MC Rene »Das Beste am HipHop war schon immer das Machen selber.«
MC Rene hätte Deutschraps erster Superstar werden können. Wurde er nicht. Braucht er aber auch nicht: Die Musik selbst steht für den Wahlkölner nämlich über allem. Ein Gespräch, das Jan Wehn für das Buch »Könnt ihr uns hören?« geführt hat, hier exklusiv in voller Länge.
Als René El Khazraje Anfang der Neunziger auf der Bildfläche einer noch arg überschaubaren deutschen HipHop-Szene erschien, war das nicht weniger als eine Sensation. Seine Parts auf dem »That’s Real Underground«-Sampler und vor allem seine Freestyles auf den zahlreichen Jams des Landes stachen heraus. MC Rene war keine 18, aber der neue Standard. Sein Album “Renevolution” begründete den Typus des Solo-Rapstars im Deutschrap. Später wurde Rene unter anderem Moderator, Schauspieler, Comedian, Buchautor und der Lieblingsfeind von Kool Savas. Vor allem aber ist er immer Musiker geblieben. Dieser Tage erscheint sein neues Album »Master of Ceremony«, mit Beats von Maniac und Cuts von Retrogott.
Dieses Interview wurde geführt für »Könnt ihr uns hören? – Eine Oral History des deutschen Rap« von Jan Wehn und Davide Bortot. Das Buch ist bei Ullstein fünf erschienen und überall erhältlich, zum Beispiel hier. Wir veröffentlichen exklusiv die komplette, leicht redigierte Version des Gesprächs.
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Wann bist du das erste Mal mit Musik in Berührung gekommen?
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Bevor HipHop in mein Leben getreten ist, habe ich nur Michael Jackson gehört. Ich hatte keine Ahnung von Funk, Soul oder Jazz, aber Michael Jackson war mein Ein und Alles. Ich habe die »Bravo« gelesen, Artikel über ihn gesammelt und in der Schule mit anderen getauscht. Rap habe ich mehr durch Zufall wahrgenommen, als im Radio jemand nicht wie üblich gesungen, sondern eben gesprochen hat. Ich konnte überhaupt nicht verstehen, wie jemand auf die Idee gekommen war, rhythmisch zu sprechen und nicht zu singen. Das hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Kurz darauf war ich mit meinen Eltern im Urlaub. Da habe ich einen Typen kennengelernt, der ein paar Jahre älter war als ich. Der hat mir den Song »Me, Myself & I« von De La Soul gezeigt. So kam das eine zum anderen, und ich habe mir alles besorgt – von De La Soul bis Public Enemy oder 2 Live Crew und N.W.A. Das waren ganz verschiedene Styles. Aber ich habe das alles gehört.
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Und wann kam dir die Idee, das mit dem Rappen auch mal selbst zu probieren?
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Für mich war schnell klar, dass ich das auch machen will. Und es war ganz selbstverständlich, dass ich auf Englisch rappe. Ein Typ zwei oder drei Klassen über mir hatte zwei Turntables zuhause stehen. Er hat mir auch geholfen, mit dem Wörterbuch einen englischen Text zu schreiben, den ich dann auf das »My Mind Playing Tricks On Me«-Instrumental von den Geto Boys gerappt habe. Das war schon cool, aber natürlich hatte man latent das Gefühl, dass es nie so gut wie bei den Amis werden wird. Deren Stimmen klangen einfach geiler, der Flow war krasser und die Texte, die ich nicht verstanden habe, waren auch besser. Irgendwann habe ich aus Spaß an der Freude dann angefangen, mal auf Deutsch zu freestylen. Am Anfang waren das irgendwelche versauten Sätze, die furchtbar schlecht klangen, aber über die andere trotzdem gelacht haben.
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Du kommst aus Braunschweig. Wie sah zu der Zeit, also Anfang der neunziger Jahre, die Szene dort aus?
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In Braunschweig gab es das Label Rap Nation Records. Rap Nation war ursprünglich ein schwarz-weißes, selbst kopiertes Fanzine gewesen, wie das von MZEE. Für uns war das so etwas wie das Fenster zur Welt. Mathias Lanzer hat dann das Label gegründet, auf dem mit »That’s Real Underground« der zweite deutsche Rap-Sampler nach »Krauts With Attitude« erschien. Ich war zu der Zeit schon ein Teil der Gruppe State of Departmentz geworden, und wir sollten auch etwas zu dem Sampler beitragen. Also haben wir uns wochenlang überlegt, was wir machen könnten. Die Fantas waren schon draußen, man kannte »Fremd im eigenen Land« und die B-Seite »Ich zerstöre meinen Feind« von AC. Also haben wir auch auf Deutsch gerappt und mit »Auf der Jagd nach Dritter Oktober« einen Song gemacht, der in die gleiche Kerbe schlug wie »Fremd im eigenen Land« von Advanced Chemistry. Das Nazi-Thema war eben sehr angesagt. »Wer sind wir?«, ein weiterer Song von uns auf diesem Sampler, war ein etwas schnellerer Representer-Track auf 120 BPM, mit diesem Bryan-Adams-Sample. Das waren meine ersten deutschen Texte. Ich war gerade 15, das erste mal in einem professionellen Tonstudio, und das Ganze ist dann auch noch veröffentlicht worden. Das war für mich natürlich der Wahnsinn.
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Man hört von Zeitzeugen immer wieder, dass du in jungen Jahren in ganz Deutschland auf Jams unterwegs warst. Welche davon ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
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Mit meinem Schülerfernticket war ich sehr mobil und konnte auch nach Hannover oder Hamburg fahren: Dort habe ich mir Platten geholt und Flyer für Jams oder Rap-Contests mitgenommen. Irgendwann lag da ein Flyer für eine Jam in Oldenburg im Jugendzentrum »Cadillac« aus. Zur gleichen Zeit wurde ich vom »Stern« angesprochen, die an einer Reportage über junge Leute aus dem Jahrgang 1976 arbeiteten. Also wurde ich auf der Jam von einem Fotografen begleitet, der die ganze Zeit wollte, dass ich so typische Rap-Bewegungen mache. Das war mir natürlich zuwider, aber ich war noch so jung, dass ich mich da nicht gegen ihn durchsetzen konnte. Immerhin habe ich ihn dann bei meinem Freestyle gedisst (lacht). Es ist aber noch etwas viel Wichtigeres passiert: Nach den Auftritten gab es damals oft noch eine Open-Mic-Session. Meistens kam man da nicht zum Zug, und wenn doch, dann ging der Vorhang genau in dem Moment zu oder der DJ hat einfach kein Instrumental mehr aufgelegt. Aber an diesem Abend in Oldenburg habe ich das Mic bekommen, nach einem Ami mit dem Namen Cliff, und voll auf Adrenalin losgelegt. Nach und nach sind immer mehr Leute in die Cypher gekommen, und irgendwann standen Torch, Boulevard Bou und Storm vor der Bühne. Torch und ich haben uns nach dem Auftritt unterhalten und Nummern getauscht. Das war für mich total krass.
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Wie hat »Fremd im eigenen Land« damals auf dich gewirkt?
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Der Song hat mich sehr berührt und mir viel bedeutet. »Fremd im eigenen Land« dreht sich ja eigentlich gar nicht um Rassismus, sondern um Identität. Die Zeile »Kein Ausländer und doch ein Fremder« bringt das meiner Meinung nach gut auf den Punkt. Das Geniale an AC war ja, dass alle Mitglieder zwar Deutsche waren, aber einen anderen Background hatten. Torch war halber Haitianer, Toni war halber Italiener und Linguist halber Ghanese. Da ich halber Marokkaner war, wusste ich um diese innere Zerrissenheit. Man hatte immer gedacht, man sei mit diesem Gefühl alleine. Aber als man den Song gehört hat, war das, als ob man seine Familie im Geiste gefunden hat.
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Wie war dein Verhältnis zu Torch?
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Wir haben uns sofort gut verstanden. Aber während ich eigentlich noch ein Kind war, waren er und seine Leute schon junge Männer – egal ob im Umgang mit Frauen oder was die Meinung über Politik und Gesellschaft anging. Ich hatte von Sachen wie »Fight The Power« keine Ahnung. Durch ihn habe ich das alles kennengelernt. Torch war wie ein Anführer, um den sich alle versammelt haben. Er war das Alphatier, aber hat auch Leute zusammengebracht. Er war halt charismatisch und konnte nicht nur rappen, sondern auch sprühen und tanzen – alles auf extrem hohem Niveau. Der hatte einfach Style.
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Du warst dann regelmäßig bei ihm in Heidelberg?
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Ich konnte es immer kaum abwarten, wieder nach Heidelberg zu fahren. Braunschweig war für mich grauer Alltag, während Heidelberg mir wie die goldene Welt vorkam. Dort war ich nicht alleine, sondern unter Gleichgesinnten und konnte neue Musik entdecken, aber auch ganz andere Sachen. Alles, was mir zu Hause fehlte, konnte ich dort super kompensieren. Die Heidelberger waren zum Beispiel alle total die Nerds, was Filme und Literatur angeht. Die hatten diese ganzen Kult-Sachen verinnerlicht und haben mich da an die Hand genommen. Ich habe mir das mit großen Augen angeschaut. »Blauer Samt« von Torch ist viel mehr als nur ein klassisches HipHop-Album. Torch hat sich dafür von verschiedenen Büchern, aber auch von Filmen inspirieren lassen. Wir haben zum Beispiel »Eraserhead« von David Lynch zusammen gesehen. Wir waren da mit einem Breaker im Kino, der lieber den neuen Film mit Sylvester Stallone gesehen hätte, aber Torch hat auf »Eraserhead« bestanden (lacht).
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Warst du bei der Entstehung von »Blauer Samt« zugegen?
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Bei einigen Texten war ich dabei – Torch hat die ja teilweise schon Jahre vorher geschrieben. Wir haben uns zusammen hingesetzt, und er hat mir gezeigt, wie man mit der Sprache spielen und sie auch mal ganz anders verwenden kann. So ist zum Beispiel »Der flammende Ring« entstanden. Man muss allerdings sagen: Für die Leute heute wirkt das vielleicht, als wenn wir damals alle eine Mischpoke gewesen sind. Ich war natürlich down mit Torch, aber habe nach und nach auch Rapper kennengelernt, die so alt waren wie ich. Als Jugendliche wollten wir natürlich unseren eigenen Platz in der HipHop-Szene finden. Deshalb habe ich mit Main Concept und den Beginnern den Song »Immer das alte Lied« gemacht, in dem wir uns gegen die Dogmen der Alten aufgelehnt und rebelliert haben. Tobi und Bo haben für »Die Klasse von 95« auch den Song »poH piH« gemacht, der natürlich ein Affront gegen die »Alte Schule« war. Auf ihrem Album »Genie und Wahnsinn liegen eng beieinander« machen die beiden auch Gags darüber, dass Cora E ein Mischwesen aus Torch und Marilyn Monroe sei… Die Presse hat über die beiden geschrieben: »Helge Schneiders Kinder können jetzt sprechen.« Man wollte sich eben emanzipieren und seine eigene Plattform haben – wie heute auch.
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Die erste Hälfte der neunziger Jahre ist geprägt von diesen Konflikten: Alte Schule gegen Neue Schule, Fanta 4 gegen AC, Rödelheim gegen alle. Wie hast du dich da positioniert?
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Ich erinnere mich, dass es bei einem Radiosender in Frankfurt mal ein Gipfeltreffen zwischen den Fantas, AC und RHP gab. Da war richtig dicke Luft. Ich habe mich aber zum Beispiel super mit Michi Beck verstanden. Für mich war das nie ein Problem, dass die alle ganz unterschiedliche Sachen gemacht haben. Ich bin mit De La Soul und Public Enemy aufgewachsen. Es war völlig normal, dass verschiedene Styles existieren. Im Grunde sind die Fantas auch Pioniere für deutschsprachigen Rap gewesen. »Jetzt geht’s ab« haben wir alle gehört. Es war einfach faszinierend zu hören, wie jemand auf Deutsch rappt, noch dazu so schnell. Das Video zu »Die da?!« mutete dann aber wie eine Parodie an. Der Tanz, der bei »How I Could Just Kill A Man« von B-Real noch cool aussah, wirkte bei Thomas D doch sehr klischeehaft. Damals wie heute fühle ich mich mehr mit dem HipHop-Spirit von Advanced Chemistry verbunden als mit dem Sound der Fantastischen Vier.
- »1995 war der letzte unschuldige Sommer, bevor sich die Spreu vom Weizen getrennt hat.« Auf Twitter teilen
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Du bist dann ja auch bei deren ursprünglichem Label MZEE Records gelandet.
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Nach »That’s Real Underground« hat (MZEE-Gründer) Akim Walta mich unter seine Fittiche genommen. Wir haben zwei Maxis zusammen gemacht, ehe ich an meinem ersten Album »Renevolution« gearbeitet habe. Für das war ich dann bei verschiedenen Produzenten: Glammerlicous von Main Concept, Tobi von Der Tobi & Das Bo, Fader Gladiator von Die Firma, Blade, Roe Beardie und den Stieber Twins. Ungefähr zur selben Zeit kam die »Klasse von 94«-Tour mit den damals noch absoluten Beginnern und Main Concept, und danach »Die Klasse von 95«. Das war die Blaupause für den ersten deutschen HipHop-Hype. Das war der letzte unschuldige Sommer der noch sehr jungen deutschen HipHop-Szene, bevor sich die Spreu vom Weizen getrennt hat. Ich sage ja in meinem Song »Die Enthüllung« auch: »Der Neid häuft sich«. Es war ganz klar zu sehen, wie sich das Ding weg von Jams zu Konzerten entwickelte und manche mehr Props oder Applaus als andere bekamen. Fettes Brot sind zum Beispiel immer zum Schluss aufgetreten. Aber das Schöne war, dass wir alle davon profitiert haben. Mirko Machine und ich sind ein Jahr später mit Fettes Brot auf Tour gegangen und wurden total gefeiert, obwohl wir eigentlich ganz anderen Rap gemacht haben.
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Wann wurde dir endgültig klar, dass sich Deutschrap als eigenständiges Ding durchsetzen wird?
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Der erste richtige Rap-Hype ging 1997 mit Samy Deluxe los. Er konnte nicht nur gut freestylen, sondern war der neue freshe Typ mit viel Charisma, der Battle-Rap vom Jugendzentrum in die Charts gebracht hat. Ab 1997 waren die Majors auf einmal an HipHop interessiert und wollten nach den Fantas das nächste große Ding aufziehen. Das hat man an ganz vielen Kleinigkeiten gemerkt, am krassesten aber an den Managern. Auf einmal haben die Leute nicht mehr für sich selbst gesprochen, sondern hatten jemanden, der ihre Interessen vertritt. Backstage sprach man auf einmal auch mit anderen Rappern über ihre Konditionen in den Deals. Gleichzeitig gab es innerhalb der Crews Diskussionen, ob man die N1-Rotation für sein Video jetzt eigentlich will oder nicht.
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Im Grunde die gleiche Entwicklung wie in Amerika ein paar Jahre zuvor, oder?
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Der deutsche Musikmarkt hat schon immer auf das reagiert, was in Amerika passiert ist. Als »Jazzmatazz« von Guru angesagt war, hat man hierzulande die Jazzkantine veröffentlicht. Genauso war das dann später bei den Fugees. »Fu-Gee-La« war ein Riesenhit, weil er Rap und Gesang so angenehm verbunden hat. Eine Gruppe wie Freundeskreis hätte es ohne den Einfluss und den kommerziellen Erfolg von Fugees in der Form sicherlich nicht gegeben.
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Du hast Samy Deluxe und Freundeskreis angesprochen. Wie kam es aus dieser Sicht, dass sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre Hamburg und Stuttgart als die beiden HipHop-Hochburgen herauskristallisierten?
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Stuttgart und Hamburg waren auch deshalb so präsent, weil sie beides hatten: eine auch im Mainstream erfolgreiche Gruppe wie Freundeskreis auf der einen, für die Heads die Massiven Töne oder Afrob auf der anderen Seite. In Hamburg gab es die Beginner, Eins Zwo oder Dynamite Deluxe, aber eben auch Doppelkopf als eine Art Film-Noir-Rap-Gruppe mit einem sehr guten Album, das textlich und musikalisch enorm weit vorne war. In München zum Beispiel gab es aber nur Main Concept oder Blumentopf und noch kein kommerzielles Zugpferd – was jetzt keine qualitative Wertung darstellt…
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Eins Zwo waren sogar ein bisschen beides in einem, oder?
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Dendemann war immer im kreativen Dialog mit sich und seiner Umwelt – egal ob es um Reime oder um Samples ging. Ich habe ihn auf der Tour mit Fettes Brot kennengelernt, als er noch eine Crew mit dem Namen Arme Ritter hatte. Ich erinnere mich, wie er und Dokter Renz die ganze Zeit damit beschäftigt waren, Doppelreime zu finden: “Feuermelder” auf “Steuergelder” und solche Sachen. Da hatte ich manchmal echt ein schlechtes Gewissen, weil ich das nicht so minutiös verfolgt und aufgeschrieben habe (lacht). Mit »Gefährliches Halbwissen« haben er und DJ Rabauke echt eine neue Wegmarke gesetzt. Diese Mischung aus Charisma, Nerdtum und Beobachtungsgabe hatte es in der Form noch nicht gegeben.
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Hamburg und Stuttgart waren das Ding. Warum war Berlin aus deiner Sicht noch nicht so präsent?
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Berlin war für mich schon immer die HipHop-Hauptstadt. Gerade was Graffiti, aber auch B-Boying angeht, hatten die Berliner die Nase vorne – und manchmal auch die Faust. Berlin war street. Das hat man auf der Bühne gespürt, gleichzeitig hat es den Reiz ausgemacht. Die Berliner fanden alles scheiße – aber die fettesten Konzerte habe ich trotzdem da gespielt. Das war einfach eine andere Energie. In seiner liebenswerten Ignoranz hat Berlin natürlich überhaupt nichts mit dem damaligen Status Quo von Deutschrap anfangen können. Es war klar, dass jemand wie Savas kommen musste, um das alles umzukrempeln …
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Du und Savas, ihr habt eine sehr spezielle Geschichte. Wann hast du ihn zum ersten Mal wahrgenommen?
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Ich hatte einen Auftritt in Berlin und war davor noch zusammen mit Spax und Ono von Walkin Large im Radio zu Gast. Leichtsinnig, wie wir waren, meinten wir on air, dass wir jeden wegbattlen. In Berlin kann man sowas ja eigentlich nicht bringen, aber am Abend kamen dann tatsächlich nur Rapper zur Show und niemand, der uns auf die Fresse hauen wollte. Die deutschsprachigen MCs haben Spax und ich weggemacht. Danach kam Savas, damals noch als Juks, auf die Bühne und hat gegen Ono gebattlet. Man hat damals schon gemerkt, dass er etwas kann – aber Ono war einfach slicker und hat ihn definitiv nass gemacht. Das Schöne war, dass daraus eine Freundschaft entstanden ist und die beiden angefangen haben, Tracks miteinander zu machen. Das war echt ein schöner Moment. Ono war definitiv einer der ersten, der Savas außerhalb Berlins supportet hat – auch wenn sich das andere oft auf die Fahnen schreiben.
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Kanntet ihr dann auch schon?
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Wir haben uns ein paar Mal getroffen.Über ihn habe ich auch Melbeatz kennengelernt. Wir waren sogar mal zusammen im Freiluftkino und haben uns »Das Leben ist schön« angeschaut. Fast schon romantisch! (lacht) Als es dann bei ihm mit dem Business losging, hat er behauptet, es würde einen Song von mir gegen ihn mit dem Titel »Schieb ab Joe« geben. Den hat es aber nie gegeben. Der ganze Streit war eine Verkettung unglücklicher Ereignisse – aber eher auf seiner Seite. Ich kann das schon verstehen, weil MC Rene in seinen Augen sinnbildlich für das Alte stand und er der Vorsteher einer neuen Battlerap-Generation war. Mit Azad war das ganz ähnlich. Die Konflikte gingen nie von mir aus. Aber ich war anscheinend ein gutes Feindbild für Promozwecke: ein Künstler, der kein Hardcore-MC mit dem einschlägigen Vokabular ist und dann auch noch eine umstrittene HipHop-Sendung wie »Mixery Raw Deluxe« auf eine eher lockere Art moderiert. Für mich wäre es sicher besser gewesen, wenn ich eine Personality-Show gehabt hätte. Ich bin nun mal kein klassischer Moderator oder Interviewer. Vielleicht war der ein oder andere Freestyle auch zu gut gelaunt oder zu dahingehuscht für den damaligen State of Mind in der HipHop-Szene.
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Wie kam es eigentlich zu der Mixery-Sache?
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Peter Niggemann rief mich an, um mich zum Casting für eine neue HipHop-Show einzuladen. Ich habe zugesagt, aber das gar nicht wirklich ernst genommen. Ich meine, ich bin mit Pudelmütze zum Casting und habe das locker durchgezogen – aber vielleicht genau deswegen den Job bekommen. Meine erste Show war ein Interview mit GZA, wo ich Schach gegen ihn gespielt habe. Das Interview wurde allerdings nicht ausgestrahlt, weil mein Englisch – nervös wie ich war – für den Sender nicht ausreichte. Das ging also schon mal gut los. Die erste gesendete Show war dann mit DJ Thomilla, den ich in Stuttgart besucht habe. Es gab viele Sendungen, die mir total Spaß gemacht haben, während ich bei anderen nicht wirklich mit dem Herzen dabei war. Aber ich war ja auch kein klassischer Moderator. Mir war das eher unangenehm, wenn ich im Fernsehen zu sehen war. Auf Dauer hat sich das alles eher wie ein Zwang angefühlt.
- »Es ist nicht mehr fragwürdig, mit seiner Musik um jeden Preis Erfolg zu haben, sondern Normalität.«Auf Twitter teilen
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In der Zeit hast du trotzdem weiter Musik gemacht, u.a. mit DJ Tomekk. Wie hast du ihn kennengelernt?
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DJ Tomekk war ganz früh schon ganz weit vorne, hat in Clubs in Berlin aufgelegt und hatte Kontakte nach Amerika. Wir kannten uns bereits seit längerer Zeit und sind uns dann bei einem Konzert von Blumentopf in Würzburg wieder über den Weg gelaufen. Er erzählte mir, dass er gerade einen Track mit Flavor Flav machen würde, und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, dabei zu sein. Afrob war ein bisschen sauer, weil er dachte, er sei der einzige deutsche Rapper auf dem Song. Auch das Label BMG hat protestiert, weil sie mich nicht auf dem Song haben wollten, da zu unbekannt. Außerdem war ihnen die Bassdrum nicht catchy genug. Aber Tomekk hat daran festgehalten – und der Erfolg hat ihm am Ende recht gegeben.
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Nach dem angesprochenen »1,2,3…Rhymes Galore« warst du noch auf einer weiteren Tomekk-Single, der mit KRS-One und Torch.
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Bei »Return of HipHop« war es so, dass der Beat und der Verse von KRS-One schon standen. Tomekk hat mich dann gefragt, wen ich mir gut dazu vorstellen könnte. Ich meinte, er solle doch Moses Pelham fragen. Kurz danach war ich bei Torch und mir kam der Gedanke, dass der Song doch auch gut zu ihm passen könnte. Torch war sofort Feuer und Flamme. Ich habe dann noch die letzten zwölf Bars beigesteuert, die nach diesem ganzen Spaßrap, den ich davor gemacht hatte, echt serious waren. Manchmal denke ich, dass ich zu der Zeit gerne ein Album in dem Style gemacht hätte…
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Diese Songs und Tomekk allgemein waren in der Szene nicht unumstritten. Wie hast du ihn eingeordnet?
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»1,2,3…Rhymes Galore«, »Ich lebe für HipHop« und »Return of HipHop« waren für mich die letzten Ausläufer des ersten HipHop-Hypes. Nach ihm gab es nie wieder Kollaborationen zwischen deutschen und amerikanischen Rappern auf HipHop-Niveau in den Charts. Tomekk hatte einen GZA, als der gerade heiß war, und ihn dann auch noch mit einem Curse und den Stiebers zusammengebracht. Das war schon krass. Dabei hatte er erst kurz vor diesen Singles mit dem Produzieren angefangen. Aber er hatte anderen, technisch vielleicht etwas versierteren Produzenten eines voraus: Er hat erkannt, dass es nicht auf die reine Kommerzialität im Sound, sondern auf das Gesamtprodukt ankommt. Eine Single nur mit Flavor Flav hätte niemanden interessiert – durch das Add-On Afrob und MC Rene funktionierte das auch hierzulande. Die Songs waren auch deshalb Kult, weil sie diese von Amis ausgesprochenen deutschen Catchphrases hatten. Als Flavor Flav »Isch liebe disch« gesagt hat, hat das sogar meine Mutter gefeiert! Das hat er dann ja auch auf den anderen Songs mit »Isch lebe für HipHop« oder »Gib’s mir rischtisch – ganz egal wo« fortgeführt. Für die Dinger steht Tomekk sogar in der GEMA… Im Grunde war er der erste, der so amerikanisch gedacht und die HipHop-Kultur mit seinem Geschäftssinn für die breite Masse zugänglich gemacht hat. Der hatte einfach die Bodo-Schäfer-Attitude. Bei dem zuhause lagen so Bücher wie »Die erste Million in 7 Jahren« rum.
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Die ganze Kommerz-Diskussion hatte sich nach Tomekk im Grunde erledigt, oder?
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Heute ist das überhaupt kein Thema mehr. Es ist nicht mehr fragwürdig, mit seiner Musik um jeden Preis Erfolg zu haben, sondern Normalität. Es geht sogar so weit, dass der wirtschaftliche Erfolg der Musik in der Wahrnehmung des Mainstream-Deutschrap-Hörers ein Gradmesser dafür geworden ist, ob etwas gut oder schlecht ist. Deutschrap im kommerziellen Sinne ist dem Schlager heute wahrscheinlich näher, als ihm lieb ist.
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Rap als Geschäft: Nach Meinung vieler haben Aggro Berlin diese Haltung in Deutschland endgültig etabliert. Siehst du das auch so?
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Sido und Bushido waren auf jeden Fall die ersten richtigen Rap-Stars im klassischen Popkultur-Verständnis. Klar hatten Samy und Savas schon einen besonderen Status in der HipHop-Szene, und Kids mit Migrationshintergrund, die vorher eher Snoop oder 2Pac hörten, konnten sich auch mit Savas und Azad identifizieren. Aber mit Aggro erreichte das ein ganz neues Level, auch bei den deutschen Kids in den Vorstädten. Die Popularität von Straßenrap hat leider auch viel Dreck mit rein gebracht. Leute aus dem Milieu haben sich eingeschaltet, weil es auf einmal Geld zu verdienen gab. Als Kool Savas mich gefrontet hat, lief alles noch auf lyrischer Ebene ab. Aber danach wehte ein anderer Wind.
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Du hast 2004 einen Song mit Sido gemacht. Viele der alten Generation aber sind auf Aggro so gar nicht klargekommen…
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Die Gangart war halt viel aggressiver, sowohl geschäftlich als auch menschlich. Aber vielleicht war es einfach Zeit für einen Paradigmenwechsel. Davor hatte sich der Spaß gut verkauft, jetzt war eben die Gewalt dran. Aggro Berlin ist für viele ja die Zeit, in der Rap sich textlich zurück ins Mittelalter bewegt hat. Dabei man muss sagen, dass es gerade soundtechnisch ein weiterer Sprung war. Die haben es geschafft, amerikanischen Sound der nuller Jahre zu professionalisieren. Dennoch war deutschsprachiger Rapmusik zu diesem Zeitpunkt sehr einseitig. Alle wollten klingen wie Dipset oder G-Unit. Das Facettenreichtum sollte sich erst später wieder regulieren mit Produktionsstilen von Leuten wie Dexter, Hulk Hodn, Figub Brazlevic usw. Die deutsche Beatmaker-Kultur ist so gut und vielfältig wie noch nie und mittlerweile international wettbewerbsfähig. Es gibt Leute aus Deutschland, die an einem Album von Drake oder Action Bronson mitproduzieren. Ich glaube, der Beatmaker oder Produzent wird in Zukunft weiter an Relevanz gewinnen und in der Außenwahrnehmung eine noch tragendere Rolle einnehmen als noch vor ein paar Jahren.
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Mit Hulk Hodn und Retrogott arbeitest du auch seit Jahren zusammen. Wie würdest ihre Rolle in dem ganzen Deutschrap-Narrativ beschreiben?
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Während sich wirklich alles um Straßenrap drehte, kamen die plötzlich um die Ecke – damals noch als Huss und Hodn – und haben allen gezeigt, dass man kein krasser Gangster sein muss, um selbstbewusst guten Rap zu machen. Im Grunde genommen hat der Retrogott eine ganze Generation von MCs geprägt und die Tür geöffnet für das, was wir heute in Deutschland »Underground-Rap« nennen, als Alternative zum mittlerweile doch sehr kalkulierten Deutschap. Der Retrogott hat einfach da weitergemacht, wo viele bekannte deutsche Rapper ihre Kunst ausverkauft haben, um zu dem zu werden, gegen das sie früher immer gerappt haben.
- »Der positive Vibe von HipHop fängt für mich in meinem musikalischen Schaffen wieder von vorne an.«Auf Twitter teilen
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Das klingt eher desillusioniert.
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Deutschrap ist mittlerweile absoluter Mainstream geworden und hat mit dem Spirit der damaligen HipHop-Kultur nicht mehr viel am Hut. Obwohl alles die gleiche Musikrichtung ist, ist das ein Kosmos mit ganz unterschiedlichen Planeten, die überhaupt nichts mehr miteinander zu tun haben. Auch von der Geisteshaltung her müsste man mittlerweile von verschiedenen Genres sprechen. Es ist alles erlaubt, wenn es dem gängigen Hype entspricht – sogar biten! Früher wäre man damit nicht durchgekommen. Das wäre eine absolute Todsünde. Aber wenn heute jemand etwas ganz offensichtlich nachmacht, geben die Leute ihm dafür sogar Respekt. Das ist schon erstaunlich. Oft bekommt der Zuhörer es auch gar nicht mehr mit, wo sich Rapper xy bedient, und ob der live Playback rappt, ist den meisten auch schlichtweg egal. Mir persönlich gefällt die Diktatur der Ahnungslosen nicht. Es ist nicht schlimm, D.I.T.C. nicht zu kennen oder nicht zu feiern. Das ist keine Voraussetzungen dafür, ein guter Rapper zu sein. Aber ich finde es schon seltsam, dass man sich nicht für seinen musikalischen Stammbaum interessiert. Im Internet ist die gesamte HipHop-Historie zugänglich, da kann man so viel neues kreatives Potential schöpfen. Aber das machen nur die wenigsten. Die meisten Rapper haben leider keinen blassen Schimmer von ihren Roots.
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Denkst du nicht, dass es auch damit zu tun haben könnte, dass von den Alten ebenfalls oft wenig Respekt für die Jungen kommt?
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Rap bewegt sich immer in Zyklen. Als ich 1995 mit »Renevolution« rauskam, meinte KoLute von LSD zu mir, das wäre ihm zu Newschool. Aber ich war eben Fan von Drums, die nach Pete Rock klangen. Heute wollen Rapper eher nach Travis Scott als nach den Sachen davor klingen und bekommen dafür Hate von der älteren Generation. Das scheint normal zu sein, aber es ist auch ein wenig absurd. Die, die mal die Rebellen waren, sind heute die größten Spießer.
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Wie hast du deine Rolle in diesem Wechselspiel gefunden?
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Für mich fängt der positive Vibe von HipHop in meinem musikalischen Schaffen wieder von vorne an. Mit einem jungen Geist, gefangen in einem alten Körper. Der Unterschied ist, dass ich die Frage meiner Relevanz nicht so ernst nehme – und es eigentlich auch nie wirklich getan habe. Ich mache meine Art von HipHop-Musik, einfach um sie zu machen und weil es mir und anderen Lebensfreude bereitet, und nicht damit Rapper xy mich dafür feiert. Darauf lege ich keinen Wert. Der Weg war schon immer das Ziel oder das Ziel war im Weg. Ich habe für mich persönlich erkannt: Das Beste am HipHop war schon immer das Machen selber und nicht der ganze Bullshit drum herum.