Samy Deluxe Kunst & Kopfkrieg: Samy Deluxe – Was Berühmtheit mit der Psyche macht und wie man die richtigen Worte dafür findet
Mit seinem neuen Album »Hochkultur 2« ist Samy Deluxe gerade erst auf Platz 1 der Charts gelandet. Einmal mehr der Beweis für die unanfechtbare Relevanz des Rappers, der mittlerweile auf eine über 20 Jahre andauernde Legacy zurückblicken kann. Mit Laurens Dillmann hat der Hamburger für dessen »Kunst & Kopfkrieg«-Reihe über mentale Gesundheit, ihren Einfluss auf seine Musik und Spiritualität gesprochen.

In seiner Reihe »Kunst & Kopfkrieg« spricht Laurens Dillmann mit großen und kleinen Größen im Biz über allerhand emotionale Themen von Selbstverwirklichung bis hin dazu, wie sich der Krieg im Kopf in der Kunst widerspiegelt.
-
Was sind deine ersten Gedanken zum Thema mentale Gesundheit?
-
Ich glaube, es wurden mittlerweile genug Menschen positiv honoriert, die darüber gesprochen haben. Ich bin ja noch aus einer Zeit, in der es ein krasses Stigma gab. Bei uns in Hamburg gab es in Alsterdorf und Ochsenzoll zwei psychiatrische Kliniken. Das war für uns eine ganz normale Beleidigung: »Deine Mutter ist doch aus Ochsenzoll!« Man hat sich einfach richtig krass darüber lustig gemacht, dass es Leute gibt, die nicht mit der Realität klarkommen. Da gab es einfach überhaupt kein Feingefühl dafür. Je älter man dann wird, merkt man aber, eigentlich kommt in der Gesamtheit ja gar keiner aufs Leben klar. Und die, denen es gelingt, schaffen es nur mit extrem viel Disziplin und Hilfsmitteln wie Meditieren, Yoga, Sport, Leidenschaften, Hobbys, gesunden Familienstrukturen etc. Jetzt ist einfach die Zeit, dass man ehrlich über so etwas reden kann. Ich denke zum Beispiel an Kid Cudi. Er ist für eine ganze Generation jemand, der sie quasi vorm Suizid gerettet hat. Dafür wird er geworshipped wie ein Messias. Besser so als andersrum, wenn das ganze Maskentragen honoriert wird, a la »Ich bin der krasseste Typ und habe noch nie eine Träne verdrückt! Nichts kann mir etwas anhaben.« Das ist doch völlig realitätsfern.
-
Fallen dir noch andere Pioniere ein, die in den letzten zehn bis 20 Jahren Türen für das Thema geöffnet haben?
-
Seitdem der Podcast ein großes Medium ist, merkt man ja, es geht vielen in dieser Hinsicht gleich. Auch in dem, was Fame mit der Psyche macht. Das Aufwachsen in der Öffentlichkeit. Da habe ich viel Bestätigung gefunden. Charlamagne, der Host von The Breakfast Club, eine der größten HipHop-Kulturplattformen, ist ein sehr krasser Mental-Health-Advocat, der auch mehrere Bücher darüber geschrieben hat. Er hat, was man auf Englisch anxiety nennt, redet viel darüber und hat auch andere Leute dazu motiviert. Zu ihm kommen viele Künstler und auch bei Leuten, bei denen man es gar nicht erwartet, schneidet er diese Themen an. Da kommen oft starke Statements bei raus.
-
Wie ist es denn für dich, wenn ich dich als quasi Fremder zum Thema mentale Gesundheit interviewe?
-
Für mich ist das cool, sonst hätte ich nicht zugesagt. Ich habe ja auch die Macht, zu schweigen. Das Risiko ist eh klein, dass du mich nach etwas fragst, was ich nicht schon öffentlich gesagt habe. Ich habe ganze Alben über dieses Thema geschrieben.
-
Du hast deine Sozialisation schon erwähnt. Bist du als Kind animiert worden, dein Inneres nach außen zu zeigen, von dir zu erzählen?
-
Ich würde sehr früh unfreiwillig an das Thema herangeführt. Ab der zweiten Klasse musste ich eine wöchentliche Gesprächstherapie machen. Die hat mir aber gutgetan und ich habe sie bald nicht mehr als Pflicht empfunden. Ich habe es genossen, mit einer unabhängigen Person sprechen zu können, die nicht mit meiner Familie verbandelt ist. Natürlich erziehen deine Eltern dich, aber sie können aus der Sicht des Kindes auch gemeine Diktatoren und barbarische Herrscher sein, obwohl es bei mir jetzt nicht diese Ausmaße hatte. Ich habe es dann bis ins Teenageralter durchgezogen, mich dann aber auch selbst erwischt, wie ich vor meinen Freunden gelogen habe, dass ich zur Therapie gehe.
-
Hast du noch den Moment in Erinnerung, in dem du realisiert hast, dass die Kunst dir auch hilft?
-
Das habe ich auch als Teenager schon sehr früh erfahren. Das war wohl auch der Übergang, an dem ich dann nicht mehr in Therapie gehen wollte. Dafür fand ich Hip-Hop, wo alles in meinem eigenen Rhythmus und Flow passieren konnte. Ich habe so vielen Rappern zugehört, mich mit ihren Texten auseinandergesetzt, und dabei gemerkt, was es mir bringt, wenn andere Menschen über ihre Story sprechen. Wie ich mich dadurch selbst neu entdecken kann, wenn jemand anderes sich reflektiert. Ich war zu der Zeit auch sehr interessiert an inhaltsstarkem, politischem Rap. Damals waren die Texte eher noch wie Referate aufgezogen, das Spiel mit den Punchlines kam erst später.
-
Hat sich deine Persönlichkeit durch das Machen deiner Kunst verändert?
-
Schwer nachzuvollziehen, weil ich sie ja gemacht habe und nicht mehr derselbe von damals bin. Aber meine 20 Jahre Karriere in der Öffentlichkeit waren auch etwas wie ein intensives Praxis-Psychologie-Studium, in dem du Menschen eigentlich nur in ihrer extremsten Form kennenlernst. Meine Anwesenheit, damals noch mehr als jetzt, als ich noch viel medienpräsenter war, hat extrem viel im Raum und bei den Menschen ausgelöst. Ich habe es fast nie geschafft, jemanden auf Augenhöhe kennenzulernen. Alle hatten immer ein vorgefertigtes Bild von mir und eine extrem emotionale Reaktion. Weil sie mich gut oder nicht gut finden, weil sie eingeschüchtert sind oder weil sie irgendetwas von mir wollen.
- In einer Zeit, in der sich jeder über den Eingriff der Privatsphäre vom Staat beschwert, sind trotzdem 99 % aller Menschen da draußen bereit, einen Celebrity einfach mit dem Handy zu filmen, wenn er ihnen im Alltag über den Weg läuft.Auf Twitter teilen
-
Was für Erkenntnisse aus deinem Praxis-Studium über die menschliche Psyche sind dir hängen geblieben?
-
In erster Linie fällt mir auf, wie wenig Menschen sich unter Kontrolle haben, sobald sie jemanden sehen, den sie aus der Öffentlichkeit kennen. So viele der normalen Prinzipien, wie man sich verhält und was man selbst von anderen erwartet, werden über Bord geworfen. In einer Zeit, in der sich jeder über den Eingriff der Privatsphäre vom Staat beschwert, sind trotzdem 99 % aller Menschen da draußen bereit, einen Celebrity einfach mit dem Handy zu filmen, wenn er ihnen im Alltag über den Weg läuft. Weil das ja ihr besonderer Moment ist. Aber das hat per se erstmal nichts mit dir zu tun, dass dieser Mensch jetzt gerade mit dir an einem Ort ist. Ich habe zum Glück nie so crazy Tokio-Hotel-Fans gehabt, aber ich sehe trotzdem manchmal auf Instagram, wenn ich bei meinen Tags schaue, dass mich irgendjemand aus der anderen Ecke eines Restaurants abgefilmt hat. Ich schreibe denen manchmal: »Würdest du das cool finden, wenn das irgendjemand mit dir macht?« Dann fühlen sie sich tierisch ertappt. Für sie ist es so unreal, dass ich vor Ort bin. Dass ich ihnen jetzt auch noch schreibe, ist noch unrealer. Ich hatte zum Glück diese Fan-Mentalität nie ausgeprägt, ich wollte Menschen immer auf Augenhöhe begegnen. Da ich schon so früh Künstler wurde, hatte ich bereits früh mit vielen meiner Idole zu tun. Da habe ich gemerkt: Das sind alles nur Menschen. Keiner ist besonderer als der andere, nur wegen seines öffentlichen Status.
-
Das klingt ambivalent: Du hast einen starken Drang, dich mitzuteilen, und dich kreativ auszudrücken, aber die öffentliche Reaktion rückt dir teilweise viel zu nahe.
-
Ja. Stell dir vor, du wächst in der Öffentlichkeit auf, bevor du ein gefestigter Charakter bist. Wenn du für jeden Fehltritt fundamental verurteilt werden kannst, ist das hart. Teilweise habe ich sehr darunter gelitten. Deswegen rühre ich jetzt auch nicht mehr die große Werbetrommel. Keine TV-Auftritte mehr. Wenn ich schon erkannt werde, dann wenigstens von den Leuten, die wissen, wofür ich stehe. Natürlich habe ich das nicht komplett in der Hand, aber ich kann zumindest darauf einwirken.
-
Was für einen Umgang würdest du dir mit Kunst und Künstlern in der Öffentlichkeit wünschen?
-
Es gibt ja viele mediale Narrative über die Fragen »Was ist Erfolg?« und »Was ist erstrebenswert?« Ich habe den Eindruck, die Folge ist, dass viele Menschen sich dadurch selbst degradieren und extreme Reaktionen haben, wenn sie Celebrities treffen. Das Showbiz hat mir gezeigt, dass es dort sogar mehr Mental-Health-Krisen als beim »normalen Volk« gibt. Wir haben alle dieselben Grundbedürfnisse. Etwas tun, das anderen hilft. Sich gehört und gesehen und respektiert fühlen zu wollen. Ich würde mir wünschen, dass mehr Leute genügend Selbstreflektion und Selbstwert haben, sich nicht dazu verleiten lassen, andere derart respektlos zu behandeln. Heutzutage ist eigentlich eh super offensichtlich, dass man in der Öffentlichkeit mehr Hate als Liebe erfährt. Am Ende geht es nur darum, dass du dein Selbstbild für dich definierst. Die Medienwelt will aber genau diese Selbsterkenntnis nicht, weil du dich dann unabhängig von den Bewertungen anderer machst. Früher oder später kommst du dann über 70.000 Umwege zur Erkenntnis, dass es völlig egal ist, was andere von dir denken. Wie du über dich selbst denkst, hat den größten Einfluss auf deinen Tag.
- Es ist schade, dass wir als Gesellschaft dahin gekommen sind, dass es so leicht ist, den eigenen Geltungsdrang und den Hang zur Kritik online so extrem auszuleben.Auf Twitter teilen
-
Auf deinem neuen Album »Hochkultur 2« hast du einen ganzen Block von Songs, die sich mit dem Thema mentale Gesundheit befassen.
-
Das Album hat eine A-, B-, C- und D-Seite. Die B-Seite enthält. »Vendetta«; »Yves Klein«, »Kalte Füße« und »Antidepressiva«. Bei »Vendetta« geht es um die Grundemotion, sauer auf sich selbst und unzufrieden sein und das an anderen Leuten auszulassen. Da sind einige persönliche Geständnisse von mir drin, wenn ich rappe: Sogar Leute, die es gut mit mir meinen / Mussten in letzter Zeit reihenweise in Ungnade fallen.« Die Zeile »Bin ich unzufrieden, weil ich gerade nicht weiß, was ich will / Scroll ich die Timeline runter und dislike jedes Bild.« hat aber nichts mit mir zu tun. Ich habe noch nie irgendwo einen schlechten Kommentar hinterlassen. Das soll zum Reflektieren anregen, dass das Disliken von anderen oft aus eigener Unzufriedenheit und Wut rührt. Es ist schade, dass wir als Gesellschaft dahin gekommen sind, dass es so leicht ist, den eigenen Geltungsdrang und den Hang zur Kritik online so extrem auszuleben. An diesen Diskussionen habe ich noch nie teilgenommen.
-
In was für einer Lebenssituation schreibst du diese Songs? Ich finde es spannend, dass selbst aus Zuständen von Niedergeschlagenheit noch Kunst entstehen kann. Ich kenne sie selbst oft als Momente, in denen ich überhaupt keine Energie habe.
-
Du weißt als Hörer ja nicht, wie viele Tage ich depri war, damit diese vier Songs entstehen. Natürlich sprudele auch ich nicht immer vor Kreativität. Aber diese Inspirationsmomente, nach denen Künstler immer suchen, können natürlich auch aus einem sehr krassen Tiefpunkt kommen. Doch ich glaube, auf das Künstlerrezept »Man muss leiden, um gute Kunst zu machen« wird zu viel gesetzt. Ich habe sehr versucht, mir das abzugewöhnen. Ich glaube, am Ende kann man die beste Kunst machen, wenn man sich selbst gut versteht, sich mag und in seiner eigenen Ganzheit gut reflektieren kann, in den eigenen Vor- und Nachteilen. »Bipolare Denkprozesse, bei mir läuft nie Mono-Spur / Surround-Sound, Hochkultur, war niemals ‘ne Frohnatur / War niemals der Depri-Typ, immer irgendetwas dazwischen / Es geht darum, dieses Blau exakt zu mischen«, rappe ich auf »Yves Klein«, das war ein französischer Künstler, der sich seinen eigenen Blauton gemischt hat. In unserem popkulturellen und literarischen Verständnis steht Blau für die Trauer und der Blues für die schwere und Melancholie des Lebens. Ich fand diese Metapher so interessant: Man kann sich seinen eigenen Blauton mischen. Klar haben wir alle etwas mitbekommen, unsere Grund-Ingredienzen. Vielleicht wurdest du zu viel geliebt oder zu wenig, vielleicht wurde zu viel von dir erwartet, vielleicht zu wenig. Wir haben alle unsere Story. Aber es gibt trotzdem das Jetzt und du bist nicht nur deine Vergangenheit. Also womit füllst du dein Leben? Was ist jetzt dein Alltag? Was für Leute umgeben dich, was für Musik hörst du? Was für Schwingungen lässt du an dich ran? Was für Möglichkeiten gibst du dir selbst, um dich zu reflektieren? Guckst du nur mit deinen Jungs Fußball und gröhlst mit oder hörst du dir Podcasts über Psychologie an? Was sind die Arten, auf die du wachsen willst? So können wir uns unseren eigenen Blauton mischen. Dann gibt es noch »Kalte Füße«, in dem ich auch Einblicke in mein Leben gewähre und das in schöne Punchlines gepackt habe. Und dann gibt es noch den Song »Antidepressiva«, in dem es um den Umgang mit Tiefpunkten geht, allerdings auf eine humorvolle, doppeldeutig-poetische Art. Am Ende dieser deepen B-Seite soll man mit einem Augenzwinkern und Schmunzeln rausgehen.
-
Wenn du die Songs gemacht hast und selbst hören kannst, sind diese Themen damit für dich abgeschlossen?
-
Safe. Deswegen sind auch alle Selbsthilfebücher nur Manifeste von dem, was dem Autor oder der Autorin geholfen hat. Es wurde eh alles von irgendjemandem schon mal ausgesprochen und durchschaut. Wir erfinden das Rad nicht neu. Aber es ist für sich selbst wichtig, die eigenen Erkenntnisse im eigenen Tenor, Tempo und den eigenen Worten herauszufinden, auszusprechen und zu manifestieren. Das ist wie muscle-memory, du weißt und erinnerst dich dann einfach, wie du damit umgehen kannst.
-
In der Psychologie wird das Mentalisierung genannt: Wenn du die richtigen Worte und Begriffe findest, zeichnest du wie an einer inneren Landkarte, die dir hilft, dich selbst besser zu verstehen.
-
Interessant, dass du das ansprichst. Mein Sohn ist jetzt Anfang 20 und lebt in Amerika. Er saß letztes Silvester mit seinen Freunden zusammen, und sie sprachen über ihre anxiety. Da habe ich gemerkt: Klar, diese Generation hat dieses Wort als Toolset bekommen, um sich selbst zu diagnostizieren, indem sie zum Beispiel sagen: Ich spüre manchmal so ein komisches Gefühl in meiner Brust, das lässt mich etwas Panik und Angst fühlen. Aber bis zu einem bestimmten Grad ist das einfach ganz normale Menschlichkeit. Wenn du durchs Leben gehst und nie aufgeregt bist oder glaubst, dich jetzt wirklich beweisen zu müssen, führst du ja ein komplett anspruchsloses Leben. Sich selbst stumpf zu machen und Pillen zu poppen, worauf die Pharmaindustrie natürlich richtig Bock hat, ist für mich jedenfalls nicht die Lösung. Die Balance für eine gesunde Psyche ist auch zu wissen, dass das Leben nicht nur aus Höhepunkten besteht. Es gibt sie, aber es gibt auch Mittelmaß und Tiefpunkte. Die Balance in dem allen ist dann hoffentlich am Ende ein gutes Leben, in dem du vielleicht mehr Spaß hattest als du gelitten hast. Aber die Hollywood-Illusion eines glücklichen Lebens gibt es für mich nicht. Es gibt so viele Unabwägbarkeiten. Es gab dazu einen guten Song aus den 90ern: »Roll with the punches.« If you get knocked down, then get up again. Ich lebe stark danach, weil ich viele Menschen kenne, die so ewig-gestrig sind und nach dem Credo leben: So habe ich mir das aber nicht vorgestellt. Ja, mag sein. Aber du hast jetzt noch die Chance, in Realtime zu adjustieren und etwas zu verändern. Viele kommen aber gar nicht dahin, weil sie in einem verbitterten Mindset leben. In einem der neuen Songs sage ich ja selbst, dass ich heute Stehaufmännchen bin, obwohl ich damals Stubenhocker war. Mir ist auch bewusst geworden, dass wir als Menschen sehr dazu neigen, uns selbst zu bemitleiden. Was habe ich mich schon darin gesuhlt, wenn es mir schlecht ging. Ich habe es dann zelebriert und als leidender Künstler nach außen gekehrt, oder als der genervte Partner in einer Beziehung, der sich nicht öffnen will und dicht macht. Oder du bist das Familienmitglied, das sich nie meldet, wir alle machen das auf viele Weisen. Selbstanalyse hilft dabei nicht unbedingt immer weiter. Vieles von dem psychologischen Wissen, das heute im Umlauf ist, führt sogar dazu, dass es vielen noch schlechter geht. Weil nicht die richtigen Schlüsse gezogen werden. Selbstreflektion ist für mich der Key. Aber wahrscheinlich würden viele Leute nicht mal eine Definition geben können, was das bedeutet. Am Ende geht es nur um das, was du aus der Analyse machst. Nicht darum, dass du sie überhaupt machen kannst. Mag sein, dass deine intellektuelle Kapazität dich dazu befähigt, aber was machst du aus all den Informationen? Ich glaube, da muss vor allem die moderne Social-Media-Psychologie noch viel mehr ansetzen. Da findet sich leider viel Phrasengedresche. Viele präsentieren nur die Headline a la »Ich arbeite jeden Tag an mir und deswegen wird mein Leben jetzt viel besser.« oder »Wenn ich an nur genug an mich glaube, wird alles gut.«
- Die Leute suchen nach Freiheit, nicht nach mehr Besitz. Es ist eine interessante Zeit, in der wir leben.Auf Twitter teilen
-
Was hilft dir konkret in deinem Alltag, damit es dir gut geht?
-
Wasser. Seit ein paar Wochen habe ich meine Süßgetränkesucht gestoppt. Ansonsten sind es wirklich die fundamentalsten Tipps, die man überall kriegt. Zeit mit Tieren und Kindern verbringen. Viel in die Natur gehen, viel Grün sehen, viel frische Luft atmen. Gespräche mit guten Menschen, von denen man sich verstanden fühlt. Ich habe ja auch 2007 einen Verein gegründet, »Crossover e.V.«, bei dem viele Workshops passieren. Nach dem Motto. Geben ist seliger denn nehmen. Das ist auch eines der wahrsten Statements ever. Und überstrapaziere nicht die eigene Nabelschau. Kümmere dich um Wachstum für die Community, für die Gesellschaft und die Welt. Zieh dich nicht in den Egoismus zurück, das ist unvorteilhaft. Materielle Güter können uns natürlich bereichern, aber mir wird von Jahr zu Jahr mehr bewusst: Was einem keiner mehr nehmen kann, ist das eigene Glück, wenn ich zum Beispiel in der Natur bin und sonst nichts brauche. Der ganze Technik-Kram, den ich in meinem Studio angesammelt habe, kann mir rein theoretisch eines Tages genommen werden. Von einem Einbrecher, von der Steuer, von was auch immer. Food, Clothing, Shelter und ein paar gute Leute im Leben, mehr braucht es eigentlich nicht. Die Rastas meinen das ja eigentlich, wenn sie von Babylon sprechen: Der reine Fokus auf materielle und artifizielle Werte. In Amerika, wo die Kernstätte davon liegt, entsteht jetzt auch das größte Anti-Movement. Tiny Houses, Minimalismus etc. Die Leute suchen nach Freiheit, nicht nach mehr Besitz. Es ist eine interessante Zeit, in der wir leben.
-
Geht es dabei um eine Wiederentdeckung der Seele beziehungsweise um Spiritualität?
-
Es ist bestimmt ein Zeitalter des spirituellen Erwachens. Wobei das aber klingt, als würden es alle checken. So ist es nicht. Einige erwachen und haben so viel Sende-Power, damit die Message an viele kommt. Vieles von dem, was da verbreitet wird, ist auch nicht neu, aber wichtig zu erwähnen. Es braucht gute Denkanstöße, Wissensquellen, Buch- und Podcastempfehlungen.
-
Experiment zum Schluss: Ich nenne dir fünf Gefühle und du dazu Musik oder ein Kunstwerk, das dir spontan einfällt. Trauer.
-
Der Song »The Book of Soul« von Ab-Soul. Er spannt einen riesigen Bogen. Er ist mit einer krassen Krankheit geboren, die nur wenige Leute haben (Stevens-Johnson-Syndrom). Das hat mit zehn Jahren dazu geführt, dass sein Gesicht von innen heraus verbrannt ist. Du kriegst ein internes Fieber, das dazu führt, dass deine Haut in Blasen aufgeht. Seine kleine Schwester hat ihn nicht mehr erkannt. Dann spannt er den Song zu der Jugendliebe, mit der er sieben Jahre zusammen war und die sich vom einen auf den anderen Tag umgebracht hat, ohne ihm davon zu erzählen. Das ist die wunderschönste Form von Trauer: Wenn man aus etwas Negativem etwas Positives macht. Trauer gehört dazu, aber ist wirklich nicht schön. Das in etwas Schönes zu verpacken, ist eine der größten Kunstformen. Mehr mental-health-Thema geht gar nicht in einen Song. Das ist eines der schönsten Lieder, die ich kenne. Es ist so wichtig, nicht in der reinen Trauer zu verharren. Mach auch mal ein schönes Lied an, wenn du traurig bist. Geh auch mal raus, wenn die Couch gerade die ultimative Komfortzone ist. Mir hilft auch oft der Gedanke: Bewahre deine Würde. Wie sieht das denn sonst aus?
-
Wut.
-
Das ist für mich ein mit einem Fragezeichen belegtes Gefühl. Das, was mich wütend machen sollte, macht mich eher traurig, zum Beispiel das Verhalten anderer Menschen. Ich gehe oft nicht auf das aggressive Verhalten anderer ein und nehme es eher mit Humor. Zu »Weck mich auf« haben mich Journalisten oft gefragt, warum ich so wütend auf den Staat bin. Ne, bin ich nicht, ich habe einfach nur viele Fragezeichen.
-
Freude.
-
Die uninteressanteste Emotion, um Kunst zu erschaffen. Partysongs und »Ich bin frisch verliebt«-Songs sind für mich die Langweiligsten. Mir fällt aber ein, dass ich mal auf einer Party war und es lief »I Gotta Feeling« von Black Eyed Peas. Sie singen »Tonights gonna be a good night« und es war wirklich eine gute Nacht. Das hat so gut gepasst, dass jemand diesen simplen Gedanken in ein Lied formt. Aber du könntest mir eine Pistole auf die Brust setzen und mich zwingen, ich könnte so einen Song nicht schreiben. Ich freue mich einfach, wenn ich mich freue. Ich mache dann keinen Post, schreibe keinen Song und male kein Bild. Aber es ist nichts wichtiger, als viel Freude zu spüren.
-
Angst.
-
Mir kommt höchstens »Fear of a Black Planet« von Public Enemy in den Sinn. Aber irgendwie habe ich immer weniger Angst, je älter ich werde und auch keine große Lust, dem Gefühl meine Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu fällt mir ein, dass Angst eine menschliche Emotion ist, die total echt ist. Und doch erschaffen wir sie auch selbst. Das Leben geht ohnehin weiter. Menschen verlieren ihre Häuser, Kinder, Körperteile und können trotzdem weiterleben und erfüllte Leben führen. Ich ziehe mir Inspiration daraus, wenn Menschen ihre Angst überwunden haben oder sie glückliche Menschen nach Schicksalsschlägen werden.
-
Liebe.
-
Ein Lovesong, der mir einfällt, ist von Musiq Soulchild aus den mittleren 2000ern, der hieß »betterman«. Eine Hymne für die Phase, wenn man gerade aus einer Beziehung kommt, wo man viel verkackt hat und kein guter Mann war. Das ist ein guter Motivationssong für die Liebe, um sich zu bessern. Diese Art von Songs mag ich sehr. Wenn ich für andere schreibe, kann ich sehr gute Lovesongs schreiben, aber in meiner Musik tue ich mir schwer damit. Das ist mir dann tatsächlich zu persönlich. Für Liebeslieder bin ich auch nicht besonders anfällig, auch wenn es sehr krasse gibt. Als Teenager auf den ersten Engtanzpartys zu den schnulzigen 90s-R&B-Lovesongs tanzen, verliebt in irgendeine Mitschülerin, Herzrasen, das war schon etwas Besonderes. Als Erwachsener habe ich das lange nicht mehr gefühlt. Für die Kunst leider auch keine Inspirationsquelle.
-
Letzte Frage: Was würdest du, mit der Erfahrung und dem Wissen von heute, dir selbst am Tiefpunkt deines Lebens sagen?
-
Das Leben geht weiter. Solange man lebt, geht es tatsächlich weiter. Egal, wie schrecklich etwas ist, oder wie sehr du gerade aus der Bahn geworfen wurdest. Und es war wichtig für mich. Ich bin so ein »learning by doing«-Typ. Und meistens habe ich nur durch das Leiden die nächste Form von Selbsterkenntnis erreicht. Also gib gut acht auf dich und behalte deine Würde.