Vandalismus »Kunst ist es niemals wert, dafür sein Leben zu zerstören.«
Zehn Jahre als Rapper, acht Studioalben und mehrere Alter Egos bilden das Repertoire des Düsseldorfers Vandalismus. Eine Reise durch Ängste, Süchte und die Außenseiterrolle im Rapgame liegt hinter ihm – und wird dabei doch nie völlig abgeschlossen sein. Mit »Gloria & Schwefel« erscheint nun sein neuntes Album, das Raum für aktuelle Themen und den ganz persönlichen Reifeprozess seines Artists macht.
Bei gefühlten vierzig Grad Außentemperatur für Promotermine durch das Land zu tingeln, kann anstrengend werden. Vandalismus atmet am Telefon erst einmal tief durch. Eine Woche in der Hauptstadt liegt hinter ihm, bevor er an diesem Wochenende wieder nach Hause zurückgekehrt ist. Es ist das zweite Album unter dem Pseudonym Vandalismus, nachdem der Düsseldorfer 2019 von (Detlev) (Disko) (Destroy) Degenhardt zu seinem noch relativ jungen Alter Ego öffentlich wechselte. Die Veränderungen, die seither stattgefunden haben, lassen an eine auditive Metamorphose denken. Wo früher Suchtprobleme und die eigene Anti-Haltung im Vordergrund standen, hat sich für Vandalismus der Fokus erweitert, die Möglichkeit aufgemacht, klarer auch bei Themen Stellung zu beziehen, die ihn früher nur begleiteten, es aber noch nicht auf Papier schafften.
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Deine neuen Texte haben noch komplexere Rahmen, zum Beispiel das Frauenbild in der Gesellschaft und im Rap. Was hat sich da für dich selbst geändert?
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Das war einfach ein Hadern mit dem eigenen Männlichkeitsbild. Früher hat es sich alles noch mehr um mich selbst gedreht. Da habe ich mich zwar auch schon mit Themen wie Feminismus oder Weiblichkeit auseinandergesetzt, aber nicht so wie heute. Jetzt ist die Wahrnehmung von außen stärker. Ich glaube, mir fehlte da das Selbstvertrauen, ich empfand sogar Schamgefühl gegenüber meiner Extrovertiertheit. Wie über Frauen zum Teil immer noch abschätzig gerappt wird – ich kann’s nicht mehr hören! Und dass außerdem so einige Dinge in der Rapwelt schieflaufen, ist auch klar. Damals hätte ich mich da noch mehr zurückgehalten, heute sage ich stattdessen: »Fuck it, mir sind diese Themen wichtig!«
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Diesen Umschwung läutete auch das kürzlich erschienene Video zu der Single »Maskulina« ein, in dem die Tristesse eines Alltags als Bodybuilding-Supplements-Verkäufers aufgezeigt und dabei mit den gängigen Stereotypen vom vermeintlich echten Männlichkeitsgefühl gebrochen wird. Dass sich mancher seiner Rapper-Kollegen währenddessen weiter jener Klischees bedient und darüber hinaus vor allem mit medienwirksamen Straftaten im Vordergrund platziert, ist Vandalismus zuwider.
Auf dem Song hast du eine Punchline gegen Loredana, in der du rappst, sie solle eher im Knast als im Studio schreiben…
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Die Line zielt eher auf den Umgang der Medien mit Loredana und ihrem Gerichtsverfahren ab. Wir haben so viele Rapper da draußen, gegen die irgendwas vorliegt, aber keiner sagt etwas. Es kann nicht sein, dass eine solche mediale Plattform existiert, in der so viele Angst haben, sie würden potenzielle Gesprächspartner verlieren, wenn sie ein paar kritische Sätze über einen Rapper oder eine Rapperin schreiben, gegen die oder den aus den unterschiedlichsten Gründen Anzeigen vorliegen. Das bedeutet nicht, dass ich auf irgendwen einschlagen will, ganz im Gegenteil. Was ich mir hingegen wünsche, ist ein größerer Diskurs – das ist das Wichtigste. Wir müssen über diese Dinge reden. Auch die Rap-Medien müssen das tun! Somit dann in meinem Falle, dass ich halt auch mal ganz klare Kante gegen Loredana zeige. Folgediskussionen immer her damit!
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Du sagtest in der Vergangenheit mal, du würdest dich selbst als Außenseiter im Rapgame wahrnehmen. Bist du mit dieser Rolle noch zufrieden, oder hat sich etwas an dieser geändert?
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Ich denke, auf mich trifft der Begriff »inside outsider« ganz gut zu. Mit der Zeit wird man Teil der Szene, doch bleibt gleichzeitig außen vor. Damit bin ich nicht unzufrieden. Es ist gut, wenn man mehr will, aber es sollte immer um die Sache gehen. Wichtig ist, dass es etwas passiert: Ich mache mehr Musik, lerne noch mehr Leute kennen. Es geht also vorwärts, und das ist besser als Stillstand. Natürlich ist das alles trotzdem eine Maschinerie, von der ich auch ein Teil bin. Aber so wie ich es jetzt halte, befinde ich mich auf einem gesunden Undergroundlevel, auf dem ich das tun kann, was ich möchte und auch vom Label dabei unterstützt werde. Auf »Gloria und Schwefel« hatte ich jetzt zum Beispiel einfach mehr Bock auf Flexen, mehr als im Vergleich zu früheren Songs. Der »Unique Selling Point« ist bei mir wahrscheinlich die Deepness. Das haben meine Fans immer schon so angenommen und mir auch dementsprechendes Feedback gegeben. Was toll war! Aber auch das Feedback zu meinen neuen Sachen ist super und heute denke ich, dass der Content und die Kommunikation über die alten Sachen fast etwas zu schwer war. Ich meine, ich musste da mal etwas zurückschrauben. Wenn ich jetzt die Nachrichten, die ich so bekomme, lese, spüre ich, dass da schon etwas anders ist, ein positiverer Spirit.
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Wurden dir seitens des Labels alle Freiheiten für das neue Album gelassen?
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Im Grunde schon. Ich kenne diesen ganzen künstlerischen Prozess ja auch bereits, habe das allein schon allein gemacht, meine Musik selbst veröffentlicht, mich ums Artwork gekümmert, und so weiter. Insofern war mir das alles bereits vertraut und ich wusste damals, worauf ich mich einlasse. Das funktioniert bis heute gut. Mit dem Label arbeite ich auf Augenhöhe zusammen, hole mir gern ein paar Tipps und freue mich richtig auf solche Sachen wie ein Telefonkonferenz, wenn es um Veröffentlichungen und Promo geht. Dass das alles dazugehört, habe ich gelernt, und das macht auch Spaß. Es gibt also tatsächlich gar keine Konflikte zwischen dem Label und mir und ich kann genau so arbeiten, wie ich es brauche.
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An der Entstehung von »Gloria und Schwefel« sind Produzenten wie simelli, Jay Beaz oder Polybius² beteiligt gewesen. Wie kam es dazu?
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Als ich unter Vandalismus Musik zu machen begann, wollte ich in dem Zuge einfach auch neue Beats. Das alte Kapitel war ein bisschen beiseite gelegt, daher sollte auch der Sound noch einmal ganz neu klingen. Auch in der Vergangenheit habe ich schon mit verschiedenen Produzenten zusammengearbeitet, da hatte ich einfach Glück, über das Label und die Musik immer mehr Leute kennenzulernen. Dinge verändern sich, von den Locations für Videos bis hin zum Producing. Zuhause, während ein Album langsam entsteht, suche ich immer nach Beats, höre viele Instrumentals, die mich inspirieren. Das Schönste an so einem Prozess ist es, bei 0 zu starten und dann zu sehen, wie langsam etwas passiert.
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In welchen Momenten überkommt dich so ein Schreibprozess, was braucht es für dich dazu?
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(lacht) Ich habe gerade mein Arbeitszimmer umgestaltet, das ist jetzt zur Hälfte im Wellness-Asia-Style, was eine angenehme Wirkung auf mich hat. Ansonsten liege ich regelmäßig zwei bis drei Stunden in der Badewanne, und entweder fällt mir währenddessen etwas ein oder genau in dem Moment, wenn ich rausgehen will. Ich bin dann immer noch ganz in meiner Welt. Manchmal kommen mir solche Einfälle sogar in der Sauna – daher nehme ich für so einen Fall immer einen Schmierzettel mit dort hinein. Das ist ein angestoßener Prozess, ich brauche es eigentlich nur noch flowen zu lassen. Zuhause habe ich schon in Dutzende Bücher irgendwas hineingekritzelt, weil mir eine Idee kam. Im Grunde kann ich überall schreiben, außer im Studio.
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Self Care ist für dich auch so ein größeres Thema geworden, habe ich das Gefühl. Was machst du dann so?
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Wellness, Sauna, Schwitzbäder, alles! Ich achte wesentlich mehr auf Körperliebe, nachdem ich jahrelang mit meinem eigenen Körper auf Kriegsfuß stand. Das habe ich ja zum Beispiel auch in meinen älteren Songs immer mal wieder thematisiert. Dieses hundert Prozent sichere »Ich bin das oder das, Mann oder Frau oder sonst was«, habe ich nie gefühlt. Das ist eben dieses Klischee-Denken, aber für mich war das nie etwas. Ich versuche, mit mir selbst klarzukommen.
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Dass es dennoch anscheinend weiterhin Abgründe gibt, demonstrierst du mit dem Song »Alle toten Dichter« und der darin enthaltenen Zeile: »Ich kenn‘ Ungeheuer, denn ich kämpf‘ gegen Ungeheuer«. Wie präsent sind die noch?
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Nach 2018 habe ich einen Break gemacht, alles ein bisschen in neue Bahnen gelenkt oder versucht, mich einfach bisschen frei zu machen. Früher hat mich der Charles Bukowski-Satz »Finde, was du liebst, und lass es dich töten« begeistert, daran habe ich geglaubt. Heute sehe ich das anders und würde sogar sagen: Der Satz ist der größte Quatsch! Kunst ist es niemals wert, dafür sein Leben zu zerstören. Die Dinge, die ich damals in meiner Musik angesprochen habe, sind schon immer noch da, aber heute sind es keine Suchtsongs mehr. Ich sehe die Dinge ingesamt schon etwas positiver.
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Dabei bleibt auch die Selbstreflexion nicht außen vor. Auf dem Intro des neuen Albums setzt du dich mit der Frage nach der eigenen Selbstsüchtigkeit auseinander – aber ist gerade die nicht auch Antrieb, um überhaupt im Rap-Game mitzumischen?
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Der Narzissmus entsteht schon beim Recorden. Ich mache das dann ja nicht mehr nur für mich, sondern möchte, dass mit meinen Songs bestenfalls schon einige Leute erreicht werden. Gewissermaßen war ich immer schon eine Rampensau und gleichzeitig gehemmt. Dafür habe ich eine andere Herangehensweise gefunden. Wenn ich jetzt für irgendwas einen Like bekomme, breche ich darüber nicht gleich zusammen, es freut mich einfach. Bei Rapsongs ist immer die Frage, wieviel Gehalt die haben. Ich denke, wenn da am Ende 10 Prozent Narzissmus und 90 Prozent Storyausarbeitung drin stecken, ist das okay. Ich will halt keinen Quatsch in Songs erzählen und auch keinen Quatsch hören.
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Wer sich mit deinem künstlerischen Biopic befasst, findet auch schnell eine Verbindung von dir zum Graffiti. Ist das für dich heute noch ein Ausgleich zum Alltag oder zum Musikding?
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Graffiti ist eine Erweiterung, das mache ich auch schon länger als Rap. Tatsächlich habe ich das Malen aber erst vor Kurzem für mich wiederentdeckt. Ich habe eine Weile gar nichts gemacht, nicht mal gezeichnet. Dann hat mich das wieder gepackt. (Überlegt) Auch bei sowas neige ich zu Fanatismus, aber genau diese Sache sollte nicht zu toxisch werden. Damals war der Battle-Gedanke auch im Graffiti noch viel mehr präsent, wir haben das Game durchgespielt. Irgendwann wurde es tatsächlich zu Arbeit, das ist es inzwischen nicht mehr für mich. Ich gehe da nun wieder kindischer ran. Morgens um vier Uhr auf der Autobahn malen und am nächsten Morgen völlig zerkratzt und müde mit meiner Frau frühstücken gehen, das ist schon ein bisschen extrem, aber genau das, was auch Spaß macht.
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Das und Filme wahrscheinlich! Nicht erst der Arthaus-Frame, der das Video zur Single »Rapmusik im Straßengraben« ummantelt, verweist auf einen Bezug zur aktuellen Popkultur und deine cineastischen Vorlieben. Du scheinst immer noch genau zu wissen, wo du deinen Content dafür herbekommt und auch, diesen künstlerisch zu nutzen…?
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Filme und Serien haben mich natürlich immer schon sehr geprägt. Als »Gloria und Schwefel« in der Entstehungsphase war, habe ich zum Beispiel gerade »Pose« auf Netflix gesehen, eine Serie, in der es, grob gesagt, um die LGBTQ-Community geht. Die hat mich sehr gecatcht. Ich verwende generell gern Samples oder Snippets aus anderen Songs oder Filmen, und natürlich wird dadurch und durch das, was ich sehe oder höre, die ganze Aura eines Projektes beeinflusst. Arthaus hat mich eh immer schon inspiriert, vor allem bei meinen Artworks. Ich liebe diese überballerte Ästhetik!
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Bleibt noch die Frage offen: Bei allen stimmfarblichen sowie textinhaltlichen Parallelen – etwa den Line-Verweis »Martin Shitler seine Ufos kontrollieren den Bundestag«, auf den 1999er Prinz Pi-Track »Keine Liebe« mit Kool Savas – musstest du dich schon öfter einem Prinz Pi-Vergleich aussetzen?
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(lacht) Das kam schon vor, ja, und das ist etwas, was ich am Anfang gar nicht verstanden oder nicht so gesehen habe. Aber inzwischen fallen mir da auch einzelne Gemeinsamkeiten auf. Das beziehe ich persönlich dann aber lieber auf die alten Prinz Pi oder Prinz Porno-Zeiten. Beatfabrik mochte ich sehr. Das schönste Kompliment unter einem Video war mal: »Du schreibst die Texte, von denen Prinz Pi denkt, dass er sie schreiben würde.« Lassen wir das einfach mal so stehen. Haha.