Jeffrey »Wir sind ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft.« (Original Chabos)

Unter dem Radar der deutschen HipHop-Öffentlichkeit existiert eine Sinti Rap-Szene. ALL GOOD-Autor Philipp Killmann hat ein paar ihrer Protagonisten besucht und interviewt. Für den fünften Teil der »Original Chabos«-Reihe sprach er mit dem Osnabrücker Jeffrey.

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Jeffrey Schmidtke ist im deutschen Rap kein unbeschriebenes Blatt. 2009 veröffentlichte er noch unter dem Namen G.M.C. das Mixtape »Seelenfrieden« mit Gastbeiträgen von Jonesmann, Sun Diego und einem jungen Casper. Inzwischen nennt sich G.M.C. als Rapper schlicht Jeffrey und schlägt musikalisch wie inhaltlich andere, seichtere Töne an. Der 36-Jährige hat etwas zu sagen. Jeffrey hat Ausgrenzung nicht nur als Sinto erfahren, sondern auch als Bewohner einer stigmatisierten Gegend. Er wuchs in der Papenhütte auf, einer ehemaligen Barackensiedlung in Osnabrück. Diese und viele andere Erfahrungen hat er 2017 in seinem Album mit dem provokanten Titel »Zigeuner« verarbeitet. Ein Gespräch über die Stellung der Sinti in Deutschland, die Idee für das Album »Zigeuner«, Sidos Song »Geuner« und den Einfluss von Sinti-Rap-Pionier Mr. Tomkat.

  • Bist du eigentlich der Junge, der in Tomkats Video zu dem 2004 erschienenen »Rote Boon, Tosbrot und Smakz« im Hintergrund zu sehen ist?

  • Sehr gut erkannt. Das bin tatsächlich ich – genauso jung wie heute. (lacht) Ich kann mich noch daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Ich war stolz, ein Teil des Videos zu sein. Ich war damals das Küken der Truppe. Nach den Video-Aufnahmen in bitterer Kälte sind wir dann noch alle Mann ins »Works« gegangen, eine Disko in Osnabrück, und haben gefeiert. Damals wie heute ist »Rote Boon, Tosbrot und Smakz« einer meiner absoluten Lieblingssongs. Ich liebe es, wenn Künstler ihre Vergangenheit verarbeiten und in Songs erzählen. Und in diesem Bereich ist Tomkat für mich der absolute King. Wird Zeit, dass wieder ein Tomkat-Album kommt. Real Talk. 

  • »Mir war es immer wichtig, meine Ohren nicht vor anderen Musikrichtungen zu verschließen.«Auf Twitter teilen
  • Wie bist du zu HipHop gekommen?

  • Schon in meiner Jugend habe ich alle Arten und Richtungen von Musik gehört – Pop, Rock und so weiter. Mir war es immer wichtig, meine Ohren nicht vor anderen Musikrichtungen zu verschließen. Aber zu Rap bin ich im Alter von elf Jahren über meinen großen Bruder gekommen. Am Anfang war es ausschließlich Ami-Rap. Von Westcoast-Artists bis zu Künstlern aus New York wie Mobb Deep, Nas, Biggie, Mase, Jay-Z und so weiter. Aber ich war nie der Typ, der nur auf HipHop festgelegt ist. 

    Mir war die Musik an sich immer wichtig. Wie hat man was produziert? Welche Klangfarben hat man benutzt? Und ganz wichtig: Wie melodisch war die Hook? Musik hat ein unglaublich breites und großes Spektrum, und man sollte versuchen, möglichst viele Einflüsse in seiner Musik unterzubringen. Mit deutscher Rap-Musik hatte ich anfangs überhaupt nichts am Hut. Erst Rödelheim Hartreim Projekt änderte das ein wenig. Ich hatte noch nie vorher jemanden gehört außer Tomkat, Danymal und Stage One, die Wörter aus meiner Sprache, dem Romanes, in seinen Songs hatte. Durch Moses Pelham änderte sich dann meine Sicht auf Deutschrap.

  • Welche Rapper haben dich besonders beeinflusst? 

  • Wenn ich heute so darüber nachdenke, hat mich Tomkat doch krass beeinflusst. Seine Art, Geschichten zu erzählen, ist einzigartig. Ich habe mich auch selber nie als Rapper gesehen, sondern eher als Geschichtenerzähler. Und das ist bis heute so. Immer wenn mir jemand schreibt, dass meine Musik anders ist und ihn berührt hat, habe ich alles richtig gemacht.

  • Anfangs nanntest du dich noch G.M.C. Wofür stand das eigentlich?

  • Wenn man sich dazu entschlossen hat, Musik zu machen, ist die erste Überlegung: Wie soll ich mich nennen? Da ich in diesen Sachen einfach super schlecht bin, war ich froh, dass mein Cousin Dany Franz alias Danymal mal einfach so »G.M.C.« in den Raum warf. So war dann »Gypsy MC« geboren. Nach ein paar Jahren merkte ich aber dann, wie sehr ich und meine Musik sich verändert hatten. Oder besser gesagt, wie sehr sich mein Anspruch an das Musikmachen verändert hatte. G.M.C. war eher für harte Musik bekannt. Aber genau das wollte ich nicht mehr. Jetzt wollte ich etwas über mich, Jeffrey, erzählen. Also habe ich dann einfach unter meinem bürgerlichen Namen mit der Musik weitergemacht. 

  • »Sinti gehören ja bekanntlich zu den besten Musikern der Welt.«Auf Twitter teilen
  • Wie würdest du den Einfluss von Sinti auf Deutschrap einschätzen?

  • Die Wörter aus unserer Sprache in manchen Songs kommen ja nicht von ungefähr. Und Sinti gehören ja bekanntlich zu den besten Musikern der Welt. Ich würde sagen, wir könnten viel mehr. In der Zukunft wird da auch noch einiges passieren, da bin ich mir ganz sicher. 

  • Wer war deiner Meinung nach der erste in der Öffentlichkeit stehende HipHopper mit Sinti-Hintergrund?

  • Das waren für mich Mr. Tomkat, Danymal und Stage One. 

  • Hast du dich im Rap von Anfang als Sinto zu erkennen gegeben?

  • Habe ich schon immer. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich aus der Volksgruppe der Sinti stamme. Warum auch? Jeder andere in der Musik kann stolz darauf sein, was er ist – warum nicht auch wir? Das ist ja genau mein Bereich. So etwas spornt mich als Mensch noch zehnmal mehr an, es in die Öffentlichkeit zu tragen. Selbstverständlich hatte ich auch viele Diskussionen innerhalb der Familie und im Freundeskreis, als ich gesagt habe, dass ich mein Album »Zigeuner« nennen werde. Aber warum sollte ich Rücksicht auf die Dummheit der anderen Menschen nehmen? Wir sind ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Und das nicht erst seit gestern. Wir sind hier geboren und leben hier. Unsere Kinder wachsen hier auf, gehen zur Schule. Sie schließen Freundschaften und sind glücklich, hier zu leben. Nur weil es in der Gesellschaft zu viel gefährliches Halbwissen oder gar kein Wissen gibt, muss ich doch nicht ändern, wer ich bin. Ich klaue keine Kinder, ich mache meine selber, stell dir das mal vor! Ich scheiß nicht in Erdlöcher und lebe nicht auf dem Baum. Also scheiß auf diese Clowns. Versteh mich bitte nicht falsch, aber ich soll mich jetzt verstellen, damit ich in der Gesellschaft anerkannt werde? Traurig, dass man im heutigen Zeitalter immer noch über solche belanglose Scheiße reden muss. Ich bin der, der ich sein will. 

  • Hast du innerhalb der HipHop-Szene jemals Diskriminierung als Sinto erfahren?

  • Innerhalb der Szene nicht. Aber ich sage mal so: Man sollte sich nicht jeden YouTube-Kommentar durchlesen. 

  • Wie denkst du über die Tracks »Enrico« und »Geuner« von Sido, der vor wenigen Jahren seinen Sinti-Hintergrund öffentlich gemacht hat? Viele haben Sido ja insbesondere für »Geuner« kritisiert, weil er damit Stereotype über Sinti befeuere und in dem Video Roma zeige, wodurch ein falsches Bild von Sinti entstehe.

  • Da muss ich dich korrigieren. Sido ist ein Roma und kein Sinto. Beim ersten Mal hören, war ich schon extrem sauer. Es war komplett stereotyp-mäßig ausgelegt. Die, die er in den Songs beschreibt, sind auf keinen Fall Sinti. Als ich dann das Video zu »Geuner« gesehen habe, hätte ich ihm wirklich die Nase brechen können. Der Song und das Video beinhalten unglaublich viele Widersprüche. Man sollte doch stark von einer Sachen ausgehen können: Wenn jemand aus der Volksgruppe der Sinti stammt, müsste er wissen, dass der Begriff »Sinti« sich auf die ganze Volksgruppe bezieht und es sich bei »Sinto« um die einzelne männliche Person handelt. Das bekommen wir schon als Babys beigebracht. Also müsste es in der Hook richtigerweise heißen »Ich bin ein Sinto von Kopf bis Fuß«. Aber darüber hätte ich noch hinwegsehen können. Aber über Sinti zu rappen und in dem Video Menschen aus Osteuropa zu zeigen, das geht für mich gar nicht. Das beweist mir, dass dieser Mann einfach keine Ahnung hat, worüber er spricht. Dass Sinti und Roma nicht das Gleiche ist, müsste man eigentlich wissen. Aber bei Sido ist das ja nichts Neues. Bin gespannt, was für Identitätsprobleme er als nächstes hat. Erst kommt er aus dem Westen, dann aus dem Osten, jetzt ist er Sinto. Vielleicht ist er nächstes Jahr Eskimo. 

  • »Ich würde mich hochgradig asozial fühlen, wenn ich über eklige Sachen rappen würde.« Auf Twitter teilen
  • Die Sinti sind für viele große Musiker bekannt, insbesondere im Swing und Jazz. Wie verträgt sich deiner Meinung nach die Sinti-Kultur mit HipHop? Tomkat sagte etwa, dass er als Sinto im Rap nur bis zu einem gewissen Level gehen könne, wodurch er thematisch eingeschränkt sei.

  • Es ist genau wie in jeder anderen Kultur. Es gibt selbstverständlich auch Sinti im jungen Alter, die sehr gerne HipHop hören. Das, was Tomkat sagt, ist hundertprozentig richtig. Aber ich würde es nicht auf die Kultur beziehen. Für mich ist es eine Charaktersache. Ich würde mich hochgradig asozial fühlen, wenn ich über eklige Sachen rappen würde. Wir sind ja keine kleinen Kinder mehr. Ich würde mich dabei auch nicht wohlfühlen und mich vor meiner Familie schämen. Aber das bleibt jedem selbst überlassen. Das ist auch der Punkt, warum es immer weniger gute Musik im Rap gibt. Weil jeder auf den Zug von Asozialen aufspringt. 

  • Viele Sinti, die rappen oder produzieren, scheinen sich besonders im G-Funk zuhause zu fühlen. Gilt das auch für dich?

  • Nein. G-Funk und meine Art, Musik zu machen, würden nicht zusammenpassen. Stell dir vor, ich würde einen sozialkritischen Song auf einem G-Funk-Beat machen! Vielleicht würde es sogar klappen, aber ich kann mir das nicht vorstellen. Und daran würde es scheitern. Aber ja, es stimmt, viele Sinti machen G-Funk-Musik. Aber genau das zeichnet sie auch aus. Ich finde das super. Ich denke, es liegt immer am Musikgeschmack. Ich habe immer gerne melancholische Musik gehört und deshalb mache ich das wahrscheinlich auch. 

  • Gleichzeitig bieten die Chicanos aus L.A. anscheinend eine große Identitätsfläche für viele Sinti. Tomkat verweist zum Beispiel auf die ähnliche Mode, aber auch auf den Stellenwert der Familie und den Zusammenhalt, mit dem sich viele Sinti identifizieren könnten. Wie würdest du das erklären?

  • Dazu kann ich nicht viel sagen. Mag sein, dass der Stellenwert der gleiche ist. Aber das ist in vielen Kulturen auch so. Ich persönlich kann mich damit nicht identifizieren. Aber das muss ich ja auch nicht. Jeder so, wie er mag.

  • »Meine Motivation war mein Leben als Sinto in der deutschen Gesellschaft.« Auf Twitter teilen
  • Mit »Zigeuner« hast du ein ganzes Album aufgenommen, das davon handelt, wie es ist, als deutscher Sinto in Deutschland zu leben. Was war die Motivation dahinter?

  • Meine Motivation war mein Leben als Sinto in der deutschen Gesellschaft. Wenn ich Musik mache, dann geht es auch immer um das, was ich erlebt habe. Und als Sinto habe ich sehr viel zu erzählen. Ich hatte von Anfang an eine Vision von diesem Album. Ich wollte das Album bewusst »Zigeuner« nennen, weil der Begriff viele Assoziationen auslöst. Jeder hat dann ein bestimmtes Bild in seinem Kopf, und leider ist es in den meisten Fällen negativ behaftet. Ich wollte mit dem Album anderen Mut machen, sich ebenfalls an die Öffentlichkeit zu wagen. In dem Album habe ich auch nur ein Bruchstück der Dinge erzählt, die mir auf negative Weise begegnet sind. Ich wollte zeigen, dass es keine großen Unterschiede gibt. Ich wollte Menschen ein Stück weit die Augen öffnen und Musik so machen, wie ich es liebe, sie zu machen.

  • Wie waren die Reaktionen aus der Rap-Szene auf dein Album?

  • Allgemein war die Resonanz einfach unglaublich. Ich bin ohne große Erwartungen an diese Sache rangegangen und wurde auf ganzer Linie überrascht. Ein paar große Namen haben mir Props gegeben. Ich hatte ein unglaubliches Team, ohne das ich das Album niemals hinbekommen hätte. Ich habe mit Künstlern zusammengearbeitet, die ich mir schon immer gewünscht habe, von denen ich Fan bin. Also alles in allem war es eine unglaubliche Reise.

  • Wie hat die Sinti-Community dein Album aufgenommen?

  • Davon habe ich nicht viel mitbekommen. Aber das war mir im Grunde auch nicht wichtig.

  • Mit »Chabz« hast du auf »Seelenfrieden« deinen Leuten ein tolles Denkmal gesetzt. Gestolpert bin ich über die Line, in der du rappst, die Chale, also die Nicht-Sinti oder Deutschen, für einen »knechten zu lassen« und scheinbar abzuziehen. Da fragte ich mich, ob mit so einer Line nicht Öl ins Feuer gegossen wird, was bestimmte Vorurteile gegenüber Sinti angeht.

  • Erst mal vielen lieben Dank. Heute sehe ich den Song etwas kritischer. Mit der Zeit bin ich als Mensch natürlich gereift und gewachsen. Heute würde ich ihn anders schreiben. Aber, ach, das war am Ende des Tages auch einfach nur eine Line. Man sollte nicht mehr daraus machen, als es ist. Ich war schon immer jemand, dem es scheißegal war, was andere über mich denken. Viel zu lange waren wir die Sklaven der deutschen Gesellschaft, und darüber verliert auch niemand ein Wort. Natürlich hätte der Schuss mit der Line auch nach hinten losgehen können. Aber das war mir scheißegal. (lacht)

  • Was ist musikalisch sonst noch weiter von dir zu erwarten?

  • Im Moment ist musikalisch nichts von mir zu erwarten. Ich arbeite seit längerem an einem anderen Projekt, das mit Musik nichts zu tun hat. Zurzeit habe ich keinerlei Spaß an der Musik. Aber so ist das mit der Kunst. Man sollte sie nie erzwingen, sondern sie kommt, wenn die Zeit reif ist.