Koljah »NMZS hätte einer der ganz Großen werden können.«

Nachdem sich NMZS am 20. März 2013 tragischerweise das Leben nahm, kündigten die hinterbliebenen Antilopen an, das Gesamtwerk ihres Freundes neu herauszubringen. Nun liegt die Werkschau »Nichts als die Wahrheit« vor. Zeit für eine persönliche Erinnerung an NMZS und ein Interview mit Koljah von der Antilopen Gang.

Koljah & NMZS

Die Nachricht von NMZS’ Suizid erreichte mich im ICE und war ein Schock. Es war Freitagmittag, und ich war gerade in Berlin angekommen, wo ich mit einer ostwestfälischen Hip-Hop-Größe zu einem Interview für die Heimatzeitung verabredet war. Außerdem wollte ich am Nachmittag der Redaktion der »Juice«, für die ich ab und an schrieb, endlich mal einen Besuch abstatten. Darüber hinaus stand ein Wiedersehen mit Danger Dan auf dem Wochenend-Programm. Doch für den anstehenden Besuch bei Tante Juice war ich nun nicht mehr in Stimmung und das Treffen mit Danger Dan fand aus naheliegenden Gründen auch nicht mehr statt. Das Interview ging irgendwie über die Bühne, aber meine Gedanken kreisten um Jakob/NMZS und die hinterbliebenen Antilopen.

Dabei war ich Jakob nur einmal persönlich begegnet. Im Spätsommer 2008 in Aachen am Rande eines Interviews mit Danger Dan. Er, NMZS, Koljah und Panik Panzer waren damals noch nicht die Antilopen Gang, sondern die Anti-Alles-Aktion, zu der zu diesem Zeitpunkt auch noch Lea-Won und Tai Phun gehörten. Ich sah in ihnen nicht nur so was wie Brüder im Geiste, sondern auch hochtalentierte Rap-Musiker mit höchstspannenden Texten und einem gleichermaßen schrägen wie feinen Humor, die unbedingt ein größeres Publikum verdient hatten. Allerdings stand ich mit dieser Einschätzung seinerzeit weitestgehend alleine da. Erst wurden meine Artikelangebote von der Journaille durchweg abgelehnt, dann war ich lange der einzige Schreiberling, der über die Anti-Alles-Aktion (AAA) beziehungsweise die Antilopen Gang berichtete. In der Konsequenz fungierte ich für sie irgendwann auch als eine Art »Pressesprecher«, als welcher ich dann auch mehr mit Jakob zu tun hatte.

Bei der Begegnung in Aachen hatte ich mit ihm nur wenige Worte gewechselt. Dabei war er mir durchaus sympathisch, obwohl oder gerade, weil er sehr zurückhaltend zu sein schien. Außerdem fiel mir sein etwas unbeholfen wirkender Gang auf, was ihn nicht weniger sympathisch machte. Umso mehr geradeheraus erlebte ich ihn dann später im internen Internetforum der Antilopen. Aber auch zu dem Rapper NMZS fand ich nicht auf Anhieb Zugang. Seinen Stil empfand ich zunächst als eher anstrengend, seinen Flow als etwas hektisch. Eher holte er mich mit seiner anschaulichen, teilweise an Comics erinnernden Sprache sowie mit seinen pointierten Texten ab, erst später auch mit seiner Musik in Gänze und einer vermeintlich neuen Gelassenheit, die ich im Laufe der Zeit aus seinen Tracks herauszuhören glaubte. Aber rückblickend mag das auch alles einfach eine Frage der jeweiligen Beats gewesen sein.

Am besten hat mich NMZS mit seinen ernsteren, um nicht zu sagen deepen Tracks erreicht. Songs wie »Lange Straße«, »Das ist meins«, »So ungefähr« (das »Aschenbecher«-Album mit Danger Dan überhaupt), »Siegen«, »Zimmer aus Papier« oder nun »Und jetzt sitz ich hier« gehen nicht nur unverhältnismäßig unter die Haut, sondern zählen auch zum besten Songwriting, das deutscher Rap zu bieten hat. Auch nicht zu vergessen ist das sträflich unbeachtete »Gute Sprüche 05-07«-Album mit Koljah & Tai Phun als L’avantgarde. Dass Jakob Wich alias NMZS, dieser einerseits unbarmherzige Battle-Rapper und andererseits barmherzige Samariter, sich plötzlich das Leben nahm, lässt einen ratlos zurück.

Seine von Roe Beardie neu gemischte, von Zino Mikorey gemasterte und von den verbliebenen Antilopen veröffentlichte Werkschau »Nichts als die Wahrheit« mit größtenteils bislang unreleastem Material lädt zehn Jahre nach seinem Tod nun dazu ein, NMZS wieder und neu zu entdecken. Leider kann er sich dazu nicht mehr äußern. Dafür stand Koljah, der die Liner Notes zu »Nichts als die Wahrheit« geschrieben hat, ALL GOOD Rede und Antwort.

  • Am 20. März hat sich Jakobs Tod zum zehnten Mal gejährt. Aus diesem Anlass habt Ihr an diesem Tag nach 2013 ein weiteres Tribut-Konzert für NMZS veranstaltet. Wie war es?

  • Das war ein sehr schöner, natürlich manchmal auch trauriger Abend. Es klingt wie ein Klischee, aber tatsächlich wurde gelacht und geweint. Wobei das Lachen überwog. Ganz viele Freunde und Familie von Jakob waren da. Seine Eltern waren da. Viele Leute auch, die ich seit zehn Jahren nicht gesehen hatte, irgendwie also auch eine Zeitreise. Das Line-up bestand aus denselben Leuten, die schon 2013 aufgetreten waren. Jakobs alte Crew WDR hatte eine kleine Reunion, ich habe mal wieder einen Song mit Lea-Won auf einer Bühne gerappt, und vor allem haben wir mit den Antilopen 15 Jahre alte Songs performt. Ich hatte extra diverse Strophen von Jakob gelernt. DJ Tai Phun hat für uns aufgelegt, so wie früher. Von Anfang an lag im Düsseldorfer »Zakk«, wo das Konzert stattfand, eine ganz besondere Stimmung in der Luft, das Publikum war so laut, wie ich es selten erlebt habe. Insgesamt ein intensives Erlebnis und bestimmt eins der krassesten und emotionalsten Konzerte, die wir je spielten. Auch nach zehn Jahren ist die Trauer nicht einfach weg, es war gut, noch mal ein Ventil dafür aufzumachen.

  • Die NMZS-Werkschau hätte ursprünglich ja schon viel früher erscheinen sollen. War der Abstand zu Jakobs Tod vielleicht auch hilfreich bei der Sichtung all des Materials?

  • Kann schon sein. Weniger für die Track-Auswahl, die wäre vor zehn Jahren ähnlich gewesen. Aber um die einzelnen Songs so einzuordnen, wie ich es in den Liner Notes getan habe, war die zeitliche Distanz hilfreich. Unmittelbar nach Jakobs Tod war meine Sicht teilweise weniger klar. Auch haben wir heute die Möglichkeit, das Album als schön ausgestattete Doppel-LP auf unserem eigenen Label zu veröffentlichen. Und wir konnten alles von Roe Beardie mischen lassen, den kannten wir zu Jakobs Lebzeiten noch gar nicht.

  • Seine Präsenz als Rapper war sehr einnehmend und mitreißend.Auf Twitter teilen
  • In den Liner Notes schreibst du über den Track »Durschdreha«, dass du Jakob erst in Aktion erleben musstest, um zu erkennen, was für ein Genie er war. Wie war Jakob oder NMZS in Aktion?

  • Da ging es nicht konkret um den Song »Durschdreha«, sondern generell um die ersten Aufnahmen von Jakob, wovon »Durschdreha« eine ist. Die Sachen haben mich beim ersten Hören nicht so umgehauen. Als Rapper, insbesondere als Freestyler war Jakob aber eine ziemlich besondere Erscheinung. Ich habe davor und danach nie einen besseren Freestyler persönlich gekannt. In seinen besten Momenten hat er quasi ganze Songs gefreestylt, die klangen, als seien sie geschrieben. Er konnte sich da richtig reinsteigern. Seine Präsenz als Rapper war sehr einnehmend und mitreißend. Typisch für ihn war, dass er als eher unscheinbarer Typ, der auch nicht wie ein Rapper aussah, in irgendwelchen Cyphers rumhing, fast ein bisschen schüchtern. Aber wenn er dann das Mic in die Hand bekam, hat er alles zerstört. Hat alles um sich rum vergessen. Ich hab’ oft erlebt, wie andere Rapper ziemlich beeindruckt davon waren, und ich war dann stolz, mit Jakob in einer Crew zu sein. In Düsseldorf eilte ihm irgendwann sein Ruf voraus, würde ich sagen.

  • Ich bin Jakob nur einmal persönlich begegnet, 2008 am Rande eines Interviews mit Danger Dan für die Jüdische Allgemeine. Da habe ich ihn als sehr zurückhaltend erlebt. Ganz anders als in Rap-Battles, die ich viel später auf YouTube zu sehen bekam. Wie passte Jakobs vermeintliche Schüchternheit mit der Rampensau zusammen, die er als Rapper war?

  • Ich glaube, als du ihn trafst, war er aber auch einfach verkatert und müde. Und natürlich bekifft. Ich erinnere mich noch an den Nachmittag. Wir waren am Vorabend bei einem Taktlo$$-Konzert gewesen, eigentlich waren wir aber gerade dabei, das »Spastik Desaster«-Album aufzunehmen und zu schreiben. Jakob konnte schon zurückhaltend sein, aber eigentlich war es eher sein Wesenszug, dass er mit jedem schnell ins Gespräch kam und alle ihn sympathisch fanden. Der hat gerne geredet und viel gelacht. Eine depressive Kehrseite gab es natürlich auch, aber die hat er eher mit sich alleine ausgemacht. Generell kann man, glaube ich, sagen, dass Jakob, der der freundlichste Mensch der Welt war und keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, in der Figur NMZS manchmal eine gewisse Aggressivität und Angriffslustigkeit ausgelebt hat. Comicartige Gewaltfantasien spielten da ja auch eine Rolle. Und in Battles mussten ihn die Hosts manchmal zurückhalten, damit er seinem Gegner nicht zu nahekommt. Da hat sich ein Schalter umgelegt.

  • Über das Lied »Nichts als die Wahrheit« schreibst du, dass das »Jakobs erster Song als AAA-Soldier« gewesen sei und »rückblickend sowas wie der endgültige Startschuss für die Figur NMZS«. Wer war Jakob als Rapper vor der Figur NMZS?

  • Jakob war vorher in der WDR Crew, das war so eine typische Deutschrap-Jugendzentrums-Crew, wie es sie Anfang der 2000er in jeder größeren Stadt dutzendweise gab. Die haben zusammen gefreestylet, haben Wert auf Doppelreime gelegt, das war sympathisch, aber nicht allzu originell. Jakob war in einer Findungsphase, hat auch schon Storytelling probiert, aber hatte seine Stimme noch nicht richtig im Griff. Ich weiß gar nicht, ob er großartige Ambitionen hatte. Eigentlich hat er sich erst bei L’avantgarde langsam gefunden, also der Crew, die Tai Phun und ich mit ihm 2005 gründeten. Da merkte man dann auch, wie er sich mit jedem neuen Track drastisch verbesserte.

  • Aber nannte er sich vor der Anti-Alles-Aktion auch schon NMZS?

  • Bei WDR hieß Jakob auch schon NMZS. Die Schreibweise dürfte er gewählt haben, weil »Nemesis« ungooglebar gewesen wäre und er dann doch ein bisschen Originalität wollte. Aber warum generell dieser Name: Keine Ahnung. Er hatte, glaube ich, irgend so ein Ding mit griechischer Mythologie am Laufen. Jakob haben solche Sachen ja interessiert. Vielleicht hatte es auch mit einem Comic zu tun.

  • Von welchen Rappern hat Jakob sich beeinflussen lassen?

  • Am Wichtigsten war definitiv Eminem. Eindeutig Jakobs Haupteinfluss, und das hört man auch deutlich. Prinzipiell hat Jakob aber sämtliche Sparten an Rap-Musik gehört, sowohl aus den USA als auch Deutschland. Er konnte eigentlich allem etwas abgewinnen, egal, ob Gangsta-Rap oder Conscious-Rap. Er kannte sich sehr gut aus. Ich glaube, er mochte R.A. the Rugged Man. Was deutsche Sachen angeht, war er großer Fan von SDiddy. Ich erinnere mich, dass ihm das »Hahnenkampf«-Album von K.I.Z. gefiel. Auch Leute wie Hiob oder Retrogott. Eine Zeitlang haben auch Juelz Santana und Snaga & Pillath eine große Rolle gespielt. Abgesehen von Eminem ist es aber gar nicht so einfach, seine Lieblingsrapper zu benennen, weil er echt alles Mögliche gefeiert hat. Auch sehr viele Sachen aus dem untersten Untergrund, zum Beispiel die Rapperin Agent Olivia Orange, die er auch irgendwie persönlich kannte und die richtig krass war.

  • Bei NMZS hatte Rappen immer diese Leichtigkeit. Und es war lustig, ohne albern zu sein.Auf Twitter teilen
  • Was macht »Alle meine Fans« zu einem der, wie du in den Liner Notes schreibst, wichtigsten NMZS-Tracks?

  • Zumindest in der Zeit um 2006/2007 rum war das einer seiner wichtigsten Tracks. Weil sein Humor und seine Lässigkeit da sehr gut zur Geltung kamen. Ich weiß nicht, ob man das heute noch nachvollziehen kann. Man muss sich mal anhören, wie Deutschrap sonst zu der Zeit klang, das war oft eher lächerlich und alle nahmen sich sehr ernst. Jakob stach heraus und war dabei total unangestrengt. Bei ihm hatte Rappen immer diese Leichtigkeit. Und es war lustig, ohne albern zu sein. Zumindest meistens.

  • Jahre vor dem kommerziellen Durchbruch der Antilopen Gang schriebst du mir mal, dass du Rap-Star werden möchtest. Hat ja geklappt. Wollte Jakob ebenfalls Rap-Star werden?

  • Ich vermute, meine Aussage war sarkastisch gemeint. Es ging nicht darum, ein Star zu sein, ich komme mir auch nicht vor wie einer. Was aber definitiv ein Traum war, von Jakob und mir gleichermaßen, das war, von der Musik leben zu können. Das hat sich Jakob definitiv gewünscht. Allerdings hat keiner von uns mehr Anfang der Zehnerjahre ernsthaft geglaubt, dass das noch klappt, außer Daniel vielleicht, der mit Pop-Rock-Musik berühmt werden wollte. Ich weiß noch, dass ich Anfang 2013, wenige Wochen vor seinem Tod, bei Jakob zuhause saß. Wir schauten uns diese Beginner-DVD »Die derbste Band der Welt« an, sahen diese alten Aufnahmen aus dem Eimsbush Basement und waren uns einig, dass das genau das war, was wir machen wollten: Einfach nur den ganzen Tag abhängen und rappen. Wir waren aber schon eher Ende als Mitte 20 und glaubten nicht, dass das noch mal passieren würde. Eher stand ein dröger Berufsalltag vor der Tür. Eineinhalb Jahre später war Jakob tot und wir anderen Antilopen unterschrieben unseren ersten Plattenvertrag und leben seitdem tatsächlich von der Musik. Dass einer fehlt, macht diese Erfüllung unseres Traums bis heute zu einer ambivalenten, mitunter schmerzhaften Sache.

  • Welcher »dröge Berufsalltag« stand Jakob bevor?

  • Er hatte sein Sozialarbeitsstudium fertig. Er saß sogar ein paar Wochen in einem Büro beim Jugendamt rum, fühlte sich damit aber gar nicht wohl und hat den Job geschmissen.

  • Über den Track »Abwege«, in dem NMZS einen Suizid imaginiert, schreibst du in den Liner Notes, dass sei aus heutiger Sicht zwar ein harter Brocken, aber auch nicht überzubewerten. Den zwei Jahre später entstandenen, ungleich ernsthafter wirkenden und furchtbar-schön traurigen Track »Und jetzt sitz ich hier« hast du lediglich mit einem NMZS-Zitat kommentiert. Wieso?

  • Ich hätte nicht gewusst, was ich sonst dazu sagen sollte. Dadurch, dass die Antilopen Gang immer in verschiedenen Städten lebte, lief unsere Kommunikation hauptsächlich im Internet ab. Wir hatten ein eigenes internes Forum. Dort konnte ich bei vielen Songs, die wir auf die Werkschau »Nichts als die Wahrheit« gepackt haben, nachlesen, was Jakob selbst zu den Liedern geschrieben hat. Das habe ich teilweise in den Liner Notes zitiert. Ich weiß noch, wie Jakob mir den Song mal vorgespielt hat. Später hat er es nicht weiterverfolgt, und deshalb gab es nie eine richtige Aufnahme. Ich hab’ auch ein bisschen hin und her überlegt, ob das Lied mit auf die Werkschau soll. Letztlich haben wir es drauf gepackt. Kein Plan, wie Jakob das gefunden hätte. Er hätte sich nicht umbringen sollen, ich konnte ihn leider nicht fragen. Schlimmstenfalls war das also eine Art Max-Brod-Move von uns, aber damit käme ich zurecht.

  • Reiht sich »Angst« ebenfalls in diese Tracks ein, in denen Jakob Einblicke in sein Seelenleben zu geben scheint?

  • Nee, das war einfach Quatsch. Viele sind geneigt, irgendwelche psychischen Abgründe in NMZS-Songs zu suchen, wo keine sind. Ich glaube, »Angst« wäre ein gutes Beispiel dafür. Es gab vorher eine andere Version des Songs, wo Jakob sich über Verschwörungstheorien lustig machte. Erstaunlicherweise fanden wir anderen Antilopen das Thema schon 2011 so ausgelutscht, dass wir Jakob nahelegten, was anderes zu machen. Dahinter sind wir dann später selbst zurückgefallen, als wir eine Mainstream-Band wurden. Jedenfalls gab es auch eine Version von »Angst« mit der identischen Hook, aber mit anderen Strophen. Jakob fand das Lied lustig und wollte es nicht aufgeben. Meiner Meinung nach der klare Beweis dafür, dass er nicht unfehlbar war, denn ich habe schon lustigeres gehört. Man kann nur hoffen, dass kein NMZS-Fan auf die Idee kommt, sich den Text irgendwo hin zu tätowieren!

  • Generell habe ich an Jakob sehr geschätzt, dass er ein ziemlich kluger Typ war – ganz ohne diese anstrengende Antifa-Sozialisation, wie wir anderen Antilopen sie hatten. Auf Twitter teilen
  • Bei dem Song »Kampf der Kulturen« musste ich an einen Eintrag von »Dem NMZS sein Blog« denken, in dem er sich einmal gleichermaßen offen wie unvoreingenommen Gedanken über den Nahostkonflikt machte. Ich hielt das damals für eine sehr sympathische Herangehensweise. Täusche ich mich oder war Jakob ein Mensch, der den Mut hatte, den Mund zu halten, wenn er keine Meinung zu einem Thema hatte, beziehungsweise offen zu sagen, wenn er von etwas keine Ahnung hatte?

  • Da ist was dran. Er ist auch ergebnisoffen an die Sachen rangegangen und bildete sich sein eigenes Urteil, ohne Rücksicht auf irgendwelche innerlinken Konflikte, so was fand er eher albern. Das war nicht seine Welt. Jakob tendierte allerdings dazu, immer alle Seiten verstehen zu wollen und nicht eindeutig Position zu beziehen. Nicht nur bei politischen Themen. Das hat mich manchmal ziemlich genervt, denn ich neige bis heute zu einer gewissen Striktheit. Von wegen Nahostkonflikt. Wobei ich mich an diesen Blog-Eintrag gerade gar nicht erinnere. Den Song »Kampf der Kulturen« fand ich jedenfalls nie gut, nur heute kann ich da drüberstehen. Früher war ich dogmatischer als heute, aber Jakob war undogmatisch, was mir oft zu Wischiwaschi vorkam. Teilweise finde ich das immer noch, aber generell habe ich an Jakob sehr geschätzt, dass er ein ziemlich kluger Typ war – ganz ohne diese anstrengende Antifa-Sozialisation, wie wir anderen Antilopen sie hatten. Im Großen und Ganzen kamen wir alle auf ähnliche Einschätzungen, sonst hätten wir uns nicht so gut verstanden.

  • Der letzte Track auf »Nichts als die Wahrheit« heißt »Rischgahuän«. Ist das eigentlich Düsseldorfer Platt oder so was?

  • (lacht) Nee, das ist dieser lächerliche, irgendwie hanseatisch anmutende Slang, den wir Antilopen-intern Anfang der Zehnerjahre gesprochen haben. Wir nannten es die »Öllä-Sprache«, weil wir uns untereinander »Ölla« nannten. Das hieß »Alter«, irgendwann wurde »Allai« daraus und das wurde zu »Aleisius Meisius«. Ich weiß nicht, woher das kam. Wir haben auch immer sehr laut geschrien, mit sehr hohen Stimmen. »Aischmein« hieß »Weißt du, was ich meine«, »Sgehtunnä« hieß »Das geht unter die Haut«. Das waren so Slogans von uns. »Rischgahuän« eben auch. Wenn wir uns an Wochenenden zu Auftritten trafen, haben wir die ganze Zeit so geredet beziehungsweise gebrüllt. In Kombination mit Alkohol wurde es immer schlimmer. Davon hat man doppelt Kopfschmerzen gekriegt. Einmal ging Panik Panzer nachts durch irgendeinen Park und hat mit Jakob schreiend telefoniert, natürlich in der Öllä-Sprache, und dann kam die Polizei, die angerufen worden war, weil in diesem Park eine Frau um Hilfe schreien würde.

  • Ist die Ölla-Sprache Ausdruck einer Faszination oder einer Verarschung eines bestimmten Menschenschlags – oder beides?

  • Ich hätte da jetzt niemanden Bestimmtes vor Augen. Generell haben wir uns aber ständig über alles und jeden lustig gemacht, auch über uns selbst.

  • Seid Ihr im Zuge der Sichtung von NMZS’ Musik auf weiteres unveröffentlichtes Material gestoßen, das es nicht in die Werkschau geschafft hat, aber vielleicht in einem anderen Rahmen noch veröffentlicht wird?

  • Ja, ein paar wenige Sachen könnte es noch geben. Ich habe sogar vor wenigen Tagen auf einer gebrannten CD aus Jakobs Nachlass einen Song entdeckt, den ich noch nie gehört hatte. Da war die Platte schon gepresst. Allerdings hätte der Song es wahrscheinlich eh nicht draufgeschafft. Wir haben schon auch auf Qualität geachtet, und von den paar Sachen, die jetzt noch übrig sind, waren manche auch einfach nicht so geil. Andere waren eher interne Quatschsongs, die nichts für die Öffentlichkeit sind. Alles Wichtige an seinem Solomaterial ist jetzt veröffentlicht, was ich sehr schön finde. Mir fallen nur zwei bis drei Sachen ein, die man vielleicht irgendwann noch raushauen könnte. Wichtiger wären aber eigentlich die bekannten Dinger, die er auf US-Beats gemacht hat, zum Beispiel »Der Promomove«, »Freaks n Geeks« oder »Go Homo«. Die können wir aus rechtlichen Gründen nicht offiziell veröffentlichen. Vielleicht machen wir ja irgendwann mal ein Remix-Projekt oder so. Davon abgesehen gibt es generell noch relativ viele unveröffentlichte Antilopen-Songs, darunter auch etliche mit Strophen von Jakob. Das ist jetzt auch nicht alles geil, aber vielleicht kommt da ja mal was. Wir hatten allerdings nie ein Interesse daran, das auf Teufel komm raus auszuschlachten.

  • Welcher ist dein Lieblings-Track von Jakob?

  • Mein persönlicher Lieblingstrack ist vermutlich »Rap is so leicht« von L’avantgarde, weil ich damit viele Erinnerungen verbinde, die zu den schönsten meines Lebens gehören. Fast genau so gerne mag ich »Nie mehr zurück« vom »Aschenbecher«-Album. Der Song hat nach Jakobs Tod noch mal eine zusätzliche Bedeutungsdimension bekommen. Der beste NMZS-Solotrack könnte »Siegen« sein, den finde ich wahnsinnig gut geschrieben. »Jetzt ist es vorbei« ist auch ganz toll, aber den kann ich nur schwer hören, weil er mich sehr traurig macht. »Das ist meins« ist so etwas wie Jakobs Manifest, den muss ich auch nennen.

  • Was hat NMZS für dich zu einem der, wie du schreibst, hierzulande besten Rapper gemacht?

  • Seine Freestyle-Künste habe ich ja schon beschrieben. Hinzu kam seine bildhafte, comicartige Sprache, generell sein Umgang mit Sprache. Sein Gespür für Hooks war unglaublich. Jakob war eine Hook-Maschine. Ihm flog das alles irgendwie so zu, er musste sich nie verkrampfen und fand ständig die absurdesten Sprüche und Punchlines. Er hat immer abgeliefert. Er war sehr vielseitig interessiert, seine Texte waren voller verschiedenster Referenzen. Ich frage mich, was noch alles möglich gewesen wäre. Wenn er wie wir anderen Antilopen die Möglichkeit gehabt hätte, richtig viel Zeit in ein professionelles Album zu investieren. Ich glaube wirklich, dass er einer der ganz Großen hätte werden können.

    Wenn du Suizidgedanken hast, sprich‘ mit Freunden oder Angehörigen. Hilfe, anonym und kostenlos, bietet auch die Telefonseelsorge unter 0800-111 0 111 sowie 0800-111 0 222.