Veedel Kaztro »Krieg ist scheiße, Hippies auch.«
Die Abkürzung auf Veedel Kaztros neuem Album »E.L.A.« steht für »Eng, Laut, Assi«, eine Beschreibung seines Kölner Heimatviertels Mülheim. Till Wilhelm sprach mit ihm über seine Sozialisation im Zwiespalt von Rap und Punk, über verstorbene Freunde und sein Vorbild Trettmann.
Veedel Kaztro genießt nicht nur in Köln Lokalprominenz, sondern ist auch im Deutschrap-Kosmos lange kein unbeschriebenes Blatt mehr. Ob mit »Büdchentapes« oder seinem von Teka produzierten Album »Frank und die Jungs«, das 2017 erschien – immer wieder beweist er seine musikalische und inhaltliche Vielfalt. Vor kurzem erschien sein neues Album »E.L.A.«, kurz für »Eng, Laut, Assi«. Damit beschrieben wird natürlich seine Wahlheimat Köln-Mülheim, ein Viertel ohne großen Glanz. Er erzählt bestechend konkrete Geschichten über dessen Bewohner:innen, an denen sich immer wieder die Abgründe systemischen Versagens auftun.
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Welche ist zurzeit deine liebste Metalband?
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Das wäre Metallica, die kennt man ja durch »Enter Sandman« oder »Nothing Else Matters«. Ich musste ein gewisses Alter erreichen, um die richtig zu feiern. Letztes Jahr wollte ich das Genre etwas besser kennenlernen und habe mir erstmal die Klassiker angehört. Seitdem ist »Ride The Lightning« mein Lieblingsalbum. Die Laufzeit sind 47 Minuten, deswegen höre ich das immer beim Sport, passt von der Laufzeit perfekt. Das Album dreht sich viel um den Tod. Der Albumtitel ist ein Slangbegriff für die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl. Sehr düster, sehr schnell, das catcht mich irgendwie.
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Hat Punk in deiner Jugend eine Rolle gespielt?
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Punk schon, Metal weniger. Ein Homie hat mir immer Metal-Songs gezeigt. Im Punk ging’s viel um linke Politik, das hat zu unserem Lifestyle gepasst. Ich dachte früher immer, Metal wär nur was für Fantasy-Nerds. Aber heute find ich’s super. In meiner Jugend habe ich viel auf Skateplätzen rumgehangen, ohne selbst zu skaten. Da tobte schon immer der Kampf zwischen Rap und Punk, als Kompromiss hat man dann Rage Against The Machine gehört. Da gibt’s harte Riffs, aber Zack de la Rocha rappt darüber. Das ist die typische Skatemusik, finde ich.
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Was haben Rap und Punk in deinen Augen gemeinsam?
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Metal war in den 1980ern so eine Art Schmuddelkind, die Eltern wollten nicht, dass ihre Kinder das hören. Das ist an der Stelle recht ähnlich zum HipHop. Punk und Rap waren sich früher ähnlich, weil sie Ungerechtigkeiten angeprangert haben. Das gibt’s im Rap auch heute noch, aber durch den riesigen Erfolg hat das Genre durchaus an Biss verloren. Ich mag Rap, der ungeschönt vom Leben erzählt. Außerdem gibt’s in beiden Szenen den DIY-Faktor. Shoutout an Trettmann! Aus der unglücklichen Situation, in der man steckt, macht man das Beste, indem man sich selbst etwas aufbaut. Beide Genres sind empowernd. Über Social Media ist das noch viel einfacher geworden. Die Do-It-Yourself-Attitüde wird sicherlich wieder wichtig sein, wenn wir nach Corona über Clubsterben sprechen. Ich hoffe, für jeden Laden, der schließen muss, wird ein neues Projekt entstehen.
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Hast du in Punk-Bands gespielt?
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Aktuell spiele ich in einer Band, ich übernehme Gitarre und Gesang. Wir haben sogar schon ein Debütalbum fertig, das habe ich im Lockdown geschrieben. Es heißt: »Der ganze Rhein zwischen uns«. Das ist 90er-Emo-, Indie-, Shoegaze-Mix. Zurzeit suchen wir noch jemanden, der:die Bass spielt! Vielleicht fühlen sich ja Leser:innen angesprochen. Wir proben in Köln-Mülheim. Gerade kann man nicht auftreten, aber wir üben fleißig. Dann sind wir ready, sobald es wieder losgeht!
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Mittlerweile gibt’s auch bei Rapshows ständig Moshpits. Ist der Unterschied live noch spürbar?
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Die Energie ist schon eine andere. Mein letztes Konzert vor dem Lockdown war eine Show der Band Turnstyle. Das war krass! Die Leute springen bei solchen Show im Fünf-Sekunden-Takt mit den Füßen zuerst von der Bühne in die Crowd. Eigentlich ziemlich nervig, wenn ständig jemand auf deinem Kopf rumspringt, aber es gehört dazu.
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»Lange Haare Trend« ist dementsprechend auch eine punkige Hymne, die viel grundsätzliche Haltung ausstrahlt. Du verweigerst den Kriegsdienst, erschießt Nazis.
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Dass ich nicht nach Vietnam gehe, ist eigentlich als Referenz, beziehungsweise Joke, zu verstehen. Der Krieg dort ist vorbei und ich bin auch kein US-Amerikaner in den 1960ern (lacht). Trotzdem: Der Kriegsdienst wird verweigert! Wir sind allerdings keine Hippies, das wollte ich klarstellen. Hippies haben mir heute zu viel mit Esoterik und Verschwörungsideologien am Hut. Das ist hängengeblieben. Krieg ist scheiße, Hippies auch.
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Auf den anderen Songs gehst du sehr ins Detail und nimmst verschiedene Perspektiven ein. Wieso war dir das wichtig?
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Um Stimmung zu erzeugen, brauchst du starke Bilder und zitierfähige Zeilen. Über Details erzähle ich Storys am besten. Ich liebe das auch an anderen Artists, wenn eine Geschichte anhand eigentlich banaler Beispiele belegt wird. Wie, wenn Trettmann auf »Geh ran« rappt: »Dieses Loch/Mit zwei Herdplatten, auf denen keiner kocht«. Da hast du direkt Bilder im Kopf. Die Assoziationen schießen sofort los.
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Ich musste bei »Alle unter einem Dach« an eine andere Zeile von Trettmann denken: »Hinter jeder Tür lauert ein Abgrund«.
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Zurzeit sind wir alle zwangsläufig sehr viel zu Hause oder im eigenen Viertel unterwegs. Wenn ich hier sitze, schaue ich aus dem Fenster und zehn Meter vor meiner Nase ist das nächste Haus. Hochgezogene, simple, leicht schäbige Standardbauten. Tausend Fenster mit tausend Leuten dahinter. Dadurch fokussiere ich mich zurzeit auf den Mikrokosmos. Viele Leute, die hier rumlaufen, sind richtige Character. Ein Beispiel: Gegenüber wohnt ein Mann, Ende 50. Traurig, alt, geschieden. Den ganzen Tag schaut er aus dem Fenster, das wirkt recht deprimierend. Den sehe ich natürlich nur so häufig, weil ich selbst ständig aus dem Fenster starre. Neulich hat dieser Mann Besuch von einem Enkel bekommen, oder so. Das hat mich richtig gefreut. Ich dachte, der wäre gottverlassen und einsam auf der Welt. Wenn man den ganzen Tag diese Menschen sieht, fängt man an, zu fantasieren.
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Ich find’s tatsächlich interessant, dass die Geschichten sehr ambivalent sind. Wieso ist dir Empathie in den Texten wichtig?
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Ich setze mich tatsächlich recht viel mit dem literarischen Handwerk auseinander. In der Figurenentwicklung gibt es die goldene Regel, eine klare Unterteilung in Gut und Böse zu vermeiden. Gibt es nur Held und Antiheld, sind die Figuren eindimensional und flach. Eine glaubwürdige Figur muss Hintergründe und Motive besitzen, du musst ihre Handlungen selbst nachvollziehen können. Meine Figuren basieren auf Menschen, die ich getroffen oder gesehen habe. Lebenssituation und Sozialisation machen den Menschen schlussendlich zu dem, was er ist. Das ist eine komplexe Mischung.
- »Wenn man mit offenen Augen und Ohren durch die Welt läuft, finden sich die Themen eigentlich sehr leicht.« Auf Twitter teilen
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Auf »Schlaf, Geld, Respekt« geht es um die nicht erfüllten Grundbedürfnisse einer Krankenpflegerin. Was war der Anstoß, diesen Song zu schreiben?
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Vor drei Jahren stand ich vor dem Roxy Club hier in Köln. Ich bin mit einer Frau ins Gespräch gekommen, die als Krankenpflegerin arbeitete. Sie war total entrüstet über ihre Arbeit. Alles wird härter, das Personal kommt nicht hinterher, sie sei erschöpft. Über die Politik hat sie beinahe zynisch gesprochen, gefragt: »Kriegen die das eigentlich nicht mit?«. Mit Covid-19 ist die Situation für viele Menschen deutlich sichtbarer geworden, obwohl das Problem ja schon ewig besteht. Die klatschen jetzt auf den Balkonen. Die Begegnung hat mich beschäftigt. Daraus ist dieses Lied hervorgegangen. Wenn man mit offenen Augen und Ohren durch die Welt läuft, finden sich die Themen eigentlich sehr leicht.
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Du hast auch einen Song in Kooperation mit dem »Katapult Magazin« veröffentlicht, »Kollege«. Wie ist das zustande gekommen?
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»Katapult« ist ein sozialwissenschaftliches Magazin aus Mecklenburg-Vorpommern. Die sind politisch und bissig, das gefällt mir. Die sind auf mich zugekommen und wollten mit mir zusammenarbeiten, jetzt haben wir eine Partnerschaft. Die schreiben Artikel, ich wähle mir dann einen aus und schreibe einen Song dazu. Bei dem Song »Kollege« war das ein Artikel von Julius Gabele und Cornelia Schimek. Der heißt »Working Homeless«. Es geht um das Phänomen, dass Leute obdachlos werden, obwohl sie einer Arbeit nachgehen. Weil die Mieten zu hoch sind oder die Leute schulden haben. Diese Menschen verbringen den ganzen Tag auf Arbeit und schlafen dann nachts auf Pappkarton. Trotzdem zahlen sie Steuern, das ist verrückt. Das ging mir nah, deswegen habe ich einen Track dazu geschrieben. Ich sehe jeden Tag Obdachlose bei mir im Viertel.
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Du hast schon mehrfach über den Tod von Freunden gerappt. Bei »Stadt unter Wasser« ging es um die Verzweiflung, bei »Weg« ging es eher um die Verarbeitung des Selbstmords. Wie reiht sich »Bleib noch« in diese Historie ein?
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Auf den beiden zuvor erwähnten Songs ging es um einen Freund von mir, der sich selbst das Leben genommen hat. Zwei andere Freunde sind 2008 und 2010 bei Autounfällen gestorben. Ich fahre seitdem sehr ungern Auto. Bei »Bleib noch« geht es um eine Person, die schwer erkrankt ist. Jeder weiß, sie wird sterben. Es wird passieren, aber du kannst nichts machen. Man kennt sich schon sein Leben lang und nimmt die andere Person als selbstverständlich wahr. Und auf einmal geht es darum, die verbliebene Zeit vernünftig zu nutzen, auf den letzten Drücker noch tausend Fragen stellen zu wollen.
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Neben dem Tod geht es auf dem Song auch um Stagnation. Hast du Angst davor, dass irgendwann nichts Neues mehr passiert?
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Aktuell überhaupt nicht. Viele wissen zurzeit nicht so richtig, was sie mit sich anfangen sollen. Aber ich bin ständig beschäftigt. Es gibt so viele Sachen, in die man sich reinfuchsen kann. Schreiben, oder Gitarre spielen. Ich mache wieder Beats, spiele Klavier. Mir ist nie langweilig. Das Wichtigste ist, die Begeisterungsfähigkeit nicht zu verlieren. Dann lässt du dich auf Neues ein, die Stagnation bleibt fort. Bei mir funktioniert das erfreulicherweise, aber vielleicht hab ich damit einfach Glück.
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Würdest du dem Alltag gerne mal entfliehen?
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Ich hatte gerade 2018, 2019 durchaus häufig das Gefühl, dass die Zukunft nichts Neues mehr bereithält. Alles wiederholte sich ständig, man ist im Trott. Die Monotonie ist deprimierend. Aus so einer Stimmung ist auch der Song »E.L.A.« entstanden. Ich habe auf einen Knall gewartet. Der kam tatsächlich mit Corona. Viele Sachen haben sich grundlegend verändert. So eine heftige Neustrukturierung kann eine Chance sein.