Enoq »Meine Musik muss niemandem gefallen.«

Das neue Album von Enoq liegt schwer im Magen. Der Rapper aus Berlin rappt explizit über Drogenkonsum und Kopfficks, seine Außenseiterposition und lässt sich hin und wieder zu Zeilen hinreißen, die einem kalte Schauer über den Rücken jagen.

Enoq

Enoq ist ein Underground-Phänomen. 2016 veröffentlichte er seine erste EP, »Wie ich do«, es folgte ein Album und Features mit Audio88 & Yassin, Döll und Mädness. Klein bleibt auch der Kreis bei den Produzenten. An seinem neuen Album »Ghettopop«, dem ersten Release seit vier Jahren, arbeiteten ausschließlich Torky Tork und Swoosh Hood mit. Es ist ein düsteres Werk, voller Rausch und Triebe, aber auch mit einigen Lichtblicken, wenn er über seine große Liebe und das gemeinsame Kind spricht. Enoq positioniert sich auf »Ghettopop« als Außenseiter, teilweise sogar fast als Unsympath. Und gleichzeitig als feinfühliger Typ – zumindest in den Bereichen, die ihm wichtig sind. Das ist die Vollzeitbeschäftigung, die Familie und eben auch die Musik. Im Gespräch mit ALL GOOD-Autor Till Wilhelm sinniert er über Konsum und Zwang, über sexistische Zeilen und die Kunst des Erwachsenwerdens.

  • Du arbeitest Vollzeit, richtig?

  • Ich bin zum Glück einer der wenigen, die systemrelevant sind. Ich habe in meinem Leben schon alle möglichen Jobs gemacht, mittlerweile arbeite ich als Schulhelfer an einer Grundschule. Ich betreue beeinträchtigte Kinder.

  • Mit Vollbeschäftigung und Familie, welche Rolle nimmt da noch Musik in deinem Leben ein?

  • Die Musik wird immer großen Platz in meinem Alltag einnehmen. Die Prioritäten haben sich natürlich geändert, aber Mucke wird immer da sein. Man muss einen Ausgleich finden. Ich gehe jetzt nicht mehr fünfmal pro Woche ins Studio, eher ein- oder zweimal. Meine Familie hat es in letzter Zeit aber sicher nicht einfach gehabt. Da ist die Zündschnur gleich ein bisschen kürzer. Man ist schneller genervt, aber so ist es meistens, wenn die Albumveröffentlichung näher kommt.

  • »Das Gute ist, dass ich von der Musik nicht leben muss.« Auf Twitter teilen
  • »Ghettopop« ist dein erstes Album seit vier Jahren. Hattest du in der Zwischenzeit Zweifel, ob du überhaupt noch Musik veröffentlichen wirst?

  • Natürlich gibt es kreative Pausen, aber ich hatte keine Zweifel. Das Gute ist, dass ich von der Musik nicht leben muss. Ich brauche die Musik zum Leben, das ist schon immer ein guter Ausgleich für mich. Von der Fanbase und dem kommerziellen Erfolg bin ich nicht abhängig. Meine Musik muss niemandem gefallen. Ich muss keine Singles veröffentlichen, um präsent zu bleiben. Auch wenn mir ständig dazu geraten wird, die Leute zu befeuern. Aber es erscheint ja so viel neue Musik! Da veröffentliche ich lieber ein Album, wenn es wirklich fertig ist.

  • Bei deinem letzten Album lag der Fokus auf Hustlen, Malochen und den Anderen zu sagen, wie wack sie sind. Auf »Ghettopop« sprichst du ungeschönt über Drogenkonsum und Krisen, Abfucks und Dauerrausch.

  • Ich glaube, in »Zu schön um klar zu sein« war der Rausch noch präsenter, eher implizit. Den Großteil meines Lebens bin ich schon nüchtern, alleine wegen Familie und Arbeit.

  • Ist »Ghettopop« dann auch ein Weg, um mit diesem alten Leben abzuschließen?

  • Ich nehme mir nicht vor, einen Partysong oder einen Drogensong zu machen, dementsprechend war auch das nicht beabsichtigt. Das kommt so, wie es an den Abenden im Studio ist. »Ghettopop« ist eine Mischung aus dem alten, abgefuckten Lifestyle von damals und meinem Leben von heute. Früher hatte ich eine Einzimmerwohnung und einen beschissenen Job, hab von der Hand in den Mund gelebt. Mein Lebensstil hat sich schon um einiges verbessert. Ein paar Songs sind eben auch schon vor vier Jahren entstanden. Die Bandbreite ist relativ groß.

  • »Alle Menschen haben einen Hang zur Sucht, ich auch.«Auf Twitter teilen
  • Du rappst immer wieder, den Konsum im Griff zu haben, gleichzeitig geht es um den Drang nach mehr, auch in Bezug auf Drogen. Wie ist dein Verhältnis zur Sucht?

  • Alle Menschen haben einen Hang zur Sucht, ich auch. Die Frage ist, wovon man abhängig ist. Der Eine trinkt jeden Abend eine Flasche Wein, der Andere zieht sich öfter Bahnen, wieder Andere gehen exzessiv ins Fitnessstudio. In der Musik hört sich das krasser an, als es wirklich ist. Wen interessiert, wenn ich darüber rappe, wie ich stundenlang Skyrim spiele? Ich habe mein Leben im Griff. Jeder, der denkt, er hätte eine Droge unter Kontrolle, lügt. Trotzdem ist es ein Unterschied, ob du auf Crack draußen Kippenstummel aufsammelst oder jeden Abend einen Joint rauchst. Wenn die Familie im Bett ist, drehe ich mir einen Sticky, schaue Netflix und gehe schlafen. Ich lege sehr viel Wert darauf, auf keinster Weise vor meiner Familie berauscht zu sein. Außerdem lege ich großen Wert auf Aufklärung und halte auch nichts von der deutschen Drogenpolitik. Wer Bock auf Drogen hat, bekommt die schon. Mit einer Legalisierung könnte die Regierung haufenweise Steuergelder einnehmen und die Substanzen kontrollieren.

  • Denkst du, »Ghettopop« ist ein angenehmes Album?

  • Das kommt darauf an, was man als angenehm bezeichnet. Wer mit der Mucke generell etwas anfangen kann, wird dieses Album gerne hören. Ein Gabba-Album wäre für mich nicht angenehm, für andere schon. Natürlich muss man einen Zugang zur Thematik haben, dann ist es ein angenehmes und gutes Album. Wenn du generell ein Problem mit expliziter Sprache und Drogenkonsum hast, dann kann es natürlich sein, dass du mich nicht cool findest.

  • Es gibt beispielsweise einen Moment auf »Taschengeld«, in dem du sagst: »Geld ist, wenn sie’s nicht mag, aber trotzdem gerade macht«. Das löst sofort eher eklige Assoziationen aus.

  • Ja, aber doch nur, weil ich »sie« sage und man sofort an Prostitution denkt. Ich würde sagen, 90 Prozent der Weltbevölkerung machen einen Job, den sich nicht lieben. Den machen sie für Geld. Natürlich spiele ich mit dieser Assoziation, aber fast jeder macht etwas für Geld, worauf man keinen Bock hat.

  • Gerade in den ekligeren Zeilen über Drogenkonsum denkt man als Hörer:in vielleicht auch an eigene Erfahrungen. Vielleicht kann in deiner Musik ja auch darüber Identifikation stattfinden.

  • Viele Leute haben sich im Rausch nicht unter Kontrolle und machen Dinge, die sie am nächsten Tag bereuen. Bei mir ist das ehrlich gesagt nicht der Fall. Im Rausch werde ich eher lustig und habe einen guten Abend. Das ist individuell anders. Die Einen werden traurig, die Anderen werden aggressiv, Andere feiern glücklich und wieder Andere schlafen einfach ein. Es ist gut, wenn das Album starke Wirkung zeigt. Schlecht wäre, würde man »Ghettopop« hören und am Ende hat dich nichts getriggert.

  • Auf dem letzten Song gibt es eine sexuell explizite Zeile, gefolgt von dem Satz: »Texte, wie sie Frauen lieben«.

  • Jeder weiß, dass Frauen solche Texte nicht lieben. Lustigerweise hat mir das aber eine Frau geschrieben. Da sehe ich schon, dass es Leute gibt, die meine Musik richtig verstehen. Yassin hat mal einen Song von mir geteilt, »0815«, seine Fans haben sich total aufgeregt, wie sexistisch das sei. Ich bin alleine bei meiner Mutter aufgewachsen, habe sehr viele Cousinen, war immer alleine unter Frauen. Ich habe den größten Respekt vor Frauen. Wenn ich sage, dass ich nicht mit F****n chille, dann ist eine F**** nicht automatisch eine Frau. Das ist dann jemand, dem ich nicht vertrauen kann, eine hinterhältige Person.

  • »Ich finde es nicht richtig, immer davon auszugehen, dass Rapper frauenfeindlich sind.«Auf Twitter teilen
  • Wenn du das so erklärst, ist das in gewisser Weise nachvollziehbar. Wer extrem schlechte Erfahrungen mit diesem Wort gemacht hat, wird das trotzdem nicht cool finden.

  • Das ist eben die explizite Sprache, das ist für mich interessant. Wenn ich rappe, »Ich möchte F****n in Scheiben schneiden wie David Copperfield«, hat das Wirkung. Dann horchen die Leute auf. Ich finde es nicht richtig, immer davon auszugehen, dass Rapper frauenfeindlich sind. Das ist eine Frage von Respekt. Wenn einem die explizite Sprache nicht gefällt, muss man die Musik ja nicht hören. Ich komme auch nicht nach Hause und sage: »Hey F****, wo ist mein Abendessen?« – abgesehen davon, dass ich meistens koche.

  • Am Ende des Albums sagst du: »Keiner kann mich leiden, kann ich gut verstehen«. Stellst du dich in deiner Musik absichtlich unsympathischer dar, als du bist?

  • Das liegt im Auge des Betrachters. Meine Musik wirkt auf viele abschreckend. Selbst meine Frau sagt, sie findet die Videos cool, aber bei den Texten macht sie sich Gedanken, mit wem sie da zusammen ist. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein guter und respektvoller Mensch bin. Ich bin mit Sicherheit kein Chauvi.

  • Wer dich nicht kennt, aber deine Musik hört, weiß das nicht unbedingt.

  • Find ich ehrlich gesagt schon. Bei Savas haben sich die Leute damals auch gefragt, was das denn für ein Typ ist. Den Lyrics nach zu urteilen, müsste der ja Frauen im Keller halten. Wer Savas kennt, weiß, dass der ein bodenständiger, intelligenter Mensch ist, der in seinen Texten provoziert. Man frisst jeden Tag Scheiße in sich rein, das ballt sich zu Aggressionen auf und entlädt sich in diesen Texten.

  • »Zuhause bin ich Daniel, in der Musik bin ich Enoq.«Auf Twitter teilen
  • Ist die Musik dann auch für dich ein Ventil, bei dem du rauslassen kannst, was in deinem Alltag keinen Platz findet?

  • Definitiv. Zuhause vermeide ich sogar alle Schimpfwörter und Wut. Wenn ich mir den Kopf stoße, kann ich nicht »Scheiße« sagen, weil mein Sohn dann daneben sitzt und das wiederholt. Ich kann mich super kultiviert unterhalten, aber manchmal muss ich Dampf ablassen. Andere gehen in Therapie, was in meinem Kopf abgeht, hörst du in der Musik. Ich habe viele weibliche Hörerinnen, die diese Texte mögen, die haben gute Jobs. Meine Fans sind keine Assis von der Tanke mit der Molle in der Hand. Zuhause bin ich Daniel, in der Musik bin ich Enoq.

  • Zum Tod von DMX hast du auf Instagram gepostet: »Wie all diese Ratten und Verblendeten aus ihren ›sauberen‹ Leben über andere urteilen… Ein Leben, das du nicht gelebt hast, kannst du nicht verstehen!«. Worum geht es dir da?

  • Um Scheinheiligkeit. Um Leute, die andere verurteilen, obwohl sie sie nicht kennen. DMX war jahrelang drogensüchtig und hatte ein Leben, das keiner von uns kennt. Er hat als Jugendlicher auf der Straße gelebt und Crack geraucht. Dann wird nur gesehen, dass der Typ sich zudröhnt. Und die Leute machen sich über den lustig. Niemand fragt sich, ob die Gesellschaft nicht sein Leben so geformt hat. Ob man ihm lieber eine Hand geben sollte, als über ihn zu lästern. Viele von uns wären auch so geworden, hätten wir in seiner Haut gesteckt.

  • »Viele machen Musik für den Algorithmus. Meine Sachen sind nicht zielgruppenorientiert.«Auf Twitter teilen
  • »Ghettopop« beschreibt auch den musikalischen Aspekt deines Albums gut. Die Beats sind düster und hart, aber gleichzeitig melodisch – harte Texte und Gesang kommen zusammen. Das ist schon Nischenmusik, oder?

  • »Für die Charts zu hart, für den Block zu weich«, das sage ich ja auf »Sünder«. Das Album ist super vielschichtig. »Non+Ultra« und »Stratosphäre« gehen auf die Fresse, das können die Straßenjungs feiern. Da ist alles dabei. Die Bandbreite ist super groß. Deswegen ist es schwer, mich zu vermarkten. Viele machen Musik für den Algorithmus. Meine Sachen sind nicht zielgruppenorientiert.

  • Das Album wurde von Torky Tork und Swoosh Hood produziert. Was schätzt du an den beiden?

  • Das ist Familie. Ich kenne die Jungs seit Jahren. Ich muss beim Prozess dabei sein, ich lasse mir keine Beats schicken. Das ist nicht mein Style. Dadurch, dass ich früher selbst produziert habe, will ich viel mitbestimmen. Für meine Jungs ist das manchmal anstrengend, aber ich muss reinquatschen. Musik ist für mich ein Zusammengehören. Drei Leute sind kreativer als einer alleine. Wenn ich zu Torky Tork ins Studio komme, hat er schon 30 Skizzen vorbereitet. Die zeigt er mir und innerhalb von Sekunden entscheide ich, ob ich’s fühle oder nicht.

  • Auf einem Song rappst du, du wirst »mit 40 dann erwachsen«. Dieses Alter kommt jetzt näher. Fühlst du dich erwachsen?

  • Ist es erwachsen, dass man sauber lebt und abends Bücher liest? Dass man ein Langweiler wird? Oder ist es erwachsen, Familie zu gründen, bodenständig zu sein und einen Job zu haben? Ich weiß nicht, ob ich erwachsen bin. Ich gebe nicht mehr den ersten Zehner, den ich bekomme, für Gras aus. Ich bin Teil der Peter Pan-Generation. Keine Ahnung, ob ich je erwachsen werde. Manchmal fühle ich mich so, manchmal unendlich weit davon entfernt.