Nepumuk »Meine Musik ist nicht nutzerfreundlich.«

Der Wahl-Offenbacher Nepumuk ist und bleibt umtriebig und hat schon wieder ein neues Projekt veröffentlicht: »Das Chaos ist in Ordnung«. Till Wilhelm hat mit ihm gesprochen.

Nepumuk

Das Chaos, es ist seit jeher Teil des Universums. Und selbst das ordentlichste Zimmer besteht (angeblich) aus Atomen und Protonen und Elektronen und all diesen Dingen, die in purem Chaos doch irgendwie zusammenhalten. Und so ist es vielleicht auch mit der Musik, in der Chaos häufig zu glücklichen Zufällen führt, in der ein:e Künstler:in das eigene Chaos in Form bringt und in der eine übermäßig ordentliche Herangehensweise zumeist eher uninspiriert wirkt. Das Chaos, es lebt in der Musik des Rappers Nepumuk und seines Produzenten-Alter-Egos Knowsum, insbesondere auf dem am 13. Juli erschienenen Album »Das Chaos ist in Ordnung«. Auf raren und unbekannten Loops rappt er, wie die Worte ihm entgleiten. Mal in ganz konkreten Ansagen, mal in abstrahierten Floskeln und mal bloß geleitet durch das Spiel mit dem Wort. In jedem Fall muss man zuhören und mitdenken, wenn man verstehen möchte. So hat es ALL GOOD-Autor Till Wilhelm im Interview mit dem Künstler getan.

  • Dein neues Album heißt »Das Chaos ist in Ordnung«. Es ist dein erstes Rap-Release ohne Sichtexot, richtig?

  • Das stimmt, ich weiß auch nicht genau, warum. Einfach, ums mal auszuprobieren. Das Label ear-sight hat diese Youtube-Serie, »Beats on Road«. Ich wollte eine Folge machen, meinte aber, ich will rappen. Ich habe dann viele neue, unveröffentlichte Songs gespielt. Daraus ist die Idee entstanden, eine 10“-Vinyl zu veröffentlichen. Die Tracks sind vor allem im selben Zeitraum entstanden, das bindet sie zusammen. Weil es natürlich Themen und Ideen gibt, die mich zu dieser Zeit beschäftigt haben. Um das Release rund zu machen, habe ich im Nachhinein noch Intro und Outro geschaffen.

  • Was hat dich denn in dieser Zeit beschäftigt?

  • Naja, das Chaos – das gesellschaftliche. Die Tracks sind alle während der Corona-Zeit entstanden. Ich hatte viel Zeit, um Mucke zu machen. Das war auch ein recht kurzer Zeitraum, noch nie habe ich ein Projekt so schnell fertig gemacht.

  • Zum Albumtitel: Braucht Musik das Chaos?

  • Eigentlich braucht man den Titel kaum zu erklären, das ist einfach ein gutes Wortspiel. Ab und an tut Chaos der Kunst gut. Das war eine Suggestivfrage von dir, die ich dankend umarme und sage: Ja.

  • Der Gegensatz von Progression und Reaktion taucht in den Texten des Albums immer wieder auf. Was bedeutet das im Kontext von Rap?

  • Progressiver Rap ist die Musik, die gegebene Grenzen hinterfragt und verändert. Aber nicht unbedingt im Sound, sondern eher gedanklich. Aktuell beispielsweise Deutschrap-MeToo, dass da endlich was Feministisches passiert. Im Endeffekt geht es dann doch um die Message. Rap ist eben fast das einzige Genre, in dem der Hauptaugenmerk auf Text liegt. Sonst gehts echt um Gefühl. Da gibt es kein reaktionär und progressiv, da fühlt man, was man fühlt.

  • Also gibt es so etwas wie progressiven Sound nicht?

  • Was die ganzen Trapkids machen, war ja neu in den USA. Dann ist das rüber geschwappt. Das ist schon etwas Neues. Aber ich weiß nicht, ob das dadurch progressiv ist. Musik wie diese gab es auch schon früher.

  • Warum ist die Retro-Romantisierung im Sound nicht reaktionär?

  • Weil Menschen schon immer gleich furzen. Wobei: Letztens hatte ich einen Zukunftsträchtigen, bei dem Land mitkam.

  • »Deutsch und betäubt« sei die New School, rappst du. Was macht die so deutsch in deinen Augen?

  • Wahrscheinlich das Reaktionäre. Ich weiß gar nicht genau, wie ich das enger beschreiben soll. Das muss man sich auf der Platte anhören.

  • Kann Rap in diesem Land überhaupt avantgardistischer sein als Delia Derbyshire in der 60ern?

  • Gute Frage. Wenn’s von einer Frau gemacht wurde, wahrscheinlich schon. Denen könnte man das Feld schon ein bisschen überlassen, gerade was progressive Musik angeht. Um diese gläsernen Decken mal aufzuheben.

  • Man könnte dir ja auch vorwerfen, dich soundtechnisch in den letzten Jahren kaum weiterentwickelt zu haben, oder?

  • Das stimmt, kann man mir auf jeden Fall vorwerfen. Ob man das will, ist die andere Frage. Als Nepumuk mache ich Rap-Beats, die es schon häufiger gab. Ich erfinde das Rad nicht neu. Aber ey, jedem Tierchen sein Plaisierchen. Ich mache, was mir gefällt und bin auch niemandem böse, dessen Sound anders ist. Ich finde es bloß eklig, wenn man einen Sound nutzt, um den Hype mitzunehmen und Geld zu machen.

  • Dein Sound basiert zum Großteil auf dem Nerdtum, abwegige Samples zu benutzen.

  • Ich probiere immer, Sounds zu finden, die noch nicht benutzt wurden. Viel in Songs reinzuhören, auch hinten Stellen zu finden. Viele hören sich nur den Anfang von Songs an und skippen durch. Dann funktioniert das Ganze noch besser und schneller und du kannst viel mehr erwirtschaften. Mittlerweile gibt es diese Sample-Kits, das find ich irgendwie scheiße. Da suche ich lieber nach Schnipseln, die noch nie verwendet wurden.

  • Gleichzeitig heißt es auf »Pur«: »Nepumuks Opus entzieht sich dem Fokus«. Ist die Nische inhärent fortschrittlich?

  • Immer bis zu einem bestimmten Grad. Bis die Leute raffen, was cool ist und das wieder ummünzen in etwas Verwertbares. Die Weiterentwicklung beginnt zumeist in der Nische. Ich weiß es nicht so richtig. Ich habe keine Antworten, ich mache nur Mucke.

  • Und kann etwas Massentaugliches auch progressiv sein?

  • Das ist eine gute Frage. Darüber muss ich erstmal nachdenken. Kann es bestimmt. Wenn du genau den richtigen Zeitpunkt erwischst. Normalerweise ist es schon so, dass die progressiven Sachen an dern Rändern des Fokus entstehen und dann kommerzialisiert wird, weil die Jugend es geil findet. So erzählt es zumindest die Musikgeschichte. Es gibt auch Sachen, die sind einfach geil, trotz Erfolg. Jamiroquai. Da kann sich niemand gegen wehren.

  • Auch die Rapmedien kritisierst du. Würdest du dir mehr Unterstützung für den Untergrund wünschen?

  • Wer kommerziell funktioniert, wer Leute anzieht, der wird auch gepusht. Da wird auch gerne mal drüber hinweg gesehen, was die sonst für Ansichten haben. Ich fänds schön, wenn die Aufmerksamkeit wenigstens fairer aufgeteilt wird. Nicht nur danach, wer wie viele Platten verkauft. So läuft das aber im Kapitalismus, das finde ich scheiße.

  • Jetzt haben wir viel über Deutschrap gesprochen, obwohl du natürlich auch über Anderes sprichst. Mit welchen Gemütslagen hast du das Space Race verfolgt?

  • Das hat genau dann stattgefunden, als ich das Video zu »Weiße auf dem Mond« veröffentlicht habe, genau passend. Ich finde das Wahnsinn. Gerade während so einer Pandemie, während die Leute keine Kohle haben, sperren sich die Multimillionäre ein und fliegen in den Weltraum. Komische Aktion.

  • Meinst du, Jeff Bezos hat in der Rakete masturbiert?

  • Ich hoffe für ihn, dass er es wenigstens dort hinbekommen hat. Ejakulat auf die Welt. Von da oben sieht unser Planet auch so klein aus, da wirkt der Schniedelwutz größer.

  • In welcher Beziehung steht der »Whitey on the Moon« zum »Space is the Place« des Afrofuturismus?

  • Weiße mit viel Geld machen es sich zur Mission, den Weltraum zu erforschen, während Afrofuturist:innen das Mysterium des Weltalls als Inspiration für Kunst nutzen. Das eine ist wahrscheinlich eine Reaktion auf das Andere – Die Revolution benutzt die gleichen Bilder und attackiert damit.

  • Ist das etwas, womit du dich beim Schreiben auseinandersetzt?

  • Nein, ich versuche, den Inhalt meiner Texte aus mir selbst herauszukitzeln. Ich lasse mich da ungern beeinflussen. Soundmäßig, klar. »Whitey on the Moon« ist ja eine direkte Anspielung.

  • Wenn du über Weiße auf dem Mond rappst, über Klimakatastrophe und Querdenker, mit welcher Motivation machst du das?

  • Diese Themen beschäftigen mich und verändern unser aller Leben. Ich möchte in der Musik darüber sprechen, was aktuell passiert. Das ist natürlich auch eine Form der Verarbeitung.

  • In meinen Ohren macht das häufig eine Art Diskursraum auf. Ich muss dir beim Hören schon gedanklich antworten, um den Text weiter zu verfolgen.

  • Wie ein Dialog! Schön, das habe ich noch nie gehört. Macht aber Sinn, weil ich doch viel offen lasse. Wie gesagt: Ich habe auch keine Antworten, nur Vorschläge und Gedankenanreize.

  • Zeilen wie »Der Zweck übertüncht Freiheiten« laden zum Interpretieren ein, die eigentliche Intention verliert an Relevanz.

  • Du musst aber nicht, du kannst auch einfach auf den Groove achten. Ich stelle keine Message im Futternapf hin, meine Musik ist nicht nutzerfreundlich. Nicht einfach fressen, sondern mitdenken. Zwischendrin habe ich aber natürlich Momente, in denen ich sehr klar sage, was ich denke. In so einem Interview denkt man aber natürlich nochmal anders über die Texte nach, schaut nochmal von außen drauf. 

  • Auf dem letzten Track rappst du, du träumst noch, während die anderen unverbindlich Däumchen drehen. Ist nicht beides ein Nichts-Tun?

  • Voll, ich wollte mich da absichtlich selbst dissen. Ich bin schon ein verträumter Dude, das wollte ich auf die Schippe nehmen. Das gleiche gilt für die hochgestochene Wortwahl. Es gibt trotzdem einen Unterschied: Auf Träume kannst du hinarbeiten – Wenn du nur Däumchen drehst, wirst du passiv. Man sollte proaktiv werden und was machen, sich einsetzen für coole Sachen. Aber jede:r, wie er kann.