Linguist »Wir haben gemacht, was wir für richtig hielten.« (1/2)
Dank Advanced Chemistry hat Kofi Yakpo alias Linguist Legenden-Status, auch wenn er neben Torch und Toni L eher weniger bekannt ist in der Szene. ALL GOOD-Autor Philipp Killmann sprach mit Linguist, der mittlerweile als Professor für Linguistik in Hongkong lebt.

Wenn von Advanced Chemistry gesprochen wird, dann liegt der Fokus meist auf Torch und Toni L. Selten ist von Linguist die Rede, dem Dritten im Bunde der Heidelberger Pioniere. Vielleicht weil er sich früh von der HipHop-Bühne verabschiedete. Vielleicht auch, weil gerade seine Raps nochmal besonders verschwurbelt waren. Dabei bestach Linguist bei AC durch ein auffallend gutes Gespür bei der Sample-Auswahl und noch dazu durch eine angenehm sonore Stimme. 1993 lieferte er mit dem zwar ideologisch aufgeblähten, aber in Machart und Emotionalität unübertroffenen Solo-Song »Alte Schule« einen herzerwärmenden Klassiker ab – der bis heute seiner gebührenden Würdigung harrt.
Kofi Yakpo alias Linguist kam 1970 in der beschaulichen Kleinstadt Holzminden im niedersächsischen Weserbergland als Sohn einer Deutschen und eines Ghanaers zur Welt. Nach einer Zwischenstation in Heidelberg zog die Familie in die ghanaische Hauptstadt Accra, wo Kofi die Grundschule besuchte, bevor es 1980 zurück nach Heidelberg ging. In seiner Jugend lebte er im Emmertsgrund, einem Stadtteil, »der bei den Bürgerlichen einen zweifelhaften Ruf hatte, aber für die Nicht-Bürgerlichen der perfekte Ort war, um die HipHop-Kultur auszuleben«, wie Linguist rekapituliert. Nicht ohne Grund war dort später auch die Crew EP 126 (Emmertsgrund Posse) um Vollblut-B-Boy Scotty76 zu Hause. Linguist und Toni Ls Mutter lebten in unterschiedlichen Stockwerken desselben Hochhauses. 1987 schlossen sich Linguist, Toni L, Torch, Gee One und DJ Mike MD zu Advanced Chemistry zusammen – und schrieben deutsche Rap-Geschichte.
Doch nomen est omen. Und so schlug Linguist Mitte der 90er Jahre einen anderen Weg ein und widmete sich vor allem der Linguistik. Er erforschte Sprachen im südpazifischen Vanuata und in Tansania, in Ägypten und Togo, in Kamerun, Polen und Portugal. Nach seinem Studienabschluss in Linguistik, Ethnologie und Politik studierte er Management und Jura in Genf und London, arbeitete für die Menschenrechtsorganisation »FIAN International« und als Afrika-Berater der Grünen im Bundestag. Er promovierte mit der ersten Grammatik des Pichi, einer Sprache aus Äquatorialguinea. Inzwischen spricht er 15 Sprachen und ist Professor für Linguistik an der University of Hongkong.
An einem Märznachmittag (Ortszeit) nimmt Prof. Dr. Kofi Yakpo alias Linguist in Hongkong den WhatsApp-Anruf von ALL GOOD-Autor Philipp Killmann für das Interview entgegen. Der 48-Jährige ist gerade von einer linguistischen Feldforschung in Malaysia zurück, die er gemeinsam mit Studenten unternommen hatte. Die Proteste in der chinesischen Sonderverwaltungszone stehen erst noch bevor. Linguist ist gerade in einem Café, spricht noch kurz mit jemandem auf Französisch, bevor er sich in einen Park zurückzieht, wo es ruhiger ist. Aus hintergründigem Stimmengewirr wird Vogelgezwitscher. Linguist ist freundlich, lacht gern.
Im ersten Teil des Interviews geht es um das Aufwachsen im Schlaraffenland und rassistische Tötungsabsichten, um weiße Experten und Roberto Blanco, es geht um »Fremd im eigenen Land« auf Englisch und um Mutabaruka und Fela Kuti sowie um die Frage, wieso HipHopper alles können.
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In einem Beitrag auf »Belltower.news« zitiert dich Philippa Ebéné, die Leiterin der »Werkstatt der Kulturen« in Berlin, mit den folgenden Worten: »Alleine mit (unserem Song) ›Fremd im eigenen Land‹ haben wir Deutschland schon damals, 1992, so viel gegeben. Aber Deutschland gibt dir nichts zurück. Was haben wir nicht alles getan für dieses Land. Aber Deutschland gibt dir einfach nicht, was du verdienst. Deswegen lebe und arbeite ich jetzt so gerne in Hong Kong. Da wird Leistung anerkannt.« Was und wie hätte dir beziehungsweise euch Deutschland zurückgeben sollen?
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Ich fand es sehr bezeichnend, dass jetzt über 25 Jahre nach »Fremd im eigenen Land« plötzlich Interview-Anfragen kommen. Es ist interessant, wie lange eben Funkstille war. Und plötzlich tritt so ein Aha-Effekt in der Öffentlichkeit ein, so: »Wow, guck mal, was die da alles gerappt haben früher, das ist ja Wahnsinn! Das ist ja total zeitgemäß! Das ist von 1992, das kann ja nicht wahr sein, Mann! Das ist ja prophetisch.« Blabla. Nee! Überhaupt nicht. Wir haben einfach den damaligen Gemütszustand, die politische Situation und die gesellschaftliche Gesamtstimmung beschrieben. Und in dieser Hinsicht hat sich tatsächlich nicht viel geändert.
Und wenn ich mir die Vitas von Toni L, Torch und mir selbst angucke, dann geht es ja nicht nur um »Fremd im eigenen Land«. Torch ist jemand, den ich für einen hochintelligenten Mann halte, der als Schüler aber etwa drei oder vier Schulen wieder verlassen musste, weil er da irgendwie nicht reingepasst hat. Dabei ist er eigentlich ein Mann, der in einer Gesellschaft, die seine besonderen Befähigungen und Talente anerkannt hätte, wahrscheinlich noch alle möglichen anderen Optionen zusätzlich zu HipHop gehabt hätte. Toni L genauso. Toni L hat seinen Realschulabschluss, eine Kochausbildung gemacht und ist einer der schrägsten und funkigsten Rapper, die ich kenne. Er lebt so sein Leben. Aber letztendlich hat es keinen »großen Knall« gegeben. Und bei mir war es so, dass ich – auch wenn man im Herzen natürlich HipHop bleibt – aus der aktiven HipHop- oder professionellen Musikkarriere ausgestiegen bin, weil ich so um 1995 den Wendepunkt der deutschen HipHop-Szene gesehen habe. Da hat dann die ganze Pop-Welle richtig losgelegt und da waren Leute wie wir, die anspruchsvollere Musik und Lyrics gemacht und gesellschaftlich Stellung bezogen haben, einfach nicht mehr in. Nun waren andere Sachen angesagt: Fun und so. Das ist ja auch alles hinreichend von Hannes Loh und Murat Güngör beschrieben worden. Sie beschreiben die Mechanismen dieser Ausgrenzung und die ganze Umorientierung der Industrie und wie Conscious oder politischer Rap und gesellschaftliche Stellungnahmen plötzlich out waren, weil das alles nicht mehr in das neue Deutschland, das schöne Bilderbuch-Deutschland gepasst hat. Wir hätten uns radikal transformieren müssen, um noch mit auf den Zug aufzuspringen. Aber das haben wir nie gemacht, wir haben uns nie angepasst. Wir haben gemacht, was wir für richtig hielten.
Und 27 Jahre später wachen sie also auf und sagen: »Oh mein Gott, guck mal, es gibt ja doch noch Rassismus!« Und das find ich interessant. Wenn man dem zum Beispiel politische Acts oder Acts mit politischer Message in den USA gegenüberstellt, was ja kein besseres Land ist in Bezug auf Rassismus, sondern wo einfach eine andere Konstellation von Rassismus besteht als in Deutschland. Aber in den USA hattest du zumindest diesen künstlerisch-politischen Raum. Dort waren Bands wie Public Enemy wirklich jahrzehntelang einfach mittendrin, präsent, an vorderster Front und hatten auch das Publikum und die Aufmerksamkeit.
Wir haben damals auch viel Anfeindung von allen möglichen Leuten erfahren: Wir seien radikal, wir würden vereinfachen, wir würden polarisieren, wir würden uns abgrenzen. Da kamen dann auch solche lächerlichen Sachen wie, wir würden uns abgrenzen gegen Immigranten ohne grünen Pass. Das war alles eine ständige Infragestellung unserer aufrechten Aufrichtigkeit. (lacht) Unserer aufrichtigen Motive und unseres aufrichtigen Verlangens, soliden HipHop zu machen und gleichzeitig für gesellschaftliche Veränderungen einzutreten und den Kampf zu führen.
Das ist es en gros, was ich mit Mangel an gesellschaftlicher Anerkennung meine. Das zeigt sich in unseren persönlichen Biografien daran, welche Optionen in der Gesellschaft wir vor und während Advanced Chemistry hatten, als es uns nicht möglich war, uns in den Mainstream-Diskurs einzubringen. Mainstream-Rap gewann die Oberhand und der Spielraum dessen, was innerhalb der HipHop-Industrie dann noch möglich war, ohne sich zu verkaufen oder ohne sich zum Affen zu machen, wurde kleiner. Es sei denn, ganz plakativ, so wie viele Rapper es dann ja auch gemacht haben, die die Thematik Rassismus vielleicht verwendet haben, aber die dann gleichzeitig bestimmte Stereotypen bedienten, um medial einzuschlagen. Das haben wir eben nicht gemacht, denn uns war bewusst: So weit geht’s und nicht weiter.
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Wie könnte eine gesellschaftliche Akzeptanz dessen, was ihr gemacht habt, besonders mit Blick auf »Fremd im eigenen Land«, aussehen?
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Das hätte so aussehen können, dass man damals ganz aktiv mitten im Zentrum von künstlerischen, gesellschaftlichen und politischen Diskursen gestanden hätte. Dass auf einen zurückgekommen wird und dass erst mal überhaupt verstanden wird, was dieses Lied war. In politischer Hinsicht. Es gab ja auch noch die (lacht) etwas missachtete oder verkannte B-Seite…
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…von »Fremd im eigenen Land« mit dem Song »Ich zerstöre meinen Feind«.
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…die ja eigentlich genauso brisant war und reingehauen hat wie die A-Seite und genauso ein Meilenstein war. Aber zurück zur Frage: Das hätte die Teilnahme an zentralen gesellschaftlichen Diskursen bedeutet. Dass eben nicht der übliche weiße Spezialist in irgendwelche Talkshows eingeladen wird, sondern Leute, die wissen, was Sache ist. Leute wie wir, die sich gesellschaftlich eingebracht haben, und andere Leute aus migrantischen Communitys oder die politisch Präsenz gezeigt haben.
Das ist ein Gesamtthema in Deutschland: Man wird immer erst dann angefragt, wenn es sozusagen brennt. Aber solange die Sachen als normal wahrgenommen werden, sind die üblichen Verdächtigen am Start: die weißen Pop-Rapper, die ihre Platten rausbringen, die weißen Experten, die im Fernsehen irgendwas über Migration von sich lassen, die dutzendfach Bücher über irgendwas veröffentlichen, über Migration, Flüchtlingskrise, blabla. Aber wenn es brennt, zu einer Krise kommt, dann ist man um Antworten verlegen und braucht plötzlich Leute, die authentisch sind.
Echte gesellschaftliche Partizipation bedeutet für mich, dass Leute wie wir – und andere, HipHops, Künstler, Schriftsteller, Leute, die im täglichen Antirassismuskampf stehen und Verbündete – zentral an den gesellschaftlichen Diskursen teilnehmen und mitgestalten. Dass es diesen Raum überhaupt gibt. Aber dieser Raum besteht in Deutschland nicht.
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Auch wenn HipHop in Deutschland heute größer, verbreiteter und vielleicht auch ein Stück weit anerkannter ist denn je, wird er immer noch nicht richtig ernstgenommen. Ich habe den Eindruck, das gilt auch ein Stück weit für Rassismus, der nicht als das Problem gesehen wird, das er ist. Ob diese Konstellation – Rapper, die sich mit Rassismus auseinandersetzen – es damals für euch doppelt schwer gemacht hat, außerhalb der HipHop-Szene Gehör zu finden?
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Ja, klar. Und das liegt letztendlich an dieser ominösen Zweiteilung von Hochkultur und Populärkultur in Deutschland, die die gesamte Gesellschaft nach wie vor durchzieht. Wo es eine subventionierte »Hochkultur« gibt, wo Klassik ohne Ende gefördert wird, wo Mainstream-Theater gefördert wird, aber wo Jazz kaum noch gefördert wird. (lacht) Ich meine, wir reden von Jazz! Dabei gibt es nichts mainstreamigeres inzwischen als Jazz. (lacht) Und das ist auch gut so. Es muss ja auch Mainstream sein. Um auf Philippa Ebéné zurückzukommen: Sie hat enorme Schwierigkeiten, öffentliche Fördergelder zu bekommen für ihre unglaubliche Arbeit. Sie leistet kulturelle Entwicklungshilfe für Berlin, veranstaltet jeden Sonntag Jazz-Jams in der »Werkstatt der Kulturen« mit exzellenten Jazzmusikern und Jazzgrößen aller Kontinente. Unglaubliche Geschichten, wie die »creole Global«, was wirklich Hochkultur vom Feinsten ist, globale Hochkultur vom Feinsten. Und ihr wird der Hahn finanziell abgedreht und sie wird angegriffen, angefeindet und muss sich behaupten, erwehren. Und sie ist natürlich auch ganz zufällig schwarz. Macht und Nicht-weiß-Sein – das ist ein ganz explosives Gemisch in Deutschland.
Wenn du Macht hast, Definitionsmacht, institutionelle Macht, intellektuelle Macht, ökonomische Macht und nicht weiß bist, dann machst du dir schnell Feinde. Weil das nicht in das gesellschaftliche Bild davon passt, wie du zu sein hast: Du darfst keine Macht ausüben. Man kann dich zwar sozusagen paternalistisch aus der Armut herausheben, man kann dich betreuen und dir den Kopf streicheln. Aber wenn du selbst Macht ausübst, dann bist du eine Gefahr für den Status quo. Und das hat natürlich auch bei AC eine Rolle gespielt. Wir waren ja die ersten eigentlich, die sichtbar waren. Wenn du jetzt mal Roberto Blanco außen vorlässt. (lacht) Ich meine, ich habe den Mann immer bewundert. Er hat ein anderes Ding gemacht und das ist natürlich nicht unser Ding gewesen. Er hat sich damals in einem ganz engen Raum bewegen müssen. Er ist ein fantastischer Künstler, der aus einer ganz großen kubanischen Künstlerfamilie kommt und sich nach Deutschland durchgeschlagen hat, wo er dann halt den Kasper spielen musste. Aber damals gab es diese Möglichkeiten der Selbstbehauptung auch noch nicht, die wir dann hatten.
Wir waren die ersten deutschen People of Color, die ganz offensiv ihren eigenen Definitionsraum geschaffen haben. Und das ist unbequem. Das ist unbequem, weil es zeigt: »Ey, Leute, wir machen’s auch ohne Euch und das ist auch okay so!« Das machen die weißen Kids ja auch. Die machen das ja auch alle ohne die Unterstützung der nigerianischen Ökonomie, sie machen ja auch ihre Songs in Deutschland. (lacht) Man muss das Ganze ja nur umdrehen und dann merkt man, wie absurd das ist.
Aber ich denke auch, dass gerade die Kombination von HipHop, die nicht als ernstzunehmende Kunstform gilt, sondern als Popkultur, und nicht den gleichen Stellenwert hat wie die öffentlich geförderte klassische Kultur oder Kunst, und Rassismus, ein Thema, das nicht legitim ist, keine Bedeutung haben darf, weil es ja die weiße Mehrheit nicht trifft, eine besondere Brisanz hat. Es gibt also eine Hierarchie der Wertigkeit in der Kunst und in der Musik. Und eine Hierarchie der Wertigkeit von Menschen, und das schlägt sich dann natürlich ganz brutal gerade bei HipHop und bei Person of Color nieder, da hast du natürlich ein explosives Gemisch.
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Wo du gerade die »Werkstatt der Kulturen« ansprichst: Du warst ja auch gerade in Berlin. Was hast du dort gemacht?
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Ich war da, um Freunde und Familie zu besuchen. Berlin ist inzwischen meine deutsche Heimat. Berlin ist der Ort, an den ich zurückkehre, wenn ich nach Deutschland komme. Ich habe in Berlin gelebt, bevor ich Deutschland 2009 verlassen habe. Ich war zwischendrin immer mal weg, kam wieder und hab in Berlin für Thilo Hoppe, einen Bundestagsabgeordneten der Grünen, gearbeitet. Er war damals Vorsitzender des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ich hab für ihn zwei Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter und als Berater für afrikanische Angelegenheiten gearbeitet. Es ging um Landwirtschaftsfragen. Ich war davor lange bei einer NGO in Heidelberg, »FIAN International«, Die sich in dem Bereich Landreform eingesetzt hat und Kämpfe von marginalisierten Bauern für ihre Rechte auf ihr Land überall in der Welt unterstützt. Darüber bin ich dann bei Thilo Hoppe gelandet, der sich auch stark in dieser Richtung eingesetzt hat und überzeugter Kämpfer für Gleichstellung und globale Gerechtigkeit war.
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Bildet Berlin demnach neben Hongkong deinen Lebensmittelpunkt?
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Fehlt noch eine Stadt: Accra, die Hauptstadt von Ghana. Es ist eher so eine Dreierkonstellation. Ich bin jedes Jahr in Ghana. In Accra habe ich auch meine Kindheit verbracht, bin da zur Schule gegangen. Das ist sozusagen das dritte Puzzlestück.
- »Und dann kam ich nach Deutschland, ins Schlaraffenland, wo – biblisch gesprochen – die Bäume voller Früchte hängen.«Auf Twitter teilen
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Wie hat es dich geprägt, in diesen beiden Ländern, Deutschland und Ghana, aufzuwachsen?
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Das ist eine zentrale Frage. Ich bin ungefähr 1980 aus Ghana nach Deutschland gekommen, bin aber in Holzminden geboren. (lacht) In Heidelberg war ich auch noch im Kindergarten und in Ghana dann in der Grundschule. Das war eine Zeit in Ghana, in der das Land gerade eine massive Wirtschaftskrise durchlebt hat. Das ging so von Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre. Ab Mitte der 80er ging es dann stetig bergauf und inzwischen ist es ein sehr stabiles Land, das große Fortschritte gemacht hat. Ich war also mitten in dieser postkolonialen Wirtschaftskrise in Ghana, in der das Land in der Abwärtsbewegung, die der Kolonialismus eingeleitet hat, einfach Schiffbruch erlitten hat und nochmal ganz von vorn anfangen musste. Das heißt, es war eine sehr harte Zeit mit Nahrungsmittel- und Benzinknappheit, mit mehreren Militärputschen. Dabei kam es nie zu Exzessen gegenüber der Zivilbevölkerung. Ghana hat eine sehr zivilisierte Politikkultur, wo es auch in den schlimmsten Krisenzeiten keine Morde an Unbeteiligten gab. Da gab es dann zwar immer so Rechnungen, die unter den Regierungseliten beglichen wurden (lacht), aber die Bevölkerung an sich wurde nicht behelligt. Das ist sehr bezeichnend für die ghanaische politische Kultur. Aber es war sehr hart. Du musst dir vorstellen, ich kam als kleiner Junge zurück nach Deutschland, der in diesem Kontext gelebt hatte… Ich will das jetzt auch nicht dramatisieren, um Gottes Willen. Wir haben überlebt, überlebt in dem Sinne, dass man wusste, wie man zurechtkommt. Und ich war sehr klein, sechs, sieben, acht, neun, zehn Jahre alt. Aber man kriegt ja trotzdem viel mit in dem Alter. Und dann kam ich nach Deutschland, ins Schlaraffenland, wo – biblisch gesprochen – die Bäume voller Früchte hängen.
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Hattest du noch Erinnerungen an deine ersten Jahre in Deutschland?
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Ja. Ich war auch immer zwischendurch, im Sommer, in Deutschland. Das war alles ganz präsent. Aber bestimmte kulturelle Kompetenzen musste ich mir erst noch aneignen. (lacht) Ich konnte zwar Deutsch. Meine Mutter hat immer mit mir Deutsch gesprochen und ich hab immer viel auf Deutsch gelesen. Ich konnte die Sprache und das war natürlich schon mal ein enormer Vorteil. Ich konnte gut Deutsch, Englisch und ghanaische Sprachen. Also war ich eigentlich gut gewappnet. Aber ich war nicht vorbereitet auf den Rassismus. Schon in der Grundschule gab es Lehrer, die sich über mich lustig gemacht haben vor versammelter Mannschaft: Ich solle doch zurück »in den Busch« gehen! Es gab Anfeindungen auf der Straße. Es gab alte Menschen, die mir, während ich als Zehnjähriger mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig an ihnen vorbeifuhr, den Regenschirm in die Speichen steckten, also mit Tötungsabsicht. (lacht) Es gab Leute, die mir hinterherschrien, dass ich früher, als noch alles »in Ordnung« war, vergast worden wäre, und so weiter… Ich sag das jetzt einfach so. Früher hab ich mich immer geweigert, so persönlich zu argumentieren, aber heute sehe ich das gelassener. Weil ich denke, dass es wichtig ist. Solche Zeugnisse gehören ja zu der persönlichen Erzählung dazu.
Außerdem hatte ich immer ganz starke Unterstützung von meinem Elternhaus. Ich hatte immer ein sehr solides, kompaktes Familienumfeld, hatte eine sehr solidarische Familie. Meine Mutter hat sich immer für mich eingesetzt. Mein Vater hat mich politisiert. Mein Vater ist Ghanaer, meine Mutter ist Deutsche. Mein Vater hat mir immer Bücher en masse besorgt. So hab ich diese Erfahrungen politisch auch kontextualisieren können und wusste, okay, das geht jetzt nicht um mich. Sondern das ist der Kampf gegen den Imperialismus und das ist hier meine kleine Front des Kampfes gegen den Imperialismus und gegen den Kolonialismus, und da musst du durch. Und es gibt noch ein paar Milliarden Menschen mehr, die das durchleben, also bist du da jetzt nicht alleine. Das hat mir natürlich geholfen. Es hat mein politisches Bewusstsein und meine gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung fürs Leben geschärft und strukturiert.
Später war ich politisch engagiert im linken Flügel der Jusos! Die Jusos waren in den 80ern sehr links. (lacht) Und ich war der linke Flügel der Jusos. Ich hatte in Heidelberg auch unglaublich gute Kontakte mit afrikanischen Studenten aus Ländern wie Guinea-Bissau, die noch direkt aus dem bewaffneten Kampf gegen den portugiesischen Kolonialismus kamen. Das war 1985. Das muss man sich mal vor Augen halten: 1974 haben Guinea-Bissau und die Kapverden die Unabhängigkeit von Portugal bekommen. Diese Leute hatten noch mit der Waffe in der Hand gegen den portugiesischen Kolonialismus gekämpft und waren dann Studenten in Heidelberg. Da kannst du dir vorstellen, was damals für eine Stimmung in Heidelberg herrschte, das war ein unglaublicher Schmelztiegel, eine kleine Stadt aber unglaublich dynamisch. Die Amis waren da, ihre Base, das Patrick-Henry-Village, wodurch ganz früh die HipHop-Kultur nach Heidelberg kam. Die afrikanischen Studenten, die alle sehr stark politisiert waren. Die politische Szene damals in Heidelberg, die immer links und auch lange Zeit ein Hotspot der RAF war. Nicht, dass sich das alles nur in Heidelberg abgespielt hätte, aber Heidelberg war so ein Ort, wo ganz viele verschiedene politische Impulse zusammenkamen. Die Rechte gab es eigentlich nicht, die war nicht präsent, also es war wirklich progressiv und links. Und das war mein Umfeld. Dann kam die Politisierung für Antirassismus und ich kam in Kontakt mit der »Initiative Schwarze Deutsche«. Und aus dieser Grundstimmung ist »Fremd im eigenen Land« entstanden. Davon gab es übrigens auch einen Vorgänger namens »Stranger In My Own Land«.
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Ich las davon.
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(lacht) Das war 1990. Da spielten wir das schon auf dem legendären CH-Fresh-Jam in Biel. Da hab ich zum ersten Mal diese Choreografie mit dem grünen Pass initiiert, der damals noch gültig war. Wir haben uns auf die Bühne gestellt und die Strophen anfangen mit: »I have a green passport with a golden eagle on it«. Der Titel »Stranger In My Own Land« kam von Gee One, der damals noch Teil von Advanced Chemistry war. Da waren wir noch zu fünft, wie du vielleicht weißt: Toni L, Torch, Gee One, DJ Mike MD und Linguist. Ich konnte zwar auch Englisch, aber westafrikanisches, ghanaisches Englisch, während Gee One britisches Englisch beherrschte. Er war ein Sohn chilenischer, politischer Flüchtlinge, der in England in Nottingham aufgewachsen und dann nach Heidelberg gekommen war. Und dann saß ich 1991 oder Anfang 1992 im Zug und bin am Rhein entlanggefahren auf dem Weg nach Villigst, Schwerte. Dort fand ein für mich schicksalhaftes Bewerbungsgespräch für ein Stipendium bei der evangelischen Studienstiftung statt. Schicksalhaft und wichtig, weil es für mich die Chance war, mein Studium finanziert zu bekommen. Ich hatte mich beworben und war in die Endrunde gekommen, die an diesem Wochenende stattfinden sollte. Und die Zugfahrt war lang, es gab noch keine ICEs, da hab ich angefangen, die ersten Zeilen auf die Rückseite dieses braunen Umschlags mit den Bewerbungsunterlagen zu schreiben: »Ich habe einen grünen Pass mit nem goldenen Adler drauf.«
- »Du musstest rausgehen, Platten kaufen, es gab nix im Radio – wir hatten früher nicht so viel Zeug.«Auf Twitter teilen
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Die Zeit von AC fiel auch noch in die sogenannte Conscious Era des US-amerikanischen Raps. Inwieweit hat euch der Rap von Public Enemy, den Poor Righteous Teachers, Brand Nubian oder X-Clan beeinflusst?
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(Überlegt) Gar nicht. Ich habe viele von diesen Bands erst spät zu hören bekommen. Du weißt ja, wie es damals war. Du musstest rausgehen, Platten kaufen, es gab nix im Radio – wir hatten nicht so viel Zeug. Du hattest vielleicht mal ein paar Tapes. Dann wusstest du aber oft nicht, wer die Künstler waren. Es war ja ein Informations-Bottleneck. Das war ja nicht so wie heute, wo du einfach googlest und alles nachschauen kannst. Die Information und viele der Codes der HipHop-Kultur wurde mündlich vom Hörensagen weitergegeben, durch indirekte oder direkte Zeugnisse oder durch Begegnungen persönlicher Art. X-Clan zum Beispiel hab ich zum ersten Mal gehört, als ich Anfang 1990 ein Wochenende bei Ebony Prince in Offenbach verbracht habe. Public Enemy kannte ich natürlich. Ich war auch 1988 in Mannheim auf einem Public-Enemy-Konzert mit Derek B aus England als Vorgruppe.
Aber meine Einflüsse kamen aus der jamaikanischen Dub-Poetry. Ich war ein ganz großer Bewunderer der Musik und der Poesie von Mutabaruka. Bei einem alten Freund von mir, Matthias Messmer, der bei uns in Heidelberg im Erdgeschoss gewohnt hat, hab ich Mutabaruka zum ersten Mal gehört. Matthias, auch ein Afrodeutscher, war schon damals ein fantastischer Gitarrist und Zeichner, ein Multitalent und Künstler, der heute in Berlin lebt. Er hat 1993 übrigens bei »Welcher Pfad führt zur Geschichte« das Gitarrensolo gespielt. Aber damals war er erst so 16, 17 und ich 14 Jahre alt. Da sagte er: »Mann, ey! Kuck mal, was ich hier aufgenommen hab!« Damals haben wir immer Musik aus dem Radio aufgenommen, wenn mal irgendwas was kam, was gut war. Das kam ja nicht so oft vor. Und da habe ich dieses kleine Snippet von Mutabarukas erster Platte zu hören bekommen: »Check it!«. »Check it, check it, me say, check it, check it, check it, check it, Jah, check it…« Fantastisch! Nur mit einer Conga, Nyabinghi-Drums, das sind die jamaikanischen, mit der Hand gespielten Drums, die die Rastas benutzen für ihre Gottesdienste und religiösen Zeremonien. Die sind ganz hart gespannt wie die Djembe aus Senegal, das ist die gleiche Technik. Das waren nur diese Nyabinghi-Drums – und er rappte da drüber! Und in diesem kleinen Snippet von nur einer Minute hieß es dann kurz: »Mutabaruka…«, ich weiß nicht mehr genau, »…Frank Laufenberg…«…
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…ein Moderator und Autor, der 1980 mit Thomas Gottschalk und Manfred Sexauer eine deutsche Cover-Version von Sugar Hill Gang’s »Rapper’s Delight« veröffentlichte.
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…das war irgendwas von SWR3 oder so. (lacht) Ich schrieb diesen Namen auf und sagte zu meinem Vater, der damals in London gelebt hat: »Hey Daddy, ich brauch diese Platte!« Und der hat mir die besorgt. Der ist nach Brixton in einen Plattenladen gegangen und hat mir die Platte von Mutabaruka gekauft, die erste von 1983. Diese Platte hat mich politisch beeinflusst. Bei Mutabaruka sah ich zum ersten Mal, wie man künstlerisch und politisch gleichzeitig so ein formvollendetes Kunstwerk schaffen kann.
Und dann kam natürlich noch viel mehr. Denn was viel wichtiger für uns alle war, das waren nicht die politischen, sondern die technischen Geschichten des amerikanischen HipHop. Ein ganz großer Dauerbrenner, der uns bei unseren frühen Sachen auf Englisch stark beeinflusst hat und den wir später auch ein bisschen ins Deutsche übertragen haben, obwohl diese Technik auf Deutsch eigentlich weniger gut funktioniert, waren die Ultramagnetic MCs – Kool Keith und Ced Gee.
Ein weiterer sehr starker Einfluss war KRS One, ganz klar. Er und die Ultramagnetics, zumindest für mich persönlich. Torch hatte da sicher noch andere Einflüsse und Toni L mochte zwar sehr gerne Rap, aber der hatte einen ganz weitgestreuten Musikgeschmack. Er hörte auch ganz viel P-Funk, Funk und Soul: Sein Stiefvater war nämlich Afroamerikaner und der hatte immer die neuesten Platten von der PX (Post Exchange, ein Warenhaus im Patrick-Henry-Village; Anm. d. Verf.). Das war natürlich eine Schatzgrube, in der Toni und ich dann wie die Maulwürfe gewühlt haben.
Was mich noch beeinflusst hat, ist die afrikanische Musik. In Ghana bin ich natürlich mit »Highlife« aufgewachsen. Fela Kuti und Mutabaruka, das waren die großen lyrischen Einflüsse auf mich. Die ersten Platten von Fela habe ich in Ghana gehört. 1984, als junger Mensch vor allem »Zombie«. 1976/77 kam das raus und war eine unglaubliche Anklage gegen Militärregimes in Afrika und deren imperialistische Verbündete, europäische Nationen, die afrikanische Militärregimes unterstützten. »Zombie« stand für den Soldaten als Erfüllungsgehilfen des Kolonialismus und der Militärdiktatoren in Afrika. Als ich dann 1984 das erste Mal wieder zurück im Urlaub in Ghana war, da habe ich Fela erstmals wieder in meinem Dorf gehört. Ich war bei einem Familientreffen und da hatte jemand einen Generator dabei. Es gab damals noch keinen Strom auf dem Dorf, aber in einem Kassettenrekorder lief Fela. Und das war für mich… Boom! Da kam das zurück, meine Kindheit. Bam! »Was ist das? Ich kenne das!« Das war eine ganz starke emotionale Reaktion. Da hab ich dann wieder angeknüpft und mir all die Platten besorgt, als ich wieder in Deutschland war. Das waren politische Lyrics, mit denen ich mich identifizieren konnte, weil es Bezüge gab zu Afrika, zum Nord-Süd-Gefälle, zur Korruption und der Rolle der westlichen multinationalen Konzerne dabei, zur strukturellen Unterdrückung. Das waren die Sachen, die ich verstanden habe. Die Ghetto-Geschichten hab ich nicht so ganz verstanden, das war nicht so meine Welt.
Im HipHop habe ich erst später Sachen gut gefunden. Denn das war nicht so ganz mein Kampf. Bei den Sachen, die ich geschrieben habe, ging es immer mehr um Antikolonialismus als um inner city struggle against racism. Das war nicht meine Realität. Denn man darf nicht vergessen: Heidelberg war ja eine Stadt mit einer ganz großen Mittelschicht, wo es zwar auch Ghettoisierungsphänomene gab. Die gibt es in allen Städten in Deutschland: ethnische Ghettos, Straßenzüge und Blöcke, wo es ganz harte Klassengrenzen gibt, davor ist keine Stadt gefeit. Aber meine Erfahrung war nicht die von ökonomischer Ghettoisierung. Meine Erfahrung war die von Rassismus, und das war für mich immer eingebettet in den Kontext des Kampfes gegen den Kolonialismus und Imperialismus. Das ist das Vokabular, das ich als junger Mensch gelernt hatte und das für mich Sinn gemacht hat. Das hatte immer eine ganz starke politische Dimension. Diese sehr personalisierten Narrative der amerikanischen Rapper aus dieser oftmals ja auch sehr klaustrophoben New Yorker Perspektive, das war nicht so ganz mein Ding.
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Du sagtest eben, dass ihr euch vor allem technisch an amerikanischen Rappern orientiert habt. Advanced Chemistry hat sich ja immer sehr gewählt ausgedrückt, als hättet ihr es drauf angelegt, alles aus der deutschen Sprache herauszuholen, aber das auf grammatikalisch korrekte Art und Weise, was ja ein bisschen was Uncooles hat. Was war die Motivation dahinter, dass so auf die Spitze zu treiben?
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Ja, das ist eine gute Beobachtung. (lacht) Da gibt es zwei Geschichten dazu. Das Eine ist natürlich: Ich bin in Holzminden geboren. Hochdeutsch ist meine Muttersprache, das niedersächsische Deutsch, sozusagen das Theater-Deutsch oder »Tagesschau«-Deutsch. Das ist auch die Muttersprache von Torch, dessen Vater Ostpreuße ist. Er ist zweisprachig aufgewachsen, mit Französisch und Deutsch. Seine Mutter ist Haitianerin aus einer prominenten Künstlerfamilie Haitis. Der Großvater von Torch, das muss man sich mal vorstellen, war in den 1890ern Botschafter von Haiti in Berlin.
Ich habe einen anderen Familienhintergrund: Mein Vater kommt aus einer einfachen Bauernfamilie in Ghana, hat sich hochgekämpft, studiert, ist Anwalt geworden und hatte Großes erreicht, ehe er verstorben ist. Er war in Ghana am Ende seines Lebens ein anerkannter Intellektueller, hat sich auch Zeit seines Lebens für den Kampf um Gerechtigkeit und für die Renaissance Afrikas eingesetzt. Meine Mutter kommt aus Arbeiterverhältnissen aus Holzminden und war die Erste, die studiert hat. Das heißt, bei mir ist die Erinnerung an eine nichtbürgerliche Vergangenheit eine Generation weit entfernt. Aber die erste Generation, in der beide Eltern universitäre Bildung hatten, ist noch in diesen Bezügen drin. Wenn ich heute nach Ghana gehe, dann gehe ich immer noch in mein Dorf und schlafe da in dem gleichen Häuschen, in dem mein Vater seine Kindheit verbracht hat. Es ist also alles noch sehr präsent. Aber Hochdeutsch ist meine Muttersprache.
Toni Ls Mutter ist aus der Region Heidelberg. Wir sind alle in dieser doch stark bürgerlich durchsetzten Kultur Heidelbergs großgeworden. Und du darfst ja auch nicht vergessen: Der ganze Ghettodiskurs, der dann auf Deutschland übertragen wurde, der ist zwar zu einem Teil genuin und authentisch, aber zum Teil auch ein Import. Natürlich gibt es auch in Deutschland authentische Stellungnahmen der Unterschicht. Nur das war damals nicht das Ding.
Wir haben uns sehr früh stark bewusst gemacht, dass Sprache Macht ist, und das ist die andere Geschichte. Es ging um das Ausschöpfen der lyrischen Möglichkeiten des Deutschen auf voller Bandbreite – auch unter der Gefahr, dass das dann eben gestelzt oder uncool klingt. Aber als Dichter wollten wir dieses Ausschöpfen für uns in Anspruch nehmen und auch als Verteidigungswaffe verwenden. Denn wir haben eben nicht Stereotype bedient. Das wollten wir nicht. Erstens wäre das viel unnatürlicher gewesen, wenn wir auf eine Art gedichtet hätten, in der wir nicht sprechen.
So wie ich jetzt gerade mit dir rede, das ist meine Alltagssprache auf Deutsch. Punkt. Das war wahrscheinlich mit 16, 17 noch nicht ganz so, aber es war nicht radikal anders. Und das war für uns alle drei so. Wir sind in einem sehr reichen Umfeld großgeworden. Reich in dem Sinne, dass Heidelberg eine reiche Stadt ist. Reich, weil es kulturell reich ist. Es ist eine kleine und kompakte Stadt, in der »Hochkultur« verfügbar ist. Da hatte jede Schule ein Theater-Abo.
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Umso bezeichnender ist es ja dann, dass ihr trotzdem nicht die Anerkennung für insbesondere »Fremd im eigenen Land« bekommen habt, die ihr verdient gehabt hättet.
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Dieser Widerspruch bricht ja dann noch weiter auf. Wir kommen immer wieder zurück auf das zentrale Motiv der Definitionsmacht. Wir haben für uns immer in Anspruch genommen: Wir sprechen für uns selbst. Wir brauchen nicht von irgendjemandem interpretiert zu werden. Wir können uns selbst interpretieren. Wir liefern die Message und wir interpretieren sie für euch. Dadurch machen wir natürlich die ganzen Musikkritiker arbeitslos. Dadurch machen wir natürlich die ganzen Professoren arbeitslos, die irgendwelche Dissertationen über uns schreiben. Dadurch machen wir alle arbeitslos. Weil wir liefern die Message. Wir liefern die Musik, wir interpretieren die Musik, wir interpretieren die Message und wir können sie auch noch darstellen, wenn Ihr uns vor die Kamera stellt und uns ein Mikro gebt. Das ist zu viel! Das geht nicht. Das darf so nicht sein.
Wir haben ganz viele Tabus gebrochen. Das wussten wir natürlich nicht in unserem jugendlichen Ungestüm. Aber es war so. Und auf was geht das zurück? Das geht auf die alten HipHop-Ideale der Kontrolle zurück, der Kontrolle über dein eigenes Produkt, der Kontrolle über dein Selbst. Das geht darauf zurück, die Macht zu behalten, die Definitionsmacht. Dein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, dein Business selbst zu machen, deine Platte selbst rauszubringen, dich selbst darzustellen. Das war ja ein Gesamtkonzept bei uns. Wir haben ja alles selbst gemacht. Alles. Wir sagten uns, wir können das auch alles selbst, scheißegal.
Ich habe die Story zu dem Video von »Fremd im eigenen Land« geschrieben. Ich hatte noch nie vorher ein Video geschrieben! Das habe ich eine Nacht geschrieben, bevor es gedreht wurde. Wir haben die Musiker selbst rangekarrt, wir haben unser eigenes Zeug aufgenommen, wir haben unser eigenes Studio aufgebaut – wir haben alles selbst gemacht. Wir haben immer gesagt: Wir können das! Natürlich können wir’s. Das ist HipHop. HipHops können alles!