Nazar »Ob du fastest oder nicht, ist mir scheißegal.«

In Österreich ist Nazar eine gestandene Größe: Kinofilm, Amadeus-Award, nun sogar ein posthumes Feature mit dem Wiener Pop-Heiligen Falco – größer kann man als Rapper in der Alpenrepublik kaum werden. Fragt man jedoch deutsche Rap-Fans nach Nazar, wird man in der Regel keine besonders griffige Antwort erhalten. Für ihn gibt es offenbar keine passende Schublade.

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Die Erklärung dafür ist eigentlich ganz einfach: In seinen sieben Jahren Karriere hat es der Wiener mit iranischen Wurzeln konsequent vermieden, sich in die üblichen Klischeepfützen zu setzen. Weder hat er Promo-Beefs angezettelt, die ihm ewig nachhängen, noch hat er sich mit klickträchtigen Social-Media-Albernheiten aufgehalten oder sich sonstwie erinnerungswürdig zum Horst gemacht. Auch in seiner Kunst lässt sich der Rapper und Videoproduzent nicht auf das eine große Thema festnageln, sondern macht schlicht und ergreifend – die Floskel sei an dieser Stelle verziehen – sein eigenes Ding. Und das ist nun mal so vielseitig wie die Person Nazar selbst.

Dass er schwer greifbar, aber dennoch äußerst erfolgreich ist, mag den ein oder anderen verwundern, besteht die hiesige Rap-Landschaft doch zu einem großen Teil aus wandelnden Imagekampagnen – aber offenbar funktioniert es auch so: Die Vorbestellungen zu seinem neuen Album »Camouflage« trudeln in beeindruckender Zahl ein, seine Fanbase wächst nach wie vor kontinuierlich. Zeit, dem guten Nazar mal auf den Zahn zu fühlen – und ein paar äußerst deutliche Statements zum Status quo des Rapgames einzuholen.

  • Manche Leute sind der Meinung, dass Musik bzw. Tonträger mittlerweile nur noch ein Merchandise-Artikel seien – hauptsächlich verkauft man als Künstler heutzutage ein Image. Siehst du das auch so?

  • Ja, das sehe ich auch so. Ich merke das zum Beispiel an dieser Amazon-Box, die man mittlerweile ja schon machen muss: Zum letzten Album hatten wir eine Box mit einer Sonnenbrille und einem Bandana drin, weil ich keinen Bock mehr auf diese T-Shirt-Scheiße hatte. Dieses Jahr haben wir einen Turnbeutel, eine Flagge, einen Sticker und ein Poster in der Box. Ich habe darauf viel negative Resonanz bekommen und mich gefragt: Geht es wirklich so stark darum, was für ein Goodie du noch dazu bekommst? Und da ist mir aufgefallen, dass das wirklich so ist, wie du sagst. Auch wenn ich zu meinem Friseur gehe, dann ist das voll das Highlight für die Kanakenkinder dort – aber die wollen nur wissen, wie ich zu anderen Rappern stehe. Und wenn ich frage, was die Kids cool finden, dann kommen so Sachen wie Shindy, Kollegah, Farid und neuerdings auch wieder Bushido. Wenn ich aber frage, was ihr Lieblingssong von denen ist, dann können sie keinen einzigen Song, keine einzige Zeile nennen. Man merkt einfach, dass sie die Alben nur deswegen konsumiert haben, weil sie diese Gesamtpräsenz, diese lustigen Videoblogs, der Beef und alles außenrum so sehr entertaint. Das ist auch unterhaltsam, das gebe ich ja zu. Ich finde es nur schwierig, wenn dieses ganze Außenrum interessanter wird als die Musik.

  • »Wenn es so weitergeht, dann müssen manche Rapper irgendwann gar keine Musik mehr machen, sondern können einfach von YouTube-Geld und Merchandise leben.« Auf Twitter teilen
  • Ärgert dich das? Du steckst ja sehr viel Energie in die Kunst an sich, also in die Musik und deine Videos.

  • Ja, das ärgert mich. Aber es frustriert mich nicht. Ich bin kein Lappen, der rumheult, weil er ein missverstandener Künstler ist und alle anderen erfolgreicher sind. Ich ärgere mich aus folgendem Grund: Es geht immer noch um Musik, wir sind Musiker – und keine Comedians, die ihr Geld damit verdienen, witzig zu sein. Ich will jetzt keine Namen nennen, aber prinzipiell hat sich die Szene sehr stark in diese Richtung entwickelt. Wenn es so weitergeht, dann müssen manche Rapper irgendwann gar keine Musik mehr machen, sondern können einfach von YouTube-Geld und Merchandise leben – indem sie sich Entertainment für kleine Kinder überlegen, das daraus besteht, andere Rapper zu beleidigen oder einfach nur irgendwie witzig zu sein. Und das finde ich schade.

  • Wie sehr beschäftigst du dich mit so was? Schaust du dir auch hin und wieder mal so ein Toony-Video an?

  • Klar! Ich schau mir das natürlich auch selber gerne an. Es bleibt aber halt Gossip. Und wenn du von vielen Musikern keine gute Musik mehr bekommst, sie aber trotzdem gute Entertainer sind, dann verfolgst du eben das Entertainer-Ding. Man muss natürlich auch dazu sagen, dass ich ein gewisses Alter habe und abschätzen kann, was davon nur gespielt ist und wie ernst man so was überhaupt nehmen darf. Aber für die Jugend ist das gefährlich. Viele Kids nehmen das todernst, wie man an deren Kommentaren bei Facebook oder rapupdate sehen kann. Ich will jetzt auch nicht wie ein Pädagoge rüberkommen, aber ich bin sehr froh, dass ich mir in den letzten sieben Jahren eine Fanbase aufgebaut habe, der es wirklich um die Musik geht. Bei mir gibt es ja keinen Gossip.

  • Du hast offenbar auch kein großes Interesse daran, dieses Bedürfnis nach Beef, Gossip und YouTube-Entertainment zu bedienen.

  • Überhaupt nicht. Witzig zu sein, ist ja schön und gut. Aber ich habe große Angst davor, in die Situation zu kommen, wo ich einem Menschen schlimme Dinge sage, nur um Aufmerksamkeit zu bekommen und mich finanziell zu profilieren. Irgendwann stehe auch ich vor meinem Richter, vor dem wir alle eines Tages stehen werden. Vielleicht wird dieser Richter auch nur dein eigenes Spiegelbild, deine Mutter, deine Frau oder deine Kinder sein. Aber ich möchte nie im Leben gefragt werden: Nazar, was hast du dir dabei gedacht, als du das diesem Menschen angetan hast? Am allermeisten geht mir das bei diesen ganzen Alibi-Moslem-Rappern auf den Sack. Die lassen auf Facebook, Instagram und Twitter den Übermoslem raushängen und fordern die Leute zum Gebet auf. Die schieben solche Filme, weil sie wissen, dass das auch bei den Kanakenkindern gut zieht. Aber andererseits machen sie Songs, in denen sie die Mütter irgendwelcher Leute beleidigen, deren Familien bedrohen und sie psychisch komplett fertigmachen.

  • »Meiner Meinung nach sollte Religion eine Sache sein, die du nur für dich in deinem Herzen tust.« Auf Twitter teilen
  • Ich bin selbst überhaupt nicht religiös, aber ich bemerke, dass sich viele Rapper aus der Religion nur die Sachen rauspicken, die »cool« sind: zum Beispiel dieses Konzept von Ehre – man ist sehr schnell beleidigt, wenn es um den Islam geht. Andere Aspekte der Religion beachten sie hingegen überhaupt nicht. Warum ist das so?

  • Weil Kanaken schon immer so waren, was das betrifft. Ich bin selber ein Kanake, ich darf das sagen. Ich kenne doch meine Leute. Da ist verdammt viel Heuchelei dabei, wenn es darum geht, vor jemand anderem zu zeigen, dass man es selbst richtig macht – und du es eben nicht richtig machst. Was ja eigentlich komplett dem Prinzip der Religion widerspricht. Weißt du, wie oft du dir als Kanake die Frage anhören darfst, ob du fastest? Dann sagst du entweder ja oder nein. Und wenn du nein sagst, dann kommt: Warum? Dicker, ob du fastest oder nicht, ist mir scheißegal! Wenn du es tust, dann tust du es für dich. Auch dieses Islam-Ding, was wegen der Palästina-Krise gerade auf Facebook so krass abgeht, ist dermaßen heuchlerisch. Ich bin 30 Jahre alt, ich bin sehr politisch interessiert, ich bin ein Kriegsflüchtlingskind, mein Vater ist im Krieg gestorben. Ich glaube, ein bisschen Ahnung davon zu haben, was im Nahen Osten und in der Weltpolitik abgeht. Aber was die ganzen Rapper da gerade auf Facebook fabrizieren, diese Welle, die sie da losgetreten haben … Jeden Tag kam wieder einer dazu, weil er gesehen hat, dass ein anderer Rapper was gegen Israel gepostet hat – und dann muss er ganz schnell selbst etwas gegen Israel posten, sonst steht in seinen Kommentaren sofort was von »Du Heuchler, du Hund, أيها الأحمق, warum bist du nicht auch dafür?«. Dicker, was in diesem traurigen Palästina passiert, ist wie in einem Zeitraffer alle fünf Jahre das gleiche Thema. Wieso schiebt ihr plötzlich jetzt diese Filme? Das kann doch nicht mit einer ehrlichen Intention passieren, was diese Leute da machen.

  • Glaubst du, dass das nach demselben Muster der Profilierung abläuft wie Beef?

  • Hundertprozentig! Ich möchte jetzt keine Namen nennen, denn sonst wären diese Leute gefickt. Aber mich haben schon Rapper angerufen und mit mir über das Thema gesprochen, weil sie Probleme hatten, ihr Album zu vermarkten – eben weil sie in diesen Palästina-Sumpf auf Facebook reingezogen wurden und nun dieses Bild aufrecht erhalten müssen. Aber mir erzählen sie dann am Telefon solche Sachen: »Bruder, erst war WM, dann Splash!, jetzt ist Palästina-Konflikt – wann soll ich mein Album pushen?« Das ist die Wahrheit! Deswegen: Alles, was zu diesem Thema auf Facebook passiert, ist unfassbar scheinheilig.

  • »Auf Facebook Videos zu teilen, in denen irgendwelche israelischen Soldaten Unschuldige töten, wird niemandem etwas bringen.« Auf Twitter teilen
  • Was mir auch auffällt: In den seltensten Fällen werden da wirklich die Opfer in Gaza betrauert oder konstruktive Beiträge geschrieben, sondern vor allem simple Anti-Israel-Statements rausgehauen.

  • Und dann noch diese brutalen Videos, wo man den Background dazu meist überhaupt nicht kennt … Ich will jetzt aber nicht den Eindruck erwecken, dass ich es nicht gut fände, etwas gegen den Krieg zu unternehmen. Oder dass ich nicht der Ansicht wäre, dass die Palästinenser extrem unterdrückt werden. So meine ich das auf keinen Fall. Aber dass das so ist, das wissen wir. Und dass keiner von uns etwas daran ändern kann, das wissen wir auch. Auf Facebook Videos zu teilen, in denen irgendwelche israelischen Soldaten Unschuldige töten, wird niemandem etwas bringen. Das Einzige, was passiert, ist, dass man bei kleinen Kindern noch mehr Hass auf etwas schürt, wovon sie gar keine Ahnung haben. Die wissen doch gar nicht, worum es überhaupt geht. Das ist definitiv der falsche Ansatz. Und neben dem Palästina-Ding gibt es ja auch noch diese ISIS-Sache. Und ohne Scheiß, für mich ist das mindestens genauso schlimm. Ein Beispiel, wo ich wirklich einen Schock bekommen habe: Weil mein bester Freund Bosnier ist, hab ich bei der Weltmeisterschaft gepostet, dass ich heute Bosnien die Daumen drücke. Plötzlich waren da lauter Kommentare von kleinen bosnischen Rotzlöffeln, die Sachen geschrieben haben wie: »Du schiitischer Hundesohn!« Da kommen echt so kleine Kinder, die nicht mal wissen, was der Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten ist, und machen solche Ansagen. Die sind voll auf diesen ISIS-Trip eingestiegen! Seit meiner Jugend hat sich in Bezug auf dieses Thema wirklich sehr viel verändert. Damals bist du gefragt worden: »Woher kommst du?« Ich habe geantwortet: Ursprünglich aus dem Iran. Ein paar Jahre später, nach dem 11. September, war das so: »Woher kommst du?« Antwort: Iran. Dann wurde gefragt: »Was ist deine Religion?« Mittlerweile läuft das aber so: »Woher kommst du?« – Iran. »Was ist deine Religion?« – Moslem. »Was für ein Moslem?« Verstehst du? Das ist einfach eine sehr, sehr gefährliche Sache, die sich da entwickelt. Und diese ganze Facebook-Propaganda führt dazu, dass kleine, ungebildete Idioten permanent irgendwelche komischen Dinge sehen und sich ein falsches Bild davon machen. Und sie nehmen das Thema viel zu persönlich.

  • Ganz grundsätzlich gefragt: Wie wichtig sollte man Religion denn nehmen?

  • Ich bin da vermutlich der falsche Ansprechpartner und werde vielleicht auch irgendwann auf der Straße von Leuten erschossen, die das zu extrem wahrnehmen, was ich da sage. Aber: Meiner Meinung nach sollte Religion eine Sache sein, die du nur für dich in deinem Herzen tust. Denn nur dann kann sie auch wirklich ehrlich sein. Damals hab ich in einem Song mit Sido eine Zeile gerappt: »Kuck, mein rechter Arm ist schon fast zutätowiert. Was haram? Ich bin der Boss, ein Boss kann tun, was er will.« Was ich damit ansprechen wollte, ist Folgendes: Weißt du, wie oft ich mich von irgendwelchen Leuten fragen lassen muss, ob ich Moslem bin? Alhamdulillah, sag ich dann. »Aber wie kannst du Moslem sein, wenn du tätowiert bist?« Dieser Satz alleine! Ich hab schon mal jemanden kaputtgeschlagen deswegen, weil der voll besoffen war und mich wegen meiner Tattoos angegangen ist. Und das wollte ich mit dieser Zeile aussagen: Dass außer meiner Mutter und meinem Bruder kein Mensch aus Fleisch und Blut überhaupt das Recht hat, mit mir über so ein Thema zu reden. Jeder von uns wird irgendwann in seinem Leben an den Punkt kommen, wo er sich für alles, was er tut, rechtfertigen muss. Und diese Kinderfilme, die die ganzen Kanaken gerade schieben, auch dieser Pierre Vogel und seine ganze Partie – das ist überhaupt nicht mehr witzig, was da passiert. Die nutzen Facebook, die nutzen YouTube, die nutzen Kanäle, von denen sie wissen, dass sie damit auch Kinder erreichen. Ich hab Deso Dogg sehr, sehr gut gekannt. Ich hab damals auf »Kinder des Himmels« auch einen Song mit ihm gemacht. Das war ein unfassbar lieber, netter Typ, den ich wirklich von Herzen mochte. Als ich dann mitbekommen habe, was mit ihm passiert ist, konnte ich das einfach nicht glauben. Und sein Werdegang ist ein Zeichen dafür, dass das sehr gefährlich ist, was da passiert.

  • Manche dieser salafistischen Propagandavideos sehen ja auch aus wie »Halt die Fresse«-Videos.

  • Natürlich. Die haben ja auch eine Weile extra diese gelben HDF-Balken in ihre Videos gemacht. Und dann gab es ja auch noch diese Videos von irgendwelchen Typen, die gezielt Rapper angesprochen haben. »Massiv, mein Bruder, ich weiß, du bist auf dem falschen Weg. Aber alhamdulillah findest du zurück.«

  • Aber das ist dann so ein Roland mit blondem Bart.

  • Ja, genau! (lacht) Diese Konvertiten, die dann ins völlig Extreme abdriften, das sind eh die Allerkrassesten. Ich weiß, dass es gefährlich ist, worüber ich da rede und dass das auch scheiße für mich ausgehen kann. Aber ich finde es einfach wichtig, dass meine jungen Fans das hören. Ich bin ein Junge aus dem Iran, in Österreich aufgewachsen, ich habe meinen Glauben, bin dennoch von oben bis unten zutätowiert und offen für viele Dinge. Ich habe das Glück, dass meine Fans deswegen schon sehr offene Typen sein müssen. Ich hoffe, dass sie, indem sie sich solche Interviews durchlesen, auch mal intensiver nachdenken und sich ihr eigenes Bild machen.

  • Du bist ja in Österreich in einer besonderen Position: Für Medien und Politik bist du der für sie ansprechbare Moslem, der Rapper, der weiß, wie die Jugend tickt. Auf der anderen Seite bist du für viele Kids vermutlich schon viel zu vernünftig.

  • Auf jeden Fall. Aber Gott sei Dank ist das so. Ich hab eben keine »Ich fick deine Familie, du Hurensohn«-Kommentare auf Facebook – das passiert ganz, ganz selten. Und außerdem fühle ich mich auch auf meinen Konzerten krass wohl. Ich hab eben nicht diese Leute auf meinen Konzerten, die deine Mutter ficken wollen, wenn du kein Moslem bist. Ich kann damit schon ganz gut leben. (lacht) Auch wenn ich dadurch vielleicht zwei Millionen Klicks weniger auf YouTube hab, weil meine Fans lieber CDs kaufen, als YouTube-Videos zu konsumieren – aber ist doch alles gut so.

  • Als man in Deutschland zum ersten Mal von dir gehört hat, wurdest du als »der österreichische Bushido« verhandelt. Aber was Musik und Image anging, merkte man schnell, dass der Vergleich hinkt. Was glaubst du, was du für ein Bild in der Öffentlichkeit abgibst?

  • Das ist eine interessante Frage. Ich habe neulich mit jemandem gesprochen, und der meinte: »Nazar, weißt du, was dein Problem ist? Weißt du, warum du nicht schon längst viel größer geworden bist, obwohl du das Potenzial dafür hättest? Man kann dich überhaupt nicht definieren. Du hast ein Aussehen wie ein Prototyp-Kanake, machst jedoch Songs wie ein Casper, Sido oder Marteria, aber dann auch wieder einen Straßensong. Keiner weiß wirklich, wo er dich einordnen soll.« Ich hab mir das angehört und dachte mir: Ist der behindert? Aber wenn mich jetzt jemand nach etwas Prägnantem fragen würde, das für mich und meine Musik steht, dann könnte ich ihm wirklich nichts nennen. Wenn man Farid Bang nennt, dann weiß jeder sofort: Das ist der Typ, der alle disst. Sido: der Typ mit der Maske. Cro: der Pop-Rapper. Zu jedem gibt es ein Schlagwort, ein prägnantes Bild. Aber was kommt beim Stichwort Nazar? Der Typ, der sich in seinen Videos gern schminkt? (lacht) Der österreichische Bushido? Als ich mit dem Album angefangen habe, war ich von diesem Problem stark beeinflusst und habe krampfhaft versucht, etwas Griffiges zu finden. Aber das geht einfach nicht. Irgendwann hab ich mir eingestanden: Wenn das meine Karriere sein soll, dass ich eben nicht dieses griffige Image habe, dann soll es eben so sein. Ich weiß ja: Ich kann eines Tages in den Spiegel gucken, ich weiß, was ich geleistet und erreicht habe.

  • Du selbst bist mittlerweile 30 Jahre alt. Wie erwachsen kann Deutschrap deiner Meinung nach werden? Kann es hier auch irgendwann so einen Mittvierziger wie Jay Z geben, der gesellschaftlich anerkannt ist und dennoch bei den HipHop-Kids relevant ist?

  • Ist das nicht bei Savas schon so? Ich bin mir jedenfalls sehr sicher, dass das irgendwann so sein wird. Ich bin ja ein leidenschaftlicher Deutschrap-Hörer und ich könnte mir nie vorstellen, irgendwann aufzuhören, diese Musik zu hören. Und wir sind ja genau diese Generation, die heranwächst, so etwas zu werden. Das Einzige, was ich im deutschsprachigen Raum sehr traurig finde, ist, dass die Hörer den Künstlern kaum Vielseitigkeit zugestehen. In Frankreich macht ein Rim-K, der auch schon um die 40 ist, erst ein überkrasses Gangster-Video mit 50 Kanaken auf der Straße, danach aber einen Arabeske-Song mit Wüste und Kamel im Video – und die Leute akzeptieren das. Und ich befürchte, dass das hier nicht möglich wäre. Ein Beispiel: Max Herres letztes Album gefällt mir unfassbar gut, das höre ich privat sehr gerne. Ich glaube aber nicht, dass die Leute es akzeptieren würden, wenn Farid Bang in 20 Jahren so ein Album machen würde wie Max Herre. Schau, da musst du selber lachen. Aber warum? Das ist doch eigentlich schade. Ich hoffe jedenfalls, dass es irgendwann so weit kommt, dass Rapper einfach das machen können, was sie fühlen. Denn ich weiß, dass viele Rapper tief in ihrem Herzen gerne etwas ganz anderes machen würden, aber es nicht können, weil sie von der Musik leben und ihrem Image gerecht werden müssen. Die sitzen dann nach dem zehnten Album frustriert da und machen trotzdem noch mal so ein Album, weil etwas anderes nicht funktioniert.

  • »Ich habe auf meinen bisherigen Alben immer diese typische Liste abgehakt: Deeper Song, Hardcore-Song, Punchline-Song, Intro, Outro – alle meine Alben waren so!« Auf Twitter teilen
  • Was für einen Punkt markiert »Camouflage« in deiner Karriere?

  • Ich habe noch nie von einem meiner Alben gesagt, dass es mein bestes Album sei. Das kannst du ruhig überprüfen, ich hab das wirklich nie gesagt. Und ich hab es auch immer verabscheut, wenn Rapper so was gesagt haben. Aber »Camouflage« ist definitiv das beste Album, das ich je gemacht habe. Zum einen aus dem Grund, dass ich zum ersten Mal acht Monate Zeit hatte, mich nur um dieses Album zu kümmern. Vorher waren das immer nur drei, vier Wochen. Der zweite Punkt ist: Meine bisherigen Alben waren Momentalben, die man sich vielleicht ein Jahr anhören konnte. Da waren zwar auch ein paar langlebigere Songs drauf, aber bisher habe ich kein Album gemacht, das überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte, ein Klassiker zu werden.

  • Was macht denn einen Klassiker aus? Und warum glaubst du, dass »Camouflage« einer sein könnte?

  • Ein Klassiker ist für mich ein Album, das sehr facettenreich ist. Wo nicht nur ein Sound, eine Thematik, ein bestimmter Film dominiert, sondern wo du für jede Gefühlslage etwas Passendes findest – ob du nun gerade aggressiv oder traurig bist, ob du glücklich bist oder am Leben zweifelst. So waren auch die Alben, die mich selbst geprägt haben und die ich über Jahre immer wieder anhören konnte. Und so ein Album hatte ich einfach noch nicht. Ich habe auf meinen bisherigen Alben immer diese typische Liste abgehakt: Deeper Song, Hardcore-Song, Punchline-Song, Intro, Outro – alle meine Alben waren so! (lacht) Natürlich waren da wirklich gute Songs mit drauf, aber es war nie ein vollendetes Album. Ich bin ein schlimmer Perfektionist und war nie zufrieden mit meinen Alben, aber jetzt hab ich mit »Camouflage« zum ersten Mal seit sieben Jahren meine innere Ruhe gefunden.

  • Muss man 30 Jahre alt werden, um so was zu bewerkstelligen?

  • Das glaube ich nicht. Man darf einfach nicht so ein Vollidiot sein wie ich und sieben Alben in sieben Jahren machen – und dann noch alle in sehr kurzen Zeiträumen. Aber ich musste ja auch von irgendwas leben und obendrein doppelt so hart arbeiten, weil ich eben in Österreich lebe und auf diesem Markt auch bestehen musste. Jetzt will ich einfach nur, dass endlich der 22. August kommt und alle in das Album reinhören können. Ich will, dass die Leute meinem Album eine Chance geben. Und dann vielleicht auch verstehen, was für ein Mensch ich bin.