ISAIAH »In der Regel hab' ich Glück.«

Mit seiner Debüt-EP »Farben« tritt der Charlottenburger Newcomer in die musikalischen Fußstapfen seiner prominenten Eltern. Darauf festnageln lassen will er sich nicht – lieber hoch und höher hinaus.

Isaiah (14) by Gabriela Alatorre

ISAIAH ist ein »CHBaby«, aber auch das Kind prominenter Musiker*innen, ein neugieriger Geschichtenerzähler mit Sinn für Humor und einer der spannendsten Newcomer der deutschen Hauptstadt. Auf seiner Debüt-EP »Farben« huldigt er seiner Gegend und den Ahnen, probiert sich an einem spätherbstlichen Sommerhit auf Afrotrap und nimmt den gesamten Soul von Produzent Jakepot mit, um in »Struggle« über kommunikative Schwierigkeiten in einer komplexen Beziehung zu lamentieren. ALL GOOD-Autor Till Wilhelm trifft den Rapper in einem Café und auf einen Spaziergang, spricht mit ISAIAH über Berliner Schul- und Marseiller Hinterhöfe, über harte Arbeit, tückische Fallstricke und gigantische Fußstapfen. Am Ende aber hat ISAIAH immer Glück.

  • Wir sitzen in einem Café in Charlottenburg. Da denkt man erstmal an nobles Spießbürgertum am Ku’damm. Wie war es für dich, hier aufzuwachsen?

  • Mit ein paar Unterbrechungen habe ich den Großteil meines Lebens in Charlottenburg verbracht und fühle mich sehr wohl hier. Das Schöne an Charlottenburg ist, dass ich mich nie festlegen musste. Hier musste ich mich nicht anpassen, sondern konnte mein Ding machen, unabhängig von dem, was um mich herum passiert. Das ist natürlich auch der Flow in Berlin: Jeder macht, wie er denkt und schaut nicht zu sehr auf die Anderen. Wäre auch schwierig bei über drei Millionen Menschen. Gerade das Surrounding, das du selbst wählst, hat einen großen Einfluss darauf, wer du bist. Ich gehöre zur Fraktion, bei der eigentlich alles cool ist, die sich aber selbst die möglichst dreckige Ecke sucht, um dort zu chillen.

  • Deine erste Single »CHBaby« erzählt aus dem Charlottenburger Alltag: Aufstehen, Haare machen, Fernsehen, Chillen & Chatten. Wo ist die Action?

  • Es gibt sicher Leute, die ihr Dorfleben wesentlich spannender darstellen können, als ich mein Leben in der Großstadt. Mir ist Routine total wichtig. Ich habe immer an denselben Orten gelebt, bewege mich im selben Bereich, habe einen festen Freundeskreis, bei dem es genauso schwer ist, rein- wie rauszukommen. Früher kam noch die Komponente Lohnarbeit dazu. Ich habe eine relativ lange Liste an Employment durch. 

  • Schon 2019 warst du bei deinem Vater Max Herre Feature im Musikfilm zu »Athen«. Hast du seitdem immer auch an eigener Musik gearbeitet?

  • Überhaupt nicht. Ich muss gestehen, ich habe immer versucht, mich so weit wie möglich davon fernzuhalten. Auf dieses Feature im familiären Kontext sind Anfragen gefolgt, mit denen ich gar nicht arbeiten konnte. Ich dachte mir: »Was wollt ihr denn?« Klar, ich freestyle gerne mit den Jungs und habe einmal konzentriert diesen Part geschrieben. Mit der Aufmerksamkeit habe ich einfach nicht gerechnet – Wofür denn? Daraufhin habe ich Rap noch ein bisschen weiter in die Ferne rücken lassen. Stattdessen habe ich erstmal mein Fachabitur gemacht, nach der elften Klasse und einem Praktikum mit einem Schnitt von 4,0 – Pandemie sei Dank.

  • Und dann?

  • Dann habe ich eine Ausbildung angefangen und gottlos an die Wand gefahren. Auch in Eigenverschulden. Es gab Schwierigkeiten im Homeoffice, aber letztendlich waren das korrekte Leute und ich habe mein Arbeitspensum nicht erfüllt. Danach war richtig Breakdance: Corona-Testzentrum, Café, Restaurant, Security, Entrümpelung. Immer befristet oder ohne Anmeldung. Ich kann schon arbeiten von dann bis dann, für den und den Lohn – aber zu akzeptieren, dass ich den Großteil der Arbeit mache, mein Chef aber das doppelte Gehalt kriegt, fällt mir sehr schwer. 

  • Die Musik war dein Weg da raus?

  • Ziemlich genau zur Vertragsunterzeichnung war ich nochmal beim Arzt und der sagte: »Ich weiß nicht, was du an deinem Lebensstil geändert hast. Du hast wohl keinen Stress mehr.« Das hat mich natürlich umso mehr in dem bestätigt, was ich jetzt tue. Gleichzeitig sehe ich 70-jährige Atzen in handwerklichen Berufen, die immer noch einen Schrank in der linken und eine Couch in der rechten Hand die Treppen hochtragen. Weil die Familie essen muss. Vor diesen Leuten habe ich größten Respekt.

  • Die Selbstständigkeit ist ein Segen für mich. Auf Twitter teilen
  • Die Kreativkarriere ist aber nun auch keine absolute Sicherheitsgarantie.

  • Das stimmt natürlich. Aber jetzt bin ich selber Herr über meine Finanzen. Ich kann planen, wie ich was ausgebe, wo ich welche Polster brauche. Mit einem Budget, das man langfristig planen muss, ist es einfacher, als von Tag zu Tag zu leben. Beziehungsweise: Bis zum 20. des Monats gut zu leben – und dann irgendwie rumkommen. Die Selbstständigkeit ist ein Segen für mich. Was ich jetzt verdiene, fließt in meine eigene Vision. Trotzdem muss ich mir dieses Geld noch erarbeiten. Und zwar eigenmächtig, von Zuhause aus. Das ist wiederum gefährlich nah an der Home-Office-Situation, die ich so gottlos an die Wand gefahren habe.

  • Einen deiner ersten Rap-Tracks hast du mit zwölf Jahren auf den Beat von »Window Shopper« von 50 Cent aufgenommen. Für einen Musikwettbewerb an deiner Schule – Hast du gewonnen?

  • Dazu muss man wissen: Ich hatte als Kind ganz schön krassen Geltungsdrang, war Klassenclown – und auch Schulsprecher. Bei diesem Wettbewerb stand ich im Finale und habe mir richtig Mühe gegeben: Instrumental rausgesucht, geschrieben und aufgenommen. Mit der CD bin ich zu meiner Musiklehrerin gegangen und habe ihr das gezeigt. Sie hat gesagt: »Das ist schön, aber deine Konkurrenten haben beide so getan, als hätten sie nichts vorbereitet.« Einer der beiden war damals der schnellste Junge in der Klasse. Die haben einfach aufgegeben. Das hat mich richtig traurig gemacht, denn: Ich konnte mich immer noch nicht gegen sie behaupten.

  • Zu der Zeit hat dein Vater öffentlich erzählt, dein Lieblingsrapper sei Marteria.

  • Mir tut es bis heute weh, darauf festgenagelt zu werden. »Zum Glück in die Zukunft« war vor allem eine der beiden Deutschrap-CDs, die ich Zuhause hören durfte – deswegen weiß mein Vater davon. Was heimlich auf dem iPod war, ist eine andere Frage.

  • Ich bin Teil der Generation »Halt die Fresse«. Auf Twitter teilen
  • Mit welchen Rappern wurdest du auf dem Schulhof sozialisiert?

  • Ich bin Teil der Generation »Halt die Fresse«. Zu Beginn der fünften Staffel gab es ein Allstar-Video, unter anderem mit Veysel: »Entlassungstag, Veysel frisch aus’m Knast«. Celo, Abdi und Haftbefehl waren im Video dabei. Das war auf dem Schulhof der heiße Scheiß. Intro von den Atzen, dann Dú Maroc. Die späteren Stars wie Olexesh sind allesamt bei HDF erstmals in Erscheinung getreten. Im Umfeld meiner Klassenkamerad*innen haben diese Videos natürlich keine Rolle gespielt. Da musste man in die hinterste Ecke des Schulhofs, zu den Leuten, die ein, zwei Jahre älter waren.

  • Was war dein erstes Handy?

  • Bei uns gab es iPod Nano oder Samsung Klapphandy. Aber ich habe erst in der achten Klasse ein Handy bekommen. Das Alcatel One Touch. Das durfte ich nur benutzen, um zu sagen, dass ich jetzt auf dem Heimweg bin. Mein Onkel wollte korrekt sein und hat mir 50€ Lyca-Guthaben geschenkt. Ich war SMS-King. »Ich hab kein Guthaben mehr« – »Kein Problem, ich schreib‘«. »Meine Flat ist leer« – »Warte, ich ruf dich an«. Bis die 50€ weg waren und ich meiner Mutter erklären musste, wohin das Geld innerhalb von zwei Monaten verschwunden ist. Dann gab es die Regelung: Ein Monat, 15 Euro.

  • Hat Berliner Rap eine Rolle für dich gespielt?

  • Als Kind fand ich Sido cool, der hatte lustige Songs. Mit 17 musste ich mir »Carmen« nochmal anhören, um zu checken, worum es geht. Bushido war bei uns total unbeliebt. In meinen Ohren klang das nie besonders nach Ghetto oder Straße, sondern halt vulgär. Zeilen, die ein bisschen gemein sind. Unnötige Beleidigungen, Wowereit mit reinziehen… 

  • Wie sehr wurdest du tatsächlich durch dein Elternhaus musikalisch sozialisiert?

  • Bei uns Zuhause lief natürlich immer viel Musik. Englischsprachiger Soul, Michael Jackson, Minnie Riperton. Als Michael Jackson starb, war ich ungefähr zehn. Das war omnipräsent.

  • Der Name deines Labels OFF THE GRD ist angelehnt an die Initialien deines Großvaters: George Russell Denalane. Was macht ihn zu deinem Vorbild?

  • Mein Vater wohnt als einziger seiner Familie in Berlin, die Geschwister meiner Mutter wohnen aber allesamt hier. Nach dem frühen Tod meiner Großmutter war George der Älteste, das Berliner Familienoberhaupt. Früher hat er jeden Sonntag die ganze Familie zum Essen eingeladen und stundenlang gekocht. Das war eine echte Tradition. Er war auch so ein Sparfuchs. Das war total sein Ding – nicht, weil er es nötig gehabt hätte. Dann ist mein Opa zu Thoben gefahren, hat geschaut, wo er den billigsten Deal für die verhältnismäßig besten Brötchen bekommt. Oder quer durch Berlin zu irgendeinem Fleischgroßhandel. Und dann: »Isaiah, diese Woche, ich habe mich ernährt für nur fünf Euro.« Nicht zum Abnehmen, der isst gut. Aber er plant halt, wie. Bei ihm war es immer sehr schön. Meine Mutter hat fünf Geschwister, die dann auch beinahe alle nochmal Kinder haben. Jeden Sonntag, mit zehn, fünfzehn Leuten gemeinsam essen.

  • Dann wurde dein Großvater zum Symbol für den familiären Zusammenhalt? 

  • Genau. Er ist von uns allen den größten Schritt gegangen. Für einen Südafrikaner zur Zeit der Apartheid kam er aus okayen Verhältnissen, natürlich arm, aber bildungsbürgerlich. Er kam nach Heidelberg zum Studium – und verbrachte seinen Lebensabend in Berlin. Meine Mutter hat dann ihren Schritt gemacht. Aus einer Vier-Zimmer-Wohnung mit sechs Geschwistern zu: Mein Bruder und ich werden in einer guten Gegend in eigenen Kinderzimmern groß. Mein Großvater ist aber die Schlüsselfigur dieser Familie, weil wir alle ihm am meisten zu verdanken haben.

  • So klingt das nach gigantischen Fußstapfen, die du ausfüllen musst – oder möchtest. Verspürst du Druck?

  • Ich komme aus einer Familie, in der es ein gewisses Standing gibt. Meine Vorfahren haben über Generationen hinweg wirklich viel getan, damit ich jetzt bin, wo ich bin. Deshalb möchte ich etwas zurückgeben – damit ich nicht der Penner bin, bei dem es stehen bleibt. Ich muss die entsprechende Qualität bringen.

  • Meine Laissez-Faire-Einstellung nimmt mir viel Druck von den Schultern.Auf Twitter teilen
  • Erstmal hast du aber dennoch einen weiten Weg vor dir.

  • Dem bin ich mir bewusst. Meine Laissez-Faire-Einstellung nimmt mir viel Druck von den Schultern. Ich bin jemand, der in seinem Leben über teilweise lange Umwege immer genau da rauskommt, wo er sein soll. Ich bin entspannt, denn: In der Regel hab‘ ich Glück.

  • Das Video zu »Kanté« wirkt ein bisschen wie ein VLOG. Wo habt ihr gedreht?

  • Das war ein spontaner Urlaub in Marseille mit den Jungs. Wenn man schon da ist, kann man auch ein bisschen aus der Hand filmen und ein Video daraus schneiden.

  • Hast du eine besondere Bindung zu Marseille?

  • Paris ist zu teuer, Marseille ist auch wärmer. Vor allem kommen aber unsere Lieblingsrapper aus Marseille: La Crapule, SCH, Bande Organisée. Von Jul bin ich natürlich schon lange Fan – den kennt man mittlerweile auch in Deutschland. Der Kumpel, der das AirBnB gebucht hat, hat nicht wirklich drauf geachtet, welche Gegenden sicher sind. Sondern, welche Namen er aus Songs kennt. Wir sind echt wie Groupies. Also sind wir in der Hood gelandet. Nicht so schlimm, vier internationale Jungs im Sportanzug, wir fallen nicht so aus der Optik.

  • Gab es Momente, in denen ihr euch nicht sicher gefühlt habt?

  • Eins, zwei, ja. Wir laufen rein in eine Siedlung, wollen einen Joint rauchen. Da ist ein kleiner Junge, der eine Mülltonne vor die Straße schiebt und checkt: Wer darf rein und wer nicht? Nur Anwohner. Wir gehen trotzdem vorbei, auf einmal fängt’s an, zu pfeifen. Weil die uns nicht kennen. Wir schicken also die zwei Schmächtigen darein, deren Wertsachen bleiben bei uns. Wir stehen da zehn Minuten, das selbe Auto fährt drei Mal vorbei. Beim dritten Mal formt ein Typ seine Hände zur Pistole, zielt auf uns und winkt – so, verpisst euch. An dem Abend kamen wir nach Hause und unsere Haustür hatte sich zu einem abgesicherten Tatort verwandelt. Bei einem Drive-By wurde ein Mensch schwer verletzt, ein anderer getötet. Wir mussten uns durch das Flatterband schleichen, um zum AirBnB zu kommen.

  • Warum eigentlich ausgerechnet N’Golo Kanté? 

  • Tatsächlich hab ich einfach ein Chelsea-Spiel gesehen und dachte mir: »Boah, der Mo’fucker hat’s echt drauf«. Dann musste ich erst nachschauen, ob es schon einen Kanté-Song gibt.

  • Wenn deutsche Rapper Fußballspieler erwähnen, dann oft als bloßes Symbol für Erfolg, Ruhm, Reichtum. Was fasziniert dich an Kanté?

  • Kanté ist einer der krassesten Spieler, Ballon d’Or-Gewinner und hätte die Mittel, zu flexen. Aber der fährt halt Mini. Der ist ziemlich bescheiden. Der geht zu Interviews und wenn ihm eine Frage gestellt wird, bedankt er sich. Kanté ist sympathisch und strahlt eine gewisse Autorität aus. Gerade, weil er so ein ruhiger, friedliebender Typ ist, wird er ernst genommen. Da gibt’s Videos von Diskussionen, Rudelbildungen mit zehn Leuten und Schiedsrichter. Und der gerade mal 1,70m große Kanté geht einfach dazwischen und hat die Situation in der Hand.

  • Welche Rolle nimmt Fußball in deinem Leben ein?

  • Ich habe zwei Teams: einmal die Berliner Hertha. Hast du gesehen, 2:0 gegen Köln? Das konnte sich sehen lassen. Mein anderer Verein ist in Südafrika: Kaizer Chiefs. Eine von zwei afrikanischen Mannschaften, die du in FIFA 22 wählen kannst. Das macht mich natürlich stolz. Ansonsten schaue ich die Champions League. Eins bin ich offensichtlich nicht: Erfolgsfan. Und ich stehe auch nicht jeden Samstag bei Albers Wettbörse und mache Kreuzchen.

  • Wer gewinnt die WM?

  • Dieser Supercomputer hat Argentinien ausgerechnet. Und der lag die letzten Male auch richtig. Aber seitdem Krake Paul nicht mehr am Start ist, verlasse ich mich auf sowas nicht mehr. Ich würde mich natürlich über unsere Nummer Fünf freuen – aber ich würde auch Brasilien den sechsten Titel gönnen.