David P. »Meine Haltung gegenüber der Welt ist eine HipHop-Haltung.«

David P. entdeckte HipHop vor 30 Jahren. Die Kultur hat den Münchner nie losgelassen, auch nicht als Arzt und Familienvater. Ein Gespräch, das ALL GOOD-Autor Davide Bortot für das Buch »Könnt ihr uns hören?« geführt hat, hier exklusiv in voller Länge.

David P / Main Concept

Wer, wie ich, im München der neunziger Jahre sozialisiert wurde, hat zu David Papo aufgeblickt: ein Meister der Wortes, der sich zudem seine eigene Szene baute. Der 43-Jährige, der heute als Allgemeinarzt praktiziert, war einer der ersten Stars einer Szene ohne Stars. Die Songs seiner Band Main Concept wie »Auf der Jagd« oder »Sound fürs Auditorium« sind Deutschrap-Klassiker. Das ist lange her, über 20 Jahre. Ein Vorbild aber ist er noch heute: als Familienvater und offener Geist mit einer positiven Lebenseinstellung. Ein Gespräch beim Lieblingsgriechen.

Dieses Interview wurde geführt für »Könnt ihr uns hören? – Eine Oral History des deutschen Rap« von Jan Wehn und Davide Bortot. Das Buch ist bei Ullstein fünf erschienen und überall erhältlich, zum Beispiel hier. Wir veröffentlichen exklusiv die komplette, leicht redigierte Version des Gesprächs.

  • Was war dein erster Berührungspunkt mit HipHop? 

  • Da war ich mit meinen Eltern auf der Wies’n. Ich bin mit meinem glasierten Apfel in der Hand über’s Gelände gelaufen, und plötzlich kam von irgendeinem einem Karussell Rapmusik. Ich wusste damals nicht, was das ist – ich fand’s einfach nur geil: die Energie, den Beat, das Gesprochene. Das habe ich mir gemerkt. Ich glaube im Nachhinein, dass der Song »The Message« von Grandmaster Flash and the Furious Five war. Es kann aber auch sein, dass my mind is playing tricks on me (lacht). 

  • Wann war das?

  • Mitte der Achtziger. Das erste mal bewusst Rap gehört habe ich dann zwei, drei Jahre später beim Kuchar (Michael Kuchar, langjähriger Mitstreiter von David P. und Main Concept, u.a. als Veranstalter der Living Large Jams) zuhause auf einem Tape. Da waren Beastie Boys und Fat Boys drauf. Schon ein paar Tage später habe ich meinen ersten eigenen Text geschrieben, auf Englisch. Ich habe einfach aufgeschrieben, was mir in den Kopf gekommen ist – Freestyle also, auch wenn ich den Begriff noch gar nicht kannte. Das war 1988, da war ich 13 Jahre alt. 

  • Was mich immer fasziniert hat: Wie kommt man als 13-Jähriger zu diesem Schritt vom Konsumenten zum Aktiven, zumal nach dem allerersten Hören? 

  • Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht mehr, was mich da geritten hat. Ich glaube, ich habe mir gar nichts dabei gedacht. Ich fand das einfach geil. Das klang so cool, alles hat sich gereimt, und Reime mochte ich schon als Kind: Wenn es in der Schule ans Gedichteschreiben ging, war ich immer gut… In unserer Generation war das jedenfalls für niemanden eine kalkulierte Entscheidung. Keiner hat damals gesagt: Yeah, ich fang’ jetzt an zu rappen, schau, dass ich ‘nen Plattenvertrag bekomme, und dann leb’ ich davon. Es hat ja niemand für möglich gehalten, dass das überhaupt geht. Du hast es einfach so zum Scheiß gemacht, sehr spontan und naiv. Ich weiß noch, dass im Musikunterricht einmal im Jahr jeder was vorspielen sollte. Ich habe immer was auf dem Klavier gespielt, weil ich das als Kind Klavier gelernt habe – nie g’scheit, aber wie man das halt so macht… In einem Jahr wollte ich aber plötzlich nicht mehr Klavier spielen, sondern rappen. Ein Kumpel in der Klasse, der Thomas, hatte ein Schlagzeug, und der Kuchar und ich haben gerappt. So hatte ich ziemlich früh meinen ersten Auftritt.

  • »Du musst freestylen können. Wenn du das kannst, kann dir auf der Bühne keiner was.«Auf Twitter teilen
  • Schon bald bist du auch außerhalb der Schule aufgetreten. Woher wusstest du überhaupt, wie man das macht? Allzu viele Vorbilder gab es in Deutschland ja nicht.

  • Mein Mentor war Rio Lobo von der Gruppe M.B.A., die später Funk Addicts hießen. Der Rio hat sehr gut Englisch gesprochen und alle Raptexte verstanden, während wir immer nur einzelne Schlagwörter gecheckt haben (lacht). Er ist mittlerweile auch Übersetzer für Englisch. Jedenfalls hat er auf Englisch gerappt und war ein krasser Freestyler. Von ihm habe ich gelernt, wie man als Rapper nie sein Gesicht verliert, auch nicht in einer unangenehmen Situation auf der Bühne. Du musst freestylen können. Wenn du das kannst, kann dir keiner was. Das war eine wichtige Lektion für mich.

  • Wo hast du ihn kennengelernt?

  • Bei den Jams im Jugendzentrum am Biederstein in der Nähe der Münchner Freiheit, was damals so der Hauptspot in München war. Freitagabend von sechs bis neun war immer HipHop-Disko, und einmal im Jahr fand die Munich All Star Jam. 1990 hatten wir dort als Main Concept unseren ersten Auftritt. Da sind wir quasi in die Szene gesteppt. Man darf sich das allerdings nicht vorstellen wie eine richtige HipHop-Jam mit MCs, Breakdance und Graffiti. Das war so Münchner Jugendzentrum-Style: Alle haben den New-Jack-Swing-Dance gemacht und waren blacker than black, egal welche Hautfarbe sie hatten. München hatte nichts zu tun mit dieser Heidelberger HipHop-Haltung. Das war ein hartes Pflaster damals und die Leute hatten eine wahnsinnige Arroganz. Uns hat da niemand ernst genommen. Da kamen irgendwelche Typen zu mir und haben mir erklärt, dass ich als Weißer gar nicht das Recht habe zu rappen – obwohl die wohlgemerkt selbst weiß waren. Ich dachte mir nur: Doch, ich darf das. Weil ich’s checke, und du nicht. Ich habe das nie in Frage gestellt. Der Respekt der Szene war mir ohnehin nicht so wichtig. Ich habe das einfach durchgezogen.

  • Kannst du dich erinnern, wer bei dieser Veranstaltung noch so aufgetreten ist?

  • Klar, der Ali zum Beispiel, also Rasul Allah von den späteren Square One. Das war noch in einer anderen Konstellation. Sein DJ hieß René. Sein Bruder, der Julio, war wiederum der DJ vom Rio Lobo. Und alle waren in der International Posse, in der auch TecRoc war. Eine weitere Posse aus München war die DissOne Posse, bei der unter anderem der David Lubega war. Dann gab’s noch die Evil V. Posse aus Neuperlach. Das war Gangstarap. Und dazwischen sind wir aufgetreten. Das war also sehr gemischt, aber wir haben uns bei aller Verschiedenheit recht gut verstanden. Die Stimmung unter uns Bands war positiv. Im Publikum dagegen waren zu der Zeit vor allem grimmige Dudes mit weißen Jeans und Chevignon-Jacken. Das war die Münchner Gang-Zeit mit den Schwabing 40s, den Honzis, den Neuhauser Hools und wie sie alle hießen… Das war eine toughe Zeit. Man musste aufpassen, was man sagt, sonst hat man schnell eine auf’s Maul bekommen. Ich habe mich da mit meinen 15 Jahren und meiner Brille auf die Bühne gestellt und mich ziemlich wichtig gemacht. Ich habe zum Beispiel die Stachus Gangster gedisst, die auch da waren, es aber nicht verstanden haben. Das war mein Glück – die dachten, das wären Props (lacht)! Durch den Diss habe ich wiederum Props von den anderen Rappern bekommen, von wegen: Krass, der traut sich was. Dabei war ich einfach nur immer schon relativ frech und habe mir nichts dabei gedacht. Heute wähle ich meine Worte eher mit Bedacht.

  • »Die meisten Münchner haben uns erst ernst genommen, als sie in anderen Städten auf uns angesprochen wurden.«Auf Twitter teilen
  • Was war deine erste Begegnung mit Rasul?

  • Wir waren im Biedersteiner, und plötzlich war der da. Er hatte eine schwarze Jacke an, auf der vorne sein Name Pars The Untouchable Icepick eingestickt war und hinten der seiner Posse, International Posse. Seine Gruppe hieß Raw Deal. Er hatte auch schon so einen EPMD-mäßigen Anglerhut – er war wohl gerade in New York gewesen und hatte sich da eingedeckt. Der war voll die Erscheinung. Alle meinten, ich müsste da jetzt hin und ihm vorrappen, also habe ich das getan. Ich habe ihm irgendwas von »Ich bin der Dave P, motherfucking hier, motherfucking da« ins Ohr geplärrt, und er war so: Ja, für nen Weißen nicht schlecht… Der Ali war so ein Angeber damals (lacht). Erst über die Jahre haben wir uns mit ihm angefreundet. Generell haben uns die meisten von den alten Münchnern erst ernst genommen, als sie in anderen Städten auf uns angesprochen wurden. Sie mussten anerkennen, dass die meisten Leute Rap aus München mit Main Concept assoziierten. 

  • Wen meinst du, wenn du von den »alten Münchnern« sprichst?

  • Vor 1990 ist Rap in München vor allem in den Ami-Clubs passiert, im L.A. oder im Rock In. Das war die Oldschool-Generation. Den Junior zum Beispiel kannte jeder in der Stadt. Das war der DJ von A.F.R.I.C.A. Posse, in der zwei G.I.s gerappt haben. Ich fand den voll geil, den ganzen Dude: einfach wie er rumgelaufen und rübergekommen ist. Ich habe den mit 14 mal im WOM gesehen. Ich hatte damals ganz kurz Haare, der Glam hatte mir hinten meinen Rapnamen »Dave P« reinrasiert, und ich hatte ein Afrika-Amulett um. Plötzlich stand der Junior neben mir und meinte: »Ey, was machst du auf Afrikaner mit deinem Africa-Amulett. Du bist nicht aus Africa, du bist aus Munich. Du musst Munich representen.« Das war eine bewusstseinserweiternde Erfahrung. Der war schon ein erwachsener Mann, während ich noch nicht mal Bartwuchs hatte. Mir wurde ganz plötzlich klar, dass er natürlich komplett Recht hat und ich mein eigenes Ding finden muss.

  • Also hast du angefangen, deutsche Texte zu schreiben?

  • Das war noch ein bisschen später, Mitte 1991. Dazu inspiriert hat mich der TecRoc, weil der immer zum Spaß auf Deutsch rumgefreestylt hat: »Ich bin der Tiggedi TecRoc, ich mal’ Graffiti und mach’ Breakdance…« Das fand ich lustig und cool, also habe ich es halt auch gemacht, aber nur zum Scheiß. Irgendwann habe ich dann Advanced Chemistry live gesehen und beim Andi Purzer, der damals für das Fanzine »In Full Effect« geschrieben hat, die ersten Tapes auf Deutsch gehört. Da waren zum Beispiel die Flowmatics aus Krefeld dabei, die später Hörzu wurden. Dieses Tape war der Wahnsinn. Der Typ hat schon richtige Doppelreime gekickt, lange vor Blumentopf und Fettes Brot: »Das amerikanische Geplapper, das verstehst du eh nie / Deshalb rappe ich Deutsch und nicht Kisuaheli.« Ich habe mich auch mal lange mit Linguist unterhalten, nach einem AC-Auftritt in der Kulturstation in Unterföhring. Der hat mich darin bestärkt, mehr auf Deutsch zu rappen. Zwischen 1991 und 1992 hatten wir noch ein Repertoire mit englischen und deutschen Tracks. Aber als wir genug deutsche Sachen hatten, sind die englischen irgendwann rausgeflogen.

  • Vielen Deutschrap-Fans seid ihr bekannt als langjährige Weggefährten der Absoluten Beginner. Wie kam der Kontakt zustande?

  • Wir hatten 1992 über die Astrid Weindl vom Zeugnerhof die Möglichkeit, die Bands für eine Jam auszuwählen, die sie in der Mensa Neuperlach in der Quiddestraße organisiert hat. Wir durften zwei Gruppen einladen und haben die Absoluten Beginner und Die Coolen Säue ausgesucht. Die Beginner habe ich in der MZEE entdeckt. Da gab es hinten die Rubrik »Bands stellen sich vor«, und in der ersten oder zweiten Ausgabe war dieses Foto von Jan, Dennis, Mad und Maddin drin: Jan mit diesem Raiders-Shirt, auf dem aber »St. Pauli« stand. Das fanden wir wahnsinnig originell. Wir fanden einfach, dass die cool ausschauen, also habe ich bei der Telefonnummer angerufen, die da dabei stand. Jans Mutter ist ans Telefon gegangen. Ich habe dann zu Jan gemeint, dass wir ‘ne Jam machen wollen und ob er uns mal ein Demo schicken kann. Da war mehr oder weniger schon die spätere »Gotting«-EP drauf. Wir fanden das fett, also haben wir die Jungs nach München geholt. Mein Schulfreund Boris und ich haben die am Bahnhof abgeholt, sind den ganzen Tag mit ihnen rumgehangen, und dann abends zusammen in die Mensa. Die Coolen Säue waren auch cool. Aber mit den Beginnern hat sich eine sehr intensive Seelenverwandtschaft und Freundschaft entwickelt.

  • »Wir musste die Kultur erst mal verstehen und auf unsere Weise assimilieren – das war die Zeit der Jams.« Auf Twitter teilen
  • Die meisten Münchner meiner Generation haben euch über eure Living Large Jams in der Muffathalle wahrgenommen. Wie habt ihr damit begonnen?

  • Unsere erste Jam auf eigene Rechnung haben wir 1993 veranstaltet. Das war die Idee von Kuchar. Der hatte diese nötige Unbedarftheit und ein gesundes Maß an Größenwahn: Wenn er nicht gewesen wäre, hätten wir das wahrscheinlich nie gemacht. Wir hatten damals eine Sendung beim Radiosender des Münchner Feierwerks, also sind wir zu denen gegangen und haben gefragt, ob wir bei ihnen eine Jam veranstalten können. Wir haben dafür unter anderem Too Strong eingeladen. Deren Auto ist auf der Strecke abgekackt, also ist der Kuchar losgefahren, um sie mit meinem Wagen beim Köschinger Forst hinter Ingolstadt abzuholen. Er hat natürlich vergessen zu tanken und musste die letzten Kilometer zu Fuß mit dem Kanister zu der Raststätte gehen … So kamen die endspät an. Torch, der gar nicht eingeladen war, hatte in der Zwischenzeit schon mit einem Ghettoblaster die Stage gebumrusht und das ganze Programm durcheinander gebracht. Als Too Strong dann auf die Bühne sind, war es mitten in der Nacht. Cole, einer der Writer aus deren Crew, war total besoffen und hat die Crowd animiert. Too Strong waren damals ja die absolute Abgeh-Truppe. Die sind auf die Bühne, haben ihren Song »Rabenschwarze Nacht« gemacht und das ganze Feierwerk ist abgegangen wie Sau. Cole hat sich ein Weißbierglas auf die Rübe gehauen, er hatte überall Splitter, das Blut ist ihm runtergelaufen, aber er ist einfach weiter abgegangen, hat »Si-lo, Si-lo« geschrien und seinen Kopf geschüttelt. Das ganze Blut ist in die Menge gespritzt. Das war so psycho! (lacht)

  • Und dann dachtet ihr: Das müssen wir dringend noch mal machen? 

  • 1993 hat in München die Muffathalle eröffnet. Da sind wir im Rahmen der »Kill The Nation With A Groove«-Tour mit u.a. Readykill, den Beginnern und Cora E. & DJ Marius No. 1 aufgetreten. Die ganze Muffathalle war begeistert, also hat der Kuchar beschlossen, dass wir da ‘ne Jam machen, so richtig, so wie Akim Walta. Wir nur so: Kuchar, spinnst du, wie sollen wir das bezahlen?!? Aber er war total überzeugt und hat sich drum gekümmert. Ich habe damals bei der Astrid im Zeugnerhof Freiwilliges Soziales Jahr gemacht. Die hat uns mit ihrem Kreisjugendring-Budget ein kleines finanzielles Backup gegeben und uns auch sonst geholfen. So konnten wir das richtig international aufziehen. Writer aus Frankreich und Holland haben im Zeugnerhof ihre Leinwände gemalt, es waren Breaker aus Italien da, eine Britcore-Band aus London namens Deliverance, Too Strong, Main Concept und Total Chaos aus Österreich. Die Muffathalle war nur halbvoll, aber es war so geil, dass wir es im nächsten Jahr wieder gemacht haben und im nächsten Jahr wieder, usw. – bis 2003! Es waren Legenden wie Seen da oder Leute wie OSGEMEOS aus Brasilien, die heute Weltstars sind. Der Loomit hatte die damals eingeladen. New Yorker Rapper wie Masta Ace, Al Tariq oder die Poor Righteous Teachers haben einige Tage hier gepennt, wir sind abgehangen und haben uns ausgetauscht. Keiner hat fett Gage bekommen, aber es hat sich trotzdem für alle gelohnt. Das war eine schöne Zeit.

  • Hast du das Jam-Programm auch sonst mitgemacht, Bahn-Jahresticket und so?

  • Um ehrlich zu sein, sind wir meistens nur gefahren, wenn wir einen Auftritt hatten. Aber das war immer cool: so viele neue Leute, die man kennengelernt hat, und jeder macht es irgendwie anders… diese Vielfalt! 1993 zum Beispiel waren wir in Itzehoe. Der Kuchar und ich sind schon einen Tag vorher mit der Mitfahrzentrale nach Hamburg gefahren und haben bei Jan gepennt, daheim bei seinen Eltern. Wir haben mit seinen Freunden Party an der Alster gemacht und sind dann am nächsten Tag zusammen nach Itzehoe. Nach dem Auftritt haben wir alle gefreestylt. Damals hat ja noch jeder gefreestylt, egal man man es konnte oder nicht (lacht). 

  • Als jemand, der diese Schule entscheidend mitgeprägt hat: Woher kam die deutsche Faszination für die Dreifaltigkeit der HipHop-Kultur?

  • Wir musste diese Kultur eben erst mal verstehen und auf unsere Weise assimilieren – und das war die Zeit der Jams. Als ich zu HipHop gekommen bin, war die Oldschool ja eigentlich schon vorbei. In den USA war Rap schon ein fettes Geschäft. Meine Bands waren Public Enemy, N.W.A., Run DMC, De La Soul. Die hatten, zumindest vordergründig, nichts mit Graffiti am Hut. Ich selbst habe Graffiti auch erst entdeckt, als ich schon selbst Rap gemacht habe. Ich habe immer gerne gezeichnet die Graffiti-Pieces an den Hall of Fames und den Isarbrücken fotografiert. Irgendwann habe ich dann in der Stadtbücherei »Das Graffiti-Lexikon« vom Peter Kreuzer in die Hand bekommen. Da habe ich erst gecheckt, dass das alles zusammen gehört. Auch »Beat Street« und »Wildstyle« habe ich mir erst im Nachhinein reingezogen. Ich bin also nicht mit der Dreifaltigkeit reingekommen, sondern habe sie mir erarbeitet. Wenn die Oldschooler von früher erzählt haben, haben wir zugehört und uns vorgestellt, wie geil das gewesen sein muss. Das hat uns sehr geprägt, schließlich wollten wir von denen ja auch respektiert werden. 

  • »Im Rückblick muss man sagen: Die Klasse von ‘95 war der Keim von HipHop als Business. Damit ging es los.«Auf Twitter teilen
  • Wie hast du also umgekehrt auf Leute wie Blumentopf reagiert, die auf diese Oldschool-Regeln bestenfalls amüsiert wahrgenommen haben?

  • Ich habe das sofort gefeiert. Die Doppelreime, diese Selbstironie, dass alles so auf den Gag ausgelegt ist – das hatte ich so noch nicht gesehen. Ich habe mich da gut unterhalten gefühlt. Das ist doch das Geile an HipHop. Da kommt so ein Typ wie der Wunder, der erstmal nicht so HipHop-mäßig aussieht, aber sobald er am Mic ist, zerpflückt er jeden – auf eine lustige, sympathische und authentische Art und Weise. Blumentopf sind so, wie sie sind. Das ist das Realste, was es gibt. Ist mir doch wurscht, ob die nebenher noch Breakdance und Graffiti machen!

  • Ein Zeichen gegen den Dogmatismus war auch der Song mit den Beginnern und MC Rene.

  • »Alte Schule, neue Schule, immer dieser Unterschied / Wir können es nicht mehr hören, denn es ist immer das alte Lied.« Das war der Song »Immer das alte Lied« von unserem Album »Coole Scheiße«. Den haben wir aufgenommen, nachdem wir ‘93 auf ‘94 zusammen bei Kuchars Freundin in München Silvester gefeiert haben. 1994 gab es dann ja Die Klasse von ‘94, das war eine Tour mit den Beginnern, MC Rene und uns. Durch den Track war der Achim auf die Idee gekommen, dass wir die neue Reimgeneration sind. Wir wollten aber nicht so heißen, da ja Rene ja schon einen gleichnamigen Song hatte (lacht). Schließlich kam der Ale von Buback auf die Idee, die Tour »Klasse von ‘94« zu nennen, in Anlehnung an den Horrorfilm »Die Klasse von 1984«… Bei der Klasse von ‘95 ein Jahr später sind die Beginner dann nicht mitgekommen, weil sie die »Flashnizm«-LP aufnehmen mussten. Dafür kamen dann andere Bands dazu, und wir haben Leute wie F.A.B. oder Der Tobi & Das Bo kennengelernt. Ich fand das cool. Der Tobi zum Beispiel hatte schon sehr fette Beats. Der Immo ist eh ein Genie. Es gibt wenige Genies hier in Deutschland. Aber der Immo ist eines davon. Ich habe das auf jeden Fall als inspirierend empfunden. Das waren alles coole, nette Jungs. Das war mir immer schon wichtiger als dass jemand seine Musik genau so macht, wie ich es machen würde.

  • Hast du trotzdem einen Wandel wahrgenommen, im Publikum und generell in der ganzen Herangehensweise?

  • Damals habe ich das nicht gemerkt. Aber im Rückblick muss man sagen: Die Klasse von ‘95 war der Keim von HipHop als Business. Damit ging es los.

  • Was den Sound angeht, wird von vielen das »Kopfnicker«-Album von den Massiven Tönen als großer Wendepunkt beschrieben: als Geburtsstunde von Deutschrap in seiner heutigen Form. Wie fandest du das Album?

  • Die Massiven haben das bei uns aufgenommen, ich war also von Anfang an ganz nah dran. Sie sind mehrere Wochen lang jeden Freitagabend nach München gekommen, haben bei meinen Eltern gepennt, und tagsüber haben sie in unserem Aufnahmeraum in Glams altem Kinderzimmer an dem Album gearbeitet. Ich weiß noch genau, dass sich das irgendwie anders und total neu angehört hat. Mit den Massiven gab es den Wechsel von diesen eher leichten Spätachtziger-, Frühneunziger-Dingern hin zu den fetten Boombap-Beats – Kopfnicker eben. Auch die Themen und der Flow waren anders. Das Album hatte eine wahnsinnige Leichtigkeit, diese lautmalerischen Raps. Der Wasi wusste damals schon, wie man ein Wort aussprechen muss, damit es sich cool anhört. Der hatte auch sehr konkrete Meinungen, welche Wörter man gar nicht erst benutzen darf: »Lyrisches Syndrom« und »Operation Konstitution« und so Kram (lacht).

  • Woher kanntet ihr euch?

  • Den Wasi habe ich 1992 in Karlsruhe kennengelernt, bei unserem ersten Auftritt außerhalb von München. Da war übrigens auch Mansha mit Aquarius Answer. Die kam aus Hannover und war die andere HipHop-Queen neben Cora. Nach dem Auftritt habe ich sie aber recht bald aus den Augen verloren. Wasi hat uns dagegen ins Jugendhaus Mitte nach Stuttgart eingeladen, und so hat sich eine jahrelange Freundschaft entwickelt. Ich habe ihn als lustigen, extrem talentierten Typen kennengelernt. Mich hat er immer sehr inspiriert.

  • »Das war eine coole Zeit, aber nach einer Weile hat mir der geistige Input gefehlt. Die Gespräche und die Themen haben sich einfach irgendwann wiederholt.«Auf Twitter teilen
  • Du bist heute bekanntermaßen praktizierender Arzt. Warum hast du dich damals – just als Rap in Deutschland so richtig in Fahrt kam – für ein Medizinstudium und damit auch gegen die Musik entschieden?

  • Als ich mit dem Studium angefangen habe, bin ich parallel weiter jedes Wochenende auf Jams gefahren und habe Musik gemacht. Das Studium hat mich nicht eingeschränkt. Ich habe das auch nie hinterfragt. Ich dachte mir: Ich habe Abitur und die Möglichkeit, was zu studieren, also mache ich das. Man muss allerdings sagen, dass ich nach dem Physikum tatsächlich erst mal mit dem Medizinstudium aufgehört und mich für Kommunikationswissenschaften eingeschrieben habe – damit ich halt »was mache«. Ich bin dann eineinhalb Jahre sehr viel rumgefahren, habe zum Beispiel in Gelsenkirchen ein Musical für das Staatstheater geschrieben. Ich war auch viel in Hamburg; das war so die Basement-Zeit, in der auch das Freestyle-Tape mit Samy und Bo entstanden ist. Dann kamen Splash!, Stuttgart 0711 Club, Feature hier, Feature da… Das war eine coole Zeit. Aber nach einer Weile hat mir der geistige Input gefehlt. Die Gespräche und die Themen haben sich einfach irgendwann wiederholt, also habe ich mich bewusst wieder für Medizin eingeschrieben. 

  • Diese Zeit, die du beschreibst, ist 1999 kulminiert. Ihr wart damals mit den Beginnern auf Tour. Wie erinnerst du diese Zeit?

  • Unsere Alben kamen in etwa zur gleichen Zeit raus, also haben wir gesagt, dass wir gemeinsam auf Tour gehen – wie immer halt. Nach dem ersten Auftritt war aber ziemlich schnell klar, wer hier der Support von wem ist (lacht). Im Laufe der Tour ist das dann endgültig explodiert. Auf einen Schlag waren da diese oberflächlichen Medien-Fuzzis mit ihren riesigen Backstage-Pässen und ihrem wichtigen Getue. Ich habe das von der Seite beobachtet und krass Respekt vorm Jan und vorm Dennis gehabt, mit welcher Gelassenheit und Professionalität sie das durchgezogen haben. Die haben sich nicht von Eitelkeit überwältigen lassen. Mir wurde ziemlich schnell klar, dass das für mich nichts ist. Ich hatte einfach keinen Bock, mit diesen Leuten zu reden. Als es dann auch bei uns darum ging, einen Major-Deal zu unterschreiben, haben wir gerade an einer Freestyle-Platte gearbeitet. Da hat das Interesse der Labels schnell nachgelassen (lacht). Aber das war mir wurscht: Ja gut, dann halt nicht. Es gibt ja Leute, die können das: Hits schreiben. Allen voran Jan, Samy und Max haben dieses Talent. Aber ich wollte mir diesen Druck nicht geben. Ich bin ein anderer Typ. Ich kann das nicht, und auf Knopfdruck schon gar nicht. Genau zu der Zeit bin ich dann mit dem Studium fertig geworden und habe angefangen, als Arzt zu arbeiten. Für mich war das alles völlig cool. Ich mache was Sinnvolles, es macht mir Spaß und ich verdiene so mein Geld – nebenher Rappen kann ich ja immer noch. 

  • Wenig später hat für die Rapper deiner Generation ohnehin eine veritable Krise eingesetzt.

  • Der Samy Deluxe hatte einen Maßstab gesetzt. Da ging einfach nichts mehr drüber. Für mich ist sind er und Roger Rekless bis heute die beste Rapper. Vor allem durch seine Solosachen wurde seine Art zu rappen ja der neue Standard. Extrem viele haben es genauso gemacht wie er – nur eben ohne sein Talent. Diese Imitate haben sich irgendwann totgelaufen. Erst Aggro Berlin haben dann radikal damit gebrochen und so erstmal übernommen. Das war natürlich schon eine Umstellung für uns. Früher hatten die Rapper immer gesagt, dass man sich bilden muss, damit man was bewirken kann: Knowledge is king. Plötzlich war auf dem Gymnasium sein das Schlimmste, was du machen konntest (lacht). Wir haben 2006 auf unserem Label 58Beats das Album von VI4R 2U E1NS rausgebracht, 2007 dann Creme Fresh mit Fatoni und Keno, die heute beide ja sehr erfolgreich sind. Fünf Jahre vorher wären die alle durch die Decke gegangen. Aber in der Zeit hat sich für geistreichen HipHop mit positiver Message und politischen Ambitionen keiner mehr interessiert. Das war plötzlich altbacken. 

  • Welche Rapper aus Deutschland haben dich in den letzten Jahren besonders beeindruckt?

  • Sylabil Spill finde ich Wahnsinn. Das ist ein wahnsinnig sympathischer, extrem talentierter Dude. Edgar Wasser find ich auch cool. So habe ich davor nie jemanden rappen hören. Dieser trockene Humor, dieses Sarkastische. Ich finde aber auch RIN cool (lacht). Ich mag diese Unbekümmertheit. Dass er es einfach macht. Und Liquid & Maniac find’ ich richtig dope, da stimmt einfach alles. Ich freu mich schon sehr auf das neue Album.

  • »Meine Haltung gegenüber der Welt ist eine HipHop-Haltung. Es geht darum, was du kannst und was du tust, nicht woher du kommst und was du hast.«Auf Twitter teilen
  • Du selbst machst immer noch regelmäßig Musik und gehst auf Tour. Dein Alltag sieht trotzdem anders aus. Wie viel HipHop steckt in diesem Alltag?

  • Ich bin Arzt, Philosoph, Künstler, Vater und MC. Meine Haltung gegenüber der Welt ist eine HipHop-Haltung: Ich respektiere jeden Menschen. Es geht nur darum, was du kannst und was du tust, nicht woher du kommst und was du hast. Alles, was ich an Idealen aus dieser HipHop-Kultur gezogen habe, sind immer noch meine Ideale. Man kann sich auch als Arzt verkaufen, indem man irgendwelche schwachsinnigen Untersuchungen anbietet oder irgendeinen Scheiß verkauft. Aber das ist dann Sellout. Das mache ich nicht. Das ist meine Haltung.

  • Wenn du darauf blickst, was aus dieser Sache geworden: Bist du manchmal ein bisschen stolz auf deinen Beitrag?

  • Ich bin nicht stolz, ich bin dankbar. Stolz ist befriedigte Eitelkeit, und das ist ein ignorantes Gefühl, das ich vermeiden will. Ich danke dem Allmächtigen, Tao, dem lieben Gott, dem Universum, dem Schicksal – wem auch immer – dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und durch meine Freunde da reingerutscht bin. Wenn ich heute Leute treffen, die mir sagen, dass sie durch unsere Sachen zum Rap gekommen sind, weiß ich, dass es alles nicht umsonst war. Das ist ein schönes Gefühl. Ich sehe mich als kleiner Teil des großen Ganzen, als eine von ganz vielen Zellen, von denen jede ihre Aufgabe hat. Ich war mir meiner Aufgabe damals nicht bewusst. Ich hab’s halt einfach gemacht, intuitiv. Dass sich jetzt zeigt, wie aus diesen Zellen ein großer, wunderschöner, produktiver Organismus geworden ist, dafür bin ich dankbar.