Audio 88 & Yassin »Wir haben weniger nach guten Witzen gesucht.«

Nach je einer Soloveröffentlichung haben sich Audio88 & Yassin nach fünf Jahren wieder für ein gemeinsames Album zusammengetan. Es trägt den Titel »Todesliste«. Wer auf der draufsteht – und warum – hat Alex Barbian mit den beiden Rappern im Interview geklärt.

a&y

22. März 2017. Der Kesselsaal in der Berliner Kulturbrauerei ist voll. So voll, dass Anstehen am Bierstand länger dauert als eine Bierlänge. Man stellt sich trotzdem an. Audio88, Yassin und DJ Breaque stehen in Priestergewändern auf der Bühne, eintausend ineinander verknotete Menschen mit schweißnassen Gesichtern psalmodieren ihnen Weisheiten der Marke »Sterben ist leichter als man denkt« entgegen – normaler Move und so. Knappe vier Jahre später ist die Normalität eine andere: Audio88 & Yassin touren durch Zoom-Calls, um über ein Album zu sprechen, in dessen Innenleben der burleske Galgenhumor früherer Tage beinahe zum Nebenschauplatz abgesunken ist. Der Zeitgeist hat die Musik der beiden verändert und den überspitzen Pessimismus von einst zur präzisen Gesellschaftsanalyse, zum verzweifelten Warnsignal, zur verbitterten Kampfansage mutieren lassen. Alex Barbian hat die beiden – zumindest digital – zum Interview getroffen.

  • Euer letztes gemeinsames Album »Halleluja« liegt mittlerweile fast fünf Jahre zurück. In der Zwischenzeit habt ihr mit »Sternzeichen Hass« und »Ypsilon« jeweils Soloprojekte veröffentlicht. Hattet ihr danach Schwierigkeiten, euch wieder an die Arbeit im Team zu gewöhnen?

  • Yassin: Nach »Halleluja« war unausgesprochen klar, dass wir ein bisschen Ruhe brauchen, um wieder wertvolle gemeinsame Sachen machen zu können. Dass wir irgendwann ein neues Audio88-&-Yassin-Album machen würden, war aber trotzdem immer klar. Und komplett entwöhnt von der Zusammenarbeit waren wir auch zu keinem Zeitpunkt: Wir standen durchgehend im Austausch und haben ja auch weiterhin gemeinsame Konzerte und Festivals gespielt. Vieles ist dann auch parallel zueinander gelaufen: Die Sachen, die jetzt auf »Todesliste« zu hören sind, sind zwischen drei Monaten und vier Jahren alt. Wir haben dem Zufall sehr viel Raum für Ideen gelassen. Währenddessen haben sich unsere Musikgeschmäcker weiterentwickelt – jeder hat seine Nische klarer definiert. Und am Ende war es cool, das musikalisch zusammenzuführen.

  • Ist »Todesliste«, eben durch diese unterschiedlichen individuell-stilistischen Ausformungen, trotzdem ein größerer Kompromiss als die Vorgängeralben?

  • Audio88: Nein, überhaupt nicht. Für mich fühlt sich die Platte wie die Verschmelzung des Besten aus unserer beiden Welten an. Nicht ein einziger Beat war ein Kompromiss.

  • Yassin: …und wir haben noch nie so gut zusammen funktioniert! Wir kennen uns jetzt seit fast vierzehn Jahren und es ist wirklich schön zu sehen, dass wir immer noch aneinander wachsen.

  • In einem Song heißt es, dass »das fünfte Album […] das schwerste« sei. Woran ist das festzumachen? Spielt ihr damit auf die Pandemie-Situation an, die euch die Organisation erschwert hat?

  • Audio88: Die Zeile ist tatsächlich vor der Pandemie entstanden. Sie spielt eher darauf an, dass es nicht viele Künstler gibt, denen man nachsagt, dass ausgerechnet das fünfte Album ihr bestes war. Meistens sind es ja die ersten oder zweiten Alben, die in die Geschichte eingehen… Und dann gibt’s halt so’n paar Ausnahmen, Künstler oder Bands, die nach hinten raus richtig gut werden… Und zu denen zählen wir (lacht). Die Zeile geht ja noch weiter: »Fast keiner mehr da, der die Beleidigung noch wert ist.« Manche Leute, die wir vor fünf Jahren noch gedisst hätten, wollten wir nicht mehr dissen, weil es sich so angefühlt hätte, als würden wir nach unten treten. Wieder andere hatten wir schon oft genug beleidigt – die dürften verstanden haben, dass wir sie nicht mögen.

  • Yassin: Tatsächlich hatten wir Angst vor der Wiederholung – also davor, ein Jahr später auf der Bühne zu stehen und zu denken: »Alter, das ist eigentlich die gleiche Wurst wie früher.« Zum Glück haben wir schnell gespürt, dass uns eine Weiterentwicklung gelingt. Nicht nur musikalisch, da ist es ja am augenscheinlichsten, sondern auch inhaltlich und Rap-technisch.

  • In meiner Wahrnehmung ist »Todesliste« das härteste, ernsthafteste und dabei gleichzeitig das unlustigste, weil politischste Album in eurer bisherigen Diskografie. Hattet ihr diese stilistische Marschrichtung schon im Voraus festgelegt? Oder hat sich diese Album-DNA über den Entstehungsprozess hinweg entwickelt?

  • Yassin: Auf musikalischer Ebene hat sich das relativ selbstständig entwickelt – allein durch die Beats, auf die wir angesprungen sind. »Freunde« war der erste Song, den wir fertig hatten, der ist schon mal nicht so besonders witzig. Dasselbe gilt für »Cottbus«, der auch ziemlich früh stand. Wir haben also sehr früh gemerkt, dass »Todesliste« kein komisches Album wird. Vor allem im letzten Jahr ist auch nicht viel Lustiges dabei herumgekommen, wenn wir uns hingesetzt und geschrieben haben… Gute Sachen, klar… Aber eben keine lustigen, weil nach Eintritt der Pandemie viele Dinge halt einfach nicht mehr witzig waren. Die humoristischeren Sachen sind dann meistens zusammen entstanden, in Momenten, in denen wir aus der Zweisamkeit gute Laune schöpfen konnten.

  • Klar kann man Witze darüber machen, dass der Verfassungsschutz offensichtlich von Nazis durchzogen ist. Aber mir fällt kein guter ein.« (Yassin)Auf Twitter teilen
  • Anders als früher fehlt in euren neuen Texten oftmals die doppelte, halb-ironische Ebene. Ist eine zynische Perspektive – gerade auf politische Themen – im Jahr 2021 in euren Augen nicht mehr angebracht?

  • Yassin: Ein zynischer Blick auf die Dinge kann ziemlich ignorant sein, Realitäten ausblenden und die Probleme kleiner machen, als sie sind. Natürlich sind Sarkasmus und Ironie immer noch unterhaltsame Stilmittel – aber ich denke, dass gewisse Themen mittlerweile eine Ernsthaftigkeit und ein Level an Bedrohung erreicht haben, dass es immer schwerer wird, damit ironisch umzugehen. Klar kann man Witze darüber machen, dass der Verfassungsschutz offensichtlich von Nazis durchzogen ist. Aber mir fällt kein guter ein. Ich find’s halt einfach nur bitter. Wegen solchen Dingen haben wir diesmal weniger nach guten Witzen gesucht.

  • … Trotzdem rappst du an einer Stelle, dass die Platte »ein Kompromiss aus Eigentlich-gibt’s-Wichtigeres und Was-für-ein-Schmock-du-bist« sei. Habt ihr mehr oder weniger klassische Battlerap-Tracks verworfen, um den dystopisch-politischen Fokus nicht zu verwässern?

  • Yassin: Nein, eher umgekehrt! Wir mussten eine Tour abbrechen und eine weitere verschieben, den Festivalsommer ausfallen lassen und uns zwischendurch darüber den Kopf zerbrechen, wann wir überhaupt ein Album rausbringen können. Wenn wir zusätzlich noch jeden Tag versucht hätten, all die verheerenden Nachrichten und Shitstorms, Fehltritte von öffentlichen Personen und die Pandemie-Situation als solche in Texte umzusetzen, wären wir irgendwann durchgedreht. Deshalb haben wir an manchen Tagen lieber Battle-Dinger gemacht. Es war gut, was zum Lachen zu haben, auch zu zweit. Wir haben ein paar inzwischen verworfene Skizzen gemacht, die uns extrem zum Lachen gebracht haben. Das war dann eher so aus Mental-Health-Gründen.

  • Audio88: …aus Mental-Health-Gründen ein paar Leute beleidigen (lacht).

  • Yassin: Das ist doch ne’ gute Headline: »Battlerap ist Mental Health« oder so (lacht).

  • Audio88: Es ist halt tatsächlich so: Die meisten Battlerap-Nummern sind wirklich erst später oder zum Schluss hin entstanden. Vielleicht wäre das Album sonst auch ein zu schwerer Klotz geworden, aber im Grunde genommen waren das einfach Dinger, auf die wir Lust hatten. Diese Art von Songs macht uns ja auch irgendwie aus…

  • Yassin: …und verbindet uns freundschaftlich! Dieses Sich-gegenseitig-zum-Lachen-bringen ist auf jeden Fall eine große Komponente in unserer Freundschaft.

  • Auffällig ist, dass da, wo früher ein »manchmal helfen Schellen« war, heute ein »du stehst auf der Todesliste plus 1« ist. Auch Songs wie »Todi« und »Garten« transportieren Mord- und Gewaltphantasien in einem deutlich rigoroseren Ausmaß. Könnt ihr das erklären?

  • Audio88: Wir sind sauer.

  • Yassin: Ich bin privat kein aggressiver oder gewalttätiger Typ und war es auch nie. Aber für mich klingen die Worte, die manche Politiker oder Personen des öffentlichen Lebens wählen, wie zensierte Morddrohungen gegenüber ganzen Menschengruppen. Und ich finde, dass man etwas entgegensetzen muss, wenn dieses rhetorische Level erreicht ist. Ich begreife das eher als Ausgleich – dafür, dass ich nicht das Gefühl habe, die ganze Zeit mit einem gezückten Messer durch die Gegend zu laufen.

  • Ihr greift im Albumtitel und in mehreren Tracks den Terminus »Todesliste« auf – ein Begriff, der durch den »NSU«, den »NSU 2.0« und andere rechtsterroristische Zellen geprägt wurde. Sind die »Auge um Auge, Zahn um Zähne«-Phantasien, die sich durch das Album ziehen, einfach das nächste Punchline-Level oder reale Vergeltungswünsche?

  • Yassin: Für mich ist das mehr eine stilistische Überlegung – weniger rational als emotional. Wenn Leute, die Todeslisten anfertigen und veröffentlichen, weiter auf freiem Fuß durch die Gegend laufen und vielleicht sogar deine Nachbarn sind, dann denk ich mir: »Die sollen dieses Gefühl auch kennen, auf einer Todesliste zu stehen.« Es ist ja klar, dass wir keine terroristische Organisation sind – solche Aussagen sind eher poetische Mittel, die ich an der jeweiligen Stelle für legitim halte.

  • In »Freunde« erzählt ihr von gescheiterten Freundschaften. Audio, du thematisierst unter anderem einen ehemaligen Kumpel, mit dem du gebrochen hast, weil er im Suff anfing, Verschwörungstheorien zu predigen. Musstet ihr ähnliche Konfliktsituationen – wie so viele andere – im letzten Jahr vermehrt in euren Freundeskreisen ausfechten?

  • Audio88: Es mag jetzt viele überraschen, aber: ich habe gar nicht so viele Freunde (lacht). Die, die ich habe, sind sorgfältig ausgesucht – das sind also keine Leute, die sich von einer Pandemie auf die braune Seite der Macht ziehen lassen. Aber natürlich habe ich über die sozialen Netzwerke mitbekommen, dass Leute, mit denen man irgendwann mal zu tun hatte, zu irgendwelchen Hygiene-Demos gegangen sind, um sich das »mal anzusehen«.

  • Wir könnten in einer viel cooleren Gesellschaft miteinander leben, aber das würde halt auch mehr Arbeit für jeden einzelnen bedeuten.« (Audio88)Auf Twitter teilen
  • Die Quintessenz mehrerer Songs auf »Todesliste« ist, dass Mitläufertum und kollektives Schweigen die eigentlich größten Probleme in unserem Zusammenleben sind. Ist im Grunde jeder gesellschaftliche Misstand damit zu erklären?

  • Audio88: Wenn sich die breite Masse ihrer Verantwortung bewusst würde und ihr Dulden von prügelnden Neonazis, Alltagsrassismus und irgendwelcher Scheiße »im Sinne der Wirtschaft« kritischer hinterfragen würde, wäre schon einiges anders. Wir könnten in einer viel cooleren Gesellschaft miteinander leben, aber das würde halt auch mehr Arbeit für jeden einzelnen bedeuten.

  • Yassin: So ein Soziologe hat mal gesagt, dass es für ein totalitäres oder faschistisches Regime in der Vergangenheit immer nur ein Drittel der Bevölkerung gebraucht hat – teilweise sogar weniger. Das bedeutet, dass die Mehrheit es einfach passieren lässt oder sich erst dagegen stellt, wenn es zu spät ist. Ich kenne das aus Algerien, wo eine Minderheit – eine kleine islamistische Partei – einen Bürgerkrieg im Land hat herrschen lassen. Plötzlich musste dort jeder um sein Leben fürchten – und das nicht, weil die Mehrheit gespalten war oder irgendwas.

  • Auf der Platte sind zwei Solotracks, »Cottbus« und »Ende in Sicht«. Lustigerweise sind ausgerechnet das die für mich stärksten Songs…

  • Audio88: Ähm, danke. Schlimmer wär’s ja, wenn du nur einen der beiden Songs gut finden würdest (lacht).

  • Yassin: Gegen »Cottbus« anzukommen, war wirklich nicht leicht, der hat die Messlatte sehr hoch gelegt. Ich habe meinen Song »Ende in Sicht« tatsächlich erst am Tag der Abgabe fertig bekommen.

  • Audio, du hast dich nach fünfzehn Jahren dazu durchgerungen, einen Song über deine Jugendzeit in Cottbus fertigzustellen. Erinnerst du dich an den Moment, in dem du endlich deinen Frieden mit dem Text gefunden hast?

  • Audio88: Ich habe natürlich nicht fünfzehn Jahre an exakt diesem Text geschrieben. Es war mehr der Gedanke, meine Jahre in Cottbus mal in einem Song aufzuarbeiten, der mich seit vielen Jahren begleitet hat. Als der Text fertig wurde, hatte ich seit fünfzehn Jahre nicht mehr in Cottbus gelebt. Ich hatte mich dem Thema auch handwerklich lange nicht gewachsen gefühlt und glänze ja sonst auch eher selten mit persönlichen Texten. Gleichzeitig habe ich gemerkt, dass es mir gut getan hat, das alles mal in Worte zu fassen. Vielleicht kann der Song, zumindest hoffe ich das, anderen Menschen – gerade in Städten wie Cottbus – ein bisschen Rückendeckung geben. Als ich dort aufgewachsen bin, gab’s da halt niemanden, der sich solidarisiert oder anerkannt hat, dass das, was dort passiert, scheiße und falsch ist. Alles wurde geduldet und geschluckt.

  • Und die Geschichten, die du im Song erzählst, sind ja wirklich übel.

  • Audio88: Das ist alles wirklich so passiert! Ich hatte Mitschüler mit »KKK«-, »White Power«- und »Hitler Worldtour«-Shirts im Unterricht sitzen. Die wurden nicht nach Hause geschickt, nicht einmal, wenn du den Lehrer darauf hingewiesen hast. In unserem Klassenzimmer wurden Begriffe als Schimpfwörter benutzt, die jeder WDR-Talkrunde bei weitem den Rang ablaufen. Das wurde immer toleriert! Die Neonazis waren die größte Jugendbewegung in unsere Stadt – aber sie waren nie so viele, dass die Gesamtbevölkerung oder die Stadt Cottbus nichts gegen sie hätte unternehmen können.

  • Was hast du gefühlt, als »Cottbus« fertig war?

  • Audio88: Ich hatte gemischte Gefühle. Einerseits war das ein Erfolgserlebnis und irgendwie befreiend – ich hatte ja etwas geschafft, was ih vorher noch nicht geschafft hatte und war auch stolz darauf. Aber da war auch viel Zweifel, ob ich das alles überhaupt mit Menschen teilen möchte.

  • Yassin: Es war ja auch bis zum Schluss so, dass du meintest, dass der Song nicht unbedingt auf die Platte muss – auch wenn »Cottbus« die Platte für mich schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt definiert hat.

  • Yassin, du umschreibst auf der letzten Anspielstation ein Endzeit-Szenario. Anders als beispielsweise in »Hurra die Welt geht unter« überlebt die Menschheit die von dir ausgemalte Apokalypse nicht…

  • Yassin: »Hurra die Welt geht unter« beschrieb damals ja eher ein Kalter-Krieg-Szenario – also eine Gefahrensituation, die irgendwann wieder abgeklungen ist. »Ende in Sicht« geht von einer viel größeren Bedrohung – die Klima-Katastrophe – aus, die unüberwindbar und anhaltend sein wird. Zwischen Turbokapitalismus, sozialer Ungleichheit und Pandemien sehe ich keine langfristige Zukunft für die Menschheit auf der Erde. Außerdem fand ich, dass es – wenn man das Thema »Todesliste« mal zu Ende denkt – doch eigentlich die beste Option wäre, wenn wir alle draufstehen und langsam damit anfangen, die Liste abzuhaken. Im Song wird der Albumtitel ja auch nochmal auf einer höheren Ebene angelegt: im Prinzip stehen wir alle auf einer Todesliste, ob wir nun an Gevatter Tod oder an den lieben Gott glauben… Es geht nur darum, wer am längsten lebend drauf bleibt. Insofern haben wir alle Ebenen des Todes, aber eben auch der Todesliste mit berücksichtigt. Der letzte Song ist das Ergebnis eines Gefühls von Ohnmacht und Resignation. An manchen Tagen denke ich, dass man kämpfen muss und alles verändern kann. Aber an anderen eben auch: »Fuck it, dann müssen wir die Scheiße noch achtzig Jahre ertragen und es wird richtig übel.« Und an so einem habe ich »Ende in Sicht« geschrieben.