Yetundey »Man versteht die Abhängigkeit nur, wenn man es selbst erlebt hat.«
Gerade veröffentlichte die Rapperin und Sängerin Yetundey ihre EP »Y«, auf der sie ein zentrales Thema behandelt: toxische Beziehungen. ALL GOOD-Autor Till Wilhelm sprach mit der Berlinerin über ihre eigenen Erfahrungen und Musik als Heilprozess.
Yetundey ist erst 23 Jahre alt, hat aber gefühlt schon eine halbe Karriere hinter sich. Mit einer Hauptstadthymne und selbstironischen Thementracks erreichte sie schon 2018 ein großes Publikum. Auf der Suche nach Tanzbattles und Street Shows reiste sie durch Europa, urbane Kultur sog sie dabei im Unmengen auf. Auf ihrer neuen EP »Y« präsentiert sie sich ebenso poppig wie verkopft – mit Lyrics auf Deutsch, Englisch und Französisch. Zentrales Thema der EP: toxische Beziehungen, geprägt von Abhängigkeit, Angst und Eifersucht. Wenn auch viele Menschen sich schon in solchen Beziehungen wiedergefunden haben, ist das Thema doch unterrepräsentiert in der hiesigen Rap-Szene. Das liegt nicht zuletzt daran, dass viele der erfolgreichen Rapper (absichtlich männlich) sich nicht viel um die Gefühlswelt ihrer Partnerinnen kümmern. Im Interview erzählt Yetundey von ihren Erfahrungen, von Musik als Heilprozess und von Manipulation.
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Deine neue EP »Y« behandelt toxische Beziehungen. Stammen die Inhalte der Songs alle aus einer einzelnen Beziehung?
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Das sind mehrere Erfahrungen, die in die EP einfließen. Bis dahin hatte ich keine Lieder über Liebe geschrieben. In diesem Jahr konnten all diese Emotionen endlich kanalisiert werden. Das lag nicht unbedingt am Lockdown, die Songs hatte ich teilweise schon zuvor geschrieben. Dieses Jahr war sehr emotional verzerrt, dadurch sind die Songs entstanden.
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Wann hast du realisiert, dass du in einer toxischen Beziehung bist?
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Es gab eine Beziehung, die war besonders schlimm. Ich frage mich bis heute, wie ich dort gelandet bin. Es gab einen Klick-Moment: Ich war bei meinen Eltern, also außerhalb der Situation. Während ich mit meinem damaligen Partner geschrieben habe, ist das Drama eskaliert. Ich glaube, dass er nicht psychisch gesund war. Mein Partner war paranoid, krankhaft eifersüchtig, vielleicht sogar schizophren. Ich habe den Streit in dem Moment gar nicht verstanden. Er hat mich mit einer komplett verzerrten Erzählung konfrontiert. Ich habe gemerkt: Hier stimmt etwas gar nicht. Das hätte ich wahrscheinlich nicht realisiert, wenn ich in dem Moment nicht in einem positiven Umfeld gewesen wäre.
- »In der Umsetzung ist das nie so einfach.«Auf Twitter teilen
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Was war deine erste Konsequenz?
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»Ciao!« Das wurde gefährlich, ich hatte Angst davor, dass es zu physischer Gewalt kommen könnte. Ich habe gemerkt, dass ich aus der Beziehung raus muss. In der Umsetzung ist das nie so einfach. Man befindet sich in einem Teufelskreis, man wird manipuliert. Ist man in einer toxischen Beziehung, kann auch nach der Erkenntnis noch Abhängigkeit bestehen, die zuvor langfristig kreiert wurde. Ich habe sofort einen Cut gemacht. Sich komplett emotional zu lösen, hat bei mir aber länger gedauert.
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Konntest du beobachten, dass du dich innerhalb der Beziehung verändert hast?
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Total. Ich war sehr ängstlich. Ich würde mich selbst als einen sehr positiven Menschen beschreiben. Ich habe viel Energie, ich bin sehr aktiv und gerne draußen. Ich wurde in der Beziehung immer leiser und zurückgezogener. Ich hatte kaum Lebenslust, kaum Freude. Viele Angstzustände.
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Hat sich das auf andere Beziehungen ausgewirkt? Zu Freund:innen oder Familie?
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Da fällt mir eine andere Beziehung ein, die nicht ganz so extrem war. Zu dieser Zeit war ich frustriert, gefangen und konnte mich nicht aussprechen. Das hatte einen Einfluss auf mein Umfeld. Ich war aggressiv, wütend, ungeduldig und traurig. Dementsprechend bin ich mit meinen Freund:innen umgegangen.
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Haben dich vielleicht schon vorher Freund:innen angesprochen, die gesehen haben, dass deine Beziehung toxisch ist?
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Leider nicht. Bei der schlimmsten Beziehung wusste es einfach niemand. Niemand hat das gesehen. Ich habe auch mit niemandem darüber geredet. Ich war zu dieser Zeit noch cool mit meinen Freund:innen, aber es gab für sie keine Möglichkeit, zu wissen, was da passiert. In anderen Beziehungen waren meine Freund:innen für mich da. Aber sie dachten, ich hätte einfach gerade eine schwierige Zeit. Es war für Äußere nicht eindeutig, dass das an der Beziehung liegt. Sie waren sehr hilfreich und ich bin ihnen für immer dankbar, dass sie mich so unterstützt haben.
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An wen hast du dich gewendet, als dir klar wurde, dass nicht alles so läuft, wie es soll?
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Ich habe sofort mit meinen Eltern gesprochen und sie gefragt, ob es sein kann, dass der Typ eine Macke hat. Die haben mir sofort zugestimmt und gesagt, ich muss da rauskommen. Mein Vater ist Psychiater und hat ihn quasi sofort ferndiagnostiziert, insofern das überhaupt möglich ist. Das hat mir gezeigt, dass ich nicht die Hauptschuld trage. Dass ich an dieser Stelle nichts mehr ausrichten kann. Bei meinen Freund:innen hat es wesentlich länger gedauert, bis ich mit ihnen über meine Erfahrungen sprechen konnte.
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Kannst du die Beziehung kurz in den Kontext der Zeit einordnen, in dem sie stattfand?
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2018 war ohnehin sehr anstrengend für mich. Ich habe meinen Bachelor gemacht, das war sehr viel Arbeit. Für die Berlin Music Video Awards habe ich die Stage Production übernommen. Meine erste EP wurde veröffentlicht, das war emotional sehr fordernd. Sofort hatten wir Bookings und Anfragen aller Art, das war viel Arbeit. Als Band haben wir bei »X-Factor« mitgemacht, dort wurden wir auseinandergenommen. In der Beziehung wollte ich Ruhe finden. Aber ich wurde komplett gebrochen. Am Ende des Jahres wusste ich nicht mehr, wer ich bin und was ich will.
- »Meine Wahrnehmung war komplett verzerrt.«Auf Twitter teilen
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Was hast du getan, um wieder zu dir selbst zu finden?
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Meine Wahrnehmung war komplett verzerrt. Ich hatte keine Routine mehr. Um rauszukommen, habe ich ein Spiel für mich selbst entwickelt. Da gibt es Aufgaben, die ich erledigen muss, um Punkte zu sammeln. Am Ende des Tages zähle ich die Punkte zusammen und klopfe mir auf die Schulter. Manche Sachen mache ich täglich, andere ein Mal pro Woche. Da sind ganz einfache Dinge dabei: Stimmtraining, Klavierspielen, Putzen. Vor allem liegt ein Fokus auf Dingen, die mir helfen, zu entspannen: soziale Kontakte, Netflix, Yoga. Als ich damit angefangen habe, haben meine Mitbewohner mich ausgelacht. Aber somit konnte ich mich selbst belohnen und wieder Lust an der Arbeit finden. Durch dieses Spiel hat viel Selbstreflektion stattgefunden. Ich fühlte mich als eine schlechte Freundin. Natürlich stimmte das nicht. Dann habe ich mir die Aufgabe gestellt, soziale Kontakte zu pflegen. Und gemerkt: Ich bin gut zu meinen Freund:innen.
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Ist die Musik deiner neuen EP »Y« Teil des Heilprozesses?
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Auf jeden Fall. Drei der Songs sind während einer Trennung entstanden. Das war dieses Jahr, aber auch in dieser Beziehung wurden viele emotionale Narben hinterlassen. In vielen Situationen hat sie mich an die vorherigen Beziehungen erinnert. Das hängt sicher auch mit Trauma und Triggering zusammen. Das hat mich sehr zurückgeworfen. Mitten in diesem Sumpf ist »April, April« entstanden. Während das Zimmer, in dem wir gerade sitzen, aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen, saß ich sieben Stunden am Klavier, bis der Song fertig war. Ich saß nur im Licht des Laptops, der aufgrund der Unordnung schräg auf dem Klavier lag. Einen Tag nach meiner Trennung, am Valentinstag, hatte ich eine Sessions mit anderen Songwritern. Dort ist »Gut Genug« beispielsweise entstanden. Die Session war bitter nötig. In einem Raum zu sein mit Leuten, die mich verstehen und unterstützen, hat mir sehr gut getan.
- »Die Akzeptanz folgt auf die Erkenntnis, dass das nicht normal ist.«Auf Twitter teilen
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Auf »Evil« singst du: »Manche leben von Liebe und andere von Schmerz«. Das klingt nach Akzeptanz.
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Die Akzeptanz folgt auf die Erkenntnis, dass das, was in der Beziehung läuft, nicht normal ist. Erst, wenn ich weiß, in welcher Situation ich mich befinde, kann ich sie akzeptieren. Ich könnte mich für immer darüber aufregen, wie schrecklich dieser Mensch zu mir war. Aber ich kann es nicht ändern. Das hält mich nur in meiner Vergangenheit fest. Man muss lernen, loszulassen. Dazu gehört die Akzeptanz. Zu wissen, warum dieser Mensch so handelt. Familienhintergründe, Denkweisen, psychische Probleme. Das ist keine Rechtfertigung, sondern Verständnis.
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Du rappst auf »April, April« über »F.60.30«. Was ist das?
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So bezeichnet man in der Medizin das Krankheitsbild »Emotional instabile Persönlichkeitsstörung: Impulsiver Typ«. F.60 ist die Gruppe der schweren Persönlichkeitsstörungen. »F 6030« ist auch mein Nummernschild, ein Gag meines Vaters.
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Dann sagst du »Die Diagnose kam zu spät«.
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In der Beziehung wurde mir durchgehend klargemacht, dass der Fehler bei mir liegt, dass ich schlecht bin und etwas falsch mache. Die Diagnose hat mir dann die Augen geöffnet. Erst dadurch habe ich verstanden, wie unwahr das ist. Die Beziehung führte in eine »Folie à Deux«. Davon spricht man in einer Beziehung, wenn einer der Partner:innen psychisch krank wird und sich das durch die gegenseitig Abhängigkeit auf das Gegenüber abfärbt. Ich habe mich in die psychische Störung mit reinziehen lassen, dagegen konnte ich gar nichts ausrichten.
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Also trug die Diagnose zum Verständnis dieser Beziehung bei.
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Ich konnte mit dem Krankheitsbild vor der Diagnose gar nichts anfangen. Ich kannte das nicht. Nicht aus meinem Freundeskreis, nicht aus meiner Familie. Als wir uns kennenlernten, war mein Selbstwertgefühl schon am Boden. Ich war gar nicht in der Lage, zu erkennen, dass mein Partner psychisch krank war. Ich dachte, ich müsste ein schlechter Mensch sein, und würde meinen Partner zu einem schlechten Mensch machen.
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Es ist dann natürlich leicht, zu sagen: Der:Die Täter:in ist psychisch krank. Und das mindert vielleicht auch nochmal die Konsequenzen.
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Die psychischen Krankheiten zu ignorieren, ist den Täter:innen gegenüber unfair. Natürlich muss man dem eigenen Verhalten gegenüber Verantwortung übernehmen. Wer psychisch krank ist, kann das aber oft nicht. Diese Personen sind nicht in der Lage, zu erkennen, was gerade passiert. Man ist Opfer seiner eigenen neuronalen Verknüpfung. Viele verstehen nicht mehr, was richtig und was falsch ist. Kontrollverlust ist ganz üblich. Was sie tun, liegt nicht in ihrer Hand. Wichtig ist die Frage: Wird diese psychische Störung als juristische Ausrede benutzt? Es müssen ordentliche Prüfungen stattfinden. Wenn jemand aber psychisch krank ist, ist professionelle Hilfe nötig. Diese Person sollte nicht einfach weggesperrt werden. Aktionen müssen aber auf jeden Fall Konsequenzen haben, sonst wird niemals Eigenverantwortung übernommen.
- »In den eigenen vier Wänden fällt die Maske.«Auf Twitter teilen
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Welches Umfeld erlaubt Täter:innen, so zu handeln?
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Das kann sehr unterschiedlich sein. In meiner Erfahrung gab es zwei Aspekte. Einerseits hatte das Umfeld kaum Verständnis dafür, was überhaupt falsch laufen könnte. Zu realisieren, dass die eigenen Freund:innen psychisch krank sind, kann sehr langwierig und schmerzhaft sein. Andererseits sind Täter:innen oft Meister der Manipulation. Sie wissen, wie sie sich in der Öffentlichkeit, bei Eltern und Freund:innen zu verhalten haben. Sie wissen sich darzustellen. In den eigenen vier Wänden fällt die Maske. Deswegen sind Partner:innen, Mitbewohner:innen und Geschwister oft die einzigen Leute, die das problematische Verhalten zu spüren bekommen.
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Was tun, wenn ich solches Verhalten im eigenen Umfeld mitbekomme?
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Das variiert auch sehr stark. Wenn jemand psychische Probleme hat, sollte man das auf jeden Fall der Person gegenüber ansprechen. Wirklich helfen kann man aber besonders den Betroffenen, also denjenigen, die unter psychischer und physischer Gewalt leiden. Das können übrigens Männer und Frauen sein – die Gewalt in solchen Beziehungen geht in alle Richtungen. Es ist gut, wenn man es schafft, den:die Partner:in zu erreichen und – am Wichtigsten – nicht zu verurteilen. Man versteht die Abhängigkeit nur, wenn man es selbst erlebt hat.
- »Das Problem: Leuten, die man liebt, vertraut man.« Auf Twitter teilen
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Sich nicht gut genug zu fühlen, ist eines der zentralen Merkmale einer toxischen Beziehung. Auf »Gut Genug« geht es auch darum, an wirtschaftlichen Erfolgen in der Musikindustrie gemessen zu werden.
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In einer Beziehung wurde mir konstant eingeredet, meine Musik sei nicht gut genug, um Erfolg zu haben. Dass ich am besten aufhören und mir einen anderen Beruf suchen solle. Grundaussage: »Du weißt nichts. Du kannst nichts. Ich weiß es. Ich kann es.« Das Problem: Leuten, die man liebt, vertraut man. Nach dem zwanzigsten Mal glaubst du diese Lügen. Das ist eben in einem Jahr passiert, in dem ich nicht sonderlich viele Erfolge hatte. Das geht 2020 vielen so. Es lief nichts, egal wie hart ich gearbeitet habe. Das kommt bestätigend hinzu.
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Dass man sich Liebe mit guten Leistungen verdienen muss, ist etwas, das vielen Kindern beigebracht wird.
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Das kenne ich aus meiner Erziehung nicht. Für mich war dieser Leistungsdruck innerhalb einer romantischen Beziehung ein großes Problem. Ich glaube aber, dass mein damaliger Partner diese Mechanismen in seiner Erziehung erfahren hat. Denn diesen Mechanismus hat er auf mich übertragen. Ein Beispiel: »Deine Musik ist nicht gut genug. Wie kann ich mit so einem Versager zusammen sein?« Das ist genau das gleiche Prinzip.
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Was hast du nach dem Beziehungsende als erstes gemacht?
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Wie gesagt: Am nächsten Tag hatte ich eine Session. Das hat mir gezeigt: Ich habe immer noch ein Netzwerk und meine Arbeit. Ich habe alles, was ich brauche. Ich kam nach Hause und war total gestärkt. Ich bin mit meinen Freund:innen zu vielen Veranstaltungen gegangen. Das hat mir Raum gegeben, mich selbst wiederzuentdecken. Zum Abschluss musste ich mir dann allerdings doch noch »Titanic« anschauen. Und das Making-Of auch.
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Rat und Hilfe
Pro Familia bietet nicht nur Jugendlichen Hilfe bei Beziehungs- und Partnerschaftsproblemen.
Eine Liste aller Beratungsstellen oder eine Onlineberatung gibt es hier auf der Webseite. (https://www.profamilia.de/)
Ebenfalls Hilfe bietet das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben unter: 08000 116 016.
Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr, gebührenfrei unter 0800-111 011 1 zu erreichen.