David P. »Jedes Wort ist bewusst gewählt.«
David P. und Main Concept sind seit 25 Jahren dabei. Rechtzeitig zum Jubiläum haben sie eine neue Platte am Start: »Hier und Jetzt« ist die konsequente Fortsetzung des Konzepts. Lisa Wörner und Max Brandl haben David P. einen Tag vor der Releaseparty in der Münchner Muffathalle zum Revuepassieren getroffen.
Vor kurzem ist mit »Hier und Jetzt« das fünfte offizielle Album von Main Concept erschienen – in 25 Jahren Bandgeschichte, wohlgemerkt. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht entspricht das nicht unbedingt der VÖ-Frequenz, die man von der gut geölten HipHop-Industrie dieser Tage gewöhnt sein mag. Aber in die haben David P. und seine Band eh noch nie passen wollen – oder müssen. Und so mäandert das Gespräch, das wir mit dem 58er David Papo am Vorabend der Vierteljahrhundert-Bandfeier und Album-Releaseparty führen, kreuz und quer durch die Historie von Main Concept, vorbei an Begegnungen mit Lou Bega, Feinkost Paranoia und den Poor Righteous Teachers, über Ansichten zu andersartigen Ausprägungen von Rap, der Münchner Art und der Schöpfung im Allgemeinen bis wieder zurück ins, genau: Hier und Jetzt.
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Servus David. Dir ist bewusst, dass die Quersumme der Zweiergruppen des VÖ-Datums von »Hier und Jetzt« 59 ist?
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Wart mal… (fängt an zu rechnen) 13 + 11 + 20 + 15 sind 59. Es ist das fünfte Album, das ziehen wir ab, dann sind wir bei 54. Und die Quersumme von 58 ist 13, davon die Quersumme ist 4. Na also: 54 plus 4 ist 58. (lacht) Geht immer!
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Das Album war ja nun bereits seit einigen Jahren angekündigt. 2013 hattest du mal gemeint, du selbst seist der limitierende Faktor, weshalb das so lange dauere. Denn Freestylen gehe immer, Schreiben aber nicht mehr.
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Ich habe einfach keine Zeit. Beim Freestylen muss ich ja nichts machen, das ist ja wie Zeichnen. Viele verstehen das überhaupt nicht. Die sagen: »Geh halt rein und freestyle was!« Nee, eine Freestyle-Platte hab ich schon gemacht. Und wenn ich schreibe, dann ist das durchdacht. Da ist kein Satz zu viel auf dieser Platte. Beim Freestylen laberst du die ganze Zeit nur rum und rettest dich dann am Ende in die Pointe. Ich tu mir nicht schwer mit dem Schreiben, aber ich muss eben die Muse finden. Wenn du tausend Dinge zu tun hast und dich noch, wie ich in meinem Beruf, mit den Problemen anderer beschäftigst, findest du diese eben oft nicht. (David P. ist seit 2012 niedergelassener Arzt, Anm. d. Verf.)
Ehrlich gesagt habe ich aber auch einfach nicht die nötige Disziplin aufgebracht. Das war schon in meinem Studium so. Da hab ich gelernt, wenn Examen war – und nicht vorher. Und so war das mit der Platte auch. Dann kam das 25-jährige Jubiläum näher und wir dachten: Wenn wir das vernünftig feiern wollen, dann müssen wir ’ne Platte machen. Also haben wir uns letztes Jahr im November hingehockt. Ich hatte ja alles schon im Kopf, aber musste das eben runter reduzieren auf Texte – sonst hätte ich nämlich ein Buch geschrieben.
- »Und ich weiß, dass Worte nicht mehr zu widerrufen sind, sobald sie ausgesprochen wurden.«Auf Twitter teilen
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Du hast damals gesagt »Wort sind wie Widerhaken« und hättest früher viel intuitiver geschrieben als heute.
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Ja, jedes Wort ist bewusst gewählt. Jedes »doch«, jedes »aber« – wann sage ich »ich«, wann »man«. »Ich tue« oder »man tut«. Das benutze ich auch in meinem Beruf oft, das ist Teil meines Alltags: Kommunikation. Und ich weiß, dass Worte nicht mehr zu widerrufen sind, sobald sie ausgesprochen wurden.
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Es sind eine Menge alter Wegbegleiter auf dem Album – war es schwierig, die zusammen zu trommeln?
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Gar nicht. Wir haben uns kurz überlegt, was wir für Features machen wollen: Klar, Vier zu Eins, das Lied mit ihnen ist ja auch schon ziemlich alt. »Wir leben’s lieber« mit Boshi San ist relativ neu, aber da war auch klar, dass wir ihn, wenn wir eine Platte machen, mit drauf haben wollen. Der Rest hat sich dann so ergeben: Immo, Spax, Rene waren hier, die haben wir gefragt »Seid ihr dabei?« – »Ja logo.« Okay und dann… wer fehlt denn da noch? Eigentlich müssten wir schon auch noch den Jan, den Samy und den Dennis fragen – da war’s am Anfang schwer, weil keine Zeit, weil auf Tour, weil macht eine Platte, weil dies, weil das. Aber dann war plötzlich der Zeitdruck da und die Platte musste in einem Monat fertig werden und dann waren die Feature-Dinger für »Von Gestern Bis Heute« sofort da. Das ist ja bei denen genauso! (lacht)
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Der Track mit Wasi zum Beispiel ist ja schon acht Jahre alt.
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Ja, der war mal hier und wir haben was aufgenommen. Dann lag der erst einmal ewig rum. Dann war Wasi ein paar Jahre später noch mal da, hat seinen Part geändert. Und als dann klar war, die Platte muss jetzt finalisiert werden, haben wir uns noch mal getroffen und das zusammen fertig gemacht – so wie es auf »Eins und Eins« jetzt ist.
So drei bis vier Tracks auf der Platte sind über die Jahre entstanden und lagen so rum, den Rest haben wir drei aber wirklich ganz aktuell produziert und damit, wie gesagt, im November angefangen – also vor genau einem Jahr. Das ist auch die erste Platte, die wir wirklich mit Ziel gemacht haben. Alle anderen Platten sind irgendwie so entstanden, dass wir ein paar Tracks hatten und dachten, wir machen noch mal ein paar dazu, dann haben wir ein Album. Das war bei dieser nicht so. Aber das liegt ja auch daran, dass die Zeit knapp wird, wenn man erwachsen ist. Dann muss man sich fokussieren und kann nicht warten, bis man genug gesammelt hat.
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Ist »Hier und Jetzt« dann womöglich ein Abschluss – ein Abschied?
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Kann ich dir nicht sagen. Das hätte ich bei der »Equilibrium« eigentlich auch gesagt – also im Nachhinein. Wenn man überlegt: Zehn Jahre ist das her! Diese zehn Jahre sind vergangen wie nix. Die Zeit vergeht ja anders, je älter du bist. Wenn du da plötzlich im Alltag drin steckst mit Familie und Arbeiten und dem ganzen Kram, dann vergeht die Zeit einfach. Plus die Kinder, die ja auch so ein sichtbarer Zeitmesser sind: Was, schon zwölf Jahre alt? Wo sind denn die Jahre hin?
- »Das ist ein Prozess, durch den wir alle hier in Deutschland gegangen sind – genau wie die Amis auch.«Auf Twitter teilen
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Stichwort Zeit: 1990 war euer Gründungsjahr. Wie habt ihr euch denn damals eigentlich gefunden?
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Ich war 1990 auf einem Konzert von einem Freund, bei Raw Deal – das war damals die Gruppe von Ali von Square One. Ich war halt so ein Kleiner, hab‘ für mich selber zuhause gerappt, aber hatte ältere Freunde, die durchgeflogen waren und mich dahin mitgenommen haben. Das war so ein Nachmittags-Ding im Theatron im Olympiapark, das ist so eine kleine Seebühne. Über irgendwen bin ich dann mit Markus Klammer, also dem Glammerlicious, ins Gespräch gekommen. Hey, der macht Beats, hey, der rappt. Auf dem Weg zur U-Bahn hat er gebeatboxt, ich hab‘ gefreestylt. Wir haben Nummern ausgetauscht, uns verabredet und ich hab auf einen seiner Beats etwas gerappt und aufgenommen.
Dann kamen die Sommerferien und danach hat Glam den DJ Explizit mitgebracht – die kannten sich vorher schon. Die sind aus derselben Hood, aus Pasing. »Das ist jetzt unser DJ« – okay, cool. Wie nennen wir uns? Ratter, ratter, ratter … und irgendwann sind wir auf Main Concept gekommen. Früher hießen ja alle irgendwas mit »Posse« oder »Crew«. Da haben wir überlegt: Def Crew, Crazy Crew, Fresh Crew und so was halt. Irgendwann kam einer auf »Concept«: Fresh Concept, Def Concept und so weiter – irgendwann meinte dann einer, ich glaube Explizit war’s: Main Concept. »Wieso ›main‹?« Klar: »Main Source, die heißen auch was mit ›main‹! Das ist doch cool. Main und Concept: Das Hauptkonzept.« Ja logo!
Unseren ersten großen Auftritt – »groß« in Anführungszeichen – hatten wir dann im Biedersteiner Freizeitheim, da an der Münchner Freiheit. Da war jeden Freitagabend von sechs bis neun Uhr oder so HipHop – halt so Jugendzentrum-Abenddisko. Da hingen dann z. B. der Ali von Square One und der Lou Bega, der später »Mambo Nr. 5« gemacht hat, rum. Und da war damals diese All-Stars-Jam 1990, ich glaube am 16. November, und damit hat alles angefangen.
Ich war halt frech damals. Ich hab den ganzen Gangster-Rappern da ans Bein gepisst. Das war damals die Zeit in München, in der es Gangs gab. Wenn du kleiner warst, haben die dir gern mal die Turnschuhe ausgezogen oder die Jacke geklaut. Und dann hab ich gegen die gerappt – das fanden alle wahnsinnig mutig von mir. (lacht) Mein Glück war halt, dass das alles auf Englisch war und die sich nicht angesprochen gefühlt haben. Ab da waren wir Teil der Münchner Szene.
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Du hast mal erzählt, dass du bei einem eurer ersten Auftritte noch mit Bechern beworfen wurdest, weil du auf Deutsch gerappt hast.
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Ja, das war ein Erlebnis in der Berdux-Halle. Wir hatten ja immer nur englische Songs – bis auf zwei Lieder: »Es beginnt mich zu nerven«, da hab ich auf Deutsch so Public-Enemy-mäßig gegen Nazis und die Medien gerappt. Und das zweite war »Kritik«, in dem ich Kritik geübt habe am System und am Kirchenstaat und so weiter. Das hab ich noch angekündigt: »And now, I rap in German! Jetzt kommen deutsche Tracks!« Und alle Typen waren irritiert. »Was macht denn der da?« Und dann haben die angefangen zu buhen. Damals waren auf den HipHop-Jams auch noch viele Fußball-Hooligans. Die hatten dann so abgeschnittene Hosen, New-Balance-Schuhe und Burlington-Socken, Champion-Jacken und Best Company und so. Die fanden das natürlich voll für’n Arsch! »Was soll denn der Scheiß jetzt?« Die waren halt auch besoffen und haben dann ihre Becher geworfen.
Aber ich kann mich noch erinnern, dass der Mike, das war so ein Halbschwarzer, vorne stand und die ganze Zeit den Daumen hoch gehalten hat. Das war so ein älterer Typ. Aber natürlich fährt mir, wenn ich Bierbechern ausweichen muss, das in dem Moment mehr ein. (lacht) Im Nachhinein hab ich aber schon gecheckt: Es fanden nicht alle scheiße. Damals kannte ich schon die Sachen aus Frankreich, NTM und IAM und so weiter und fand krass, dass die das halt einfach machen und sich gar nicht die Frage stellen, ob sie auf Französisch rappen oder nicht. Das war letztendlich auch der Grund, warum wir das dann durchgezogen haben.
Vorher hatte ich auch noch ein Erlebnis mit Linguist, ’91 in der Kulturstation bei einem Advanced-Chemistry-Auftritt, die ich da zum ersten Mal gesehen habe. Danach hab ich da auf Englisch gefreestylt und der Linguist meinte so: »Ey, warum rappst du nicht auf Deutsch?« – »Ja, mach ich schon, aber ich weiß nicht so recht. Wie kommt denn das rüber? Ist ja voll unreal und so …« Und er meinte halt: »Kuck, wir machen das ja auch. Wie findest du das denn?« – »Ja, ich find’s schon cool.« Man kann einfach das sagen, was man sagen will, und wie es ist. Nicht in einer künstlich konstruierten Sprache, um den Reim zu retten – wo dann ja viele Native Speaker sagen: »Ja, okay, ich versteh schon, was du meinst, aber das sagt man halt so nicht.« (lacht)
Das waren alles so kleine Erlebnisse, die mich letztendlich auf diesen Weg gebracht haben. Ich muss auch sagen: Als ich damals das erste Fanta-Album gehört habe, die »Jetzt geht’s ab«, fand ich das schon lustig – auch wenn es inhaltlich nicht das war, was ich machen wollte. Das war ja damals auch so naiv gerappt: »Ich bin der Smudo …« – okay, was reimt sich? – »Judo«. Das erste, was einem einfällt! Auch nicht »gut so«, sondern diese sauberen Reime, in denen nicht nur die Vokale sich reimen, wie wir das heute alle machen, sondern auch die Konsonanten identisch sein müssen.
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Das ist eine Kritik, die man, zumindest früher, häufiger hörte. Savas meinte zum Beispiel vor etlichen Jahren auf die Frage hin, was ihn denn speziell an Blumentopf so stören würde, dass es deren »ordentliche« Art zu reimen sei.
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Ja, aber so lernst du das ja in der Schule: Da reimst du »Haus« auf »Maus« und nicht auf »drauf«. Da sagt dir dein Lehrer: »Das reimt sich nicht.« Die Doppelreime heutzutage … klassisches Beispiel: du reimst »Wickeltisch« auf »Mittelschicht«. Das reimt sich nicht. Aber wenn genug Wörter dazwischen stecken und du die Betonung auf die Vokale legst, dann reimt es sich plötzlich doch. Das ist aber etwas, das man lernen musste. Die Amis haben das ja auch nicht von Anfang an gemacht. Melle Mel oder Run DMC … das war auch total sauber gereimt. Auf »black« kam da »crack« oder »wack« – aber nicht »mad«.
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… oder fünf mal »mad« aufeinander.
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Oder das! Als ich Method Man das erste Mal gehört hab, dachte ich: Das reimt sich doch alles gar nicht! Aber dann gewöhnt man sich dran und es flowt ja trotzdem und das ist halt cool. Das ist ein Prozess, durch den wir alle hier in Deutschland gegangen sind – genau wie die Amis auch.
- »Zufriedenheit kommt aber nie aus materiellem Wohlstand heraus, sondern, wenn du mit dir selber im Reinen bist.«Auf Twitter teilen
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Du hast mal gerappt: »Dein Style ist wie Sunkist – künstlich. Mein Style ist arm und gerecht.«
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Poor Righteous Teachers – das ist meine Band! Die haben wir dann tatsächlich auch mal auf eine Living-Large-Jam geholt. Das ist eine Band, die mich wahnsinnig beeinflusst hat. Das waren die ersten Typen, die in so ’nem Öko-Outfit ankamen. Bei Schwarzen ist das immer cool. Die hatten Dreads und waren auch nicht mit Turnschuhen unterwegs, sondern mit so Boots. Ich weiß noch, wie ich dieses Video »Rock dis funky joint« damals auf Tele 5 gesehen habe – »Tanzhaus« hieß diese Sendung damals. Da hab ich meine ersten Rap-Videos gesehen. Mein allererstes war »Christmas in Hollis« von Run DMC. Poor Righteous Teachers haben in ihrem Video ja auch mit diesem Patois-Ding gespielt und alles so Jamaika-mäßig ausgesprochen. Das war für mich der Wahnsinn. Poor righteous – du bist arm, aber du bist gerecht. Diese Zeile war eine Hommage.
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Aktuell feiern Verschwörungstheorien im Deutschrap ja Hochkonjunktur. Auch du hast in der Vergangenheit hier und da verklausuliert von den »Triple Sixern« gesprochen – wie stehst du zu diesem Thema?
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Die Triple Sixer sind für mich nicht irgendwelche verborgenen Illuminaten, von denen keiner weiß, ob es sie in Wirklichkeit gibt – die Bilderberger oder Anunnaki oder wovon die Leute da so reden. Die Triple Sixer sind für mich ganz einfach »die Bösen«. Und zwar sind das die Leute, die an der Macht sind. Wenn sie nämlich nicht skrupellos wären, wären sie nicht an der Macht. Mit skrupellos meine ich, das sind Leute, die über Leichen gehen und denen, um sich zu bereichern, das Leben der anderen Leute egal ist. Wobei ich denke, dass diesen Leuten nicht der Wert des Geldes wichtig ist, sondern das einfach ein Machtsymbol und eine Bestätigung ist – so wie sich der Rapper am Ende der Show über Applaus freut. Dass die Welt, in der wir leben, nicht sauber ist und die Demokratie, die wir doch hier so feiern mit unseren Werten, sehr viel Scheinheiligkeit mit sich bringt – davon bin ich auch überzeugt.
Aber was kann ich dagegen tun? Ich kann die Triple Sixer beschimpfen – das machen wir ja alle irgendwie. Aber letztendlich arbeiten wir ihnen ja auch zu, mit unseren scheiß iPhones und iPads und dem ganzen Zeug. Wir können uns dem auch nicht entziehen, wenn wir in dieser Gesellschaft leben wollen. Aber du kannst eben auch nicht skrupellos leben. Du kannst sagen: Okay, ich bin da, ich will Gutes tun. Und das ist ein Geben und Nehmen. Ich will auch Gutes getan bekommen. Das aber bekomme ich nur, wenn ich selbst Gutes tue – das ist Karma und daran glaube ich. Meine einzige Möglichkeit ist also, dass ich mit mir im Reinen bin und mein Leben diesen Idealen entsprechend führe. Und wenn ich viel Glück habe, finden Leute das gut, ahmen es nach und sagen: Dem David hier geht’s wohl gut, der ist vielleicht nicht besonders reich – gut, arm bin jetzt ich auch nicht – aber er wirkt zufrieden und glücklich und ausgeglichen … wie macht er das?
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Das hast du ja in deinem Song »Zufriedener Mann« auch thematisiert.
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Ja, genau. Und genau so kann ich das als Arzt auch nur machen: ich brauche keinem Menschen erzählen, dass er nicht rauchen soll – das wissen die ja selber, dass das ungesund ist. Aber ich kann gewisse Dinge vorleben. Letztendlich will doch jeder ein ausgeglichenes und zufriedenes Leben führen. Zufriedenheit kommt aber nie aus materiellem Wohlstand heraus, sondern, wenn du mit dir selber im Reinen bist – oder zumindest weißt, woran du arbeiten musst. Mehr kann man aber nicht machen, als das lustvoll vorzuleben und zu hoffen, dass die Leute das erkennen und für sich auch wollen.
Die Grundlage dafür ist Respekt vor der Schöpfung. Und wenn man sich dessen bewusst ist, dann kann man doch gar nicht mehr scheiße sein zu anderen Leuten und sie erniedrigen oder geringschätzen. Wir sind alle Leute und haben alle ‚ne Macke auf die eine oder andere Art und Weise. Aber das ist ja normal, sonst wären wir ja Götter. Sind wir aber nicht. Sonst würde es hier nicht zugehen, wie es zugeht.
- »Sich mit einer Rolle zu überidentifizieren, schränkt deine Sicht ein und macht dich blind für neue Erfahrungen.«Auf Twitter teilen
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Auf dem Titeltrack gibt es auch noch eine schöne Line von dir: »Mit all den Jahren auf dem Buckel, seh ich noch immer gut aus / Ich pflege meine Seele und strahl’ von innen heraus. / Wie ich das mach’? Ich hab letztendlich kapiert, ich darf mich mit meinen Rollen im Leben nur nicht identifizieren.«
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Ja, das habe ich erkannt, nachdem unser erstes Kind auf die Welt kam und ich plötzlich mit anderen Eltern zu tun hatte. Vorallem Leute, die ich vorher kannte, haben sich mit der Elternschaft so krass verändert. »Ich bin jetzt Vater, ich fahr’ jetzt nur noch Fahrrad mit Helm. Was soll ich denn sonst meinem Sohn erzählen?« Weißt du, was ich meinem Sohn erzähl? »Du ziehst einen Helm an, weil du ein Kind bist und ich bin ein Erwachsener. Wenn du achtzehn bist, kannst du auch ohne Helm fahren.« Das hat mein Vater auch gesagt: »Ich fahr das Auto und nicht du.«
Oder auch Leute, die studiert haben: Da war noch alles lustig und Party und Tralala und dann fangen die an zu arbeiten und leben dann nach dem Schema: Ich bin jetzt Vater und habe einen Beruf und jetzt muss ich mein Leben ändern. Aber damit unterdrückt man etwas, was in einem ist, das Kind in einem. Und wenn du dich mit deiner Rolle überidentifizierst, z. B. auch mit der Rapper-Rolle – »Ey, ich bin jetzt large und hab ’n Video und lauf’ im Fernsehen und so weiter« – das tut dir nicht gut. Denn es schränkt deine Sicht ein und macht dich blind für neue Erfahrungen. Dann kannst du nicht mehr wachsen und nix mehr lernen. Das ist doch scheiße, dann ist dein Leben gelaufen. Sowas passiert dann eben in der Midife-Crisis. Die Neugier, die ein Kind noch hat und ohne die es nicht laufen und sprechen lernen würde, geht uns mit der Zeit leider verloren – und das kommt dadurch, dass wir uns mit den Rollen, die uns aufgedrängt werden oder die wir uns selber suchen, überidentifizieren.
Ich danke dem allmächtigen Tao dafür, dass ich in dieses HipHop-Ding reingerutscht bin und trotzdem auf die Uni habe gehen und diese andere Welt habe sehen können. Wenn man das differenziert sehen kann, dann kann man auch das Hier und Jetzt sehen und projiziert nicht die Summe an eigenen Vorerfahrungen in jemanden rein, ohne dass man sich mit ihm unterhalten hat. Das sage ich bei »Evolution/Revolution«: Das ist ein Automatismus, der abläuft und mit dem wir versuchen, alles in Gut oder Schlecht zu ordnen. Aber Epiktet hat gesagt: Die Dinge sind weder gut noch schlecht, nur unsere Meinung von den Dingen ist gut oder schlecht. Das sind halt alles so Sachen, die ich versucht habe, auf diesem Album zu verarbeiten und auf den Punkt zu bringen, denn ich glaube, da ist ein dringender Bedarf, über solche Dinge nachzudenken. Ich denke den ganzen Tag darüber nach. Every day all day, this is how I do. (lacht)
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Wie bewertest du denn eure Bedeutung für Deutschrap generell, aber auch speziell für die Münchner Szene?
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Wenn du mir diese Frage vor zehn Jahren gestellt hättest, hätte ich sie dir wahrscheinlich anders beantwortet, aber jetzt in dieser Retrospektive – und wir reden ja aktuell die ganze Zeit über diese 25 Jahre – waren wir die erste Rapcrew aus München, die in Deutschland München representet hat. Damals gab’s die Töpfe noch nicht und bis die dann soweit waren, rausgegangen sind und Platten gemacht haben, sind ja auch noch mal ein paar Jahre vergangen. Natürlich gab es auch andere Rapper, wie den Burnz von Feinkost Paranoia – der ist ja ur-oldschool! Dem war das komplett wurscht, der hat sich damals hingestellt und auf Bayerisch irgendwelche Sachen gerappt und mich damit auch beeinflusst. Aber wir waren quasi die ersten, die rausgekommen sind. Viele Jahre später, so um die Jahrtausendwende, als alle Städte krass abgegangen sind, nur München nicht, saßen wir für einen Sampler mal mit den Feinkost Jungs, Square One und so weiter zusammen und da meinte Ali: »Hey, ich komm’ mit Square One viel in Deutschland rum und war in keiner einzigen Stadt, in der München nicht mit Main Concept assoziiert wurde.«
Insofern: wir haben diese Stadt on the map geputtet. Das sag’ ich auch im Titelsong: »Wir brachten München auf den Plan, als wir noch Kinder war’n.« Wir hatten ja noch nicht mal Ambitionen, eine Platte zu machen – das war damals utopisch! Höchstens auf Mzee, aber der Achim fand uns scheiße, beziehungsweise nicht würdig, auf Mzee rauszukommen. Das hat sich alles erst ergeben. Wir haben die Beginner kennengelernt, dann kam die Klasse von ’94, dann Klasse von ’95 und so weiter …
Und was uns halt schon auch ausmacht, das ist so dieses Bohemian-mäßige. Das ist einfach München – das gibt’s woanders nicht so, wie wir das machen. Außerdem haben wir einen guten Sinn für Humor, auch wenn ich ein Klugscheißer bin. Ich bin darin aber nie verbissen gewesen – ich weiß, dass meine Ansicht auch nur ein Aspekt der Wahrheit ist. Wer behauptet, die Wahrheit zu kennen, ist ein Lügner. Wir haben schon den Stil geprägt hier, plus diese ganze Freestylerei – was nicht nur an mir lag, sondern auch an Blumentopf. Wir waren immer alle Freestyle-MCs, von Anfang an.
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Die haben sich ja jetzt aufgelöst. Was bedeutet das für dich?
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Ich find’s schade. Diese vier Rapper mit ihrem DJ sind halt ein Wahnsinns-Team. Das sind Kumpels. Die Töpfe sind keine Geschäftsleute. Die gibt’s ja auch schon seit 24 Jahren, ungefähr. Die werden mir wirklich fehlen, als Gruppe, denn ich bin echt ein Fan. Wenn mich jemand fragt: »Wer sind die besten Freestyle-Rapper in Deutschland?«, dann sag ich immer: »Die Topf-MCs. — Und Roger Rekless. Und der Samy. Der Immo noch. Und der Spax. Und der Rene.« So.
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Keine neue Schule dabei?
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Die freestylen ja alle nicht mehr – und wenn, dann so lala. Sowas freestyle ich mit meinen Kumpels in der Cypher zuhause, aber nicht auf einer Bühne. Man muss sich schon überlegen, womit man an die Öffentlichkeit geht – selbst beim Freestylen. Du hast mich nie irgendeinen Fotzen-Ficken-Schwule-Klatschen-Scheiß rappen hören. Die schlimmsten Wörter, die ich benutze, sind »Motherfucker«, »Wichser« und »Scheiße«. Alles andere ist nicht mein Wortschatz.
Aber noch mal zu den Töpfen: Mit DJ Sepalot und dem Rekless waren wir im Sommer erst in Dakar beim »Festa2H« – das sind halt meine Kumpels und wenn ich mit denen zusammen bin, ist es immer lustig. Die werden als Typen immer da sein und wir werden immer wieder was zusammen machen, aber als Gruppe werde ich sie definitiv vermissen.
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Wie war denn eigentlich euer Kontakt zu Feinkost Paranoia? Da gab es nie eine Zusammenarbeit, kein »Lost Tape«?
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Nein, das waren zwei Lager. Die waren Sendlinger, wir waren Goetheplatzler. (Gelächter) Wir waren definitiv nicht verfeindet, wir kannten uns, hatten aber einfach verschiedene Ansichten, wie man Rap macht. Ich hab mit dem Burnz oft gefreestylt – das hat sich immer wieder ergeben. Aber wir haben nie zusammengearbeitet. Auch die Art, wie sie Beats gemacht haben, war nicht unser Ding. Eigentlich aber echt schade, dass es da nichts gibt. Im Nachhinein betrachtet war Feinkost Paranoia der Shit. Das war das Neueste vom Neuesten damals … aber halt seiner Zeit voraus.
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Die »Dorn im dritten Auge« war tatsächlich bahnbrechend für harten, rohen Battlerap – noch vor »Battlekingz« von Westberlin Maskulin.
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So was kann auch nur aus München kommen – das ist Münchner Asi-Rap. Die Berliner machen eine andere Art von Asi-Rap. Feinkost hatten ja auch eine große Fanbase in Österreich und Süddeutschland. Das waren einfach die Sprache und die Gags, der Humor und die Ironie, was den Leuten aus der Seele gesprochen hat. Irgendwann haben sie sich dann aber auch aufgelöst und in die Welt verteilt: Der Jamie ist, glaube ich, nach Amerika, der Serkan in die Türkei und der Burnz baut jetzt Skateboard-Rampen. Die waren ja auch so aus der Writer-Ecke … immer mit einem Augustiner in der Hand und verfilzten Haaren auf dem Kopf.
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Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einem ca. 16-jährigen Deutschrap-Fan und wollte von ihm wissen, ob er denn auch Sachen von früher höre. Und er so: »Ja klar, die alten Sido-Sachen« …
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Das war bei uns früher ja auch so: Ich hab angefangen mit den alten Public-Enemy-Sachen, Run DMC, Poor Righteous Teachers, A Tribe Called Quest und so weiter – diese ganzen Ende-der-80er-Geschichten. Aber sobald ich da drin war, hab ich gecheckt, dass da ja eine Riesen-Ära davor war, die ich nicht mitbekommen hab. Als ich angefangen habe, war Breakdance tot und auch die HipHop-Kultur hat keinen wirklich interessiert. Das war halt die Zeit von N.W.A – da haben alle schwarze Jacken, Kingz-Kappen und Raiders-Dinger getragen. Aber wenn du dich wirklich für die Substanz interessierst, dann gehst du weiter zurück.
Das ist halt das Ding: HipHop ist cool. Es geht um Coolness. Das war auch, was mich so fasziniert hat. Die Typen waren einfach so cool: Flavor Flav und Run DMC mit ihren Hüten und die Schwarzen mit ihren Moves … das hat mich schon sehr beeindruckt. Aber genau das ist auch der Teufel im HipHop, der Verführer. Und das musst du halt durchblicken. Wir hatten ja viele von diesen Ur-Ur-Oldschoolern in der Muffathalle: Masta Ace, Busy Bee, Lady Pink und so weiter. Wenn du dich mit denen unterhältst, merkst du, wie krass diese Zeit gewesen sein muss, als das alles neu war! Wir haben uns extrem mit der Geschichte beschäftigt und ich weiß noch wie totunglücklich wir damals waren, dass wir diese Zeit nicht miterlebt haben und wie wir z. B. den Torch oder den Loomit und diese ganzen Münchner Writer beneidet haben für die Zeit, die sie erlebt haben. »Warum konnten wir nicht fünf Jahre früher auf die Welt kommen? Mann!« Das Ganze hat halt nun mal nicht bei Jay Z und seinem »Dead Presidents« angefangen.
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Was könnt ihr denn rückblickend den letzten 25 Jahren Deutschrap-Entwicklung an Postivem oder auch Negativem abgewinnen? In eurem aktuellen Video sieht man dich ja zum Beispiel in einer Art Gangsterrap-Verkleidung.
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Ja, gut, das sollte einfach nur lustig sein – ich lehne das aber nicht ab. Das hat alles seine Existenzberechtigung. HipHop ist ein Abbild der Gesellschaft und da hast du verwahrloste Typen, brutale, gewalttätige Typen, hochintellektuelle Typen, Klugscheißer, Philosophen, Gangster, Conscious-Typen, religiöse Typen, Schwarze, Weiße, Asiaten … HipHop ist quasi die Gesellschaft im Kleinen, nur mit einem gemeinsamen Nenner: der Musik, bzw. der Bewegung. Ich find’s trotzdem scheiße, wenn Leute mit gewaltverherrlichenden, Menschen-, Frauen- und Sonstwas-verachtenden Texten an die Öffentlichkeit treten. Und wenn ein Rapper auf der Bühne eine Ameise zertritt, finde ich das auch scheiße. Dann hat er einfach keinen Respekt vor dem Leben und der Schöpfung.
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Das bedeutet, du kannst entsprechenden Rappern und deren Texten nach wie vor nichts abgewinnen – auch nicht mit einem »ironischen« Ohr gehört?
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Die haben schon einzelne Lines, die ganz cool und witzig und in dem Kontext auch okay sind. Aber wirklich feiern kann ich das nicht. Ich denke da schon immer an die Verantwortung, die du hast, wenn du an die Öffentlichkeit trittst. Und wenn jemand schon so viele junge Menschen erreicht und auch noch aus einer Gegend der Gesellschaft kommt, die benachteiligt ist und weniger Perspektiven hat – warum sie darin bestärken? Versteh’ ich nicht. Das bringt doch keinem was.
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Aber meinst du nicht, dass sich diese Leute vielleicht erst dadurch angesprochen fühlen und dann wiederum individuell darauf reagieren? Würden die sich, wenn man denen mit einem super-positivem Lebensmotiv käme, vielleicht nicht einfach abwenden?
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Ja, aber schau mal: Dann hast du so Typen wie Sido, der hat das richtig gemacht. Das war immer ein smarter, witziger Typ und hatte immer schon dieses Zwinkern drin. Dadurch hat er diese Leute angesprochen – und gleichzeitig lebt er ihnen jetzt was anderes vor. Es geht nicht unbedingt darum, was man redet, sondern was man vorlebt. Wenn ich mich da hinstelle und irgendwelche Gangster-Lyrics kick‘, dann spüren die Leute doch sofort die Diskrepanz. Sido hat das cool gedreht – aber nicht, weil er gemerkt hat, wie sich besser Geld verdienen lässt, sondern weil sein Leben sich gedreht hat. Er hat die richtigen Schlüsse gezogen, finde ich. Natürlich kann man durch bestimmte Dinge bestimmte Leute besser erreichen, aber irgendwann wird man erwachsen und muss doch mal checken, dass das zu nichts führt.
Die Welt ist sowieso vor dem Abgrund, da brauchen wir dem Ganzen doch nicht noch zuarbeiten und die Gesellschaft noch weiter auseinander bringen. Auch dieser ganze Hass auf die Studentenrapper: Ihr seid nicht real, weil ihr auf dem Gymnasium wart. Was ist denn das für’n Scheiß? Q-Tip ist auch ein Mittelschichts-Typ, Chuck D ist ein studierter Mann, Guru war Pädagoge … was soll denn das? HipHop ist nicht das, woher du kommst, sondern das, was du machst. Das ist das Einzige, was zählt. Und das ist dieser gerechte Gedanke im HipHop – und das ist auch, was mich an HipHop bewegt. Das ist, was zählt. Nicht, woher deine Eltern kommen oder auf welcher Schule du warst, sondern nur das, was du in deinem Hirn reflektierst und nach außen trägst.
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Denkst du, wir warten auf das nächste Main-Concept-Album jetzt wieder zehn Jahre?
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Ich kann’s dir nicht sagen … hier und jetzt. (lacht)