Polyversal Souls »Wir sollten uns viel mehr als Weltgesellschaft wahrnehmen.«

Max Weissenfeldt hat Schlagzeug bei Poets of Rhythm und Embryo, für Dr. John und Lana Del Rey gespielt. Heute leitet der 40-Jährige, der einst als HipHop-Digger gestartet ist, die Band Polyversal Souls und das Label Philophon.

Polyversal Souls

Vor fünf Jahren veröffentlichten die Whitefield Brothers eine Platte namens »Earthology« beim damaligen Stones-Throw-Sublabel Now Again Records. Hier rappten Percee P, Edan, MED oder Mr. Lif auf den staubigen Funk-Breaks und Afrobeats der Münchner Brüder Jan und Max Weissenfeldt. Für sie war es eine Rückkehr zu ihren Ursprüngen: Ende der 1980er Jahre hatten sie HipHop für sich entdeckt und waren als Musiker schnell zu dessen Sample-Quellen vorgedrungen. Als Poets of Rhythm prägten sie in den Folgejahren die weltweite Deep-Funk-Szene. Gabe Roth von Daptone sagte einmal, ohne die Poets hätte es Daptone niemals gegeben – also auch keine Sharon Jones und keine Amy Winehouse.

Die Weissenfeldts gehen heute getrennte Wege. Während Jan wieder in München lebt und soeben ein Krautrock-Projekt namens Rodinia veröffentlicht hat, baute sich der sechs Jahre jüngere Max in Berlin ein Studio und das eigene Label Philophon auf. Darauf erschien gerade das Album »Invisible Joy« seiner aktuellen Band Polyversal Souls. Sie spielen eine aufregende Mixtur aus Jazz, Funk und Afrobeat, für die der Begriff »Weltmusik« eine Beleidigung wäre. Hin und wieder wird Max auch als Session-Drummer gebucht, zum Beispiel von Black-Keys-Mastermind Dan Auerbach, als er in New Orleans die letzte Lana-Del-Rey-Platte »Ultraviolence« produzierte. ALL GOOD-Autor Stephan Szillus traf Max Weissenfeldt in seinem Kreuzberger Dachgeschoss-Fabrikloft, direkt an der Spree.

  • Ich habe gelesen, dass Dan Auerbach dich wegen der Whitefield-Brothers-Platte »Earthology« für die Session mit Lana Del Rey gebucht haben soll.

  • Genau, aber da gab es noch einen anderen Grund. Leon Michels von Truth & Soul ist ein alter Kumpel von mir. Der war mit den Black Keys auf Tour. Eines Tages rief er mich an und sagte mir, Auerbach wolle mich buchen. Als ich einige Wochen später bei Dan im Studio war, hat er direkt »Earthology« angemacht und den Song »Safari Strut« gespielt. Er meinte, als er den kleinen Drumfill am Anfang des Songs gehört habe, da habe er schon gewusst, dass er mich anrufen würde.

  • Ich habe auch gelesen, dass du zuerst gar nicht wusstest, wer Auerbach ist.

  • Nee, ich hatte keine Ahnung. Da waren die Black Keys auch noch nicht so bekannt. Die waren mir kein Begriff. Ich hab mir dann aber was angehört und wusste schon, dass Dan aus derselben Geisteshaltung wie ich kommt. Er hat mich für drei Produktionen rübergeholt: Erst Dr. John (legendärer Bluesrock-Gitarrist und -Pianist, Anm. d. Verf.). Dann Bombino, ein Tuareg-Gitarrist aus Niger. Und schließlich Lana Del Rey.

  • War das komisch für dich? Immerhin hat ihre Musik nicht viel Schnittmenge mit dem, was du sonst machst.

  • Ja. Aber weil ich wusste, dass Dan und Leon dabei sein würden, habe ich mich drauf gefreut. Die Session für Dr. John war großartig und wir wollten mit derselben Rhythm Section arbeiten. Natürlich war es trotzdem ein ganz anderer Ansatz. Wobei ich großen Respekt vor Lana als Sängerin habe. Ihre Vocals wurden komplett live getrackt, ohne Overdubs. Sie stand da mit dem Mikrofon, und jeder Take hat überzeugt. Wir waren insgesamt 10 Tage im Studio. Die Sessions in Amerika haben mir einen neuen Horizont eröffnet, den ich jetzt auch in meine Produktionsweise und Herangehensweise einfließen lasse. Das hat Eindrücke und Spuren hinterlassen. Es ist immer von Vorteil, wenn man als Schwamm durchs Leben geht und aufsaugt, was man aufsaugen kann.

  • »Die Sessions in Amerika haben mir einen neuen Horizont eröffnet.«Auf Twitter teilen
  • Ende der 1980er Jahre habt ihr, also dein Bruder Jan und du, erstmal HipHop wie ein Schwamm aufgesaugt. Jedenfalls war das die Basis für die Gründung der Poets of Rhythm, richtig?

  • Ja, ich war total HipHop. Converse-Schuhe, Baggies, Basecaps. Ich trug sogar im Sommer eine Daunenweste. Und ich hab mir von der Straßenbaustelle so eine rot-weiße Plastikkette geklaut, mit dem Feuerzeug hinten zusammengemacht, gold angesprüht und umgehängt. Ende der 1980er Jahre war ich in München schon eine skurrile Erscheinung. Da kannte noch niemand HipHop. Was mich total weggeflasht hat, waren Eric B. & Rakim, vor allem der »Paid In Ful«“-Remix mit Ofra Haza. Die hatten auch viele James-Brown-Samples, das hat die Neugierde geweckt. James Brown ist halt die Spitze eines Eisberges, dieser Riesenkultur an Local Funk. Da gab’s den DJ Florian Keller in München und auch Michael Reinboth von Compost, der ein paar alte Singles hatte, und es gab die Rare-Groove-Sampler auf BGP (Beat Goes Public). Mein Bruder, der sechs Jahre älter ist, ist damals schon nach Amerika geflogen und hat die Ostküste abgegrast, bis runter nach New Orleans, und kam mit hunderten von Singles zurück. Das war unsere Inspirationsquelle, lange vor dem Internet. Ich bin 1992, 1993 nach London auf den Camden Market gefahren und hab Singles für zwei, drei Pfund das Stück eingekauft. Als ich 1997 noch mal drüben war, haben dieselben Platten schon 20, 30 Pfund gekostet. Heute zahlen manche 2.000 Euro für eine Funk-45, vor allem in Japan.

  • Wie kam es, dass ihr aus den Funk-Samples keine Beats bauen, sondern diese Musik live nachspielen wolltet?

  • Das hat sich einfach so ergeben. Ich hatte einen Akai S-950 und ein Korg-Keyboard und habe damit rumgebastelt. Aber letztlich haben wir uns entschieden, eine Band zu machen. Also haben wir diesen alten Funk gefaket. Und haben das ganz gut hinbekommen. Für damalige Verhältnisse jedenfalls. Damals war es frisch, neu und unbekannt. Das ist wie eine Bombe eingeschlagen. Wir haben schnell viele Gigs bekommen, einen Plattenvertrag unterschrieben und die 1990er Jahre hindurch ziemlich tight zusammenhalten. Dann hat es sich Stück für Stück auseinander bewegt. Jan ist 1998 für eineinhalb Jahre nach Amerika gegangen. Boris, unser Sänger, hatte auch andere Pläne und ist Instrumentenbauer geworden. Mit den Poets ging es nicht mehr aktiv weiter.

  • Das war die Zeit, in der du als Drummer zum legendären Münchner Krautrock-Kollektiv Embryo gestoßen bist?

  • Ja. Das kam über Bajka, die Sängerin. Die war mit mir zur Schule gegangen, wir waren befreundet und ich habe mit ihr 1998 mein erstes eigenes Projekt »Das Goldene Zeitalter« angefangen. Wir haben viel mit gebrochenen Rhythmen gespielt, das war alles so ein bisschen über den Wolken. (lacht) Sie meinte, das passt perfekt zu Embryo. Also hat sie mich ihrem Onkel vorgestellt, Christian Burchard, der Bandleader und Gründer von Embryo. Er meinte nur: Komm morgen vorbei, spiel mit. Die Woche darauf folge der erste Gig, die nächsten fünf Jahre war ich mit ihnen unterwegs. Ich bin in einer hochaktiven Zeit zu Embryo gestoßen. In fünf Jahren waren wir allein sieben Mal in Marokko, jedes Mal auf dem Landweg, in einem Bus, mit Musik aus allen Winkeln der Welt bei auf Lautstärke. Das war die allerbeste Universität, auf die man als Musiker in München gehen konnte. Eine ganz tolle Zeit.

  • »Ich war total HipHop.«Auf Twitter teilen
  • Wie ging es nach diesen fünf aufregenden Jahren weiter?

  • Embryo war 2005 vorbei. Dann haben wir die Poets revitalisiert und ein paar Gigs gespielt, zusammen mit den Heliocentrics mit Malcolm Catto am Schlagzeug und Bajka als Sängerin. Wir haben zwei Jahre zusammen gespielt, aber dann gab es wieder Meinungsverschiedenheiten und daran ist das Ganze wieder zerbrochen.

  • Und dann bist du nach Berlin gegangen?

  • Ja, ich wollte mein eigenes Ding machen und hier eine Infrastruktur aufbauen. Aber zuerst bin ich nach Amerika gereist, zu Marvin »Bugalu« Smith, dem großartigen Schlagzeuger von Archie Sheep und Sun Ra. Das war einmalig. Der hat mir gesagt: Max, geh zurück und bau dir eine Jamsession auf. So kannst du Jazz am Besten lernen. Und das höchste Ziel eines Schlagzeugers ist nun mal, richtig Jazz spielen zu können. Da kommt alles her. Jazz hat das Drumset erfunden, die ganze Sprache, die ganzen Funktionen der einzelnen Gliedmaßen. 2008 bin ich hier angekommen und habe eine Jamsession aufgebaut. Die wurde unheimlich schnell sehr populär. Kurzzeitig ist das sogar zu einer Big Band angewachsen, die jeden Montag gespielt hat, bis 2012. So habe ich mir einen riesigen Musikerpool aufgebaut. Durch einen Zufall bin ich an diese Räumlichkeiten gekommen, in denen ich jetzt mein Studio und das Label Philophon betreibe.

  • Hatte sich dein Interesse an HipHop erledigt, als die Sample-Kultur auf dem Rückmarsch war und die Beats synthetischer wurden?

  • Es war schon noch Interesse vorhanden. Auch später noch, dank Leuten wie DJ Shadow oder Madlib. Die hatten ja noch ihren Humus, auf dem sie ihre schönen Blumen wachsen ließen. Aber es stimmt schon, ich habe heute nicht mehr denselben Bezug wie zu den alten, gesampleten Sachen. Das fand ich fresher. Heute klingt vieles sehr amtlich, aber auch klinisch und vorhersehbar. Aber ich verfolge die Szene nicht mehr so aufmerksam, und es gibt sicher viel großartiges Zeug, ohne dass ich es weiß. Ich glaube, HipHop war in der Krise und erholt sich jetzt langsam wieder. Das bekomme ich schon mit. Ich muss sagen, ich verfolge die deutsche HipHop-Szene heute mehr als die amerikanische. Die deutsche Szene ist gewachsen und hat enorm an Vielfalt gewonnen. Sie entwickelt langsam eine eigene Sprache.

  • Du könntest dir also schon vorstellen, mit deutschen Rappern zu arbeiten?

  • Ja. Ich habe sogar ein paar Sachen mit Immo gemacht. Die wurden allerdings noch nicht veröffentlicht. Das war unsere erste Produktion hier im Studio. Der hatte ja auch schon mal Gastauftritte bei den Poets gemacht. Es würde mich also schon interessieren – je nachdem, wie sehr derjenige auch bereit ist, sich auf meine Welt einzulassen und mir da freie Hand zu lassen. Ein reiner Dienstleister für einen deutschen Rapper zu sein – ich glaube, da gibt es andere, die das besser können als ich. Aber wenn jemand genau meinen Style haben will, dann würde ich sagen: Lass was machen.

  • »Ich verfolge die deutsche HipHop-Szene heute mehr als die amerikanische.«Auf Twitter teilen
  • Gerade ist »Invisible Joy«, das erste Album deiner Band Polyversal Souls, auf Philophon erschienen. Darauf gibt es keine deutschen Rapper, dafür aber ghanaische Sänger und Griots zu hören. Ist das ein einmaliges Projekt oder eine Band, die auf längere Zeit angelegt ist?

  • Polyversal Souls ist definitiv auf längere Existenz angelegt. Wir haben dieses Jahr noch einige Konzerte, und nächstes Jahr wollen wir live auf Festivals richtig durchstarten. Polyversal Souls ist unsere Hausband, die auch in verschiedenen Konstellationen für andere Künstler als Backing-Band dienen wird. Wir haben 2012 angefangen, hier in Berlin für verschiedene Projekte aufzunehmen. Da gab es die Idee zu dieser Platte noch gar nicht. Das ist alles einfach so entstanden, aber nicht mit der Idee, daraus eine Platte zu machen. An einem gewissen Punkt hatten wir soviel Material, dass ich dachte: Lass uns daraus was Homogenes machen. Sogar aus den Immo-Sessions hat es ein Stück auf die Platte geschafft, nur mit einem anderen Vokalisten. Momentan sind drei Alben in Arbeit: Das zweite Polyversal-Souls-Album, ein Guy-One-Album und ein Bajka-Album. Die sollen im Laufe des nächsten Jahres rauskommen. Jetzt gerade am Wochenende haben wir eine Single mit Jimi Tenor aufgenommen, die wird dieses Jahr noch rauskommen.

  • Wie hast du die ganzen ghanaischen Vokalisten aufgetan, die nicht gerade überregional bekannt sind?

  • Seit 2010 war ich zweimal jährlich in Ghana. Man hält die Augen und Ohren offen und trifft viele Menschen. Mein wichtigster Kontakt und erste Anlaufstelle war Ebo Taylor (ghanaische Highlife-Legende, Anm. d. Verf.). Den kannte ich, weil er vorher mal in Berlin aufgenommen hatte. Sein Sohn Jimmy Taylor alias Roy X ist auch auf unserer Platte vertreten. Über ihn habe ich Y-Bayani kennengelernt, der das wunderschöne Lied »Asembi Ara Amba« eingesungen hat – sein erstes Lied überhaupt. Der ist eigentlich Uhrenmacher, hat aber keinen Job mehr, weil alle nur noch ihr Handy benutzen. Dann wurde ich neugierig und bin in den Norden hochgefahren, nach Bolgatanga, wo die Volksgruppe der Frafra lebt. Da habe ich Guy One kennengelernt, einen der absolut führenden Musiker. Kennste den, kennste alle. Das ist oft in lokalen Szenen so.

  • Wie waren deine Erfahrungen in Ghana? Das Land gilt als friedliche, prosperierende, politisch stabile Oase in Westafrika. 

  • Absolut. Ghana ist die Schweiz Westafrikas. Im Moment haben sie ein paar Probleme mit der hohen Inflation. Die hatten ja vor einigen Jahren eine Währungsreform. Das Geld wurde seitdem um mehr als die Hälfte entwertet. Das ist natürlich für eine importabhängige Nation schwierig. Die haben gerade einen nationalistischen, stinkreichen Präsidenten, der das herbeigeführt hat. Die ausländischen Unternehmen sind wegen seiner hohen Steuern alle abgewandert. Aber das erholt sich auch wieder. Generell war Ghana einfach das erste subsaharische Land, das die eigene Unabhängigkeit erklärt hat. Es ist ein Vielvölkerstaat, aber anders als in Nigeria oder anderen tribalistischen Strukturen gab es in Ghana nie einen Bürgerkrieg. Dort hält man zusammen. Man spürt, dass die ghanaische Identität noch über der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe steht. Friede ist ein ganz wichtiges Wort in der ghanaischen Kultur. 

  • Inwieweit soll die Musik der Polyversal Souls auch eine politische oder soziale Botschaft transportieren?

  • Ich glaube, wir sollten uns viel mehr als Weltgesellschaft wahrnehmen. So wie die Ghanaer es geschafft haben, diesen Tribalism zu überwinden und sich als Nation wahrzunehmen, so würde ich es mir für die ganze Menschheit wünschen. Schau mal, es ist doch eine unvorstellbare Geschichte, dass es uns überhaupt gibt. Warum sollten wir uns da untereinander bekämpfen? Lasst uns lieber schauen, dass wir diese Kleinigkeiten auf diesem kleinen Kügelchen überwinden und das alles mal aus der Distanz betrachten. Das Miteinander kann die einzige Konsequenz daraus sein. Und das wollen wir mit unserer Musik unterstützen und fördern. Durch unsere Musik wollen wir die mentalen Grenzen aufweichen.