Chefket »Weniger reden, mehr machen.«

In den letzten Jahren baute sich ein mittelschwerer Erwartungs-Hype um das Major-Label-Debüt von Chefket auf. Jetzt ist »Nachtmensch« da – und Chefket ist darauf sowohl begnadeter Live-MC als auch unterhaltsamer Bluesman.

Chefket

Manchmal wirkt Chefket wie ein Relikt der alten Schule. Seit zehn Jahren ist er im Berliner Untergrund umtriebig und verkörpert die Tugenden eines kompletten MCs, der starkes Songwriting mit dem Skillset eines klassischen Battlerappers vereint. Mit seinem Majordebüt »Nachtmensch« ging er den Schritt vom ewigen Talent in die Top 10 – und aktuell auf seine erste eigene Deutschland-Tour.

Durch den Tour-Support für seinen Kumpel und frühen Förderer Marteria, die selbstveröffentlichte »Identitäter«-EP und das Mixtape »Guter Tag« baute sich über die letzten Jahre ein mittelgroßer Erwartungs-Hype um das dritte Album des 34-Jährigen auf. Der machte sich jedoch frei von Vorschusslorbeeren und Industrie-Prophezeiungen und nahm sich mit Partner Farhot die nötige Zeit, um zwischen Hamburg, Dänemark und Istanbul am Album zu schreiben. »Nachtmensch« löst das ein, was man sich von einem Chefket-Album erhofft: Er flext wie ein begnadeter Live-MC, singt wie ein Bluesman und verpackt gesellschaftliche Missstände in unterhaltsames Storytelling. Wir sprachen mit dem Deutsch-Türken über seinen Schwabenstatus in Berlin, Identitäter-Swag, die Rolle von Deutschrap in der Flüchtlingsdebatte und seine Erfahrungen als Botschafter des Goethe-Instituts.

  • Du kamst vor zehn Jahren aus der schwäbischen Provinz nach Berlin und bist seitdem in Berlin mehrfach umgezogen. Hast du hier eine Art Heimatbezirk?

  • Am ehesten ist das Friedrichshain, wo ich wohne. Ich mag es hier: Mein Schlafzimmer ist im Hinterhof. Wenn ich Ruhe brauche, hab ich die. Und wenn ich Action will, kriege ich die direkt vor der Haustür. 

  • Hat sich die Zusammensetzung des Viertels in den letzten Jahren stark verändert?

  • Als ich herkam, habe ich erst einmal lange Bezirks-Hopping gemacht. Friedrichshain gefällt mir bis heute noch am besten. Die Gentrifizierung in Neukölln hat den Bezirk ja auch verschönert. Natürlich kam es auch zu ein paar kaputten Glasscheiben. Es kamen ja viele Künstler aus Paris, weil sie sich in Frankreich ihre Galerie nicht mehr leisten konnten. Dass die dann hier schikaniert werden, ist natürlich auch uncool. 

  • »Wer cool ist, wird cool behandelt – Punkt.«Auf Twitter teilen
  • Wie ist das als Schwabe in Berlin? Muss man sich da nicht viele dumme Sprüche anhören?

  • Das spüre ich nicht – weder als Schwabe noch als Muslime oder Türke. Wer cool ist, wird cool behandelt – Punkt. Ich arbeite hart, lebe nicht auf großem Fuß und bin zufrieden mit dem, was ich habe. Ob mich jemand respektiert oder nicht, hat ja nichts damit zu tun, wo ich herkomme. Wie heißt es so schön: Es geht nicht darum, woher du kommst, sondern darum, was du machst. Identitäter-Swag. Ich weiß gar nicht, wie viele Ur-Berliner hier überhaupt noch leben.

  • Woran erkennt man einen Ur-Berliner denn?

  • Der Berliner ist einfach straight und echt. Das vermisse ich oft in Baden-Württemberg. Da ist alles immer etwas aufgesetzter als hier. Deswegen feier’ ich es, hier zu leben. Als ich hergezogen bin, habe ich gar nicht verstanden, dass die Leute innerhalb der HipHop-Szene unterscheiden: »Das sind Ostberliner Rapper und das Westberliner.« Ich wusste gar nicht, was die meinen. Da wo ich herkomme, aus Heidenheim, kriegt man so etwas gar nicht mit. Hier gab es eher eine feindselige Haltung gegenüber einander. Das hat sich aber auch schon wieder verändert. Als ich zum ersten Mal in Berlin war, habe ich bei Ostberlinern gewohnt. Als die mir erzählten, wie schlimm es für sie sei, dass sich ihre Gegend verändert, habe ich das alles erst verstanden. Man kann aber nicht immer nur in der Vergangenheit leben. Wenn alte Menschen aus ihren Wohnungen gejagt werden, ist das natürlich eine reine Profit-Sache, und da sollte man die Gesetze für die Mieter ändern.

  • Wie nimmst du Berlin als Künstlerstadt wahr? Sind die Zustände immer noch so paradiesisch? 

  • Du findest halt das, was du suchst. Hier gibt es für jeden etwas und je nachdem, was du ausstrahlst, kommt es eben zurück. Gleichgesinnte finden sich immer. Wenn du also voll Bock hast, dich auf Drogen abzuschießen, wirst du Möglichkeiten dazu finden. Und wenn du Museen und Vorträge von Professoren besuchen willst, kannst du das auch. Oder du nimmst Drogen und hängst im Museum ab. (grinst)

  • Kannst du dir vorstellen, für immer in Berlin zu bleiben?  

  • Ich versuche gerade, in unterschiedlichen Städten gleichzeitig zu leben, sodass ich für eine Zeit bei meinen Eltern sein kann oder bei Freunden, die im Ausland leben. Ich kann ja von überall aus Musik machen und Texte schreiben. Das werde ich mir jetzt mal erlauben. Verreisen ist eh perfekt, um zu schreiben. Für die »Nachtmensch«-Platte war ich ja mit Farhot in Marokko, Istanbul und Dänemark.

  • »Wir sollten lieber mehr miteinander reden statt übereinander.«Auf Twitter teilen
  • Auf »Nachtmensch« spielt diese Identitätsfindung, die auf der »Identitäter«-EP das Leitmotiv war, wieder eine Rolle. Auf dem Track »Wir« geht es um die Stigmatisierung von Türken und Deutschen aus gegenseitiger Perspektive. 

  • Ja, leider ist jeder gebrandmarkt. Wir sollten lieber mehr miteinander reden statt übereinander. 

  • Ist das Wort »Integration« an sich nicht schon falsch gewählt? Es setzt ja voraus, dass es so große Unterschiede im Zusammenleben gibt, die erst überwunden werden müssen.  

  • Innerhalb der deutschen Gesellschaft gibt es schon Unterschiede. Und Unterschiede sind ja etwas Gutes – Gleichschaltung ist zum Glück schon lange her. Stell’ dir mal vor, man würde einen Rapper mit deutschen Wurzeln fragen, ob er sich integriert fühlt – genauso fühle ich mich. Oder frag’ mal einen Politiker.

  • Die Politiker scheinen die großen gesellschaftlichen Fragen ja auch nicht beantworten zu können.

  • Ja wie denn auch? Die haben keinen Plan, geschweige denn eine Lösung. Es geht ja immer nur um die nächsten Wahlen. Wir leben in einem Land mit einem Durchschnittsalter von 50 Jahren – was erwartest du? Frau Merkel hat gewartet, bis sie wusste, wie wir uns fühlen und erst dann was zur Flüchtlingsdebatte gesagt.

  • Wie nimmst du die Rolle von Rappern in der Flüchtlingsdebatte wahr?

  • Letztens hat Oliver Marquart (Chefredakteur von rap.de; Anm. d. Red.) gesagt, dass sich Rapper mehr dazu äußern sollten. Aber HipHop-Fans zünden doch keine Flüchtlingsheime an. Ich renne ja jetzt schon offene Türen ein, wenn ich mich dazu äußere. Was würde wohl Helene Fischer sagen?

  • Helene Fischer würde mit einem Statement pro Asyl wohl auch große Teile ihrer Fans vergraulen. 

  • Meinst du? Aber dann geht es ja ums Geld. Und wie wichtig kann einem Geld sein, dass man solche Dinge nicht ausspricht? Hier geht es ja um Menschenleben, um Leben und Tod. Wenn ich jetzt anfangen würde, über Flüchtlinge zu reden, um meine Platte zu promoten, hätte das einen komischen Beigeschmack. Ich habe auch schon oft etwas dazu gesagt, zum Beispiel auf dem »System«-Remix von Lary.

  • »Ich habe nur Respekt vor den Menschen, die wirklich aktiv helfen. Der Rest ist nur Geschwafel und nichts wert.«Auf Twitter teilen
  • Dir würde doch vermutlich keiner vorwerfen, diese Thematik für Promozwecke zu benutzen. 

  • Einer meiner besten Freunde war auch mal Flüchtling – und jetzt ist er der beste Produzent Deutschlands. Ich habe nur Respekt vor den Menschen, die wirklich aktiv helfen. Der Rest ist nur Geschwafel und nichts wert. Deswegen: Weniger reden, mehr machen. 

  • Wird das Thema nicht auch auf der falschen Ebene diskutiert? Es geht ja nie darum, was unternommen werden kann, damit Millionen Menschen erst gar nicht flüchten müssen.

  • Voll, aber das sind ganz andere Instanzen, die dafür gesorgt haben, dass die Stimmung in Deutschland nun so ist. Mein Homie Philipp sagte vor Kurzem: »Wenn jeder 80. Deutsche sich um einen Flüchtling kümmern würde, wäre das Problem gelöst.«

  • Es ist ja nicht unbedingt die Aufgabe eines Künstlers, politische Lösungen anzubieten. 

  • Wenn man meint, eine gute Lösung zu haben, sollte man sie anbieten. Akif Pirinçci, der Trottel ohne Hitlerbart, hätte mal lieber bei seinen Katzenkrimis bleiben sollen. Aber als Künstler mit Reichweite kann man auch positive Veränderungen herbeiführen. Das nutze ich so gut es geht, wie Xatar oder Max Herre auch. Mit Max und Zugezogen Maskulin bin ich bei der Dresden-Nazi-Frei-Demo aufgetreten. Da kamen jugendliche Fans aus Heidenau auf mich zu und erzählten, wie sie schikaniert werden, weil sie Flüchtlingen helfen. Vor diesen Jugendlichen habe ich tiefsten Respekt.

  • »Lasst uns bitte nicht so sein!«Auf Twitter teilen
  • Du hast auf »Wir« die Zeile: »Ich bin integriert, denn ich spreche besser türkisch als früher.« Bezieht sich die auf deine Besuche in der Türkei? 

  • Wenn ich früher in die Türkei gekommen bin, haben alle gemerkt, dass ich aus Deutschland bin, weil mein Türkisch nicht so tight war. Inzwischen merkt man das kaum mehr. Für mich ist es interessant, mal einen Monat zur Mehrheitsgesellschaft zu gehören. Wenn man dann mit Leuten am Tisch sitzt, die anfangen, über Kurden zu lästern, stört mich das. Genau so reden Stammtischleute in Deutschland über Türken. Lasst uns bitte nicht so sein! Für mich ist das immer ein Perspektivenwechsel. Deswegen bin ich sensibler geworden, was Minderheitenthemen angeht. Ich habe immer zu einer Minderheit gehört und gemerkt, dass es weh tut, wenn irgendwelche Leute über Menschen schlecht reden, die genauso aussehen wie deine Eltern. Meine Eltern sind die besten Menschen der Welt. Alles, was positiv in meiner Musik ist, stammt von ihnen. All das Negative kam von außen. 

  • Deine Eltern leben jetzt wieder in der Türkei – einem Land, das am meisten Flüchtlinge von allen aufnimmt. 

  • Die leben eher an der Grenze zu Griechenland. Ich habe dort vor zehn Jahren einmal ein paar irakische Flüchtlinge getroffen, die versuchten, nach Griechenland zu kommen. In Mersin, wo meine Eltern ursprünglich herkommen, wurden schon einige Millionen syrischer Flüchtlinge aufgenommen. Nicht nur dort herrscht Angst, weil in den Nachbarländern Krieg tobt.

  • Du warst vor einigen Jahren als Botschafter für das Goethe-Institut unterwegs. Wie war diese Erfahrung für dich?

  • Das ist immer gut, wenn man gerade kein Projekt fertigstellen muss. Ich hätte im Moment gar keine Zeit, das zu machen. Ich war erst vor Kurzem in Polen an einer Schule, die das Goethe-Schule-Siegel bekam. Das war eine riesen Feier, bei der ich um 10 Uhr morgens auftreten und dann gleich zwei Shows hintereinander spielen sollte, weil nicht alle in diesen Raum gepasst haben. Ich meinte nur: »Eigentlich schlafe ich um die Uhrzeit noch.« Ich habe dann aber trotzdem Stage-Diving gemacht. (grinst)  

  • Du warst auch schon in den USA, um Workshops zu geben. 

  • Da gab es zwei Projekte: Das eine war an einem amerikanischen College in Nordamerika, wo ich reichen Elite-Schülern beigebracht habe, wie man deutsche Texte schreibt. Das andere lief über die BronxBerlinConnection, ein Sozialprojekt für transatlantischen Jugendaustausch von und mit Olad Aden. Da nehmen wir Berliner Jugendliche, die eine kriminelle Vergangenheit haben oder keine Unterstützung von zu Hause bekommen, nach New York mit. Wir wollen ihnen zeigen, wo HipHop eigentlich herkommt, und dass HipHop ursprünglich eine Alternative zur Gewalt in den Ghettos darstellte. Da läuft man durch die Bronx und trifft Grandmaster Caz mit seiner Boombox und der erzählt, wo sie damals gerappt haben. Das war nicht nur für die Jugendlichen eine Horizonterweiterung, sondern auch für mich selbst.