Moses Pelham Kunst & Kopfkrieg
Von weißen Fahnen, schönen Wörtern und der Anleitung zum Unglücklichsein

In der Reihe »Kunst & Kopfkrieg« spricht Laurens Dillmann mit seinen Gästen über mentale Gesundheit. In dieser Folge tauschte er sich mit Moses Pelham aus.

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Laurens Dillmann sensibilisiert seit 2018 mit seiner Interviewreihe »Kunst & Kopfkrieg« für das Thema mentale Gesundheit. Er führt mit seinen Gästen Gespräche über Selbstverwirklichung, Leben im Rampenlicht und Wege aus psychischen Krisen. Dieses Mal sprach er mit Moses Pelham.

  • Wie ist es für dich, wenn ich dich als quasi Fremder zum Thema mentale Gesundheit interviewe?

  • Ich müsste lügen, wenn ich behauptete, es wäre business as usual. Durch meine Tätigkeit öffne ich mich ohnehin sehr weit. Aber da gibt es eine Art Schutzfunktion. Ich glaube, dass Kunst dich nur an etwas erinnert, das du bereits weißt. Du erkennst es in der Kunst. Es kann dir als »normaler Hörer« doch egal sein, was ich über mich erzähle. Du selbst siehst dich darin beschrieben.

    Wenn wir ehrlich sind: Kunst ist zu mindestens 50 Prozent Formsache. Du wirst zum Inhalt nie vordringen, wenn dich die Verpackung nicht anspricht. Deswegen gibt es ja Leute, die sich ausschließlich auf die Verpackung spezialisieren. So sehr, dass irgendwann gar kein Inhalt mehr in der Verpackung ist. Vielleicht klingt das jetzt überheblich: Je einfacher das Publikum, desto weniger fällt auf, dass es nur eine Verpackung ist. Und allmählich sind wir an einem Punkt, wo daraus auch kein Hehl mehr gemacht wird. Es gibt keinen Inhalt mehr. Nur ein paar Explosionen. Du willst ein bisschen Zerstreuung? Du bekommst sie.

    Mein Song »Weiße Fahne« beginnt so: »Für die ist das hier gerade ein Piano und Gesinge, sonst nichts. Die haben keine Ahnung von wie dringend das ist.« Ich mache persönliche Stücke über mein Leben. Über Dinge, die ich empfinde, die mir nahe gehen, die mich beschäftigen. Dazu braucht es Offenheit. Aber es gibt diese Schutzfunktion: Nur der, der es ebenfalls so empfindet, kann diese Offenheit erkennen. Für die anderen sind es nur irgendwelche Worte und ein bisschen La-La-La. Am Anfang hält man sich beim Machen der Kunst für sehr mutig. Bis man diesen doppelten Boden bemerkt. Hier in dieser Unterhaltung gibt es diesen Schutz nicht.

  • Wie viel Emotionalität steckt in deiner Kunst und wie viel Kopf, also Planung, Berechnung, Strategie?

  • Ich gehöre zu den Leuten, die ein komplizierteres Rhyme-Pattern haben. Je komplexer das Pattern ist, desto schwieriger wird es scheinbar, darin noch Inhalt unterzubringen. Silbe auf Silbe soll sich reimen. Das ist durchaus eine intellektuelle Herausforderung. Diese Tätigkeit kann einen gut beschäftigen. Am Pattern rumbasteln. Der Witz ist für mich, dass dadurch die emotionale Komponente frei wird. Ich suche nicht die passenden Reime für das, was ich sagen will. Sie suchen und finden mich. Ein Lied beginnt immer mit der Musik, die etwas in mir anrührt. Ich meditiere auf den Beat. Er wirkt auf mich und mir kommen Gedanken. Wenn ich diese in Reimen aufschreibe, kommen oft genug Dinge zu Papier, die ich selbst von mir nicht weiß.

    Über die technische Seite meiner Reime will ich durchaus Kontrolle ausüben. Auf der anderen Seite ist da eine Freiheit, die sich Raum nimmt. Diese Freiheit wird von den Inhalten genommen. Sie werden nicht von mir hineingelegt. Da passiert etwas, über das ich überhaupt keine Kontrolle habe. Weißt du, HipHop hatte früher auf mich, wie auf die meisten Kinder, eine äußerliche Faszination. Heute, 38 Jahre später hat HipHop immer noch diese Faszination auf mich. Weil ich darin eine Tiefe entdeckte, von der ich nicht wissen konnte, dass sie darin ist. Sie hilft mir, mich selbst zu entdecken. Ich habe dafür tausende Formulierungen in meiner Kunst gefunden: »Gott flüstert in mein Ohr, ich schreib nieder, was er sagt« oder »Die denken, ich sei Autor, dabei ist es mehr wie Channeling«.

  • Wie bist du sozialisiert? Wurde dein Selbstausdruck gefördert?

  • Es gibt diesen Witz: Kindern zum Geburtstag selbstgemalte Bilder schenken, damit sie mal wissen wie das ist. (lacht) Ja, ich wurde damals schon sehr ermuntert, mich auszudrücken. Es gibt nicht den einen Punkt, an dem ich mit Musik begann. Mein Vater war Musiker und lebte mir vor, dass es ganz normal ist, den Versuch zu unternehmen ein Lied zu machen. Also habe ich schon früh auf der Gitarre rumgehauen und hatte auch noch die Nerven, das aufzunehmen. Damals gab es außerdem keine Computer. Meine Mutter transkribierte die Texte meines Vaters mit der Schreibmaschine, damit man sie kopieren und seinen Band-Mitgliedern geben konnte. Den Gefallen tat sie mir dann auch, als ich mit Rap anfing. Ja, ich erfuhr ziemliche Unterstützung. 

  • Der Versuch, die Paralyse zu beschreiben, ist schon ein Ausbruch aus derselben. Auf Twitter teilen
  • Wann und wie hast du realisiert, dass dir das Kunst machen hilft, etwas Persönliches zu verarbeiten?

  • Ich glaube, das war mir immer gewahr. In ganz unterschiedlichen Intensitäten natürlich. Es hat mich angezogen. Da war Hoffnung drin. Der Versuch, die Paralyse zu beschreiben, ist schon ein Ausbruch aus derselben. So paralysiert bist du ja ganz offensichtlich nicht, sonst könntest du nicht den Versuch unternehmen, den Zustand zu beschreiben. Wenn du textest, nimmst du die Rolle des Erzählers ein. Du guckst darauf, wechselst die Perspektive. Das ist eine Befreiung aus dem Zustand: Hier liege ich, und kann mich nicht bewegen.

    Das ist auch das Wunderbare an der Blues-Tradition: Die Geschichte, die du erzählst, ist fürchterlich. Aber es liegt ein Trost darin, sie zu teilen. Die Sprachlosigkeit hört auf. Die, die etwas gemein haben, haben ein gemeinsames Lied und können darin zusammen kommen.

    Es gibt natürlich viel Musik die ganz anders funktioniert, da frage ich mich oft: Wollt ihr mich eigentlich verarschen? Humtata Umtata? Wenn ihr darin Trost findet, dann will ich nicht getröstet werden! Dann bin ich untröstlich! Umso einsamer bin ich dadurch natürlich, aber da gehe ich nicht mit.

  • Woran lag es, wenn es dir in deinem Leben schlecht ging?

  • Ich hielt es da mit Kurt Cobain: »Everything is wrong«. Das ist ja auch die Geschichte vieler Bands. Ich fühle mich unverstanden. Und mit den zwei anderen, die sich auch unverstanden fühlen, machen wir ein Trio. (lacht) Es erfordert Mut. Ich rufe raus, ich empfinde es so! Ist da wer, der das auch so empfindet? Irgendwann meldet sich jemand. Das ist ein wunderbarer Perspektivwechsel und eine tolle Erfahrung.

    Es ist aber auch mehr, als bloßes sich unverstanden fühlen. Ich war und bin oft mit vielen Dingen, wie wir als Menschen miteinander umgehen, nicht einverstanden. Wenn einen nicht berührt, was um einen herum passiert, hat man seine Empfindungen wie abgeschaltet. Mir war das versperrt. Wenn du drauf starrst, siehst du es auch. Und wenn du einmal nach etwas suchst, und sei es Ungerechtigkeit, findest du es auch.

    Neulich sagte mir jemand, er habe eine Studie gelesen, aus der hervorginge, dass unter Veganern überdurchschnittlich viele Menschen depressiv werden. Im Gespräch mit mir vertrat er die These, es läge an einer Mangelernährung und da käme man halt schräg drauf. Ich sagte, kannst du dir nicht vorstellen, dass es vielleicht damit zusammenhängt, dass das Menschen sind, die zumindest ein Detail unseres Lebens hinterfragt haben und möchten, dass diese Ungerechtigkeit aufhört? Und eben auch daran zerbrechen wie ignorant der Rest um sie herum mit dem Thema umgeht?

  • Hat deine Trilogie »Geteiltes Leid« dir geholfen, das Leiden zu überwinden?

  • Das war doch alles viel komplizierter als ich es mir damals vorstellte, als ich damit begann. Ich bin heute sehr glücklich, dass der dritte Teil eine Art Happy End hatte. »Geteiltes Leid 3« hatte mal den Untertitel: Vom Durchbrechen des Teufelskreises. Es ist mir wichtig, das hier zu sagen: Diese intensive und später auch hauptberufliche Auseinandersetzung mit dem was mich schreckt, was mir missfällt, diese manchmal missverstandene Suche nach Tiefe und Ernsthaftigkeit, das hat mir nicht nur gut getan. Es fängt schon mit diesem von Nick Benjamin gesprochenen Intro von »Geteiltes Leid« an.

    Der suhlt sich im Leid und nimmt ihm damit den Schrecken. Das hielt ich für voll den schlauen Weg. Ich habe heute den Eindruck, dass ich so dem Leiden auch mehr Raum gegeben habe als ich gemusst hätte. Auf die Sache zu starren und sie auf irgendeine Weise festzuhalten, zu protokollieren, das würde ich noch immer empfehlen. Die Beschränkung darauf halte ich aber für einen fürchterlichen Fehler. Daraus lässt sich dauerhaft wenig Kraft ziehen.

    Diese Spezialisierung: Ich schreibe über Leid. Du musst es dir wieder, wieder und wieder angucken. Viel viel mehr als du es normalerweise tätest. Es wieder und wieder erleben, das längst Geschehene. Ich glaube, man tut gut daran, sich mit Dingen zu beschäftigen, die einen erfreuen. Nicht nur, aber eben auch. Die Form hat mir damals Freude gemacht. Aber die Beschränkung darauf war bereits die Anleitung zum Unglücklichsein. Irgendwann habe ich mich bewusst dagegen entschieden. Nicht aus künstlerischer Sicht. Aus Gründen des Überlebenswunsches. Ich habe mich nach Positivem gesehnt und dann auch meine Kunst dementsprechend ausgerichtet. 

  • Ist depressive Musik chique geworden? Ich glaube nicht, dass Depressionen sich heilen lassen, wenn man sie vermarktet.

  • Ich halte es für normal, dass alles vermarktet wird. Den Geist kriegt niemand zurück in die Flasche.

  • Was mir hilft, ist nicht das Allheilmittel für andere.Auf Twitter teilen
  • Hast du eine persönliche Definition, was Gesundheit ist? Hast du eine persönliche Hausapotheke?

  • Für mich hat das viel damit zu tun, wie man mit den Herausforderungen des Lebens umgeht. Es sollte nicht bis an deinen Wesenskern kommen. Hast du ein Instrumentarium, um dem zu begegnen? Oder bist du einfach clever genug, um es weiträumig umfahren zu können? An diesen beiden Stellschrauben kann man drehen, denke ich.

    Natürlich hilft es mir, wenn ich Sport mache, an der Sonne und an der frischen Luft bin. Ich profitiere unfassbar von den Stoffen, die dabei in mir freigesetzt werden. Aber ich würde niemals wagen, jemandem das als Ratschlag zu geben, der gerade in einer schwierigen Situation ist. Was mir hilft, ist nicht das Allheilmittel für andere.

  • Kennst du den Begriff Salutogenese? Das ist ein medizinisches Modell, das sich im Gegensatz zur Pathogenese mit der Entstehung und Erhaltung von Gesundheit beschäftigt.

  • Klar, ich mach das ja hauptberuflich. (lacht) Ich arbeite mit Worten. Mit zwei Freunden habe ich die 100 schönsten Wörter zusammengetragen. Auch ein Wort wie Selbstheilungskraft ist auf meiner Liste. Mein Freund Rainer wirft mir vor, dass ich nur Wörter nehme, deren Bedeutung ich schön finde. Er hat gerne irgendwelche technischen Sachen wie Kolbenrückholfeder. Ich kann daran nichts Schönes erkennen. 

  • Hat unsere Gesellschaft einen gesunden Umgang mit Krankheit und Tod verloren?

  • Irgendjemand hat mal zu mir gesagt, da wo Leute mit Überleben beschäftigt sind, gibt es auch keine Depression. Depression gibt es eigentlich nur da, wo die Leute die Zeit haben, sich zu fragen: Warum mache ich das hier eigentlich? Was hat das für einen Sinn? Darin liegt auch eine Undankbarkeit.

    Aber weißt du, der Tod ist mir auch nicht geheuer. (lacht) Wir sprechen ja nicht davon, wie die Dinge sind, sondern wie sie auf dein Instrumentarium wirken. Jetzt sollen wir mit diesem Instrumentarium über etwas sprechen, was über eben dieses Instrumentarium hinausgeht? Da beißt sich doch die Maus in den Schwanz! Ist doch logisch, dass mir das nicht geheuer ist. Wie denn auch? Es ist ganz wörtlich einfach nicht zu fassen!

    Kennst du »Wenn ich gehen muss« von Tua? Das feier ich sehr, ein wunderbares Stück. Mehr als der Künstler da formuliert fällt mir zu der ganzen Sache auch nicht ein. Ich selbst habe mal in einem Stück in Anlehnung an Schiller gesagt: »Der Tod ist die Grenze des Lebens, aber nicht unserer Liebe.« Da ist Trost drin, und ein gewisser Trotz, den ich gerne mag. Aber natürlich habe ich keine Antwort auf die Frage nach dem Tod. 

  • Brauchen wir Religion und Glaube, um mit dem Tod umgehen zu können?

  • Auch hier kenne ich die Antwort auf deine Frage nicht. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass wir den Tod irgendwie ausgelagert haben. Ich halte es da mit Epikur, der sagt: Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht.

    Ich wohne gegenüber von einem alten Friedhof, auf dem Goethes Mutter lag. So kam ich eines Tages zu der Zeile, in etwa: »Gegenüber des Friedhofes, von dem ich mich zum Leben gemahnt fühle«…ich kriege die Zeile gerade nicht mehr so richtig zusammen. Aber das kann auch eine Lösung sein: Aus dem was bleibt, im Angesicht der eigenen Vergänglichkeit, das Beste herausholen zu wollen. Als ich den Gedanken das erste mal hatte, war ich davon enttäuscht. Das ist alles, ja? Das soll der Trost sein? Und doch erscheint es mir so vernünftig.

  • Ich schlage vor, wir legen hier den Sargdeckel auf unser Gespräch über den Tod. Ein Experiment zum Schluss. Ich nenne dir fünf Emotionen und du mir ein künstlerisches Werk, das dir dazu einfällt. Trauer.

  • Entweder die betenden Hände von Dürer. Oder »Himmelsfahrtskommando« von mir.

  • Wut.

  • Böhse Onkelz. Kein bestimmtes Werk von ihnen. Aber der Kern dieser Band ist so krass: Die Welt ist schlecht und ungerecht, aber uns fickt ihr nicht, ihr Hurensöhne.

  • Freude.

  • Jetzt müsste ich mich mit Tanz besser auskennen. Sicher ein Bühnenstück, bei dem getanzt wird. Da stelle ich mir etwas ganz Überschwängliches vor.

  • Angst.

  • Irgendwas von Kafka. Etwas, das so eigen ist, dass wir den Begriff »kafkaesk« dafür geschaffen haben. Neulich habe ich in etwas geblättert…es gibt in Dürrenmatt-Stücken oftmals diesen Moment…in »Die Panne« gibt es die Situation, wo du merkst, dass aus dem Spiel ernst wird. Du als Leser merkst es bereits, der Handlungsreisende hat die Situation aber noch nicht verstanden. Bruder, das ist jetzt kein Spaß mehr. Dieser Moment.

  • Liebe.

  • »Du« von mir.

  • Allerletzte Frage: Wenn du dir selbst, an einem der Tiefpunkte deines Lebens einen Satz sagen könntest:

  • Kennst du die Geschichte mit diesem Ring, in dem steht »Auch das wird vorübergehen«? Willst du von mir so ein Allheilmittel? Weißt du, mit dem Wissen von heute könnte ich an solchen Punkten natürlich ganz anders wirken. Ich persönlich würde mir aber eher die Lottozahlen vom letzten Samstag verraten als irgendeine Bla-Weisheit, die immer passt und nie was bringt. (lacht)

    Das Ding ist nämlich: So wie ich mich kenne, würde ich damals genau dasselbe sagen wie heute: Bitte laber mich nicht voll mit deinen Plattitüden! Also ich würde mir von damals nicht mit solchen Sprüchen kommen, weil ich genau weiß, ich würde es mir um die Ohren hauen. Übrigens mit Recht. (lacht)