Argonautiks »Wir warten auf ein Zeichen.«

Die Argonautiks holen sich nach zehn Jahren endlich ihre wohlverdienten Lorbeeren. ALL GOOD-Autor Till Wilhelm hat sie zum Interview getroffen – »Zwei-Fünf, Teltow Stadt, ich geb niemandem was ab«.

Argonautiks

Die Argonautiks, ehemals Bens und Sair, kamen schon 2010 mit den ersten Releases aus einem Teltower Keller in die Landschaft deutschsprachiger Rapmusik. Zehn Jahre später stehen sie fest im Leben, arbeiten Vollzeit und haben nebenbei Mitte Januar ihr drittes Studioalbum »Trauben über Gold« veröffentlicht. Dafür ging es nicht nur zurück in besagten Keller, sondern auch zurück zum eindeutigen Battlerap, ohne dabei an Haltung zu verlieren. Das lyrische Du in ihren Texten vertritt alles, was die beiden wack finden, keine Ambivalenz. In der Realität sieht das oft anders aus. Nicht alles ist einfach nur schlecht, nicht alles einfach nur gut. Im Interview mit ALL GOOD-Autor Till Wilhelm sprechen sie über diese Widersprüche, den Hang zur Negativität und ihre nicht vorhandenen Karrierepläne.

  • Ihr habt 2010 schon die ersten Releases rausgehauen. Könnt ihr euch das heute noch guten Gewissens anhören?

  • Paul: Nee, auf keinsten. Das ist, als würde man sich alte Fotos anschauen. Zu dem Zeitpunkt dachte man, man sieht voll fresh aus. Aber es sah natürlich scheiße aus.

    Timm: Damals fand man’s aber cool.

    Paul: Ja, es gibt auch echt viele Leute, die das heute noch geil finden. Die schreiben uns dann und fragen, ob wir die alten Alben doch bitte noch mal veröffentlichen sollen.

  • Das gibt es doch teilweise noch auf Bandcamp.

  • Paul: »Tag3« ja, »Glasige Augen« findet man eigentlich nicht mehr.

    Timm: Doch, auf YouTube. Wir können aber leider gar nichts dagegen machen. Bei Bandcamp wissen wir nicht mehr, was unsere Mail-Adresse ist. Und die glauben uns nicht, dass wir wir sind.

    Paul: Und bei YouTube kannst du keine Direktnachrichten schreiben, wir könnten den Leuten nur mit so ‘nem vorgefertigten Formular kommen. Aber die wollen uns ja eigentlich unterstützen. Deswegen machen wir das nicht.

  • Habt ihr dann von 2012 bis 2017 gar keine Musik zusammen gemacht?

  • Timm: Naja, so vier oder fünf Lieder sind da auch entstanden. Aber nur eins wurde auf YouTube veröffentlicht.

    Paul: Der richtige Zeitpunkt war noch nicht erreicht. Wir haben das dann schnell wieder sein gelassen.

  • Was habt ihr in der Zeit dann sonst gemacht?

  • Timm: Ich habe die Schule fertig gemacht, meine Lehre angefangen. Und natürlich super viel Musik gemacht, drei Solotapes und paar Sachen mit einer anderen Crew. Aber ein großer Teil ist auch gar nicht veröffentlicht worden.

    Paul: Ich habe auch meine Ausbildung fertig gemacht und musste mich erstmal im Arbeitsleben zurechtfinden. In der Zeit habe ich auch versucht, elektronische Musik zu produzieren und war viel feiern. Da habe ich mich etwas ausgelebt. Dann gab es mehrere Momente, in denen mir klar wurde, dass die ganze Feierei einfach nicht mehr so geil ist. Das schlägt eben auch auf die Psyche. 

  • Wie habt ihr euch dann wieder zusammengefunden?

  • Timm: »Aus Dem Leben« sollte das vierte Demotape werden. Aber die ersten Tracks, die entstanden sind, waren alle mit Paul zusammen.

    Paul: Die Aufnahmen und Songwriting-Sessions liefen zum ersten Mal seit Jahren richtig gut. Also haben wir uns entschieden, gleich ein ganzes Album zusammen zu machen. Das war dann plötzlich fertig und kam für unsere damaligen Verhältnisse ziemlich gut an. 

  • Das Release von »Trauben über Gold«, eurem dritten Studioalbum, ist jetzt eineinhalb Monate her. Wie habt ihr diese Zeit erlebt? Was hat sich verändert?

  • Paul: Unser Feedback war immer gut, aber es war diesmal viel mehr. Das hat sich wirklich verdreifacht, vervierfacht. Und auch viele Leute aus der Szene haben sich gemeldet. Extrem gefreut hat uns das bei OG Keemo, der uns dann auch zu seiner Tour eingeladen hat.

    Timm: Es kommen auch mehr Bookings. Unsere 30 Tage Urlaub sind auf jeden Fall in der ersten Jahreshälfte schon weg.

    Paul: Da kommt viel rein, aber es ist schon schwierig, das irgendwie einzuplanen. Wenn wir Freitags irgendwo am anderen Ende von Deutschland spielen sollen, müssen wir uns auch den kompletten Freitag freinehmen. Wenn wir Sonntag spielen, müssen wir am Montag Urlaub nehmen.

  • Wäre es nicht angenehmer, hauptberuflich Musik zu machen?

  • Paul: Ich kann mir ehrlich gesagt noch nicht vorstellen, wie das wäre. Dafür habe ich schon zu lange meinen 40-Stunden-Job. Die Motivation davon wäre schon da, aber wir warten noch auf den einen Moment, auf ein Zeichen.

    Timm: Gerade stecken wir noch in einer kompletten Grauzone. Wir haben einen gewissen Lebensstandard. Der ist nicht überkrass, aber wir können unsere Miete bezahlen. Ich kann mir mal etwas zulegen, was mir gefällt. Aber wenn man alles auf die Selbstständigkeit setzt, kann es immer riskant werden. Und das Geld, das dann reinkommt, ist ja auch nicht einfach da. Das muss man versteuern, das wird durch zwei geteilt. Um wirklich davon leben zu können, musst du wirklich eine Menge Umsatz machen und richtig viele Konzerte spielen. Auf der anderen Seite hätten wir viel mehr Zeit, um Musik zu machen und könnten so auch schneller releasen.

    Paul: Und wir wären auch viel flexibler, was Termine angeht. Es wäre schon schön, nicht immer sagen zu müssen, dass man frühestens ab 17:30 Uhr für irgendwelche Sachen bereitsteht. 

  • »Man kann nicht mehr machen, als sich Mühe zu geben und Herzblut reinzustecken.«Auf Twitter teilen
  • Habt ihr einen Karriereplan?

  • Timm: Nee, einen Plan gibt es nicht. Man hat natürlich irgendwelche Fantasien, aber die spricht man ja nicht aus.

    Paul: Wir lassen jetzt alles auf uns zukommen. Man kann nicht mehr machen, als sich Mühe zu geben und Herzblut reinzustecken. Wenn man anfängt, sich große Pläne zu machen, wird man am Ende meistens enttäuscht. Als wir »Fick Den Nachbarn« gemacht haben, dachten wir, der Song würde richtig abgehen. Was er live auch tut, aber Streaming-technisch…

    Timm: Das war unsere schlechteste Single. Es kommt immer anders, als man’s erwartet.

  • Findet ihr, erfolgreiche Rapper sind überbezahlt?

  • Paul: (überlegt lange) Boah, ja schon. Ich seh’ das einfach nicht ein, dass Rapper teilweise mehr verdienen als ein Chirurg, der dir das Leben rettet. Aber klar, es sei ihnen auch gegönnt.

    Timm: Über Relationen kann man sich am Ende immer streiten. Fair ist das vielleicht nicht, aber erarbeitet haben sie sich das ja trotzdem. Muss einem ja nicht gefallen. Es gibt auch Leute, denen fällt das einfach in den Schoß, obwohl sie kein Talent haben, die machen trotzdem wohl irgendwas richtig. 

  • Hört ihr euch Mainstream-Musik überhaupt an?

  • Timm: Im Deutschrap eigentlich nicht. Zumindest nicht gezielt. Den neuen Track von Luciano habe ich mir angehört und fand ihn sogar gut, der war ja sicher auch in Modus Mio. Da sind ja eben auch Leute vertreten, die einfach verdammt gut sind. Es ist ja nicht so, dass die oberen 15 einfach scheiße wären.

    Paul: Da gibt es immer wieder Songs, die catchy sind. Aber es passiert verhältnismäßig selten.

    Timm: Was Ami-Sachen angeht, hör ich sehr viel, was im Mainstream stattfindet. Travis Scott, Frank Ocean, das liebe ich. Da ist aber natürlich auch viel Müll dabei. Aber das muss man dann ja nicht hören. Dort ist der Mainstream wirklich vielfältig.

  • Auf »Trauben über Gold« ist es euch aber auch schon wichtig, den Mainstream als Feindbild zu haben. 

  • Timm: Klar. Es gibt ja auch genug, was wir daran scheiße finden. Nur, weil man jemanden in einem Moment scheiße findet, muss man den ja nicht prinzipiell scheiße finden. Wenn ich schreibe, stell ich mir einfach den absoluten Ober-Kek vor. Der ist dann meine Zielscheibe in dem Moment.

    Paul: Ich würde mich jetzt auch nicht ins Interview setzen und nur meckern. Das mache ich lieber stilvoll in Form von Musik.

  • Kann man mit Battlerap etwas verändern?

  • Timm: Das glaube ich schon. Natürlich nicht im riesigen Ausmaß, aber die Leute, die uns zuhören, werden davon auf jeden Fall beeinflusst. Den Mainstream und seine Protagonisten lässt das vermutlich unberührt. Ich habe aber schon von vielen Leuten gehört, die sich über uns einen neuen, eigenen Geschmack bilden, obwohl sie vorher Pop gehört haben.

    Paul: Das sind natürlich nicht besonders viele, aber wenn es bei einem klappt, ist das cool.

  • Auf dem Album findet sich auch die Zeile »Deine Zielgruppe, die Kinder meiner Zielgruppe«. Ist es euch bequem, eher ältere Fans zu haben?

  • Paul: Ich finde es irgendwie beruhigend. Es freut mich, dass Leute, die in ihrer Entwicklung schon ein bisschen weiter sind, uns gut finden. Es wäre schon komisch, wenn unsere Musik nur bei 14-Jährigen ankommen würde. Dann würden wir irgendwas falsch machen.

    Timm: Es ist natürlich schade, dass die Jüngeren nicht da sind. Aber es ist logisch, die haben keinen Bezugspunkt. Dadurch, dass wir zwar selbst etwas älter sind, aber unser Sound trotzdem modern ist, haben wir ein recht gemischtes Publikum. Wir schlagen schon eine Brücke. 

  • Die Texte auf »Trauben über Gold« sind geprägt von Aggressivität und Stärke. Ist Musik ein Ventil für euch?

  • Timm: Ja klar, die Musik ist aggressiv und druckvoll. Aber man muss auch über sich selbst lachen können. Das machen wir oft genug.

    Paul: Das Beispiel wäre da, dass wir uns über den niedrigen Kontostand profilieren. Für die breite Masse ist das eine Schwäche, aber wir flexen damit. Wenn ich sage, dass mein Handgelenk zwei Finger breit ist, dann bin ich voll der Lauch, aber verkaufe es für cool.

    Timm: Würde ich Schwäche zeigen wollen, würde ich Emo-Punk machen. 

  • »Ich schau den schönen Sonnenuntergang lieber an, anstatt darüber zu rappen.«Auf Twitter teilen
  • Paul sagt ja auch auf einem Track, dass alles, was ihn inspiriert, abgefuckt ist. Findet ihr negative Musik immer besser als positive?

  • Paul: Ja, absolut. Es kann ja trotzdem Spaß machen, negative Musik zu hören.

    Timm: Die Musik muss ja auch nicht super traurig sein. Ich mag fröhliche Musik nicht, es gibt ja auch etwas dazwischen. Deswegen sind unsere Texte auch negativ geprägt, man macht ja meistens das, was man auch selbst hören will. Mir fällt das auch leichter. Ich wüsste gar nicht, was ich schreiben sollte, wenn ich ein positives Lied machen würde. Das würde sehr schnell sehr pathetisch werden.

    Paul: Die glücklichen Momente teile ich lieber mit Freunden oder der Familie. Da denke ich dann gar nicht dran, das jetzt schnell aufschreiben zu müssen. Ich schau den schönen Sonnenuntergang lieber an, anstatt darüber zu rappen. Unsere Texte entstehen aus dem Alltagstrott.

  • Würdet ihr sagen, ihr habt mit »Trauben über Gold« eure Schiene gefunden? Anders gesagt: Bleibt es bei Battlerap?

  • Paul: Wir planen wirklich nicht viel, wir machen einfach. Du hörst einen Beat, der hat eine bestimmte Atmosphäre, danach richtest du dich.

    Timm: »Trauben über Gold« war auch nicht als Battlerap-Album geplant, das ist einfach passiert. Wir haben den Anspruch, das nicht nochmal genauso zu machen, aber wenn es so kommt, dann kommt es so. Wir haben schon immer Schwierigkeiten, Themen zu finden. Dann überlegt man drei Tage rum und macht am Ende doch einen Battletrack.

    Paul: Wenn wir Themensongs machen, wollen wir das jeweilige Thema auch immer irgendwie neuartig beleuchten. Jedes Thema wurde schon mal abgefrühstückt.

  • Nach dem Nazi-Anschlag in Hanau habt ihr in den sozialen Medien ein Statement gegen Rassismus gepostet. Würdet ihr euch wünschen, dass Rapper sich stärker positionieren?

  • Timm: Man kriegt immer mit, wenn jemand was sagt, aber das Schweigen fällt oftmals nicht auf. Trotzdem ist es nicht genug. Sonst müsste ja das ganze Internet damit voll sein mit Statements von großen Leuten. Wenn irgendwelche Privatpersonen das hinkriegen, dann können das Chartrapper doch auch. Sofern sie möchten. Bevor sie irgendeine Scheiße schreiben, sollen sie’s natürlich lieber lassen. Richtig schlimm wird es bloß, wenn Rapper davon finanziell profitieren wollen.

    Paul: Ich kriege einfach nicht so viel mit. Das kann auch daran liegen, dass ich wirklich keinen Überblick habe. Wenn sich Artists mit großen Reichweiten positionieren würden, würde man das aber schon mitbekommen, denke ich. Also nein, da passiert nicht genug.

    Timm: Ich finde es gut, wenn Artists ihre Plattform und Reichweite nutzen, um über politische Themen zu sprechen. In der Musik selbst wirkt das oft ein bisschen strange. Rein aus musikalischer Sicht würde ich fast sagen, ich kenne kein wirklich cooles politisches Lied. Die Aussagen sind ja teilweise super, aber anhören kann ich mir das trotzdem nicht.