Kalim »Was gibt es Besseres, als ein bis oben zugeknöpftes Karohemd, Chinos und Chucks?«

Die Beständigkeit, mit der momentan Qualitätsreleases aus Bonn erscheinen, ist fast schon beängstigend. Nach SSIO liefert mit Kalim nun der nächste AoN’ler amtlich ab. Zeit für ein Gespräch mit dem Hansestädter.

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»6 Kronen« heißt das zweite Mixtape des Hamburgers, auf dem er im astreinen 90er-Flow über groovende Westcoast-Beats aus der Zeitmaschine von GEE Futuristic, David Crates, Crooky Jazz und Reaf stylet und dazu eloquent von kriminellen Machenschaften in der Hansestadt berichtet. Ein kurzer Klick aufs Snippet sollte dann auch dem Letzten klarmachen, dass der 22-Jährige mit afghanischen Wurzeln mehr als nur das norddeutsche Äquivalent zu seinem Labelkollegen SSIO ist. Im Interview mit Jan Wehn spricht Kalim über seine Anfänge mit Nate57 und erklärt, warum deutsche Rapper keinen Style haben.

  • Wohnst du schon dein ganzes Leben lang in Hamburg-Billstedt?

  • Nicht ganz. Wir sind erst dort hingezogen, als ich in der zweiten Klasse war. Davor haben wir in Hamburg-Wilhelmsburg gewohnt. Das war schon eine krasse Gegend. Wobei es auch nicht die Gegend selbst ist, sondern vielmehr die Leute , die so eklig sind. 

  • Haben deine Eltern denn mitbekommen, wenn du mal Scheiße gebaut hast?

  • Digga, bevor der Brief ankam, habe ich den schon aus dem Kasten gefischt. Jeden Morgen habe ich da meine Hand reingesteckt und alles Verdächtige rausgeholt. (lacht) Sowieso habe ich sehr darauf geachtet, meine Eltern glücklich zu machen und bin immer zur Schule gegangen. Hätte mein Vater mitbekommen, dass mich der Unterricht nicht interessiert, hätte der mich am Nacken gepackt und da hingeschliffen. Guck mal, meine Eltern sind wegen dem Bürgerkrieg aus ihrem Heimatland geflüchtet. Nach Deutschland – ein Land, in dem einem alle Türen offenstehen. Da kannst du als Sohn nicht einfach deine Zukunft wegschmeißen.

  • Fertig gemacht hast du die Schule aber trotzdem nicht, oder?

  • Nein. Ich war nur bis zur zwölften Klasse da. Eigentlich wollte ich die Fachhochschulreife machen, aber bei uns gab es diese Regelung, dass du ab 20 unentschuldigten Fehlstunden weg vom Fenster bist. Und da hat mein Lehrer mich halt gefickt – kurz vor den Prüfungen. Wir hatten sogar schon angefangen, unsere Facharbeiten zu schreiben. Ab dem Zeitpunkt, wo ich geflogen bin, mussten meine Eltern das dann leider akzeptieren. Und mein Vater sieht ja auch, dass ich nicht nichts mache. Natürlich ist Rap nicht unbedingt etwas, das man sich zum Vorbild nehmen sollte. Aber das ganze Drumherum – Engagement, Willen, Durchsetzungsvermögen – das ist schon erstrebenswert, denke ich.

  • »SSIO ist der Witzige, Xatar überblickt alles und zieht die Fäden und ich bin der junge Typ aus Hamburg, der nicht so auf Witze steht.«Auf Twitter teilen
  • Lass uns mal über das Mixtape »6 Kronen« sprechen. Im Intro hört man jemanden den Sendersuchlauf am Radio drehen. Nacheinander werden da Tracks von Dynamite Deluxe, den Beginnern, Mista Malik Friedman und Nate57 gespielt. Und dann kommst du. Die Zeilen von Samy sind mittlerweile gut 15 Jahre alt. Du bist gerade mal 22. Wie hast du das damals mitbekommen?

  • Im Fernsehen. Als kleiner Junge habe ich immer MTV geguckt und darauf gewartet, dass »Weck mich auf« von Samy kommt. Oder das Video zu »Letzte Warnung« von Brothers Keepers. Das war mein Lieblingslied damals. Zu heftig.

  • Da warst du doch gerade mal acht oder neun Jahre.

  • Ja, da fing das gerade an. Ich kannte bis dahin nur ein paar Ami-Rap-Lieder, die mein Cousin Tarek mir gezeigt hat. Er war der Mieseste und hat viel R. Kelly gehört, aber mir auch Sachen von Biggie und Pac gezeigt. Und dann hat man halt einen Song von 2Pac gehört und da war noch ein anderer Rapper drauf gefeaturet, für den man sich dann interessiert hat. Und dann sind wir alle zu dem einen Kollegen, der Internet hatte, und haben da Musik gehört. Dann habe ich meine Mutter irgendwann angebettelt, dass sie mir CDs kauft. Sie hat das gehasst.

  • Was waren deine ersten CDs?

  • »Wu-Tang Forever«, diese Doppel-CD vom Wu-Tang Clan, und der Soundtrack zu »The Wash« mit Dr. Dre, Snoop Dogg, Knoc-turn’al.

  • Und wann hast du dann das erste Mal gerappt?

  • Bruder, weißt du, wie wir damals englische Texte gerappt haben? Das war gar kein Englisch, sondern einfach nur irgendeine Fantasiesprache. (lacht) Aber das hat mir sehr geholfen, weil ich so schon ein Rhythmusgefühl bekomme habe. Als ich dann später meine eigenen Texte eingerappt habe, hatte ich nie Probleme, den Takt zu treffen. Mit 13 ging es dann los. Da hatte sich zu uns herumgesprochen, dass ein paar Leute in der Gegend etwas reichere Eltern und dementsprechend ein teures Mikrofon hatten. Wobei ›teuer‹ auch übertrieben ist. Das war halt so eins für 20 Euro vom Media Markt. (lacht) Also haben wir dann mit denen Freundschaft geschlossen und dort eingerappt. Die meisten haben nach zwei Liedern wieder die Lust verloren. Aber ich war richtig angefixt und habe einen Song nach dem anderen gemacht.

  • Woher wusstest du, wie lang eine Strophe ist?

  • (überlegt) Gute Frage. Ich glaube, ich habe einfach einen Text geschrieben, der genauso lang war wie die Original-Lyrics. Da wusste ich am Ende der Strophe dann: Okay, hier kommt jetzt was anderes hin. (lacht)

  • Du hattest damals auch schon Kontakt zu Nate57, richtig?

  • Ja, er hat mich irgendwann auf MSN angeschrieben und wollte Songs mit mir machen. Zu der Zeit war er in Hamburg schon eine große Nummer. Jeder, wirklich jeder, kannte Lil‘ Nate – so hat er sich damals noch genannt. (lacht) Ich weiß noch, dass wir beide diese aggressiven Beats satt hatten und lieber auf Oldschool-Instrumentals rappen wollten. Dann saßen wir alle im Studio und haben zusammen Texte geschrieben. Die Tracks haben sich dann recht schnell verbreitet. Über Handy und so. Digga, zu der Zeit war ich der Coolste. Alle Chicks wollten was von mir. (lacht)

  • Und dann kam 2011 das »Wo ich wohn«-Mixtape, das dich auch über die Grenzen von Hamburg bekannt gemacht hat.

  • Ich hatte Glück, das Sohail (Bruder von SSIO und Manager von Alles oder Nix, Anm. d. Verf.) zu der Zeit in Hamburg gewohnt hat. Er mochte die roughe Atmosphäre auf dem Tape. Dann habe ich bei Alles oder Nix gesignt und von dem Moment an ging es los.

  • Die Songs auf »Wo ich wohn« hatten auch schon etwas sehr eigenes, aber bedienten sich im Grunde beim Standard-Straßenrapvokabular. Auf »6 Kronen« bist du viel eloquenter.

  • Xatar, SSIO, Sohail, Reaf und Maestro meinten: »Versuch, deinen Style noch ein bisschen weiterzuentwickeln. Versuch, deinen Wortschatz zu erweitern und Sachen geiler zu umschreiben.« Das sind halt Kleinigkeiten, die viel ausmachen. Abgesehen davon bin ich auch einfach älter geworden. In diesen drei Jahren habe ich viel dazugelernt. Gerade in diesem Alter.

  • Ich finde das super, weil alles plastischer wird und man immer mehr den Eindruck hat, einen Comic zu lesen. Bei SSIO ist es ein sehr lustiger, bei dir eher ein realistischer.

  • Wir machen ja alle Straßenrap, aber jeder hat seinen eigenen Charakter. SSIO ist der Witzige, Xatar überblickt alles und zieht die Fäden und ich bin der junge Typ aus Hamburg, der nicht so auf Witze steht. (grinst)

  • »Ich rappe in den Texten sehr viel über materielle Dinge – aber das mache ich nur, damit die Leute sehen, wie hungrig ich bin.«Auf Twitter teilen
  • Wo um alles in der Welt hast du deine Flows her? Ich bekomme diese »Stadtrundfahrt«-Zeilen nicht mehr aus dem Kopf.

  • (lacht) Natürlich lässt man sich immer beeinflussen. Ich höre zum Beispiel viel Dogg Pound und »Doggystyle«. Das Album habe ich wirklich so oft gehört, dass es mir manchmal beinahe zu den Ohren rauskommt. Dann hör ich das zwei Tage nicht – und dann wieder einen Monat am Stück. (lacht) Manches bleibt da einfach hängen. Und wenn du dann noch so einen Beat vor die Füße geschmissen bekommst, dann kommt das automatisch. Mann, »Doggystyle« war echt krass. So ein freshes Album. So fresh, dass er im Intro sogar baden ist. (lacht) Das ist ein Film! So ein Album würde in Deutschland niemand hinbekommen.

  • Mach du das doch.

  • Hätte ich die Zeit gehabt, dann hätte ich das auch gemacht. Mit Telefongesprächen und allem Drum und Dran. Wie Kendrick Lamar. Das habe ich mir auf jeden Fall fürs Album vorgenommen.

  • Auf einem der Songs rappst du: »Nach diesem Track hörst du nie wieder A$AP Rocky!« Was stört dich denn an seiner Musik?

  • Bruder, ich habe nix gegen A$AP Rocky! Nix! Ich feier den sogar. Er macht guten Straßenrap, den er mit etwas anderem kombiniert. Aber er verkörpert eben eine neue Zeit. Außerdem hat sich das gerade sehr gut auf »Haze und Johnny« gereimt. (lacht) Aber ich feiere A$AP. Ein guter Rapper, der sich auch noch gut anzieht.

  • Gut, dass du das ansprichst: Du legst sehr viel Wert auf Style und rappst nicht nur viel über Klamotten, sondern trägst das alles auch.

  • Klamotten sind für mich das A und O. Was gibt es Besseres, als ein bis oben zugeknöpftes Karohemd, Chinos und Chucks? Ich mag diesen Retro-Look halt gerne und wünsche mir, dass die Rapper in Deutschland mehr Style hätten. In Amerika brauchst du so einen Style, um am öffentlichen Leben teilzunehmen. Da kannst du rappen wie 2Pac – wenn du keinen Style hast, will dich keiner. Deutsche Rapper sitzen in Air Max oder Shox und verkrampft im Boss-Shirt herum. Da denke ich mir: »Dein 100-Euro-Shirt habe ich mir mit zwölf Jahren gekauft, du Lappen!« (lacht)

  • Wenn du dich für etwas interessierst, dann richtig, oder? Die ganzen Auto-Referenzen, die du droppst, musste ich mir erst mal ergooglen. Was fährst du für einen Wagen?

  • Ein 3er Cabrio aus 2010 in schwarz. Gerade im Sommer kommst du aus dem Teil gar nicht mehr raus, sondern drehst immer schön deine Runden. 

  • Wie oft wäschst du den?

  • Bruder, es gab Wochen, da habe ich mein Auto viermal mit der Hand sauber gemacht und fünf Minuten später hat es im beschissenen Hamburg wieder geregnet. Aber Hauptsache der Wagen glänzt, ne? (lacht)

  • Abgesehen von Autos hegst du auch ein Faible für Aaliyah, ja?

  • Wie sie sich angezogen hat, wie sie sich bewegt hat – die hatte einfach Klasse und war cool. Wie ein Homie. Natürlich habe ich sie nie persönlich kennen gelernt. Aber man weiß irgendwie, dass sie nicht auf Nase hoch macht, wenn man mit ihr chillen würde.

  • Letzte Frage: Einmal Hamburg, immer Hamburg?

  • Digga, auf jeden Fall. Hamburg ist meine Perle. Ich werde diese Stadt nie verlassen. Mein Vater ist zum Glück damals nach Hamburg gegangen. Er wollte unbedingt an den Hafen. Der hat mich schon als kleines Kind immer mit runter zum Hafen genommen und wir haben den Sonnenaufgang zusammen angeguckt. Und ich liebe diesen roten Himmel bis heute. Manchmal sind es nur die kleinen Dinge. Ich rappe in den Texten sehr viel über materielle Dinge – aber das mache ich nur, damit die Leute sehen, wie hungrig ich bin. Mir geht es viel mehr um solche Kleinigkeiten.