Maeckes Kunst & Kopfkrieg
Radikale Ehrlichkeit, Funktionieren müssen und Versuche an Ratten

In der Reihe »Kunst & Kopfkrieg« spricht Laurens Dillmann mit seinen Gästen über mentale Gesundheit. In dieser Folge tauschte er sich mit Maeckes aus.

Maeckes / K&K

Laurens Dillmann sensibilisiert seit 2018 mit seiner Interviewreihe »Kunst & Kopfkrieg« für das Thema mentale Gesundheit. Er führt mit seinen Gästen Gespräche über Selbstverwirklichung, Leben im Rampenlicht und Wege aus psychischen Krisen. Dieses Mal sprach er mit dem Orsons-Mitglied Maeckes.

  • Was sind deine ersten Assoziationen zum Thema mentale Gesundheit?

  • Lauter Metaphern, die bei mir gerade aufpoppen. Aber ich will es nicht in einer Metapher beantworten. Es ist ein Thema, das alle betrifft. Selbst die, denen man es nicht ansieht.

  • Wie ist es für dich, wenn dich als quasi Fremder dazu befrage?

  • Finde ich gut und okay. Es ist interessant. Und es gibt Gesprächsbedarf.

  • Kommt deine Kunst eher aus dem Kopf oder aus dem Bauch?

  • Mein Kopf hat viele Überlebenstaktiken geschaffen, meinen Bauch nicht wahrnehmen zu müssen. Meine Kunst ist sehr im Kopf eingetunkt. Die Intuition will ich ihr nicht absprechen, aber sie macht viele Umwege und passiert viele Schleusen durch meinen Kopf. Sonst hätte sie aber auch nicht die Form, die sie am Ende hat.

  • Wie bist du sozialisiert? Wurdest du als Kind ermutigt, dich kreativ auszudrücken?

  • In meiner Familie hatte das keine Tradition. Keine Künstlervorbilder. Es wurde weder musiziert, noch geschrieben, noch gemalt, nichts. Da war ich schon ein krasser Querschläger. Auf der einen Seite hat mich meine Mutter bekräftigt: Mach das, was dir Spaß macht! Von väterlicher Seite: Es muss Sinn haben, was du machst! In diesem Spannungsfeld habe ich angefangen, Kunst machen.

  • »Dinge verarbeiten und daraus Kunst machen. Daraus ist dann so etwas wie eine Karriere entstanden.«Auf Twitter teilen
  • Hast du deswegen Selbstzweifel gehabt, ob es auch zur Künstlerkarriere reichen wird?

  • Ich war kein Kind, das im Mittelpunkt stehen wollte. Ich musste mal ein Schaf in einem kirchlichen Krippenspiel spielen. Die erste Erinnerung an eine Bühne war eine Horrorerfahrung. Ich wollte es gar nicht machen, man hat mich gezwungen. Dann gab es aber irgendwann einen Flip. Ich habe den Mittelpunkt sehr stark gebraucht. Darüber bin ich jetzt schon wieder hinweg. Aber als ich sehr jung mit Musik anfing, ging das auch mit einer krassen Selbstüberhöhung einher. Im Rap-Battle-Kontext, wo ich mich als Außenseiter immer wieder neu beweisen musste. In der Zeit habe ich mir ein enormes Selbstbewusstsein zugelegt.

    Die Frage nach der Karriere kam erst sehr viel später. In der Familie gab es den Rückhalt nicht. Es gab einfach keine Blaupause für einen Künstler. Meine Eltern kommen beide aus Dörfern und Bauernfamilien. Es wurde einfach nicht verstanden. Man kannte es nicht. Ich erinnere mich gerade: Als ich jugendlich war und mit dem Rap-Zeugs angefangen habe, sagte mir ein Nachbar von gegenüber: »Hey Markus, ich finde voll gut, dass du schon so früh Musik machst. Vielleicht wird das ja deine Karriere!« Ich weiß noch, wie ich ihn ungläubig angeguckt habe. Wie, das kann ich theoretisch mein Leben lang machen?! Das war eine ganz große News für mich. Sie kam von extern, von der anderen Straßenseite. Und hat wirklich etwas verändert.

    Dann war es im Außen ein sehr langer Kampf gegen das Pflichtbewusstsein meiner Eltern und den von mir erwarteten geraden Lebensweg. Und gleichzeitig ein Kampf im Inneren: Dinge verarbeiten und daraus Kunst machen. Daraus ist dann so etwas wie eine Karriere entstanden.

  • Befriedigt es dich, es geschafft zu haben?

  • Es ist auf jeden Fall befriedigend, es für »die anderen« geschafft zu haben. Dann löchern sie einen nicht mehr mit so vielen Fragen. Aber auch da gibt es ein Inneres und ein Äußeres »Ich habe es geschafft«. Als es noch für niemand anderen gezählt hat, hatte ich schon sehr früh das Gefühl, es geschafft zu haben. Die Außenwelt hat ja sehr klare Erkennungsmerkmale: Eine goldene Platte mit den Orsons. Jetzt habt ihr wirklich etwas geschafft!

    Dieser Form von Erfolg klang für mich wie ein Delay nach. Ich konnte auch schon davor meinen Kühlschrank füllen, machen, was ich will, hatte das Renommee der Leute, die mir wichtig waren. Die Ebene war einfach anders, bevor der Erfolg »offiziell« kam. Tja, manchmal denke ich, ich habe es geschafft, manchmal bin ich heute noch nicht zufrieden mit dem, was ich erreicht habe. Das ist ein Zyklus wie Tag und Nacht, ist auch okay. 

  • Ich mag deinen alten Song »Ehrlichkeit«. Warum ist dir Ehrlichkeit wichtig?

  • Damals habe ich die Worte gefunden, die es für mich am besten treffen. Das musste ich bislang auch nicht mehr updaten. Unterschreibe ich noch immer. Natürlich habe ich das auch zuhause gelernt. Da fällt mir wieder ein Beispiel ein: Ich wurde mal beim Klauen erwischt und vom Kaufhausdetektiv nach Hause geschickt. Das war ein richtig geknickter Gang. Es hat mich beschäftigt, das jetzt meinen Eltern zu sagen. Ich hätte es ihnen gar nicht sagen müssen, aber ich habe es trotzdem gemacht, weil ich Vertrauen zu ihnen hatte. Ich habe die Schelte bekommen, aber meine Ehrlichkeit wurde auch belohnt.

    Dass Ehrlichkeit mir in meinem Leben so wichtig wurde, hatte auch viel mit meinem Ego zu tun. Ich habe später mal gelesen, dass es diese radical honesty-Bewegung gibt. Das habe ich von mir selbst immer erwartet. Aber oft war es nur ein Ausloten, wie weit ich eigentlich gehen kann. Ich habe Konfrontationen und Störmomente erschaffen, anstatt wirklich in reiner Form einfach nur ehrlich zu sein. Das hat sich über die Jahre erst wieder hin korrigiert. Es ist mir noch immer wichtig, mich nicht selbst zu belügen, und auch meine Hörer in meiner Musik nicht. Es lebt sich dadurch auf lange Sicht auch einfach entspannter.

  • Auch deine älteren Songs »88« und »Versteh sie einfach nicht« haben mich durch schwere Phasen meines Lebens begleitet. In welcher Stimmung hast du sie geschrieben?

  • »Versteh sie einfach nicht« habe ich genau so runtergeschrieben wie er da ist. Notizbuch auf, ratterratter, fertig. »88« war einfach eine Sammlung von Beobachtungen. Wie es mir damals genau ging… Ich wurde einfach erschlagen vom Weltschmerz, der plötzlich auf mich einprasselte. Ich war eigentlich immer sunnyboyish unterwegs und bin smooth durchs Leben gegangen. Dann kam der Weltschmerz. Ich konnte mir keinen Reim mehr aufs Leben machen und habe dieses Unverständnis damals in die Lieder fließen lassen. 

  • Gefallen dir diese Lieder heute noch?

  • Müßte sie mal wieder hören, um das festzustellen. Aber ich glaube, es fasziniert mich nach wie vor, von wo »Versteh sie einfach nicht« zu mir kam.

  • »Man braucht kein komisches Paradies suchen, wo nur alles hell und geil ist.«Auf Twitter teilen
  • Gehören Weltschmerz und depressive Erfahrungen zum Leben dazu? Ist es für die eigene Entwicklung sogar gut, so etwas zu durchleben?

  • Eine interessante Frage. Hängt von der Wertung ab. Ich weiß es nicht. Ich versuche mir gerade eine Welt oder ein Leben vorzustellen, wo so etwas nicht auftaucht. In meinem Leben hat es mir sicherlich etwas gegeben. Es hat mich bewusster und sensibler für Vieles gemacht, wie zum Beispiel die Stimmungen anderer Menschen, die Vorgänge hinter den Kulissen, Ungerechtigkeit – im selben Zug hat es mir zwischenzeitlich aber auch Lebensfreude und Sicherheit in Situationen genommen.

    Manche haben diese Veranlagung einfach mehr, manche weniger. Es ist wohl eine Art Häutungsphase, vielleicht auch Teil des Erwachsenwerdens. Ich kann mir nicht ganz vorstellen, wie es ohne ist. Wenn man nur auf der hellen Seite des Mondes aufwächst, dann fehlt eine Nuance, die man nicht verstanden hat und an der man bei anderen nicht andocken kann.

    Am Ende gibt es doch kleine Wahrheiten, bei denen man immer wieder rauskommt. Dualität. Es gibt Kleine und Große. Licht und Schatten. Freud und Leid. Depressive Phasen und manchmal scheint einem die Sonne aus dem Arsch. Beides gehört dazu und es zieht sich durch alles. Man kann nicht nur ernten wollen und das Aussäen ignorieren. So funktioniert es einfach nicht. Man muss seinen Frieden damit finden, dass es sich bedingt.

    Man braucht kein komisches Paradies suchen, wo nur alles hell und geil ist. Das gibt es nicht. Spätestens wenn man es eine ganze Weile gehabt hätte, hätte es keinen Wert mehr. Es verortet sich nur über den anderen Punkt, an dem es einem schlecht geht. Das gehört dazu. Man darf in dieser Phase nur nicht abschalten und hops gehen, man muss Wege finden, wie man auch wieder in die andere Phase kommt. Dieser Tanz, der ist dann das Leben. Amen (lacht).

  • Seit einigen Jahren gibt es einen Wandel in Richtung Enttabuisierung von psychischen Krankheiten. Wie nimmst du das wahr?

  • Diese Enttabuisierung ist sehr dringend notwendig. Es ist notwendig, sich damit zu befassen, wenn man diese Tendenzen in sich verspürt oder sogar pathologisch betroffen ist. Man muss einen Umgang damit finden und es sollte keine Berührungsängste geben, sich Hilfe zu suchen und Therapie zu machen. Ich begrüße das sehr. Auf der anderen Seite merke ich auch, dass das Thema viele Menschen überfordert. Dass es noch immer weggeschoben wird und man neue Shortcuts dafür erfindet, in Form von vorschnellen Diagnosen wie ADHS und Medikamentenvergabe, um sich nicht wirklich tiefgehend damit befassen zu müssen. 

  • Mein Eindruck ist: Wir müssen gesellschaftlich erst noch lernen, Räume für seelischen Tiefgang zu schaffen. Therapie ist ein gutes Modell, aber sich untereinander zu öffnen sollte ja auch im sozialen Miteinander möglich sein.

  • Da stimme ich dir zu.

  • Wie ist es für dich, wenn deine Kunst, also dein Innenleben, vermarktet wird? Das muss man auch aushalten können, oder?

  • Das ist der Deal. Auf der einen Seite will ich all das Rampenlicht, das meine Musik verdient hat. Sie hat viel davon verdient, weil ich so viel von mir reingebe. Auf der anderen Seite finde ich in einer Nische statt. Und es ist schon krass, was diese differenzierte Nischenmusik bereits für ein Rampenlicht bekommen hat. Das richtige Maß an Nähe und Weite ist entscheidend. Mit Ehrlichkeit kommt man nicht weit, doch ohne Ehrlichkeit kommt man nicht nah. Als Künstler bin ich unfassbar weit weg. Auf der anderen Seite unfassbar nah, weil ich an meinen Gedanken teilhaben lasse.

    Ein Stück weit muss man seine eigene Projektionsfläche sein, nicht nur man selbst. Letzten Endes ist meine Musik die Projektionsfläche, in der du zu sehen und hören glaubst, wer ich bin. Aber wir hängen nicht wirklich abends miteinander rum und ich erzähle dir genau, was ich denke. Ich habe die Kontrolle, wie ich das in Musik gieße und was ich davon veröffentliche. Schon dadurch vermarkte ich mich selbst, die industrielle Komponente kommt erst danach. Ich glaube, es ist gesund, dazwischen diese Ebene zu ziehen. Sonst könnte man wirklich überfordert werden, wenn die Reichweite zu gering ist, Konzerte ausfallen oder die gemeinen Youtube-Kommentare reinkommen.

  • Warum fällt es vielen Menschen so schwer, sich zu öffnen, über Gefühle zu sprechen, sie zu verarbeiten?

  • Man hat es nicht gelernt. Keine Blaupause gehabt. Es gab zu wenig Vorbilder, die genau das gemacht haben, an denen man sich orientieren kann. In den wenigsten Familien, die ich kenne, wurde das weitergegeben. Funktionieren ist ein großes Ding bei uns. Solange etwas funktioniert, lässt man es weiterlaufen.

    Für mich war es früher gar keine Option, so etwas wie eine Therapie zu machen. Ich hab mich dem vollkommen verwehrt. Im Nachhinein denke ich, das wäre besser gewesen, anstatt mich durch Musik jahrelang an einer Art Selbsttherapie zu versuchen. Mein Ego stand der Einsicht »Ich brauche Hilfe« aber völlig im Weg. Ne, das kann ich selbst machen! Schau mal, ich stell mich dem allen! Ich gehe doch da rein, in meiner Musik! Erst viel später habe ich gemerkt, dass ich mich gar nicht so hätte abmühen müssen. Aber ich hatte einfach keine Vorbilder in dieser Hinsicht.

  • Irgendwann ist mir in meiner Beschäftigung mit dem Thema Gesundheit bewusst geworden, dass die Schrecken der Weltkriege nicht angemessen aufgearbeitet wurden und dass sie vielen Menschen noch heute in den Knochen stecken.

  • Absolut. Sehr vieles liegt in den Generationen vor uns begründet. Wenn man Lösungen für die eigenen Themen sucht, sollte man definitiv einen langen, bedachten Blick in den Rückspiegel werfen. Wo kommt das eigentlich her? Wie haben meine Eltern, meine Großeltern gelebt, wo bin ich ihnen in meinen Reaktionen ähnlich? Das ist richtige Ahnenforschung, die man da betreibt. Da ist zum Beispiel jemand, der ist ganz eisig und kann keine Gefühle zeigen oder keine Nähe ertragen. Ein Blick nach hinten kann Antworten geben, warum das so ist. Sonst gibt man es ungefiltert weiter an die nächste Generation. Das ist sicher die Arbeit, die unsere Generation jetzt vor sich hat. Wir haben die Chance, diese Traumata zu heilen.

    Da gibt es diese Annahme der sieben Generationen. Ich glaube, das war ein Versuch mit Ratten. Man hat Ratten etwas Süßes essen lassen, und ihnen dann jedes Mal Stromschläge gegeben, bis sie nicht mehr davon gegessen haben. Die Nachkommen gingen dann schon gar nicht mehr zum Süßen. Sie hatten es schon in ihrer DNA: Man geht nicht dorthin, sonst wird man bestraft. Erst nach sieben Generationen war die Ratte wieder bereit, dorthin zu gehen. Diesen Gesichtspunkt fand ich sehr spannend. Nicht alle Depressionen oder Krankheiten müssen aus deinem eigenen Leben kommen, es kann auch eine Altlast aus deinem Familienkontext sein.

  • Was bedeutet Gesundheit für dich persönlich? 

  • Dass ich nicht eingeschränkt werde in meinem Tun.

  • »Teile dich mit. Achte auf deinen Körper. Vegetier nicht nur vor dich hin.«Auf Twitter teilen
  • Was kann jeder im Alltag tun, um gut für sich selbst zu sorgen? Was hast du für Mittelchen in deiner Hausapotheke?

  • Nummer eins: Reden. Genau da, wo man Skrupel und Zweifel hat. Soll ich das jetzt sagen? Bin ich jetzt komisch, wenn ich das sage? Finde eine Routine, auch darüber zu sprechen. Das ist sehr heilsam. Nummer zwei: Bewegung. Es muss nicht Tai-Chi oder Yoga sein. Bei mir ist es Basketball. Macht mir so viel Freude und funktioniert ganz einfach. Als drittes: Sich im eigenen Körper erden, wenn man nicht weiterkommt. Die eigenen Gefühle nicht wegschieben, ihnen nicht auszuweichen. Einen Umgang damit finden. Reingehen. Sie sich in Ruhe anschauen. Im Prinzip sagen das ja auch die Ratschlagbuch-Klappentexte: Teile dich mit. Achte auf deinen Körper. Vegetier nicht nur vor dich hin. Nutze den Moment und limitiere ihn und dich nicht.

  • Kleines Experiment zum Schluss. Ich nenne dir fünf Gefühle und du mir Kunst, die du damit verbindest. Trauer.

  • »Kreuz«. Ein Lied von mir.

  • Wut.

  • Wichtiger Brennpunkt für manch einen Motor. Rage Against The Machine »Bulls On Parade«.

  • Freude.

  • …schöner Götterfunken.

  • Angst. 

  • Hildegard Knef »Insel meiner Angst«. 

  • Liebe. 

  • Mein neues Album »POOL«

  • Letzte Frage: Wenn du heute dir an einem der Tiefpunkte deines Lebens einen Rat ins Ohr flüstern könntest:

  • Du bist okay.