Denzel Curry Trayvon Martin, N.W.A. und South Florida
Vom Raider-Klan-Repräsentant avancierte Denzel Curry zu einem der interessantesten Hood-Reporter aus South Florida.
Eine Phrase bleibt nach dem Hören von Denzel Currys »Nostalgic 64«-Album unheimlich im Hinterkopf: »Life’s no game«. Obwohl der Albumtitel (sowie sein Künstlername) eine spielerische Note vermuten lässt: das Debütalbum des 19-jährigen Rappers ist – zum größten Teil – eine todernste Angelegenheit. Begonnen hat Curry als ein neuer, aufstrebender Raider-Klan-Repräsentant, mittlerweile hat er sich längst als eigenständiger Künstler und verdienter Storyteller mit einem Auge für Details emanzipiert.
Denzel Curry ist Absolvent der Miami Carol City High. Der gleichen Schule, die auch Trayvon Martin zwei Jahre lang besuchte, bevor er im Februar 2012 erschossen wurde. Die beiden kannten sich. Denzel Currys Musik verleiht der Frustration einer bestimmten Bevölkerungsschicht eine Stimme, einer Schicht, die schon lange unter Ungerechtigkeit und Gewalt leidet. Dabei fällt »Nostalgic 64« weder fatalistisch noch glorifizierend aus: Denzel Currys Schilderungen vom Leben in South Florida sind reflektierter als die der anderen.
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Hattest du eine Vision für »Nostalgic 64«? Wolltest du damit etwas Bestimmtes erreichen?
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Ich wollte etwas schaffen, woran man sich erinnert. Etwas, auf das man zurückblickt und sagt: »Das war groß.« Ich wollte etwas für meine Heimatstadt erschaffen und das repräsentieren, wo ich herkomme.
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Du wolltest Miami representen?
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Ich möchte die Möglichkeit wahrnehmen zu zeigen, was da unten abgeht. Ich möchte zeigen, wie es wirklich in Miami ist. Ich komme von dort. Es kommt natürlich immer darauf an, wo genau du wohnst: Es gibt die ganzen Haitianer im Norden Miamis in Little Haiti und dann gibt es Carol City, wo ich und meine Leute herkommen. Genau diese Ecke möchte ich representen und von der reichen Kultur erzählen. Die meisten Menschen glauben ja, dass es nur South Beach gibt. Das stimmt aber nicht. Da gibt es richtig miese Ecken. Das ist kein Spaß dort – davon sollte jeder erfahren.
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Das Album endet mit dem nachdenklich stimmenden Song »A Day In The Life Of Denzel Curry Part 2«. Basiert der auf einer wahren Geschichte?
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Ja, der ganze Scheiß ist wirklich passiert. Jedes Wort ist wahr.
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Der Song hat mich ein wenig an Outkast erinnert. Vielleicht hatte ich auch in Verbindung mit dem Cover »Aquemini« im Kopf.
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Yeah, Outkast spielt für mich eine sehr wichtige Rolle. Das ist ein Familiending. Meine Eltern lieben Outkast, genau wie mein Bruder. Das ist mir bewusst geworden und hat mich dazu inspiriert, das Cover-Artwork selbst zu gestalten. Ich finde das »Aquemini«-Cover nach wie vor genial. Zufälligerweise passt meine Musik auch ziemlich gut dazu.
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Gegen Ende des Albums wechselt bei Songs wie »Benz« und »Denny Cascade« etwas die Stimmung und damit der Sound. Die letzten Tracks fühlen sich im Vergleich zum Rest des Albums etwas lockerer an.
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Ja, stimmt. Es gibt eben nicht nur die dunkle Seite der Macht. Man wird auch sehr schnell in eine Schublade gesteckt. Du musst zeigen, dass du wandlungsfähig bist und verschiedene Styles beherrschst.
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Während der Album-Aufnahmen hast du dich vom Raider Klan getrennt. Wieso ist es dazu gekommen?
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Darüber kann … darüber möchte ich nicht so gerne sprechen. Da sind ein paar Sachen vorgefallen, einige Abmachungen wurden nicht eingehalten und deswegen habe ich mich dazu entschlossen, mich da rauszuziehen. Ich wollte nicht, dass Menschen, die mir nahestehen, zu Feinden werden.
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Hat es dir vielleicht auch geholfen, dich alleine zu etablieren und genau das zu machen, was du willst?
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Ja, schon. Aber versteh mich nicht falsch: Ich bin mit dem Klan immer noch cool. Simmie und ich sind wie Brüder. Ich hänge immer noch regelmäßig mit Simmie und Nell herum. Es gibt da kein Problem. Mit Purrp spreche ich zwar nicht mehr wirklich, aber man sieht sich hier und da und da ist alles cool. Wir grüßen uns nett und gehen dann wieder unsere eigenen Wege.
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Schön zu hören, dass es kein böses Blut gibt. Eine Sache würde ich gerne noch fragen: Purrp hat mal in einer kurzen Raider-Klan-Doku gesagt, dass sich Miami nicht groß vom Los Angeles der Neunzigerjahre unterscheidet.
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Stimmt, es gibt keine großen Unterschiede. In L.A. gab es Unruhen, hier gab es Unruhen. Die Leute haben sich gegenseitig mit ihren AKs erschossen und so ein Scheiß. Ich weiß noch genau, als ich mit zwölf oder 13 zum ersten Mal hörte, dass einer mit der AK gekillt wurde. Von so einer Scheiße hörte man ständig. Die Leute drehen durch und manchmal kommt dann eine Spezialeinheit. So war es auch früher. Als mein Vater jung war, gab es diese Unruhen genauso. Damals waren das die Liberty City Riots. Die waren richtig verrückt. Das war wie Krieg. Und daran hat sich nicht so viel geändert. Es ist ein wenig ruhiger geworden. Trotzdem knallen sich die Leute immer noch gegenseitig ab, weil sie in verschiedenen Teilen der Stadt wohnen. Das ist ein South-Florida -Ding.
- »Gleich bei mir um die Ecke hat man kürzlich einem Typen in den Kopf geschossen.«Auf Twitter teilen
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Davon erzählst du auch auf deinem Album – es ist voller harter und dunkler Geschichten über das Leben in South Florida. Siehst du dich dabei als kritischer Beobachter oder erzählst du einfach nur, was du siehst?
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Ich beobachte den Scheiß hier in Florida, weil sich die anderen einen Scheiß dafür interessieren. Gleich bei mir um die Ecke hat man kürzlich einem Typen in den Kopf geschossen. Er ist verreckt! Das passiert hier ständig. Leute werden erschossen, Leute wandern in den Knast. Eine enge Freundin von mir wurde kürzlich mit 17 Schüssen ermordet. Ich bin noch zwei Tage vor ihrem Tod mit ihr abgehangen. Ein anderer Kumpel hat 20 Schüsse abbekommen. Diese Kugeln, das ist das Schreckliche daran, waren für jemanden anderen bestimmt. Ich war dabei, als jemand in einem McDonalds angeschossen wurde und dabei starb. Diese Scheiße ist echt. Ich erzähle keinen Mist. Und diese Scheiße geht seit Jahren so und deswegen ist die Stadt genau so wie sie ist. Man nennt die Stadt Murder Gardens, weil die Kriminalitätsrate so hoch ist. Ich will damit nicht sagen, dass sich das nie ändern wird, aber die Stadt kocht. Wir müssen endlich lernen, uns an einen Tisch zu setzen und gemeinsam erkennen, dass wir als Minderheit ausgenutzt werden. Man verlangt von uns, dass wir es verkacken. Aber nicht mit mir! Ich lass mir von niemanden mein Leben nehmen.
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Du hast eine spezielle Beziehung zum Tod von Trayvon Martin. Du kanntest ihn. Ich hatte das Gefühl, dass die Tragödie – vielleicht zum ersten Mal seit vielen Jahren – dem Rest der Welt vor Augen geführt hat, welcher Scheiß in South Florida abgeht und wie das gesamte System es möglich macht, dass jemand einen unschuldigen Teenager töten kann, ohne dafür bestraft zu werden.
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Ja, es gibt Menschen, die mit so einer Scheiße durchkommen. South Florida ist richtig abgefuckt. Oft wird niemand für einen Mord zur Rechenschaft gezogen. Im Fall von Trayvon haben sie den Mörder gefunden. Nur haben sie ihn nicht bestraft, weil das Opfer ein sogenannter »Thug« war. »Thug« ist das neue Wort für »Nigger«. Man steckt uns in den Bau, aber wenn jemand ein Kind tötet, muss er nicht in den Knast. Das ist zum Kotzen! Das amerikanische Justizsystem ist für den Arsch.
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Zurzeit wird viel über Chicago gesprochen.
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Ja, in Chicago geht es gerade richtig krass ab.
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Es wird über die sogenannte Drill-Szene diskutiert, die sich um Chief Keef gebildet hat, und die die Situation dort durch ihre Musik repräsentiert.
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Jungs wie Chief Keef, Lil Herb und Lil Bibby sagen nichts als die Wahrheit. Sie wissen, wovon sie sprechen und zeigen, wie es wirklich ist. Man sieht den Jungs an, dass sie durch die Scheiße gegangen sind. Sie sind dabei keine schlechten Vorbilder, sie haben niemanden gezwungen, auf sie zu hören. Sie erzählen von ihrem Leben. Das mögen manchen Menschen ignorant finden, aber wenn man schaut, woher sie kommen … Die haben richtig viel Scheiße gesehen.
- »Die Menschen fürchten sich nach wie vor am meisten vor einer Revolution.«Auf Twitter teilen
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Da begeht die Öffentlichkeit eben einen entscheidenden Fehler, der so alt ist wie Gangsta-Rap selbst. Man hat bereits in den späten Achtzigern mit dem Finger auf N.W.A. gezeigt und sie zum Beelzebub gemacht. Dabei haben sie lediglich davon erzählt, was um sie herum passiert.
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N.W.A. haben damals genau die Sachen gesagt, die jeder sagen wollte, aber niemand sagen konnte. Es war radikal. Man hat ihnen das FBI auf den Hals gehetzt. N.W.A. waren radikal und die Menschen fürchten sich nach wie vor am meisten vor einer Revolution. Davor haben sie Schiss.
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Hattest du nach der Trayvon-Tragödie jemals das Gefühl, dass die Situation explodiert?
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Ach was, niemand wird irgendwas machen. Vielleicht wird man demonstrieren und auf das Unrecht aufmerksam machen. Aber sonst wird nichts passieren. Das Einzige, was hätte passieren können, wäre eine fatale Kettenreaktion. Wenn jemand Zimmermann ausgelöscht hätte, dann wäre Krieg ausgebrochen.
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Aber glaubst du nicht, dass die Proteste ein Schritt in die richtige Richtung waren? Dass dadurch zumindest auf das Unrecht in Florida aufmerksam gemacht wurde?
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Es war gut zu sehen, dass während Trayvons Tod alle an einem Strang gezogen haben. Ich glaube, dass uns niemand was kann, wenn wir zusammenhalten. Wenn wir uns um alles selbst kümmern, sind wir nicht auf ihr System angewiesen. Wir müssen das Übel an der Wurzel angreifen. Genug ist genug.