Moses Pelham »Was Entertainment?! Das ist Blut, Mann!«
Moses Pelham ist das, was man eine lebende Legende nennt: Erfolgreicher Rapper, Produzent, A&R, Geschäftsmann, Traumverwirklicher. Ein Vollblutkünstler, der seit fast vier Dekaden sein Innerstes nach außen kehrt und über Beats formuliert. Das tut er auch auf seinem neuen Album »Emuna«. Um es mit den Worten seines MC-Vorbilds Rakim zu sagen: »Follow The Leader«.
37 Jahre sind eine lange Zeit. Etwa die Hälfte eines durchschnittlichen Erwachsenenlebens. Das Doppelte eines durchschnittlichen Deutschrapfans. Und exakt die Zeit, seit der Moses Pelham als Rapper schon sein Herzblut ins Mic spuckt. »Direkt aus Rödelheim« hat Moses stets Rhymes regnen lassen, kompromisslos sein Leid geteilt und dabei stets sein Herz geöffnet wie kaum jemand sonst im hiesigen HipHop-Game. Nun geht der Frankfurter Chabo straight auf die Fünfzig zu, aber leise ist er deswegen kein bisschen – im Gegenteil. Sein neues Album »Emuna« sollte man ganz laut aufdrehen, denn Moses hat viel zu sagen.
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Wie alt warst du, als du Rap für dich entdeckt hast?
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Ich war zwölf und im Amerika-Urlaub mit meinen Eltern. Ich spielte mit meinen Cousins und irgendwelchen fremden Kindern auf der Straße, als mich einer von denen fragte, welche Rhymes ich könnte. Ich nur: »Häh? Rhymes? Was‘ jetzt des?« (lacht) Meine Cousins erklärten mir dann, dass sie Raps aus dem Radio aufnähmen, die auswendig lernen und sich gegenseitig vorsagen. Die haben mir dann ne Platte vorgespielt und ich dachte direkt: »Das ist jetzt aber net schlecht.«
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Welche war das?
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Ich habe mich lange Zeit mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, aber vermutlich war es »Rapper’s Delight« von der Sugarhill Gang.
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Also nichts von deinem großen Rap-Vorbild Rakim?
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Quatsch – den gab’s damals noch nicht. Wir reden hier von 1983. (Das Debütalbum »Paid In Full« von Eric B. & Rakim erschien erst 1987; Anm. d. Verf.)
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Mit Schmetterlingen im Bauch bist du dann wieder zurück nach Deutschland und hast dann selbst angefangen, Reime zu schreiben?
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Es ist ein bisschen klischeemäßig: Ich bin mit Kiss-Platten nach Amerika gefahren und mit irgendwelchen Rap-Platten zurückgekommen. Dadurch, dass ich zweisprachig aufwuchs, sind mir englischsprachige Lieder sowieso ganz gut reingelaufen. Und dadurch, dass mein Vater Musiker war (der Bluesmusiker Moe Pelham Sr.; Anm. d. Verf.), war es bei uns zu Hause sowieso das normalste der Welt, irgendwelche Lieder zu spielen – ob eigene oder fremde. Und die ganzen Kiss-Platten, die ich feierte, hatte ich bereits memorisiert. Und so wenig ich wusste, was die Kids in Amerika auf der Straße von mir wollen, so nah war das bereits an dem, was ich ohnehin schon machte.
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Hast du den Jungs auf der Straße dann ein paar Kiss-Lyrics vor den Latz gedonnert?
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Nee. Als ich begriff, was die von mir wollten, waren die schon über alle Berge. (lacht)
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Trotzdem war dir das Auswendiglernen von Lyrics nicht neu.
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Genau. Aber nicht hausaufgabenmäßig, das ist einfach passiert. Und wie es dann so ist: Erst sagst du die Raps von irgendwelchen anderen Leuten auf. Dann setzt du an der Stelle, an dem der Rapper seinen Namen sagt, deinen eigenen ein. Und irgendwann klaust du hier zwei Zeilen, da zwei Zeilen, begreifst langsam, wie das mit den Reimen funktioniert, und hast mir nichts, dir nichts deinen ersten eigenen Rap geschrieben.
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Das ist bei dir jetzt über dreißig Jahre her.
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37 Jahre, um genau zu sein. Schlimm.
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Wenn du dir das bewusst machst, denkst du dann manchmal: Scheiße, bin ich alt?
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Ich empfinde eher eine Dankbarkeit dafür, wie sich mein Leben in diesen 37 Jahren entwickelt hat. Das hätte auch ganz anders ausgehen können.
- Ich habe keine Lust, meine knappe Zeit mit Scheiße zu verschwenden.Auf Twitter teilen
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Also verspürst du keine Wehmut darüber, dass die Hälfte deines Lebens mutmaßlich bereits hinter dir liegt?
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Nein, stattdessen geht damit eine ungemeine Ungeduld einher, im Sinne von: Bei aller Dankbarkeit über das bereits Erhaltene bin ich wild entschlossen, aus den letzten Jahren das Maximum herauszuholen. Ich habe keine Lust, meine knappe Zeit mit Scheiße zu verschwenden.
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Auf sämtlichen Ebenen?
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Absolut! Deswegen bleibt auch keine Zeit mehr dafür, sich zu genieren, selbst zu singen – was ich auf »Emuna« ja jetzt zum ersten Mal tue. Der Ansatz war nun eher: »Wenn du das fühlst, dann auf jetzt, Bruder!«
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Es gibt ja auch keinen Grund sich zu genieren: Ich war überrascht, wie gut du singen kannst.
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Ich habe ja mit Xavier Naidoo und Cassandra Steen gearbeitet, und dann weißt du auch: Die sind stimmlich auf einem ganz anderen Planeten als du selbst. Das hat mich in dem Gefühl bestärkt, das ich ohnehin schon hatte, nämlich dass das Singen für mich kein sicheres Terrain ist und lieber die Schnauze zu halten.
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Warum bist du für »Weiße Fahne« nun über deinen Schatten gesprungen?
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Ich habe genug Leute in meinem Telefonbuch, die das tausendmal krasser gesungen hätten, aber der Song ist so persönlich und so intim, dass das einfach nicht gegangen wäre.
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Im Song »Wunder« rappst du: »Ich hab keine Peilung, was die Kids grad fragen/Meinst du, die meinen, was ich meine, wenn die HipHop sagen?« Wie hat sich das, was HipHop für dich ist, was HipHop für dich bedeutet, im Laufe der Zeit verändert?
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Am Anfang war Rappen ja nur eine von vielen Betätigungen, denen ich mich als Kind hingegeben habe: Skateboard und BMX-Rad fahren, Fuß- und Basketball spielen, Scheiße labern – und dann eben auch noch rappen und ein bisschen DJing. Nach dem Motto: Ich kann alles! Aber einerseits stimmte das natürlich nicht, denn fürs BMX fahren hatte ich absolut kein Talent und hab da kein Land gesehen, andererseits haben die meisten Dinge schnell wieder ihre Faszination verloren. Rap hingegen ist immer geblieben. Da erfuhr ich auch eine gewisse Anerkennung und war dadurch motiviert, damit fortzufahren.
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Worum ging es dir anfangs beim Rappen?
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Nur darum, möglichst oft den eigenen Namen zu sagen. Den Leuten zu zeigen: »Mich gibt’s!« Das hat sich dann aber immer weiter vertieft und ich habe im Laufe der Jahre Zeit gehabt, mir Gedanken darüber zu machen, wer ich bin und warum ich so bin. Erst war das vor allem eine handwerkliche Ausarbeitung, dann wurde es immer persönlicher – aber die handwerkliche Vertiefung gab mir erst den Raum dafür.
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Worum geht es dir heute?
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Bei der Arbeit an »Geteiltes Leid 3« (2012) ist etwas passiert. Da hatte ich das Gefühl, einer gewissen Sprache und gewissen Reflexen entwachsen zu sein und stand ein bisschen vor der Wahl: Mime ich jetzt weiterhin künstlerisch den, der ich mal war, obwohl ich mich persönlich ganz woanders hin entwickelt habe? Oder gelingt es mir, meine Kunst meinem Leben anzupassen?
- Wenn ich in einem Lied etwas über mich sage, wirkt das ja zurück auf mein LebenAuf Twitter teilen
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Du hast dich für letzteres entschieden.
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Ja, aber das war ein Kampf. Doch dadurch, dass mir das gelang, ist die Musik mir auch nach 37 Jahren immer noch ein treuer Begleiter und Möglichkeit, mir über mich selbst Gedanken zu machen. Wobei man ja sagen muss: Das ist keine Einbahnstraße. Wenn ich in einem Lied etwas über mich sage, wirkt das ja zurück auf mein Leben. Word is bond.
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Wie meinst du das konkret?
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Wenn ich etwas auf eine bestimmte Weise herausgestellt habe, muss ich mich ja auch entsprechend verhalten. Der Dichter Erich Fried hat mal gesagt: »Worte schreiben, nach denen man nicht mehr weiter leben kann wie bisher.« Da passiert etwas. Und ich kann das nicht erklären. Möglicherweise ist das einer der Gründe, warum ich für die Musik nach wie vor eine solche Faszination empfinde. Das ist immer noch ein Mysterium. Magie. Ein Geschenk.
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Rap gilt gemeinhin als Musik der Jugend. Auch Kinder fangen häufig schon an, Rap zu hören. Was kann man Kindern durch Rap vermitteln?
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Alles – im Guten wie im Schlechten. Eine Essenz des Vortrags, den ich gerade hielt, muss doch sein, dass Rap ein Vehikel ist, das überall hinführen und alles tragen kann. Das liegt an demjenigen, der sich damit ausdrücken will; was der zu sagen hat. Da kann alles passieren.
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In der breiten Masse ist das Bild von Rap eher ein schlechtes: Drogen, Gewalt, Sexismus – was hältst du dagegen?
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Rap ist immer nur so gut wie der Rapper.
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Den Song »Backstein« adressierst du sehr deutlich an schlecht rappende Gangstarapper.
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Normalerweise sagt man ja: »Okay, du kannst schon rappen, bist aber kein echter Gangster.« Ich fand es einfach witzig, das umzudrehen.
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Wie ist generell deine Meinung zu jugendgefährdenden Inhalten im Rap?
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Ich komme beim Schreiben selbst manchmal an so einen Punkt, wo ich mir denke: »Okay, das war jetzt mal kurz ganz witzig, aber willst du das jetzt wirklich auf die Platte packen?« Ich fühle mich aber nicht wohl damit, das jetzt verallgemeinert zu formulieren. Warum sollte ich der Welt erklären, was im Rap stattfinden darf und was nicht? Wie komme ich dazu? Was nicht über den Umstand hinwegtäuschen soll, dass ich beim Hören solcher Inhalte oft genug denke: »So eine Rotze! Was sagt denn deine Mutter dazu?«
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Du meintest eben, dass du keine Lust mehr hast, Zeit zu verschwenden und es vieles gibt, was du noch machen willst. Was denn genau?
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Ich frage mich einfach immer: »Was ist der Scheiß, der dich dankbar sein lässt?« Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass ich irgendwann auf dem Totenbett liege und mir sage: »Mist, ich hätte so gerne noch mal mit einem Fremden im Internet über eine Sache gestritten, die mich nicht interessiert.« Das wird’s nicht sein.
- Ich wollte, dass meine Kunst dem folgt, der ich bin.Auf Twitter teilen
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Du hast mit deiner »Geteiltes Leid«-Trilogie sehr treffend in Worte gefasst, was sich stets als roter Faden durch deine Kunst gezogen hat: Leid künstlerisch für andere fühlbar zu machen. Ein Umstand, der meiner Meinung nach bei keinem Rapper in Deutschland so präsent ist wie bei dir – auch wenn du eben meintest, dass bei der Arbeit an »Geteiltes Leid 3« ein Umdenken bei dir stattgefunden hätte.
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Während ich mich damit auseinandersetzte, eine Platte zu machen, habe ich zwei, drei Jahre daran gekämpft, allein die Sprache, die ich mittlerweile sprach, in meine Lyrics zu bekommen. Wenn der richtige Beat läuft, kommt auch bei mir erstmal reflexartig: »Hurensohn, Hurensohn, Hurensohn« als hätte ich Tourette. (grinst) Aber ich wollte eben weder sprachlich noch inhaltlich in so einen Reflex verfallen und eine Rolle spielen, so nach dem Motto: »Warum machen wir das so?« – »Na, weil wir das immer so gemacht haben.« Ich wollte, dass meine Kunst dem folgt, der ich bin.
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Woher kommt dieses Leid, zu dem es dich – zumindest künstlerisch – hinzieht?
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Ich sehnte mich immer danach, Ernsthaftigkeit in meine Kunst zu bringen. Ich wollte keinen Pop oder Schlager, sondern einer gewissen Bluestradition folgen. Wie Hesse sagt: »Letzten Endes muss alle Kunst, namentlich die Dichtung, ihre Daseinsberechtigung daran erweisen, dass sie nicht nur Vergnügen macht, sondern auch direkt ins Leben wirkt.« Das spielte für mich eine große Rolle. Ich glaube aber, dass ich mich darin auf gewisse Weise verrannte.
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Inwiefern?
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Das ist eben keine Einbahnstraße, das geht hin und her. Ich kann mich an ein blödsinniges Zitat von mir von vor 15 Jahren erinnern, als ich mal sagte: »Wenn es mir schlecht geht, schreibe ich Texte, wenn es mir gut geht, gehe ich feiern.« Ich spezialisierte mich dadurch darauf, unangenehme Platten zu machen. Ernsthaftigkeit und Tiefe habe ich zwar in guter Absicht in meine Kunst integriert, verwehrte mir dadurch aber, über all die anderen Dinge zu schreiben, die mich beschäftigen – und die mich konstruktiv erbauen. Das sparte ich aus, um mich nur dem einen zu widmen, und das ist eine schwachsinnige Idee und Vergeudung von Zeit. Und: eine Verzerrung der Wahrheit. Ich bin davon überzeugt, dass diese Konzentration auf den Schrecken, ihn einzufangen und in Worte ketten zu wollen, unangenehme Rückkoppelungen auf mein Leben hatte.
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Ich verstehe, was du meinst. Aber man könnte auch andersherum argumentieren und anführen, dass man sich den Schrecken durch die künstlerische Auseinandersetzung von der Seele schreibt.
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Teilweise passiert das bestimmt auch. Doch durch diese Fokussierung darauf, dieses typische Frankfurter Ding, bekommt das noch mal eine ganz andere Gewalt. Heute bin ich der Meinung, dass das ein Fehler war – und deshalb mache ich das nicht mehr. Als Mensch sehne ich mich nach etwas anderem.
- Ich habe definitiv einen gewissen Hang zur Grübelei, zu Schwermut und Weltschmerz.Auf Twitter teilen
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Nimmst du dir Dinge generell mehr zu Herzen als andere?
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Auf jeden Fall! Wenn jemand zu mir in einem Nebensatz etwas sagt, denke ich manchmal noch drei Tage darüber nach, obwohl der andere das einfach nur so dahergebabbelt hat. Ich habe definitiv einen gewissen Hang zur Grübelei, zu Schwermut und Weltschmerz.
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Ist das über die Jahre denn weniger geworden?
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Nein, aber mein Umgang damit. Ich habe keine Lust mehr, meine Platte damit zu verschwenden, irgendwelche Leute zu beschimpfen. Stattdessen gucke ich lieber woanders hin, wo ich denke: Da ist’s doch schön.
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Wenn du dich in deiner Musik nun mit anderen Dingen beschäftigst, werden deine Songs dann mittlerweile auch von anderen Menschen gehört?
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Ein gewisser Rezipientenwechsel findet bestimmt statt. Ich konzentriere mich aber vor allem auf die Leute, die diese Reise mit mir und parallel zu mir machten; die auch heute noch sagen: »Geil, Moses, dass du immer noch das formulierst, was in meinem Leben passiert.« Menschen, die die letzten 25 Jahre mit mir verbrachten. Ich habe aber auch schon Leute sagen hören: »Der Moses war früher irgendwie geiler.«
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Bist du dann nicht der Typ, der das voll persönlich nimmt?
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Ja, absolut. Aber die Wahrheit ist natürlich: Diese Menschen haben mich nie gekannt. Das war alles ein großes Missverständnis, an dem ich sicherlich mitgewirkt habe, aber das hat sich ja jetzt aufgeklärt. Wenn ihr also dachtet, ich bin so ein Voll-Aso, dann: Nee.
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Entspricht der Künstler Moses Pelham heute mehr dem Privatmenschen Moses Pelham?
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Ja, würde ich sagen. Aber nicht, weil ich vor zwanzig Jahren gelogen hätte, sondern weil ich heute eine ganz andere Präzision habe in dem, was ich tue. Ich bringe mich als Mensch und Künstler heute mehr auf den Punkt. Handwerklich ist das heute planetenweit von meinen damaligen Fähigkeiten entfernt. Ich war noch nie ein Voll-Aso. Ein Halb-Aso vielleicht. (grinst)
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Früher warst du auf jeden Fall mehr »auf die Fresse«.
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Ja. Wenn mir etwas weh tat, formulierte ich es so, dass es den anderen auch weh tut. Das hielt ich damals für die richtige Lösung, und das tue ich heute nicht mehr. Das Rödelheim Hartreim Projekt hieß aber nicht umsonst Projekt. Der Ansatz war: Wir experimentieren jetzt mit einer Sprache, von der wir vor anderthalb Jahren noch sagten: »Es geht in ihr nicht, weil alles in ihr nach Faschingsmusik und Schlager klingt.« Damals war es eher so: »Okay, das reimt sich und bedeutet ungefähr das, was ich sagen will – weiter geht’s.« Damals war das alles recht grobschlächtig. Heute ist es viel elaborierter. Jeder Stich ist ganz anders überlegt, und auch mein Wortschatz hat sich in dreißig Jahren natürlich weiterentwickelt. Ist doch logisch. Hilft halt, wenn man mal ein Buch liest. (grinst)
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Würdest du sagen, dass du Unterhaltungsmusik machst?
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Ich verspüre eine Verachtung gegenüber dem Begriff Entertainment. Kann sein, dass man die Branche, in der ich mich bewege, Entertainmentbranche nennt, aber, ey: »Was Entertainment?! Das ist Blut, Mann!«