Anarchist Academy »Wir sind die Erfinder des Zeckenraps.«
Wenn über die Anfänge von Deutschrap gesprochen wird, ist von Anarchist Academy auffallend selten die Rede. Warum ist das eigentlich so? Philipp Killmann hat Hannes Loh und Babak von AA zum Interview getroffen und mit den beiden darüber, aber auch den Einfluss der Liedermacherei auf deutschen HipHop gesprochen.
In der an und für sich recht umfassend dokumentierten Geschichte von HipHop in Deutschland gibt es doch ein paar Namen, die immer wieder unter den Tisch fallen. Anarchist Academy (AA) ist so ein Name, vielleicht sogar der Name. Was umso erstaunlicher ist, weil die Crew aus Nordrhein-Westfalen 1993 mit »Am Rande des Abgrunds« eines der ersten deutschsprachigen Rap-Alben veröffentlichte und auch außerhalb der HipHop-Szene viel von sich reden machte. Diese, wenn man mit Blick auf den geballten politischen Output von AA so will, deutsche Version von Public Enemy stand für politischen HipHop, der damals als conscious hätte bezeichnet werden können und heute womöglich als woke bezeichnet werden würde. So gesehen waren Anarchist Academy ihrer Zeit in mehrfacher Hinsicht weit voraus.
Zwar gehörte es in den frühen Neunzigerjahren vor dem Hintergrund der gerade erfolgten deutschen Wiedervereinigung und vor allem angesichts rassistischer Pogrome und Mordanschläge in Rostock, Mölln und Solingen im hiesigen HipHop quasi zum guten Ton, sich mit wenigstens einem Track gegen Nazis zu positionieren, was durchaus auch eine gewisse geistige Grundhaltung der Szene widergespiegelt haben dürfte. Doch im Unterschied zu den meisten anderen Rappern gab es bei Anarchist Academy Single um Single und Album um Album das volle Programm: straight antifaschistischen linken Rap; »Zeckenrap«, wie er viele Jahre später genannt werden sollte.
Was etwa ein Jahr nach der Veröffentlichung des Buchs »Fear of a Kanak Planet – Zwischen Weltkultur und Nazi-Rap« (2002) von Murat Güngör und AA-Leadrapper Hannes Loh alias LJ dazu führte, dass ehemalige Mitglieder der zwischenzeitlich aufgelösten Band Anarchist Academy einer Gruppe von jungen HipHoppern und Aktivisten beim Aufbau des linken HipHop-Netzwerks »Hip-Hop-Partisan« beratend zur Seite standen. Amüsantes Detail: Bei einem der ersten Treffen des Netzwerks lernten sich auch Koljah und Danger Dan kennen – eine Begegnung, ohne die es die spätere Antilopen Gang vielleicht nie gegeben hätte.
Doch aller Pionierarbeit zum Trotz blieb Anarchist Academy in den etablierten HipHop-Medien sowie hiphop-historischen Betrachtungen stets weitestgehend außen vor. Bis heute. Auch die hiphop-historischen Bücher von Hannes Loh, die er mit Sascha Verlan oder Murat Güngör schrieb, stießen im deutschen HipHop-Establishment auf wenig Gegenliebe. Mit umso offeneren Armen wurde AA von Nicht-HipHoppern empfangen, bei denen die politischen Inhalte Anklang fanden. So wurde bereits ihr 1992 in Umlauf gebrachtes Tape »How To Kill a Racist« von dem Hardcore-Punk-Magazin »Zap« zum Demo-Tape des Monats gekürt und AA als »Slime des Rap« bezeichnet.
Ein Jahr später erschien ihr Debütalbum über das Punkrock-Label Wolverine Records. In der Folge waren ihre Platten in nahezu jedem gut sortierten Plattenladen, in dem es sonst nur wenig bis gar keinen HipHop zu kaufen gab, zu finden und verbreitete sich ihre Musik vor allem außerhalb der HipHop-Szene. Dabei begriffen sich die Mitglieder von AA zuallererst als HipHopper. Als solche waren sie vor allem in NRW, in Iserlohn und der Old-School-Hochburg Lüdenscheid, verwurzelt und vernetzt. Anarchist Academy stand für das, was in HipHops Mutterland, den USA, von manchen als fünftes Element von HipHop gehandelt wird: Aktivismus. Man denke nur an »Anarchist to the Front«, ein musikpolitisches Magazin, das AA in den Neunzigerjahren publizierte.
An einem regnerischen Freitagabend steht der heute als Lehrer an einer Gesamtschule arbeitende Hannes Loh in Köln vor dem »Dedicated Store«, dem unweit des Hansaring-Bahnhofs gelegenen Graffiti-Geschäft von Babak Soltani alias Babak One von Anarchist Academy, und begrüßt ALL GOOD zum Interviewtermin. Nichts in dem geräumigen Laden, den Babak seit nunmehr 20 Jahren betreibt, erinnert an seine Anarchist-Academy-Vergangenheit. Er erledigt noch den Rest seines Tagewerks, dann schließt er das Geschäft von innen ab.
Das Interview findet an einer Bierzeltgarnitur bei einem Kaltgetränk statt, alle paar Minuten ist ein über die Gleise ratternder Zug zu hören. Eigentlich soll es nun vor allem um den Einfluss der Liedermacherei auf deutschen HipHop gehen. Schließlich hat Anarchist Academy nicht nur den großen Franz Josef Degenhardt (1931-2011) gesamplet und neuinterpretiert, sondern trat ihm zu Ehren auch 1997 auf dem renommierten Liedermacher-Festival auf der Burg Waldeck im Hunsrück auf. Das Gespräch kreist dann aber nicht nur um die Liedermacherei, sondern auch um die Geschichte von Anarchist Academy. Und das völlig zu Recht.
-
Die wichtigste Frage zuerst: Hannes, dein Rappername lautet LJ. Wofür steht das eigentlich?
-
(Gelächter)
Hannes: Für Loh, Johannes. Johannes Loh ist mein Name. Und wenn du Loh nach vorne ziehst und »L« draus machst und Johannes nach hinten stellst und »J« draus machst, dann wird daraus »LJ«.
-
Ich dachte immer, Hannes wäre einfach nur Hannes.
-
Hannes: Hannes ist mein Rufname. Mein Taufname ist Johannes. Aber »LH« wäre in bisschen holprig, da ist »LJ« funkier.
Babak: »LJ the terrorist speaker!«
-
Und was hat es mit Babak auf sich?
-
Babak: Babak ist mein bürgerlicher Name. Das ist ein alter persischer Name eines Kriegers aus der persischen Mythologie. Ein klassischer Vorrevolutionsname. Daher hieß ich Babak the Persian Warrior, dann eingedeutscht Babak der persische Krieger. In Backstage-Räumen und so hab ich aber meistens babakONE getaggt, weil competition ain’t none… Nummer eins halt. Ein klassischer Zusatz aus dem Graffiti-Kontext. Aber ich hatte vorher auch noch andere MC-Namen: von MC Bouble Double Trouble über MC B Double T zu Terrorist B. (lacht)
-
In meiner Wahrnehmung war Anfang der Neunzigerjahre Anarchist Academy in der HipHop-Szene ziemlich präsent. Ihr fielt nicht nur durch Eure politischen Inhalte auf, sondern auch dadurch, dass ihr für die damalige Zeit schon sehr professionelle Tonträger hattet und ganze Alben veröffentlicht habt. Somit hattet ihr eine gewisse Präsenz, wenngleich schon damals ein bisschen am Rande der Szene.
-
Babak: Absolut.
Hannes: Total.
-
Doch ausgerechnet als 1998 euer meiner Meinung nach bestes Album, »Rappelkistenkids«, rauskam und gerade dieser erste große kommerzielle Hype von deutschem Rap ausbrach, wart ihr plötzlich…
-
Hannes: …weg.
-
Worauf führt ihr das zurück?
-
Babak: Ich glaube, das ist eine Frage des Zeitgeists, also Timing. Bei Musik geht es ja ganz oft um Timing. Du kannst geile Musik machen, perfekt und alles ist super – aber wenn das Timing nicht stimmt, wirst du nicht gehört. Wir waren ein bisschen zu früh dran. Und ein Stück weit wussten wir’s auch nicht besser. Bei »Rappelkistenkids« hatte sich unser Label, Virgin, direkt auf »Leaving You« eingeschossen, also auf das Liebeslied. Das Lied ist wunderschön, ein super Song. Aber wir hätten das Lied »Rappelkistenkids« als erste Single machen sollen. Außerdem hätte man vielleicht noch ein bisschen mehr Geld in die Hand nehmen sollen, für Videos und so.
Hannes: Es gab ja nie ein Video von uns.
Babak: Es hätte alles ein bisschen besser aufgebaut werden müssen. Es fehlten ein paar Leute, die dran glaubten.
Hannes: Was wir uns von der Platte erhofft haben, ist nicht eingetreten. Dazu kommt, dass ich dann ausgestiegen bin, weil ich mein Studium zu Ende bringen wollte. Ich war 28, kurz vor der 30, und dachte mir: Jetzt muss langsam mal was passieren. Wir waren bis dahin ja seit 1992 durchgehend unterwegs gewesen.
Babak: Wir haben jeden Freitag und jeden Samstag gezockt und sind Touren gefahren.
Hannes: Und das überall. Anfang der Neunziger im Osten – was da los war, das kannst du keinem erzählen. Die Leute sind durchgedreht und haben das gefeiert, weil die ein großes Bedürfnis nach antifaschistischer Musik und vor allem nach HipHop hatten.
Babak: Wir waren auch ausgelaugt, hatten so’n bisschen Burn-out. Gleichzeitig blieb der Erfolg aus. Wäre der Erfolg gekommen, dann wär’s vielleicht anders gelaufen. Aber um uns herum explodierte es. Fischmob zum Beispiel hat funktioniert, die hatten ja so einen super Deal, die haben alles abgegriffen und dann doch nichts gemacht. (lacht) Freundeskreis funktionierte ebenfalls, die Beginner auch, mit denen waren wir auch down, haben uns ausgetauscht, und die haben bei uns gepennt. Die haben sich dann in ihrem Film weiterentwickelt. Ich glaube, wir hätten auch das Potenzial gehabt, in einem nicht so puren HipHop-Kontext sehr gut funktionieren zu können. Wir wurden ja schon relativ früh von der linken und der Punk- und Hardcore-Szene, also von Nicht-HipHop-Leuten, wahrgenommen und konsumiert.
Hannes: Mit sehr vielen Missverständnissen.
Babak: Aber es hat uns geöffnet für andere Musik- und Subkulturen. Wir haben dann alles Mögliche gespielt und zum Beispiel mit der Metal-Band Kreator abgehangen.
Hannes: Unser erstes großes Konzert 1992 war mit …But Alive, Emils und Slime in der Hamburger Markthalle.
Babak: Und die meisten Zuschauer fanden’s gar nicht geil. (lacht)
Hannes: Die Hälfte des Publikums. Die, die das »Zap« nicht gelesen hatte, bewarf uns mit Bierflaschen, weil wir hatten ja keine Gitarren. Wir standen da auf der Bühne ohne Instrumente, nur mit Sampler und Mics und die so: »Seid ihr bescheuert?!« (lacht)
- »Wir haben im Tourbus Too Short hoch- und runtergehört.«Auf Twitter teilen
-
Du hast eben von »vielen Missverständnissen« gesprochen, die es in der Punk- und anderen Szenen in Bezug auf Euch gab. Was waren das für Missverständnisse?
-
Hannes: Das war ja eine richtige Bewegung. Die Leute innerhalb der Punk-/Hardcore-Szene, die hatten ja ganze Schlüsseltexte über Fragen wie, ob Punk jetzt tot ist oder ob HipHop das neue Ding ist. Die wollten gucken, was mit HipHop in Deutschland los ist. Ale Dumbski von Buback hat das ganz maßgeblich mitdiskutiert. Diese Punk-/Hardcore-Szene war ja irre gut vernetzt, die hatten deutschlandweit autonome Zentren, waren alle miteinander connectet, hatten Fanzines und so.
Babak: Alles, was wir nicht hatten.
Hannes: Das »Zap« gab es in einer Auflage von ein paar Tausend Stück monatlich. Moses Arndt, der Kopf hinter dem »Zap«-Magazin, war super umtriebig und dem jungen HipHop-Movement gegenüber sehr aufgeschlossen. Das war richtig krass. Und im »Zap« war ja auch die Rezension unseres ersten Tapes. Das ging direkt durch die Decke! Auf einmal haben wir Buchungen von überallher gekriegt. Und dann standen wir oft vor einem Punk-/Hardcore-Publikum und haben die in dieser Call-and-Response-Kultur angesprochen: »Ey, was geht ab?! Wenn ich das sag, sagt ihr dies…!« Und die so: »Ey, gib mir keine Befehle, Alter! Ich entscheid das selber.«
Babak: Oder: »Warum sagt ihr ›Nazischweine‹?«
Hannes: Genau, »Was können die Schweine dafür?«.
Babak: Oder: »Warum sagt ihr ›Fick die Polizei‹?
Hannes: »…sexistisch.«
Babak: Da gab’s ja noch gar keine Wokeness und Veganer. Es gab nur Vegetarier. (lacht) Das meint Hannes mit Missverständnissen. (lacht)
Hannes: Oder Backstage. Da dachten wir, jetzt bekommen wir Spaghetti Bolognese oder Schnitzel, aber dann hieß es: »Also wir haben hier so ne Zucchini-Suppe gemacht.« Oder: »Hier könnt ihr pennen, das ist Euer Matratzenlager.« Und dann waren das so total abgesiffte Matratzen mit Bierflecken.
Babak: Wir hörten im Tourbus Too Short hoch und runter und dachten zwar: »Okay, das ist super sexistisch – aber die Musik ist geil.«
Hannes: Es ist halt ein geiler Style, und wir haben die Inhalte damals noch nicht reflektiert.
Babak: Insofern war der Kontakt zu der linken und Punkszene für uns auch gut.
Hannes: Wir haben einiges gelernt.
- »Ich bin B-Boy to the fullest, super HipHop-Nazi, also was für Punks, Alter?!«Auf Twitter teilen
-
Das hat ja die Antilopen Gang auch durchgemacht, als sie noch durch die autonomen Zentren getingelt sind.
-
Babak: Das hoffe ich für die! (Gelächter)
Hannes: Die haben eben auch dues gepaid. Du kommst da mit vielen Sachen in Kontakt, die uncool sind, aber du lernst auch sehr spannende Leute kennen. Das war schon toll.
Babak: Wir hatten aber nicht die Strukturen. Hätten Die Toten Hosen uns gesignt, dann wäre das auch anders gelaufen. (lacht) Aber damals gab es diese ganzen Strukturen noch nicht, und wir waren einfach ein bisschen zu früh dran. Wir waren aus dem Sauerland, aber wenn wir woanders gewesen wären mit anderen Strukturen, so wie Ale sie in Hamburg aufgebaut hat, dann wäre das vielleicht anders gelaufen.
-
Wenn über die Anfänge von Deutschrap gesprochen wird, ist von Anarchist Academy jedenfalls auffallend selten die Rede.
-
Babak: Wir werden immer ausgelassen.
-
Habt ihr dafür eine Erklärung?
-
Babak: Selbst in Hannes‘ Buch (35 Jahre HipHop in Deutschland; Anm. d. Verf.) werden wir ja nicht »gebührend« genannt.
Hannes: Das habe ich aber allerdings bewusst etwas ausgespart.
Babak: Mir und meinem Ego ist das auch völlig wurscht, weil ich weiß es ja für mich. Aber manchmal denke ich auch: Ist schon crazy. Deshalb muss man es dann halt mal selber sagen. Früher haben wir das nicht gemacht, aber inzwischen mach ich das. Weil sonst merken’s die anderen einfach nicht.
Hannes: Außerdem haben wir die Leute, die den HipHop-Journalismus in jener Zeit geprägt haben und die auf diese »Deutschrap«-Nummer kamen, immer kritisiert. Wir haben immer gesagt, dass diese ganze Deutschrap-Sache wack und Deutschrap ein Scheiß-Begriff ist, ein dummer Begriff. Die »Juice« hat sich dafür ja immer abgefeiert: »Wir haben den Begriff Deutschrap erfunden!« Vor allem hat es uns gewundert, dass die Rap-Szene immer in so einer Bubble geblieben ist und niemand auf die Idee kam, die Entwicklung der Gesellschaft, der Kultur, in die diese Szene eingebettet ist, mitzudenken. Dagegen haben wir versucht, das auch in einen historischen Kontext der Wiedervereinigung und einer Renationalisierung zu stellen. Irgendwann haben wir ja sogar unser eigenes Fanzine gegründet: »Anarchist to the Front«.
Babak: Eine Rolle hat auch unser Außenbild gespielt. Für viele waren wir die Punks, die jetzt Rap-Musik machen. Das hat mich früher super abgefuckt. Ich musste immer darum kämpfen und sagen: »Nein, Mann, ich bin B-Boy to the fullest, super HipHop-Nazi, also was für Punks, Alter?!« (Gelächter)
Hannes: Dazu kam, dass die HipHop-Journalisten in einem völlig anderen Narrativ steckten, und da passten wir einfach nicht rein. Aber es gibt auch Anerkennung. Zumindest habe ich das als späte Würdigung empfunden, als Leute wie Danger Dan oder Koljah öffentlich gesagt haben, dass Anarchist Academy total wichtig für sie waren, dass sie uns gehört und gesehen haben, dass HipHop auch anders geht.
Babak: Das persönliche Feedback gibt’s immer wieder. Als Dende sein letztes Album rausgebracht hat, hat er uns auch in einem Song genannt. Die Beginner hatten gerade ihr Album »Advanced Chemistry« rausgebracht und da hat Dende gesagt: »Mein nächstes Album heißt ›Anarchist Academy‹.« Oder ey, die Stiebers, die ich sehr verehre! Das ist jedes Mal unglaublich, was die für Props raushauen, wenn man sich mal sieht. Und das nicht bezogen auf die letzten 20 Jahre mit meinem Laden, sondern immer auf Anarchist Academy bezogen. Also intern haben Leute uns schon mitgekriegt und festgehalten, aber so auf historischer Ebene finde ich’s manchmal etwas schade. Denn eben: Unser erstes Album kam 1993 raus, auf dem haben wir auf Deutsch und Englisch gerappt….
Hannes: …und auf Türkisch und Persisch. Das war eine der ganz frühen Schallplatten mit türkischsprachigem Rap!
Babak: Und der erste persische Rap.
Hannes: Das war jetzt nicht super krass, aber es ist so gewesen. Ich glaube auch, dass diese Deutschrap-Szene, die nach der Old School kam, uns nicht einordnen konnte. Für die waren wir nicht Fisch und nicht Fleisch, noch dazu viel zu politisch. Die ließen davon lieber die Finger, wollten Deutschrap einfach feiern und der sollte auch kommerziell erfolgreich sein und gesehen werden. Wir haben zwar auch große Props bekommen, aber vor allem von der Old School-Szene. Was auch damit zu tun hat, dass die Bücher, die ich geschrieben habe, eine Hommage an die Old School sind. Wir haben sehr viele der alten Protagonisten interviewt und diese vergessene Old School-Geschichte der Achtzigerjahre eingefangen und ihr einen gebührenden Platz in der HipHop-Geschichte gegeben. Da ist schon sehr viel Anerkennung, obwohl auch die uns als Anarchist Academy damals, Anfang der Neunziger, ein bisschen strange fanden, weil die ja noch ganz HipHop-dogmatisch unterwegs waren.
- »Es gab innerhalb unserer Band so eine Liedermacher-Connection«Auf Twitter teilen
-
Ihr hattet aber auch diese Silo-Nation-Connection.
-
Hannes: Mit Dortmund war das immer was anderes. Aber die kannten wir ja auch. Dortmund hatte auch diese Lüdenscheid-Connection, und Too Strong war mit uns auf demselben Label. Wir hatten auch einen ähnlichen Humor. Und die Dortmunder wussten wirklich, wie man feiert. Wir hatten immer wieder Konzerte zusammen, das war sehr lustig, legendär und hat viel Spaß gemacht.
-
Die Silo Nation war ja quasi eine weniger dogmatischere Variante der Zulu Nation.
-
Hannes: Genau. Und gegen die konnten die halt nichts sagen, weil die ganzen Dortmunder Old-School-Writer ja Legenden waren. Die hatten ja schon Anfang der Neunziger eine zehnjährige Graffiti-Geschichte hinter sich. Die haben das System gesprengt, waren in Amsterdam, in New York, in Berlin, haben da Sachen gemacht, als in Berlin die ersten gerade erst so richtig losgelegt haben. Da konntest du nicht sagen, die sind nicht real. Das war diese extreme, brutale, krasse Writer-Authentizität. Und hinter Too Strong stand die ganze Graffiti-Szene. Die wurden auch super rezensiert im »MZEE«-Magazin, was ja eher von der Zulu-Nation-Tradition geprägt und sehr Old School war. Aber da war klar – das sind halt die Dortmunder, die kannte man von den Jams und das hat man anerkannt. Das Too-Strong-Album war natürlich auch geil und die Maxi »Rabenschwarze Nacht« ein Knaller.
-
Wie seid ihr schließlich auf die Idee gekommen, Franz Josef Degenhard« zu adaptieren?
-
Hannes: Es gab innerhalb unserer Band so eine Liedermacher-Connection. Einmal über mich, aber auch über Olli und Bütti (MC von Anarchist Academy; Anm. d. Verf.). Das kam über unsere Eltern. Wir haben Degenhardt auch manchmal einfach im Tourbus gehört.
Babak: Auf jeden Fall. Auch weil’s inhaltlich einfach krass war.
Hannes: Wir fanden es textlich einfach krass. Musikalisch ist Degenhardt nicht leicht zu samplen, weil er jetzt nicht so‘n krasses Taktgefühl hat. (lacht)
Babak: Bomba hat’s auf jeden Fall gehasst, das geloopt zu kriegen. (lacht)
Hannes: Da entstand die Idee, die »Schmuddelkinder« zu aktualisieren. Degenhardt lag ein bisschen in der Luft. Denn nach unserem zweiten Album »Anarchophobia« haben wir intensiver überlegt, was es eigentlich gibt, womit wir uns identifizieren können. Und das war die »Rappelkiste« auf der einen Seite und die Texte von Degenhardt auf der anderen Seite. Die Herausforderung war dann, das zu aktualisieren und irgendwie ins Jetzt zu holen. So sind unsere »Schmuddelkinder« entstanden.
Babak: Manchmal ist es auch einfach der Zeitgeist. Das Label findet die Idee gut und pusht das plötzlich, weil die denken, da kann man was mit machen.
Hannes: Das war Tribehaus.
Babak: Die fanden’s auf jeden Fall gut, weil die sich gesagt haben, das gibt’s noch nicht, da kann man was draus machen. Und dann haben wir’s gemacht und das fand dann sogar Franz Josef Degenhardt super.
Hannes: Wir haben ihn einfach per Post angeschrieben. So ist dann der persönliche Kontakt zu ihm entstanden.
Babak: Wir haben ihm die Demoversion geschickt, oder?!
Hannes: Ja, und auch um die Erlaubnis gefragt.
Babak: Dann hat er uns persönlich zurückgeschrieben, handschriftlich. Das steht ja auch auf der Rückseite der Maxi.
Hannes: Da hat er uns eine Widmung geschrieben.
-
Das war Teil seiner Reaktion?
-
Hannes: Wir hatten ihn auch gefragt, ob er sich vorstellen kann, wenn es ihm gefällt, ein, zwei Sätze dazu zu schreiben. Und das war natürlich perfekt, das hat super gepasst. Als wir dann auf Tour waren, haben wir ihn in Hamburg persönlich kennengelernt.
Babak: Und seinen Sohn Kai Degenhardt.
Hannes: Kai hat in Hamburg dann live Gitarre dazu gespielt, und wir haben die Schmuddelkinder performt.
Babak: Da war übrigens auch Frank Spilker von der Band Die Sterne und der hat auch mit uns auf der Bühne gefreestylet.
Hannes: Wir hatten Degenhardt eingeladen. Und mit Kai Degenhardt dann den Song für Väterchen Franz zu spielen, der im Publikum saß, war für uns der Höhepunkt des Abends. Das war auf jeden Fall super, weil wir auf dieser Tour schon mit Band unterwegs waren und Schlagzeug, Bass und Gitarre auf der Bühne hatten. Das hat gut funktioniert und war ein satter Sound.
-
Wann war das?
-
Hannes: Das war 1997.
Babak: Ja, 1998 waren wir dann auf »Rappelkisten«-Tour.
Hannes: 1997 waren wir auch auf dem legendären Liedermacher-Festival auf der Burg Waldeck. Dorthin hatte uns Degenhardt eingeladen.
Babak: Das war nach unserer Tour.
-
Die Einladung zur Burg Waldeck hast du, Hannes, im Vorgespräch als Highlight für die gesamte Band bezeichnet. Wart ihr dort als Gäste oder auf der Bühne?
-
Hannes: Wir haben da gespielt.
Babak: Den Auftritt gibt’s sogar auf YouTube. Blumfeld waren auch da.
Hannes: Auch viele andere Liedermacher waren da. Hannes Wader war da, Reinhard Mey, glaube ich, auch, Konstantin Wecker Wir haben zwei, drei Songs gespielt, danach kam dann Degenhardt dran.
Babak: Aber er hat nicht mit uns performt. Wir haben den Song für ihn zu seinem Geburtstag gespielt.
Hannes: Das war sozusagen unser Geburtstags-Song für ihn. Es war ein Geburtstags-Festival zu seinen Ehren. Es fand auch ein Diskussionspanel statt, da waren wir auch dabei. Mit Blumfeld und Günther Jacob. Da ging es dann popkulturell um das Thema »Das politische Lied«.
-
Wisst ihr noch, welche Lieder ihr dann auf der Burg Waldeck gespielt habt?
-
Babak: »Ruhe vor dem Sturm«…
Hannes: …und wahrscheinlich beide Versionen von den »Schmuddelkindern«.
-
Wie war die Reaktion des wohl eher hiphop-fremden Publikums?
-
Babak: Die habe ich absolut positiv in Erinnerung.
Hannes: Ja, das hatte so eine Festival-Atmosphäre.
- »Franz Josef Degenhardt war einfach ein Lyricist!«Auf Twitter teilen
-
Was habt ihr in Degenhardt und seiner Musik gesehen?
-
Babak: Ich komme ja überhaupt nicht aus dieser Musik, also das war nicht mein Background. Das kommt von Hannes und Deadly (Deadly T, MC von Anarchist Academy; Anm. d. Verf.). Ich hab’s dann im Tourbus kennengelernt – also durch den Zwang, dass jeder mal seine Musik spielen darf. Aber was mich da dann gekickt hat, das waren die Inhalte. Mit der Musik konnte ich nicht so viel anfangen, das war für mich nicht so die Funkyness. Aber wie das so ist bei »Sample-Musik« – wir haben von Degenhardt dann ja noch »Ein schönes Lied« gesamplet, das war richtig krank.
Hannes: Ein hammer Sample.
Babak: Wenn du im HipHop-Kontext Musik machst, lernst du durchs Samplen ja ganz viel Musik kennen, die du sonst nie hören würdest. Eben weil du am Diggen bist. Manchmal hast du Glück, und das richtige Sample ist gleich am Anfang oder Ende des Songs, aber manchmal musst du dir auch eine ganze Platte anhören, die du dir sonst nie anhören würdest. So ähnlich war das bei mir mit Degenhardt auch. Nur, dass es für mich dann mehr die Inhalte waren, die mich packten.
Hannes: Für mich war Degenhardt ein Meilenstein in meiner Sozialisation als Songwriter, ein textliches und lyrisches Schwergewicht. Ich habe alle seine Platten gehört. Auch die frühen Sachen. Da steckte er noch in einer eher mystischen Phase, das merkt man auch bei den »Schmuddelkindern«. Das ist alles sehr metaphorisch. Oder bei »Wölfe mitten im Mai« als Parabel auf den Faschismus, »Ein schönes Lied« als Parabel auf den Vietnamkrieg – lyrisch sehr stark, aber so, dass es dir im Hals stecken bleibt. Diese einfache Gitarre und dann diese harmlose Stimme, die dir Inhalte serviert, wo du denkst: Was war das denn gerade?! Wie bei den »Schmuddelkindern« (singt): »Seine Leiche fand man, die im Rattenteich rumschwamm / und drum herum die Schmuddelkinder…« Da fragst du dich, was ist da passiert?, und hörst es dir noch einmal genau an. Das sind Texte, die du sehr oft hören kannst, ohne dass sie sich abnutzen. Es ist nicht einfach eine Story, wo du hinterher sofort sagst: Okay, hab ich verstanden. Sondern da schimmert vieles dahinter: Da steckt eine Klassengeschichte drin, eine psychoanalytische Geschichte, eine Geschichte von Normalität und Wahnsinn und von Bürgerlichkeit und Proletariat – das alles verbirgt sich hinter den oft harmlosen Sätzen. Und serviert wird es dir irgendwie mit einer Schlaufe drum. Es ist wie ein vergiftetes Geschenk, also großartig. Auch seine Balladen, zum Beispiel über Joß Fritz, den Bauernführer (singt): »Lasst nicht die roten Hähne flattern, ehe der Habicht schreit«. Das ist große deutsche Widerstands-Lyrik. Später dieses ganz klar Marxistische und Klassenkämpferische fand ich auch toll. Oder das Lied »Väterchen Franz« – nach seinem Tod hatten wir die Idee, als Nachruf davon eine aktuelle Version zu machen. Aber das haben wir nicht mehr hingekriegt, weil bei allen von uns zu viel los war – ich hatte gerade Zwillinge, die ein halbes Jahr alt waren. Nach seinem Tod gab es noch ein Konzert in Berlin, bei dem ich auch zu Gast war. Das war unter anderem organisiert von einem alten Freund und Weggefährten – Prinz Chaos II, der jetzt auf einem Schloss in Weitersroda wohnt. Da haben viele Wegbegleiter, aber auch neue Künstlerinnen und Künstler Degenhardt-Songs performt. Anarchist Academy hat da schon ein bisschen gefehlt. Das ist schade, weil aus der HipHop-Ecke so gar nichts dabei war.
-
Habt ihr auch seine Bücher gelesen?
-
Hannes: »Zündschnüre« habe ich gelesen. Das war eindrucksvoll. Er konnte schreiben, aber ich finde das Lyrik-Format immer besser. Er war einfach ein Lyricist! Bei den späteren Sachen, in den Achtzigern und Neunzigern, da hört man schon ein bisschen den DKP-Frust raus. Er ist ja immer Parteisoldat geblieben. Seine Lyrik aber war nie gleichgeschaltet.
-
Wie habt ihr Degenhardt bei eurer Begegnung erlebt?
-
Hannes: Er war sehr aufgeschlossen und sehr warmherzig.
Babak: Wie so’n Väterchen tatsächlich.
Hannes: Ja. Sehr wohlwollend. Der fand das, glaub ich, auch cool, dass er nun von HipHop-Leuten gesamplet und neu interpretiert wurde. Ich war dann auch noch auf ein paar Konzerten von ihm und habe manchmal mit ihm und seiner Entourage abgehangen. Dann saßen wir alle zusammen am Tisch, haben Bier getrunken und geredet. Da hast du schon irgendwie gemerkt, dass er das auch genießt und cool findet, mit uns jungen Leuten in touch zu sein.
Babak: Ich finde ja diese Widmung, die er uns geschickt hat und auf der Rückseite der »Schmuddelkinder«-Maxi stand, unschlagbar. Mehr Props kann man ja gar nicht kriegen.
-
»Ja – das ist ein Schmuddelkinderlied von heute – so wie ich es auch schreiben würde, wäre ich 17 oder 25 und rappte durch Tag und Nacht in diesen lausigen Zeiten. Und die Zitate aus dem Degenhardt-Song passen auch. Weiterspielen!«
-
Babak: Ich war damals überrascht, weil man muss ja offen dafür sein, also für Musikrichtungen, die du vielleicht nicht fühlst, verstehst oder hörst. Zumal deutschsprachige Rap-Musik zu der Zeit noch recht neu war. Ich denke, wenn du heutzutage als junger Mensch einen älteren Liedermacher oder so coverst, wäre das was ganz anderes. Weil Rap heute ja die Popmusik ist, die alle hören. Die Offenheit wäre heute wahrscheinlich größer.
Hannes: Damals war es quasi eine Szene-Musik. Wir waren Leute aus der Szene, die sich für einen Liedermacher interessierten. Es entstand dann auch noch eine Connection zu seinem Sohn Kai, mit ihm hatten wir dann über eine längere Zeit auch immer wieder Kontakt.
Babak: Mit Kai war das schon mehr auf Augenhöhe.
Hannes: Kai ist ja nur ein paar Jahre älter als wir. Er war teilweise auf Konzerten von uns, wir waren auf Konzerten von ihm oder haben uns getroffen.
Babak: Auf der Burg Waldeck – das hört sich jetzt ein bisschen eso-mäßig an – kann ich mich noch ein bisschen an Franz Josef Degenhardts Energie erinnern. Als er auf die Bühne kam, das war null anbiedernd, sondern ganz warmherzig, wie einen in den Arm zu nehmen, so nach dem Motto: »Das macht ihr gut! Weitermachen! Props. Meinen Segen habt ihr.« Aber ohne pseudo-mäßig versuchen, unsere Musik auch zu fühlen oder so.
-
Wie kam »Ein schönes Lied« zustande, das ebenfalls auf einem Degenhardt-Sample aus einem gleichnamigen Lied basiert?
-
Hannes: Ich hatte diese Textidee für einen biografischen Zugang mit dem Fokus darauf, wie gesellschaftliche Institutionen versuchen, dich zu normalisieren oder widerständische Impulse zu brechen und wie man damit umgeht. Das ist eine bürgerliche Perspektive als Sohn eines Pfarrers und einer Lehrerin. Am Ende stellt sich wie in dem Degenhardt-Song die Frage: Ist das jetzt ein schönes Lied? Musikalisch ja. Es ist schön. Durch das Sample ist es sehr weich, aber auch durch die Scratches von DJ Zonic (von Anarchist Academy; Anm. d. Verf.). Der Song ist sehr ästhetisch, aber auch super produziert. Das war die erste Platte, wo wir einen echten Produzenten hatten – Olaf Opal. Das war in einem Studio in Weilheim. Da haben unter anderem auch The Notwist produziert.
Babak: Das ist im tiefsten Bayern gewesen.
Hannes: Und es war eine geile Zeit.
Babak: Ich weiß noch ganz genau: Bomba (MC, DJ und Produzent von Anarchist Academy; Anm. d. Verf.) saß in diesem kleinen Nebenraum, wo wir die Vorproduktion gemacht haben, und Hannes kam mit der Idee für »Ein schönes Lied«. Da gab es erst richtig Streit! Bomba wollte das partout nicht machen, meinte: »Du raffst es nicht! Das ist alles krumm und schief. Das kriegt man nicht auf den Beat.«
Hannes: (lacht)
Babak: Hannes und ich sind dann auf jeden Fall erstmal zwei Stunden vor die Tür gegangen.
Hannes: Bomba muss man dann in so Situationen…
Babak: …alleine lassen.
Hannes: Er war dann auch angefixt. Er will dann beweisen, dass es eigentlich unmöglich ist, er es aber trotzdem hinbekommt.
Babak: Eher so: Ich zeig Euch, dass es nicht geht oder nicht geil wird. Er ist immer anti gewesen. Aber dann hat er dieses Brett fertiggemacht.
Hannes: Der Beat wurde übrigens mit einem Schlagzeug eingespielt. Das war auch super.
-
Habt ihr Degenhardt für den Song auch um Erlaubnis gebeten?
-
Hannes: Das weiß ich nicht mehr. Es gab ja die Connection über das Label. Aber für Degenhardt wäre es wahrscheinlich auch ohne okay gewesen. Er war ja Marxist. (lacht)
- »Mit dem ›Rappelkistenkids‹.-Album waren wir bei einem Major-Label«Auf Twitter teilen
-
Wie wurden »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern« und »Ein schönes Lied« von der Kritik angenommen?
-
Hannes: Viele fanden es gut oder einfach spannend. Da wurde schon drüber gesprochen. Teilweise wurden die Songs auch auf 1Live gespielt, weil die Redakteure es gut fanden, damals also Leute, die schon älter waren und denen Degenhardt ein Begriff war.
Babak: Das Presse-Feedback war groß. Das »Rappelkisten«-Album war für uns ja auch der Versuch, in den Mainstream zu gehen. Nicht, dass wir uns dafür verändern wollten, aber wir hatten die Hoffnung, den nächsten Step zu machen. Das Album wurde dann ja auch über Tribehaus/Virgin, rausgebracht. Wir waren also bei einem Major-Label, und da wurde dann auch etwas Geld für die Promo reingepumpt. Wir spielten dann nicht mehr auf HipHop-Jams, sondern gaben alleine Konzerte. Nach dem Release des »Rappelkistenkids«-Albums waren wir fünf Wochen lang auf Tour, fünf Wochen am Stück im Nightliner. Für Chumbawamba sind wir in der Großen Freiheit in Hamburg als Vorgruppe aufgetreten. So was hat uns Türen geöffnet, aber, ohne es zunächst zu merken, auch uns selbst geöffnet, so: »Okay, wir machen uns jetzt mal locker.«
Hannes: Wir machten gute Songs, die irgendwie stimmig waren. Und die HipHop-Szene – was war denn die HipHop-Szene damals? Das war ja schon eine große Diskussion. In der Zeit, 1998, hatte Deutschrap mit dieser Stuttgart-Hamburg-Achse seinen ersten kommerziellen Höhepunkt. Und man muss einfach sagen, dass das Klientel nur einen begrenzten Zugang zu unserem Ansatz und keinen großen Bezug zu Degenhardt hatte. Die haben das teilweise gar nicht verstanden. Das kam erst eine Generation später mit Chaoze-One oder den Antilopen, die es damals noch gar nicht gab.
Babak: Es gab auch noch nicht die Schublade Zeckenrap. Wir haben ja selbst erst viel später erfahren, dass wir scheinbar die Väter des Zeckenrap sind. Es gab auf Arte mal eine Doku über Zeckenrap, und da wurden wir von heutigen Zeckenrappern so benannt. Das steht dann wieder in der Degenhardt-Tradition, die Zecke, also erst er, dann wir und danach die anderen.
Hannes: Degenhardt war unter den Liedermachern ja der linkeste und radikalste. Alle anderen haben ja irgendwann wieder so’n sanften »Über-den-Wolken«-Kurs eingeschlagen. Aber Degenhardt ist seinem politischen, marxistischen Ansatz immer treu geblieben. Und hat dadurch eben auch nicht diesen Erfolg gehabt wie die andern.
Babak: Das hat wiederum voll gut zu uns gepasst. Ungewollterweise.
Hannes: Ja. Degenhardt war Underground-Liedermacher.
Babak: Reinhard Mey haben wir nicht gesamplet, weil er uns gar nicht angesprochen hat. Degenhardt hat uns angesprochen.
Hannes: Unser Song »Fünfte Terroristengeneration« vom »Rappelkistenkids«-Album ist übrigens eine weitere Degenhardt-Referenz. Beim Hören von Degenhardts »Bumser Paco« sind wir auf »Fünfte Terroristengeneration« gekommen, das war dann der Opener fürs Album.
Babak: Auf dem »Rappelkistenkids«-Album zieht Degenhardt sich so durch. Vom Timing her war das so: Du ziehst dir ja Musik rein, und dann kommt’s irgendwann raus. »Rappelkistenkids« war sozusagen der Output von dem, was wir uns im Jahr vorher im Tourbus gegeben haben. Da hat Degenhardt auf jeden Fall eine große Rolle gespielt.
-
Weitere Degenhardt-Referenzen finden sich in dem Booklet von »Rappelkistenkids«. Da hattet ihr ja diese Fotos, wo jeder von Euch anhand verschiedener Dinge gezeigt hat, was ihn geprägt hat. Und du, Hannes, hast da auch eine Degenhardt-Platte stehen.
-
Hannes: Ja, da konnte man, wenn man wollte, viel rausholen.
-
2011 ist Franz Josef Degenhardt im Alter von knapp 80 Jahren gestorben. In seinen letzten Lebensjahren war es ziemlich ruhig um ihn geworden. Aber wenn man heute so bei YouTube schaut, finden sich schon relativ viele Interviews mit ihm, auch im Fernsehen und in prominenten Talkshows. Das war aber auch eine andere Zeit, wo aller Ablehnung und Skepsis zum Trotz auch linksradikale Stimmen zumindest gehört wurden. Es gab eine Diskussion, es fand eine Debatte statt – die dann Anfang der Neunzigerjahre mit dem Zusammenbruch der Ostblockstaaten offenbar obsolet wurde.
-
Hannes: Ja, das war ein Einschnitt.
-
Und jetzt ist Degenhardt tot und findet gar nicht mehr statt. Wo seht ihr die Gründe dafür?
-
Hannes: Klar. Die Wiedervereinigung und der Neoliberalismus haben ihn und viele andere unter sich begraben. Aber Degenhardt ist ja weiterhin ein Rohdiamant und wird immer wieder von Leuten entdeckt. Seine Texte sind zeitlos. Da kann kein Zeitgeist rübergehen und das wegtrampeln. Die Pflänzchen kommen dann wieder raus und die Leute werden das wiederentdecken, so eine Qualität hat das. Über Generationen hinweg, davon bin ich überzeugt. Ich höre selbst regelmäßig Degenhardt. Meine Kinder sind jetzt zwölf und die haben schon relativ früh gecheckt, dass das was Krasses ist, dass das so’n magisches Ding ist. »Wölfe mitten im Mai« haben die mit sieben oder acht gehört und sich ein bisschen gegruselt, weil sie das erst mal auf einer wortwörtlichen Ebene gehört haben. Das ist ja auch unheimlich. Der setzt dir so metaphorische Zeitbomben ins Hirn, die dann irgendwann explodieren. Und dann checkt man: Ey, das ist ja ne Parabel auf den Faschismus! Diese starken Metaphern sind zeitlos. Kinder checken das, Erwachsene, die sich für Sprache interessieren, die checken das auch. Das sind Zeitkapseln, die wie eine Flaschenpost irgendwo landen. Dann machst du sie auf und denkst: Was ist das denn? Das ist ja krass, und du fragst dich, warum hat mir nie jemand von dem erzählt?! Lass mal gucken, was gibt’s denn da noch?
Babak: Aber er wird jetzt nicht im Nachhinein sozusagen die Krönung erhalten. Dazu fehlt es hier auch an Traditionen für dieses Genre.
-
Unter den Liedermachen war er im Grunde genommen ja gekrönt. Aber das war eben nicht massentauglich beziehungsweise nicht massenwirksam.
-
Babak: Ja, aber selbst, wenn die Leute nicht wissen, wer Degenhardt ist: Mit dem Begriff »Schmuddelkinder« können ja alle irgendwie etwas anfangen. Das ist ja so krass. Damit hat er ja schon eine Art Mainstream-Hit gehabt.
Hannes: Das war ja auch ein wahnsinniger Erfolg. Die Platte ist durch die Decke gegangen.
Babak: Aber selbst da bin ich mir nicht sicher, ob die Leute, die das dann geil finden, auch checken, was da eigentlich abgeht. (lacht)
Hannes: Man muss dazusagen, die »Schmuddelkinder« sind 1965 bei Polydor erschienen. Also lange bevor dann die anderen Liedermacher, die man heute noch so kennt, wirklich fame wurden. Da hatte Degenhardt mit »Schmuddelkinder« schon seine zweite oder dritte Platte, da war er der King und auf dem Olymp der Liedermacherei. Leute wie Hannes Wader oder Reinhard Mey fanden Degenhardt krass, sind mit seiner Musik aufgewachsen, so wie andere später mit den Beginnern.
- »Die Migrantenkids haben natürlich nicht gedacht: Ach, schau mal, was es hier für ne coole Liedermacher-Tradition gibt!«Auf Twitter teilen
-
Im HipHop wurde sich immer viel an Soul, Funk und so weiter bedient, das hat es in Bezug auf die Liedermacher nie gegeben. Woran liegt das Eurer Meinung nach?
-
Hannes: Ich glaube, das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist die deutsche Liedermacherei immer sehr textbezogen gewesen. Da ging es nie um eine wirklich gute Produktion. Anders als im französischen Chanson. Da hast du Leute wie Serge Gainsbourg, einen der größten französischen Liedermacher, den dann später auch MC Solaar gesamplet hat. Die erste HipHop-Generation in Frankreich hat sich daran zwar nicht abgearbeitet, aber der Bezug ist dort natürlich leichter.
Babak: Chansons haben einfach ein ganz anderes Standing in Frankreich, also die Liedermacher. Hier sind das halt auch so’n bisschen »die Typen mit der Klampfe«.
-
Woran liegt das? Kann es sein, dass die deutsche Liedermacherei auch recht elitär war, dass es einen gewissen Bildungshintergrund brauchte, um das zu checken und wirklich feiern zu können? Dazu kommt, dass es jetzt auch nicht besonders cool rüberkam. Es fehlte so’n bisschen an der Coolness.
-
Babak: Das ist bei den Franzosen definitiv anders. Die Selbstverständlichkeit der Sprache war bei den Franzosen zu dem Zeitpunkt auch schon gegeben. In unserer Jugend war es ja nicht cool, was Deutsches zu hören. Das mussten ja nicht mal Liedermacher sein. Ob es jetzt Ton Steine Scherben waren oder Udo Lindenberg. Den haben wir übrigens auch hoch- und runtergepumpt.
Hannes: Und gesamplet!
Babak: Aber das ist zu dem Zeitpunkt ja auch nicht cool gewesen. Dass Lindenberg jetzt der supercoole Onkel ist, das ist erst heute so, aber in den Neunzigern war der noch nicht cool. Und das lag auch, glaube ich, an der Sprache, weil die Musik war ja super funky. Das einzige, was gestört hat, war die Sprache. Man konnte sich ja nicht mal deutschen Rap anhören, weil auch der nicht cool war.
Hannes: Sprache, Migration und Klasse. Als wir in Deutschland Rap gemacht haben, waren die Gruppen, die Erfolg hatten, Almans. Das waren Alman-Gruppen aus’m studentischen Kontext, aus einem bürgerlichen Kontext. Da waren erst die Fantas und dann diese Deutschrap-Welle, die dann alle gefeiert haben: »Deutschrap«. Das hat eine deutsche Jugend angesprochen. Die Migrantenkids haben das nicht gehört. Die haben Westcoast-HipHop gehört. Bis Cartel kam. Die haben auf Türkisch performt und das ganz bewusst. Weil die deutsche Sprache für Migrantenkids nicht catchy war. Die hat das weder musikalisch noch textlich abgeholt. Das kam erst Anfang der 2000er nach dem Kollaps von Deutschrap. Mit Da Fource und schließlich mit Aggro Berlin, wo plötzlich Leute wie Bushido in Cordon-Sportklamotten und Jogginghose in den Socken rumrannten und einen ganz anderen Schnack hatten. Die waren dann zunächst damit beschäftigt, das ganze Deutschrap-Ding wegzudissen und sich den Weg freizuräumen, und die haben natürlich nicht gedacht: Ach, schau mal, was es hier für ne coole Tradition gibt! Die Achtziger-, Siebziger-, Sechzigerjahre oder die Burg Waldeck – das hat die überhaupt nicht interessiert. In der Old School gab es ja noch diesen internationalen Kontext, in dem Deutschsein oder deutsche Texte kaum eine Rolle spielten. Doch als HipHop in Deutschland kommerzialisiert wurde, sind die meisten durchs Raster gefallen. Leute wie Azad, Microphone Mafia oder Fresh Familee – die konnten in dieser Phase als Deutschrap nicht vermarktet werden.
Babak: Selbst Advanced Chemistry, die Pioniere dieser ganzen Geschichte, waren eben keine Deutschrapper. Die haben andere Sprachen eingebaut. Und obwohl sie so einen Meilenstein wie »Fremd im eigenen Land« gemacht haben, waren die trotzdem nicht als »die Deutschen« zu fassen.
Hannes: In Frankreich gab es eine andere Entwicklung. HipHop in Frankreich war immer tief in der Diaspora verwurzelt, aber gleichzeitig hatten diese Menschen die französische Staatsbürgerschaft. Während in Deutschland die Leute als »Ausländer«, »Türke« – eben als »Nichtdeutscher« wahrgenommen wurden, denen der deutsche Pass verwehrt wurde. Die bekamen höchstens einen Doppelpass, wogegen aber die CDU eine krasse Kampagne fuhr. Das macht die Identifikation mit der Sprache natürlich schwierig – oder auch mit irgendwelchen Almans, die in den Siebzigern mal Liedermacher waren.
Babak: In Frankreich war es ja auch so, dass durch die gesetzliche Vorschrift, dass im Radio so und so viel Prozent französischsprachige Musik gespielt werden mussten, französischsprachige Rap-Musik dort einen super Push bekommen hat.
Hannes: Die HipHop-Kids in Marseille und Paris haben natürlich nicht gesagt: Wie cool, wir sind alle Franzosen! Aber sie hatten eine staatsbürgerliche Grundlage, sich am Rassismus abzuarbeiten. Die sind dann in die Konfrontation gegangen und haben das Französisch ja buchstäblich auf den Kopf gestellt: »Verlan«, à l’envers (frz.: umgekehrt; in der Jugendsprache Verlan werden die Reihenfolge Silben von Wörtern vertauscht; Anm. d. Verf.). Die haben daraus in den Neunzigern schon ihr eigenes Ding gemacht und dieses HipHop-Französisch zur Jugendsprache entwickelt. Das war ja kein Migranten-Französisch, sondern Jugendsprache. Das ging bei uns erst Mitte der 2000er mit Aggro Berlin und dann vor allem mit Haftbefehl los. Als dann plötzlich Wörter aus dem Türkischen, Arabischen, dem Romanes oder Rotwelsch in der Jugendsprache landeten.
- »Schön, dass ihr aus dem Punk kommt und jetzt eine HipHop-Platte macht, aber es ist whack.«Auf Twitter teilen
-
Aber auch die eher bürgerlichen HipHop-Kids in den Neunzigern griffen ja die Liedermacher-Tradition nicht auf. Von euch mal abgesehen.
-
Babak: Dafür war die HipHop-Szene in den Neunzigern noch zu krass dogmatisch. Wir haben ja dann auch Beef gekriegt, mit Freunden sogar.
Hannes: Weil das nicht mehr die »reine Lehre« war. Wir wurden jetzt auch nicht angefeindet, aber wir wurden schon gefragt, warum wir nicht auf alten Funk und Soul zurückgriffen so wie die meisten anderen auch. Das Maß der Dinge war damals einfach HipHop aus New York.
Babak: Wir hatten außerdem Live-Musiker auf der Bühne – schon allein deswegen wurden wir gedisst. Heute machen alle Live-Musik. Alle! Auch die, die uns damals gedisst haben. Das war super dogmatisch. Wir waren ja schon dogmatisch, aber die waren noch dogmatischer.
-
In Bezug auf was wart ihr dogmatisch?
-
Hannes: Wir fanden auch Sachen wack. Sachen, wo wir sagten: Das ist ja schön, dass ihr aus dem Punk kommt und jetzt eine HipHop-Platte macht, aber es ist halt whack. (lacht)
Babak: Gleichzeitig hatten wir Beef mit unseren eigenen Leuten, die uns nicht real genug fanden, weil wir halt nicht nur reinen Siebzigerjahre-Funk und -Soul sampleten, sondern auch Tom Waits.
Hannes: In »Ein schönes Lied« übrigens.
Babak: Und natürlich in »Rudolf Rasta«.
Hannes: Und in »Teufels rechte Hand«.
Babak: Auch an so Leute wie Tom Waits oder Udo Lindenberg wäre ich ohne Hannes übrigens nie rangekommen.
-
Welchen Background hast du mitgebracht, Babak?
-
Babak: Ich hatte nicht so einen musikalischen Background in dem Sinne. Ich komme aus dem Iran und bin mit iranischer Mucke groß geworden. Aber selbst die haben meine Eltern bei uns zu Hause jetzt nicht so viel »gepumpt«. Ich bin dann über ein bisschen Pop und Metal ziemlich direkt zu HipHop gestoßen und habe dann relativ schnell selbst angefangen, Musik zu machen.
Hannes: Du warst aber auch staubsauger-mäßig.
Babak: Ich hatte ja nicht die Zeit, das alles erst mal in Ruhe kennenzulernen. Ich bin Baujahr 76, die anderen von Anarchist sind Baujahr 69 bis 71. Ich habe also mit nem Haufen älterer Jungs abgehangen.
Hannes: Mit 14 ist Babak zu uns gestoßen.
Babak: Die haben irgendwie Che Guevarra gefeiert und Tom Waits und Udo Lindenberg gehört, hatten aber diesen HipHop-Look und hörten Hijack, Public Enemy und wat weiß ich. Für mich war diese HipHop-Sache eigentlich schon genug, aber gleichzeitig habe ich durch Hannes, der so ein super diverser Typ ist, auch viele andere Sachen kennengelernt. Deadly wiederum war ein klassischer B-Boy.
Hannes: Old School-HipHop! Deadly war, bevor er zu Anarchist gekommen ist, schon mit den Kölnern connectet.
Babak: Also mit Scope, der STF Posse und mit LSD.
Hannes: Deadly kommt aus der Lüdenscheider Old School.
Babak: Er war schon Graffiti-Maler und Rapper, bevor er zu uns kam. Wenn ich als Kiddo bei Deadly zu Hause übernachtet habe, habe ich zum Beispiel so eine Tradition mitbekommen, die er wiederum von V.O.C. Kolute hatte, nämlich morgens von einem Sample geweckt zu werden. Und dann hörst du das und denkst: Das sind doch Geto Boys! Aber dann singt da einer und das sind gar nicht Geto Boys, sondern Isaac Hayes. So kam ich früh in diese Sample-Kultur. Aber nachmittags hängst du dann bei Hannes in der Butze ab, und da hören die irgendwelche verrückten, funkigen Sachen, wo einer auf Deutsch singt, und das ist dann Udo Lindenberg. Das meine ich damit, dass ich nicht so einen bestimmten Background hatte.
Hannes: Ich komme aus einem links-bürgerlichen Elternhaus, wo die »Schmuddelkinder« im Plattenregal standen.
- »Wir haben gezeigt, dass es möglich ist, politischen Rap zu machen«Auf Twitter teilen
-
Welche Bedeutung würdet ihr Anarchist Academy für die Entwicklung von HipHop in Deutschland beimessen?
-
Hannes: Ich würde sagen, dass die überschaubar ist. Alle drei Alben – »Am Rande des Abgrunds«, »Anarchophobia« und »Rappelkistenkids« – waren vom Timing her und allem irgendwie ein bisschen anders. Wo man jetzt nicht sagen kann, das wären Initialzündungen gewesen wie »Bambule« oder Der Tobi und Das Bo, wo man das Gefühl hatte: Krass, da kommen jetzt noch mal ganz neue Leute, die ein komplett neues Kapitel aufschlagen, wo dann andere anschließen. Ich glaube, wir haben eher eine Tiefenwirkung, wodurch es doch einige Menschen gibt, die durch unsere Musik und unsere Texte beeinflusst wurden. Aber es hat innerhalb der Szene keine neue Tür aufgestoßen. Das muss man so realistisch sagen. Andererseits hatten wir schon 1993 ein Albumformat mit Rap auf Deutsch, Englisch, Persisch und Türkisch, was schon etwas outstanding war.
Babak: Letztens war ein Kunde hier, der schon seit 2000 zu mir kommt. Damals war der 14. Und der wusste bis vor kurzem nicht, dass ich jemals gerappt habe. Seine Freundin aber, die etwas jünger ist als er, meinte dann letztens zu ihm: »Babak?! Der von Anarchist Academy?« Und er so: »Was, Anarchist Academy?!« Aber sie war im Ruhrgebiet jahrelang in der Antifa aktiv, und auf den Demos dort wurden immer wieder irgendwelche Tracks von Anarchist Academy gepumpt. Deswegen, glaube ich, hatten wir schon sozusagen Einfluss. Da ist ne Heritage, aber jetzt nicht per se auf die HipHop-Szene bezogen.
Hannes: Das kann man sagen. Für Leute wie die Antilopen oder Chaoze waren wir ja tatsächlich so’n bisschen die Oase in der Sahara.
-
Ihr habt die Leute politisch abgeholt.
-
Babak: Wir sind halt die Erfinder des Zeckenraps.
Hannes: Wir haben gezeigt, dass es möglich ist, politischen Rap zu machen, der trotzdem funky, gut produziert, humorvoll und Antifa sein kann. Das muss kein Punk sein, das geht auch mit HipHop. Wir waren eben keine Punks, die HipHop gemacht haben. Das war auch nicht ganz unwichtig. Das hat Leute inspiriert, die dann später auch HipHop gemacht haben. Das hat ein Genre eröffnet, dass es früher, als es nur Anarchist Academy gab, nicht existiert hat. Das kann man, glaub ich, so sagen ohne größenwahnsinnig zu sein.
Babak: Damals wollten uns manche Leute unterstellen, dass wir Rap für die Inhalte nur benutzen würden. Dabei war es uns einfach wichtig, uns an Themen auch abzuarbeiten. Wir haben auch Spaß-Sachen gemacht, wir waren ja nicht durchgehend ernst. Aber wir haben jetzt halt nicht über Graffiti gerappt, auch wenn das auch unseren Alltag trotzdem bestimmt hat.
Hannes: Wir haben ja mitgekriegt, was Anfang der Neunziger los war. Auch in Iserlohn gab es Nazis.
Babak: Ey, ich meine, es kann doch nicht sein, dass wir die einzigen waren, die das Thema Solingen aufgegriffen haben.
-
Es gab in der Zeit doch ziemlich häufig politische Statements im deutschen Rap.
-
Babak: Jeder hatte einen Anti-Nazi-Song, wenn du das mit politisch meinst, ja. Main Concept gab es natürlich auch!
Hannes: Die Beginner am Anfang auch. Die sind dann aber schnell mehr in Richtung Style gegangen, was ja auch cool ist.
Babak: Das ist ja keine Kritik. Mein jüngerer Bruder ist auch so’n HipHop-Head, der hat als Kiddo alles von uns mitbekommen und arbeitet so was immer auf. Er ist auch extrem getriggert gewesen durch diese ganze Hanau-Geschichte. Der kommt dann immer damit um die Ecke und sagt: Alter! Wie kann es sein, dass ihr die einzigen wart, die über so was gerappt haben?! Das kann doch nicht sein?! Ich sag dann: »Yo, stimmt, krass.« Und frage mich, warum gab’s da nicht noch mehr, die ihre Lautsprecher mal für so was benutzt haben.