Doz9 & Torky Tork »Wenn man im Kopf die Kommas setzt, ergibt das schon Sinn.«

Temporär ins Exil gehen, um dort – abgeschottet von alles und jedem – eine starke Platte aufnehmen: haben nicht nur die Betty Ford Boys so gemacht, sondern kürzlich auch Torky Tork und Doz 9, zusammen als T9. Über das Ergebnis dieser Auszeit, dem gleichnamigen Kollabo-Album »T9«, hat sich Carlos Steurer mit den beiden unterhalten.

T9

Eine Hütte in der brandenburgischen Uckermark: menschenleer und abgeschieden. Dieses Setting nutzten »Normaler Samt«-Produzent Torky Tork und die Schaufel-und-Spaten-Hälfte Doz9 um als T9 ihr gemeinsames, ebenso betiteltes Album aufzunehmen. Ähnlich abseitig und misanthropisch wie der Standort klingt auch das etwas sperrige Werk, auf dem assoziative Konsumkritik von Doz auf düstere Sample-Collagen von Torky trifft. »T9« ist ein großartig-grimmiges Untergrund-Album, das die Deutschrap-Etiquette anno 2015 gepflegt ignoriert und im Herbst live auf der T9our präsentiert wird.

Wir trafen Doz9 und Torky an einem der heißesten Berliner Sommertage im Treptower Park, um mit ihnen über Technikpessimismus und ihren Hustle als Indie-Künstler zu sprechen.

  • Erzählt doch mal, unter welchen Umständen »T9« entstand.

  • Torky: Wir haben uns im Oktober letzten Jahres im Nirgendwo in Templin eingenistet. Mitten im Wald, am See, in einer Sommerhütte, in der im Herbst keiner mehr ist. Voll romantisch.

  • Doz9: Eine Freundin von mir hat dort ihre Diplomarbeit geschrieben. Die Hütte war von irgendeinem Hippie-Kumpel von ihr. Das war die Motivation: Irgendwohin raus zu fahren, wo man konzentriert arbeiten kann und keine anderen Einflussfaktoren hat, außer die Stille und sich selbst. Nur so schafft man es auch, innerhalb von drei Tagen ein Album zu produzieren. 

  • So schnell ging das?

  • Doz9: Es standen schon einige Loops und Textfetzen, aber der Rest wurde dort fertig aufgenommen. Die ganze Post-Produktion wie Arrangieren, Mischen, Mastern und die Feature-Verses wurde dann in Berlin gemacht. Das hat ‚ne ganze Weile gedauert. 

  • Torky: Nicht zu vergessen: der Beitrag von Bass-Virtuose Suff Daddy auf dem Track »Brücken«. 

  • Doz9: Den hat er mit einer Hand gespielt. 

  • Torky: Er ist halt zu uns rausgefahren und hat was eingespielt. Wir haben dann aber den Großteil davon wieder rausgenommen. (lacht) Kid Simius hat auch eine Bass-Line eingespielt. Wir haben das bei BenDMA in den »Wir waren mal Stasi«-Studios gemischt und Kid Simius hat dort, neben Tua, Chefket und K-Paul auch sein Studio. Das ist das Coole an diesen Räumlichkeiten. Bei »Normaler Samt« kam auch während des Mischens von »Taschentuch« spontan Tua rein und hat kurz rübergeträllert. Einfach, weil er da war. 

  • Die Tracks sind sehr kurz und auch die Raps wirken skizzenhaft. Gehört dieses spontane Element zu eurer Herangehensweise?

  • Doz9: Das sind immer Momentaufnahmen. Ich kann nicht über Wochen an einem Track sitzen, sonst finde ich alles wack. Es ist immer eine Gefühlsangelegenheit: Man hat da ein Gefühl und versucht dann, diesem in einem Track möglichst nahe zu kommen. Manche sagen auch, meine Texte seien abstrakt, schwer zu greifen oder multi-interpretativ. Oft verstehen die Leute die Textstellen, wie sie das wollen, ohne dass das von mir so gemeint war. Sie sind also auch verschieden auslegbar. Man muss einfach im Kopf die Kommas setzen, dann ergibt das schon Sinn.  

  • Deine Zeilen funktionieren auf verschiedenen Ebenen. Das ist dir schon bewusst?

  • Doz9: Teilweise ist das intendiert, manchmal fällt mir so was aber erst im Nachhinein auf. Bei »Ins Licht gehen« kommt zum Beispiel im Subtext ganz viel rum, das ich zwar fühle, aber gar nicht so preisgeben wollte. Zwischen den Zeilen schimmert das dann durch – so als würde man das instinktiv machen. 

  • »Genau das versuche ich nicht zu machen: Den ersten Reim oder Gedanken zu verwenden.«Auf Twitter teilen
  • Hast du früher viel gefreestylt?

  • Doz9: Ich hab‘ schnell wieder damit aufgehört. Man sollte das schon können, aber ich empfinde das als Zeitverschwendung, als Rapper seinen Fokus darauf zu legen. Wenn du dann nämlich schreibst, kommst du nie über das Niveau eines Freestyles hinaus. Weil du daran gewöhnt bist, möglichst schnell Gedanken plausibel und einfach aneinander zu reihen. Genau das versuche ich nicht zu machen: Den ersten Reim oder Gedanken zu verwenden. Wir können jetzt aber gerne freestylen, wenn du willst. (Gelächter) Ne, ich bin ein grottenschlechter Freestyler. 

  • Es gibt dieses Zeile auf dem Album: »Musiker fahren in den Wald und nehmen Love-Songs und Welt-Alben auf«. Was sind Welt-Alben? 

  • Doz9: Na Alben, die die Welt berühren. Das kam mir irgendwie schlüssig vor: Etwas, worauf sich alle Welt einigen kann. Es ist ja oft so, dass sich irgendwelche Popbands in Häuser einmieten. Der Vermieter unserer Hütte meinte auch: »Die Akustik eignet sich sehr gut, um Gitarren einzuspielen.« Aber wir wollen doch gar keine Gitarren einspielen. (lacht) Wir hätten dort auch ein sehr romantisches Album aufnehmen können. Aber das wäre wohl nicht ganz unser Style.

  • Torky: Später hat uns jemand erzählt, dass wir die Vocals draußen hätten aufnehmen sollen. Wir haben uns eine richtig bekloppte Booth mit Kissen zwischen dem Kachelofen gebaut. Ein Kachelofen ist akustisch so ziemlich das schlechteste, was man nehmen kann, weil es ein Hohlkörper ist. Wir hätten einfach raus gehen sollen. Alles was man gehört hätte, wäre ein Laubblatt, das auf den Boden fällt, gewesen.

  • Doz9: Es muss halt windstill sein. Aber ab und zu in den Adlibs ein paar Vogelgeräusche – das hätte schon gepasst. 

  • Torky, was für Platten hast du während der Entstehung gesamplet?

  • Torky: Ich hatte nur meinen Rechner dabei und das genommen, was auf der MPC rumlag. Ich geh‘ immer so viele Platten oder Filme durch, bis die zwölf Minuten Samplezeit voll sind. Da bleibt immer ziemlich viel übrig und ich mach‘ da dann bis zu fünf Beats draus. Und dann kann man sich später noch durch die eigenen Samples durchdiggen. Ich glaube, wir haben relativ viel Jazz gesamplet.

  • Die Stimmung auf »T9« ist eher düster. Ich stelle mir die Atmosphäre in einer abgeschiedenen Hütte ja harmonisch und idylisch vor.

  • Torky: Es war halt schon Herbst.

  • Doz9: Und ein Altweiber-Sommer. Es war nie der Plan, ein düsteres Album zu machen – aber wenn du unvorbereitet hingehst, machst du halt das, was passiert.

  • Hat Alkohol denn eine Rolle bei den Aufnahmen gespielt?

  • Doz9: Wir hatten einen Obstler mit. Und zwei Flaschen Wein – richtig guten: einen 92er und 89er sogar. Und viel Gras. Dann haben wir noch Haschisch im Verbandskasten gefunden. Am Schluss hab‘ ich ihnen dafür aber etwas Gras zurückgetan. 

  • Das Cover und der Crew-Name T9 strahlen schon so etwas wie Technikpessimismus oder Kulturkritik aus. 

  • Doz9: Klar, »Dörty Tork« ist Kultur- und Gesellschaftskritik. Die Welt in fünf Tasten – das Konzept hat sich von alleine ergeben. Damals hatte ich sogar noch so ein Handy mit T9, da kann man ja blind schreiben. Diese neuen Auto-Korrektur-Programme fucken mich noch mehr ab. 

  • Aber als Fortschrittskritiker würdet ihr euch nicht bezeichnen?

  • Doz9: Ich würde eher kritisieren, was die Leute aus dem Fortschritt machen. Quasi sich zu domestizieren. Fortschritt ist immer was Gutes – kommt halt nur drauf an, in welche Richtung er geht. Ich will mit dem Album niemandem erklären, wie die Welt funktioniert oder die Gesellschaft verbessern. 

  • Torky: Das soll auch nichts krass Deepes aussagen. Ich war im Urlaub, zog mein Handy aus der Tasche und hatte keinen Empfang. Das hat einfach gepasst.

  • Aber ihr seid schon beide aus einem linken Haushalt? 

  • Doz9: Ich halte mich bei Politik eigentlich immer gerne raus. Und gehe auch nicht komplett mit der linken Politik konform. Alle haben ihre zwei Seiten. Ich will mich da gar nicht positionieren. Ich kann dir höchstens sagen, was ich politisch nicht bin: konservativ-rechts.

  • »Als er den Track hörte, meinte er, er hätte jetzt Pipi in den Augen und wäre dabei.«Auf Twitter teilen
  • Du hast Zeilen, die sich indirekt mit der Überwachungsproblematik und dem NSA-Abhörskandal befassen. Klebt ihr denn eure Laptop-Kameras ab?

  • Doz9: Wenn ich mir einen runterhole auf jeden Fall. (Gelächter) Alles andere ist mir scheißegal. Ne, mir ist das echt egal, was die von mir speichern – so wichtig nehme ich mich nicht. Da gibt es Leute, deren Informationen wertvoller sind. Falls doch jemand zugucken sollte, kann er das gerne machen. 

  • Diese alten Nokia-Handys werden auch gerne von Tickern benutzt, weil man damit nicht abgehört werden kann. 

  • Doz9: Ich hab‘ mir sagen lassen, dass es ein Youtube-Video gibt, das dir zeigt: Wenn man die Akkus von Samsung-Handys oder iPhones abnimmt, ist dahinter eine kleine Mikrofonapparatur installiert. 

  • Das ist aber schon paranoid jetzt. Da bist du dann schnell auch bei irgendwelchen Chemtrail-Beweisvideos. 

  • Torky: Es hat doch eh jedes Handy ein Mikrofon. 

  • Doz9: Na es gibt ja die verrücktesten Gerüchte und ich wollte jetzt auch mal eins streuen. Es gibt ja auch Axel Stoll, der behauptet, es gibt eine Hohlerde, in der fliegende Einhörner und Ponys stecken. Erich von Däniken musst du mal auschecken: Der Bibel-Code – ein Algorithmus, der die Bibel entschlüsselt und den 11. September voraussagt. Natürlich auch alles Schrott. Wenn man an Verschwörungstheorien gerät, wird man irgendwann sehr selektiv in seiner Wahrnehmung. 

  • Ist »Zehn Flaschen Wein« mit Sonne Ra eure Vorstellung eines Kopf-Hoch-Tracks?

  • Doz9: Eigentlich ist es eher ein Resignations-Track, der nur aussagt, dass alles in deiner Hand liegt.

  • Torky: Sonne kam erst dazu, als wir gemerkt haben, dass der Song ganz schön runterzieht. Wenn man ihn als Person kennt, passt das schon perfekt. Er ist ein erfahrener, gestandener Mann.

  • Doz9: Es wäre auch kein Anderer für das Feature infrage gekommen. Da steckt viel Persönliches drin und das hat den Mula getoucht. Als er den Track hörte, meinte er, er hätte jetzt Pipi in den Augen und wäre dabei. 

  • Was ist der Mula eigentlich für ein Typ? Er hält sich ja gerne bedeckt.

  • Torky: Ein weiser Mann. 

  • Doz9: Ich würde mich nicht mit ihm anlegen oder beefen. Aber sonst ist er der liebste und loyalste Mensch, den ich kenne. Word to the mula.

  • Du rappst auf dem Album über Fetisch-Parties im KitKatClub. Gibt es da schöne Anekdoten, die du uns erzählen willst?

  • Doz9: Nein, ich war echt noch nie auf einer Techno-Party. 

  • Torky: Was?

  • Doz9: In meiner Kleinstadt Templin musstest du dich klar positionieren. Entweder warst du halt HipHopper oder Raver. Und wenn du das eine bist, hast du das andere gehasst. Ich hab‘ das straight durchgezogen. Ich kann mir so ‚ne Mucke auch geben. Ich muss dann aber schon strack sein. Ein Kumpel von mir geht da oft hin. Man kann da alles machen: sich gegenseitig anpinklen, ficken. Das ist freie Liebe 2.0, was die da machen. Du musst als Mann mindestens mit freiem Oberkörper aufkreuzen. 

  • Wäre doch ein schönes Setting für eure Pressefotos.

  • Torky: Voll. (Gelächter)

  • »Wenn dieser ganze Deutschrap-Hype, der gerade auf einem Peak ist, wieder vorbei geht, können wir trotzdem noch Platten verkaufen.«Auf Twitter teilen
  • Doz, du shoutest auf dem Album das gute alte Bootlegerforum Fettrap aus. Gibt es das immer noch?

  • Doz9: Ich glaube schon. Wenn du im Untergrund bist und dann von Fettrap.com wahrgenommen wirst, hast du es ja quasi geschafft. Wir haben uns damals echt gefreut, als unser Album – ich weiß gar nicht mehr, welches – dort hochgeladen wurde. Dadurch hat man auch eine krasse Streuung und Reichweite. Uns stört es nicht, dass wir da hochgeladen werden. 

  • Torky: Wahrscheinlich kaufen doch eh nur noch 10% ein Album. Gerade im HipHop laden die meisten immer noch illegal runter. »T9« gab es am Anfang nur über Bandcamp und dann relativ schnell auch illegal zu haben. Das muss ein Typ gewesen sein, dessen Namen wir sogar haben.  

  • Wie sieht denn eigentlich euer Hustle als Independent-Künstler aus. »T9« erschien über hhv.de? Ab wann wird es denn lukrativ, Vinyl herstellen zu lassen?

  • Doz9: Wenn es mir ums Geld ginge, würde ich nicht solche Musik und auch nichts auf Vinyl machen. Was hast du an einer Schallplatte an Marge? Da lohnt sich eine CD viel mehr. Und wenn man das nicht alles alleine macht, bleibt nicht viel hängen. Wir sind aber zufrieden. Ich muss auf jeden Fall nicht arbeiten gehen. Ich krieg noch ein bisschen BAföG und habe wenig Ansprüche. 

  • Torky: Das Coole bei hhv.de ist: Du gibst ein gemastertes Album ab und kriegst sofort dein Geld. 

  • Doz9: Sie kaufen dir quasi die Lizenz für 500 oder 700 Pressungen ab. Dann machst du einen Deal aus, kriegst deine Kohle und gut ist. Da hat man kein finanzielles Risiko und bleibt nicht drauf sitzen. 

  • Wobei sich doch gerade teure Vinyl-Boxen gut verkaufen und der Record Store Day auch von den Major-Firmen als lukrative Quelle vereinnahmt wird.

  • Doz9: Oder die Matthias-Reim-Box mit 3D-Figur. (imitiert Matthias Reim) »Schaut euch das an, meine Freunde. Das bin ja ich. Mann, bin ich da hübsch.« Das ist ja das erste Indiz dafür, dass diese ganze Special-Box-Scheiße bald nicht mehr funktionieren wird. 

  • Torky: Bei den Boxen geht es doch darum, möglichst viel billigen Scheiß, der in der Produktion nichts kostet, rein zu stecken und dadurch einen hohen Gewinn zu erreichen. Wir haben ordentlich verkauft, wir sind sehr zufrieden. Das wäre früher so nicht möglich gewesen. 

  • Ihr habt eine kleine aber sehr loyale Fanbase, oder?

  • Doz9: Eine treue und nachhaltige Zielgruppe vor allem. Du kannst durch einen VBT-Hype sofort deine 15.000 Likes bei Facebook einsacken. Das hat aber gar nichts zu bedeuten. Wenn dieser ganze Deutschrap-Hype, der gerade auf einem Peak ist, wieder vorbei geht, können wir trotzdem noch Platten verkaufen.