Solo-EPs veröffentlichten grim104 und Testo da nämlich als Zugezogen Maskulin ihr zweites Album »Alles brennt« über das Hamburger Traditionslabel Buback Tonträger. Die Musik? Dank Beats von Silkersoft, Nvie Motho und Dieser Morten irgendwo zwischen Trap™ und Drum’n’Bass verortet. Die Themen? Die scheinbare Flüchtlingsproblematik, die durch Berliner Werbeagenturen vollzogene Anbiederung an den vermeintlichen Lifestyle der sozial Schwächeren und den Generationenkonflikt im deutschen Rap – und zwar so klar verständlich, pointiert und gleichzeitig doch verrätselt und widersprüchlich wie niemand sonst derzeit.

  • Crack Ignaz »Kirsch«

    CIK

    Im gesammelten Müll von Nachahmern, Möchtegerns und anderen Fuckboys sticht ein Künstler wie Crack Ignaz meilenweit heraus. Wieso? Weil er einfach macht. Weil er sich – der Wiener Schmäh sei hier für den Salzburger ausnahmsweise erlaubt – nix scheißt. »Kirsch« ist Drill mit Herzerl-Brille, Musikantenstadl mit Swag, BoomBap ohne Stock im Arsch und, nun ja, Cloud Rap, ohne dabei Cloud Rap zu sein. »Kirsch« hat Tunes wie »Gödlife« und »Grüne Dächer«, also perfekt zeitgeistige Rap-Songs wie sie sein sollten und »Kirsch« hat Hits wie »Oder ned« und »August«, also Songs, denen man sich nicht entziehen kann, Songs mit gottverdammten Melodien! Eigentlich kann ein Album kaum besser sein. Wobei, bald erscheint das Nachfolge-Album »Geld Leben« zusammen mit Wandl und es ist – Achtung, Spoiler – noch besser.

  • Vince Staples »Summertime 06«

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    2006 war der Sommer, als Vince Staples 13 Jahre alt wurde und erwachsen werden musste. Heute macht Staples illusionslosen Reality Rap aus der Perspektive des smarten Jungen aus der Hood, dessen Ambitionen weit über die Straßenecke hinausreichen — der sich im Notfall aber zu helfen weiß. Mit seinem Debütalbum machte er ein für allemal klar, dass er nicht bloß der gunslingende Odd-Future-Homeboy mit der coolen, emotionslosen Stimme ist. Technisch zeigte sich Staples auf seinem Debütalbum »Summertime 06« beinahe schon gewohnt brillant, doch auch auf musikalischer Ebene bewies das Konzept-Doppelalbum jede Menge Ambition, indem es aktuelle Strömungen aufgriff und von ihren ästhetischen Klischees befreite. Nicht hoch genug loben kann man die Executive Production durch No I.D., der das zutiefst kontemporäre und doch innovative Soundbild von DJ Dahi, Christian Rich und Clams Casino mit enormem Weitblick orchestrierte. Lediglich der große Hit fehlte.

  • Kendrick Lamar »To Pimp A Butterfly«

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    Ein wenig befremdlich war es schon, dass zur Veröffentlichung von »To Pimp A Butterfly« auf einmal jeder ein Jazz-Experte war. Für den einen oder anderen Profi ging die musikhistorische Referenz jedoch nicht viel weiter als »Es ist halt schon ziemlich anstrengend teilweise.« Nun, klar ist es nicht einfach, den Nachfolger eines Meilensteins zu machen – aber es ist eben auch nicht einfach, den Nachfolger eines Meilensteins zu hören. Es passierte also, was halt so passiert – als Fan wurde man zum Egoist: Was macht »TPAB« für mich? Was gibt es mir? Was gibt Kendrick mir? Ist dieses hochkomplexe Stück Ghetto-Avantgarde für mich? Ist diese Geschichte meine Geschichte? Doch: King Kendrick hat dieses Album nicht für seine Fans gemacht. Wahrscheinlich nicht mal für sich selbst. So selbstdestruktiv kann doch keiner sein …