Roots Manuva »Leute müssen zu deiner Musik zurückkommen wollen.«

Als Vorbote zu seinem neuen Album erschien Anfang Mai die von Four Tet und Machinedrum produzierte Single »Facety 2:11« / »Like A Drum«. Wir erwischen Roots Manuva per Telefon im Londoner Ninja-Tune-Büro für ein exklusives Status-Update.

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Beachte die Fitness, Rudy. Vier Jahre lang hat Rodney Smith a.k.a. Roots Manuva sich Zeit gelassen und seinen Status als Elder Statesman des UK-HipHop mehr oder weniger auf Autopilot zurückgesetzt. Wanderjahre, wenn man so will, denn Rodney hat seine Zelte in Sheffield und Süd-London mittlerweile abgebrochen und sich auf Reise begeben. Seine neuen Songs entstehen zwischen Los Angeles und Ramsgate, wo Dub-Ikone Adrian Sherwood die Rolle des Executive Producers für seine kommenden Projekte übernommen hat.

Zwischen Flughafenterminals und Studiosessions bespielt Rodney mit den Hits seiner kanonischen Alben »Brand New Second Hand«, »Run Come Save Me«, »Awfully Deep« und »Slime & Reason« die großen britischen Festivalbühnen – neben Damon Albarn, Mike Skinner und The Specials. Man könnte behaupten, Roots Manuva hat es als einziger Rapper seiner Generation geschafft, das UK-Pop-Establishment zu knacken. Doch wie der Titel seines letzten Solowerks »4everevolution« schon andeutete: Ergebnisverwaltung war seine Sache nie.

  • Rodney, bei Dir weiß man gar nicht mehr, wo Du dich hauptsächlich aufhältst. Lebst Du noch in Sheffield?

  • Nein, nicht wirklich. Ich bin ein Reisender und somit ständig unterwegs. Ich habe Familie und eine Anlaufstelle in Sheffield, aber ich war lange nicht dort.

  • Wo nimmst du dein neues Material auf?

  • Ebenfalls, wo immer es mich gerade hinverschlägt. Zuletzt habe ich viel Zeit in Ramsgate mit Adrian Sherwood verbracht. Ein paar Sachen habe ich in Los Angeles aufgenommen. Das Meiste recorde ich in Hotelzimmern, ohne genau zu wissen, wo ich bin. Diese neue Art Musik zu machen ist also definitiv nicht mehr von dem Boden unter meinen Füßen abhängig. Sie repräsentiert eher meine geistige Verfassung.

  • Eine Sache beschäftigt mich schon seit »Slime & Reason« erschienen ist… Erinnerst Du dich noch an die Mini-Dokumentation, die dein Label Big Dada dafür produziert hat? 

  • Natürlich. 

  • Wurde das in deinem Haus gedreht? 

  • (lacht) Oh, nein, das war ein Probe-Studio namens Alaska Studios in London, warum? 

  • Zu schade. Direkt neben deinem Kopf steht während der gesamten Zeit ein rares Buch aus dem deutschen März Verlag über den österreichischen Künstler Hermann Nitsch. Mit Schleim und Wahnsinn kannte der sich auch aus… das ist bestimmt eine Stange Geld wert.

  • (lacht) Oh mein Gott. Shit. Ich wünschte, es wäre meins. Ich verspreche: Das nächste Mal, wenn ich dort bin, klaue ich dieses Buch. 

  • »Ich habe die Nase gestrichen voll davon, dass Leute alles über ihre Laptop-Speaker hören.«Auf Twitter teilen
  • Reden wir über deine neue Single, »Facety 2:11«. Die B-Seite »Like A Drum« wartet mit einem ungewöhnlich gerade gechoppten HipHop-Beat von Machinedrum auf. Es ist gewissermaßen eine smoker’s anthem, dennoch wirkt der Song irgendwie melancholisch…

  • Vielleicht wirkt das Sample so, ja… aber ich nehme es anders wahr. Ich habe Synästhesie und sehe Farben in der Musik, in den Melodien. An Machinedrums Beat hat mich vor allem der Groove interessiert. Melancholisch würde ich es nicht nennen, aber ich kann verstehen, woher dieser Eindruck kommt. Für mich ist der Song aber nicht traurig, er ist uplifting! Wenn man dazu weint, sollten es Freudentränen sein. Und auch wenn eine Marihuana-Referenz drinsteckt: Es geht nicht nur ums Kiffen, sondern um jedes High, das man erleben kann – vom Leben und allem anderen.

  • Und was für eine Farbe hat dieser Beat? 

  • Sehr viel Lila und viel Rot und ein paar Spritzer Silber, die sich immer wieder Bahn brechen. Und etwas Braun an manchen Stellen. 

  • Was hat es mit dem Titel »Facety 2:11« auf sich? Ist das ein Wortspiel mit »Safety«? 

  • (lacht) Nein, Facety ist jamaikanischer Slang für »rude«. 

  • Und das 2:11? Klingt fast wie ein Bibelvers. 

  • Ich mag einfach die Nummern. (lacht) Aber ja, ich würde da sehr gern einen Slogan draus machen – vielleicht ist damit der Name für mein Kassetten-Label gefunden, mal sehen! Ich würde wirklich gerne einen Kassetten-Label aufmachen. Ich habe die Nase gestrichen voll davon, dass Leute alles über ihre Laptop-Speaker hören. Ich möchte, dass sie ihre Wohnung nach dem alten Kassetten-Rekorder durchsuchen müssen, um Musik zu hören.  

  • Du hast schon öfter davon gesprochen, dass Du haptische Tonträger vorziehst, einfach weil sie ein konzentrierteres Zuhören einfordern.

  • Ich verstehe Bequemlichkeiten. Ich verstehe Spotify und Youtube und habe nichts dagegen. Aber innerhalb dieses Kosmos, der Kreativität und das Machen von Musik beschreibt, gibt es einen Platz für solche Leuten, die verrückt genug sind, sich zu versammeln, um sich eine Kassette anzuhören. Die alte Bandmaschinen und Kassettenspieler rauskramen, sich hinsetzen und einfach nur zuhören. Ich glaube, das meine Kreativität in so einem Rahmen viel besser funktioniert.

  • Beide Songs sind rhythmisch recht vertrackt, was bei Machinedrum und Four Tet nicht überraschend ist. War es schwierig, darauf zu rappen?

  • Ehrlich gesagt: ja! Aber das war genau, was mich an den Songs gereizt hat. Das ist der Spaß daran, mit anderen Leuten und ihren Vorstellungen zu arbeiten. Beide Tracks haben mir ein paar Wochen Arbeit abverlangt. Four Tet und Machinedrum sind beide sehr professionell und haben es gut verstanden, der Stimme Platz einzuräumen. Es ist interessant, dass ich mit keinem dieser Producer tatsächlich Zeit verbracht habe, aber sie mir doch sehr vertraut vorkommen. Vom Vibe her erinnert mich das alles an mein erstes Album »Brand New Second Hand«, auch wenn der Sound eher futuristisch ist. 

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  • Was hast Du denn eigentlich in den Staaten gemacht? 

  • Ich bin einfach hingefahren, um dort zu schreiben und mich von anderen Dingen inspirieren zu lassen. Ich war eine Zeit lang in Los Angeles und habe alles auf mich wirken lassen. Manchmal brauche ich einfach ein anderes Studio um mich herum, damit es wieder funktioniert. 

  • Ist es noch zu früh, um über das neue Material zu reden? Kommt das Album?

  • (lacht) Das ist dann wohl die 1-Million-Dollar-Frage. Wobei man sich auch fragen muss, was ein Album heutzutage überhaupt bedeutet, da die Hörgewohnheiten sich ja doch sehr verändert haben. Aber ich arbeite definitiv an einem Stück Musik – nur ein Datum könnte ich jetzt noch nicht nennen. Vielleicht werde ich zur Abwechslung mal dem Trend folgen und das Album einfach raushauen, sobald es da ist, wie Beyonce.

  • Du hast Adrian Sherwood schon angesprochen. Welche Rolle spielt er für deine neuen Songs?

  • Mit Adrian Sherwood verbindet mich eine lange künstlerische Beziehung. Sein Einfluss war sehr hilfreich. Ich habe fast vier Jahre lang kein Album veröffentlicht und habe beinahe verlernt, was es heißt, seine Musik so zu analysieren, das am Ende ein kohärentes Werk aus den einzelnen Stücken wird. Adrian hat mir sehr geholfen, diese ganzen Songs durchzuhören. Ich nehme ja die ganze Zeit auf und habe einige großartige Performances auf meinem Laptop. Langjährige Freunde wie Adrian, Switch, Coldcut und Toddla T versorgen mich die ganze Zeit mit erstklassiger Musik. 

  • Ist das nicht gerade die Herausforderung – all die gute Musik, die heute herumschwirrt, zu filtern? 

  • Absolut, es ist verrückt! Und manchmal schwierig. Ich brauche bei diesem Prozess tatsächlich Hilfe – deshalb habe ich jetzt durch meine Freunde eine Art Fließband-Methode entwickelt, durch die wir gemeinsam an einem Album arbeiten können, das mehr sein wird als bloß ein glorifiziertes Mixtape oder eine bessere Compilation. 

  • Dir hängt der Ruf nach, ein Perfektionist zu sein.

  • Ich weiß nicht, ob Perfektionismus das richtige Wort ist. Aber ich übertreibe es manchmal mit bestimmten Details. Bei »Brand New Second Hand« zum Beispiel haben ich komplett für Mono produziert. Es ist ein Stereo-Album, aber ich konnte es nicht rausgeben, bevor es sich in Mono richtig angehört hat. Bei »Run Come Save Me« hatte ich ein größeres Set-Up, mehr Möglichkeiten. Ich wollte, dass man all unsere Arbeit hört. Die beiden Alben danach bin ich mit einer »Weniger ist Mehr«-Attitüde angegangen. Auf »Awfully Deep« wollte ich einfach nur so laut wie möglich sein. 

    Heutzutage interessiere ich mich vor allem dafür, wie der eigentliche Song in seiner Essenz diesen Produktionsprozess unbeschadet überstehen kann. Lustigerweise wollte ich beim Aufnehmen der Vocals immer den ersten Take nutzen – ich dachte, der hätte am meisten Wahrheit. Mittlerweile bin ich nicht mehr so first-take’y. (lacht) Es gibt so viel Konkurrenz da draußen und die Aufmerksamkeit der Leute ist kurz – deshalb sollte man versuchen, möglichst viel Herz und Persönlichkeit in die Songs zu packen. Leute müssen zu deiner Musik zurückkommen wollen.  

  • »Ich bin immer noch sehr gewillt, Musik nicht bloß um ihrer selbst Willen zu machen.« Auf Twitter teilen
  • Gleichzeitig fühlt es sich an, als wärest Du der vielleicht einzige Rapper deiner Ära, der aus diesem rat race um Aufmerksamkeit raus ist. Du bist im Pop-Kosmos des UK eine feste Größe, spielst mit Blur, den Gorillaz oder den Specials…

  • Das stimmt vielleicht, für mich ist es eher eine angenehme Konkurrenz. Es ist nicht wie früher, auch Big Dada als Label hat sich verändert – es kommen immer mehr Leute, deren Output mich darüber nachdenken lässt, was ich den Leuten eigentlich mitgeben will. Kate Tempest zum Beispiel, das ist herausfordernde und motivierende Musik für mich als Künstler. Big Dada hat zwei Mercury Gewinner in seiner kurzen Lebensdauer, das ist doch bemerkenswert. Ich bin immer noch sehr gewillt, Musik nicht bloß um ihrer selbst Willen zu machen.  

  • Rodney P von der London Posse wunderte sich mal über die Tatsache, dass heutzutage Rapper ein Mixtape oder ein Album hochladen können, ohne je live auf der Bühne gestanden zu haben. Du warst auch schon lange vor deinen ersten Aufnahmen am Mic aktiv…

  • Es ist lustig, wie sich das entwickelt hat. Bevor wir Platten veröffentlich haben, waren wir alle in Clubs als MCs unterwegs. Später musste man sich umgewöhnen, als es auf die großen Bühnen und die Open-Air-Festivals ging. Heute kann es sehr viel schneller gehen, aber diese Inkubationszeit, die es braucht, um wirklich etwas Herausragendes auszuarbeiten, fehlt den meisten. Es fehlt die Zeit, um Songs für verschiedene Plattformen aufzuarbeiten. 

  • Gehst Du bald auf Tour mit dem neuen Material?

  • Wir werden die Festival-Saison auf jeden Fall mitnehmen. Ich würde auch gerne auf Clubtour gehen, aber das werden wir sehen. Die Idee wäre, wieder mit Band zu touren, wobei »Band« ein völlig anderes Konzept bedeuten kann. Wir brauchen nicht die fünf besten Session-Musiker des Planeten – vielleicht ist es nur ein DJ, ein Musiker an MPC und Keyboards und eine Backgroundsängerin. Ableton hat unser Leben auch da sehr viel leichter gemacht. (lacht)

  • Es gibt dieses Zitat auf »Again & Again«: Du beschreibst dich als »Pentecostal son comin‘ from the hard left«. Welche Rolle spielt Religion für dein Leben und deine Musik heutzutage?

  • Für jemanden wie mich, der quasi von Berufswegen her mit philosophischen Fragen konfrontiert ist, geht es immer um die Suche. Religion bietet für die meisten Gläubigen eine Legitimation, ständig über Gott zu reden. Aber ich rede natürlich nicht von einem weißen Mann mit Bart oben im Himmel. So einfach funktioniert Religion meiner Meinung nach nicht. Ich würde Religion als Wort nicht mal benutzen wollen – wir sprechen doch mittlerweile davon, bestimmte Seifenopern mit »religiösem Eifer« zu verfolgen. Meine Suche ist eher nach einer spirituellen Erfahrung und kontemplativen, friedlichen Momenten ausgerichtet. Als 42-jähriger, der mehr als sein halbes Leben in der Musikwelt, unter dem Glanz des Rock’n’Roll und… alternativer Lebensentwürfe (lacht)… verbracht hat, bediene ich mich verschiedener religiöser Aspekte. Kürzlich zog es mich in die katholische Kirche, nicht weil ich Katholik bin, sondern weil die Kirche selbst mir etwas gibt. Ich hätte genauso in eine jüdische Synagoge gehen können. In Religionsfragen verfolge ich eine Tapas-Taktik (lacht): Man nimmt sich Stücke und Teilaspekte von allem und stellt sich seine eigene Ideologie zusammen. Natürlich will ich meine spirituelle Überzeugung niemandem anders aufzwängen. Es ist eine sehr private Angelegenheit.