Elvir Omerbegovic »In der Langfristigkeit liegt auch der Erfolg.«

Zum 10. Jubiläum von Selfmade Records schlicht von einer Erfolgsgeschichte zu sprechen, wäre eine Untertreibung. Jan Wehn führte eines der seltenen Interviews mit Selfmade-Records-Gründer Elvir Omerbegovic.

Elvir Omerbegovic

2005 gegründet, ist Selfmade Records zehn Jahre später das erfolgreichste deutsche HipHop-Label. Woran das liegt? Das wollten wir von dem Mann wissen, der die Plattenfirma von Düsseldorf aus groß gemacht und Künstler wie Kollegah, Farid Bang oder Casper zum ersten Mal in die Charts brachte.

Zur Veröffentlichung des Buches »Selfmade Records – die ersten zehn Jahre des erfolgreichsten deutschen HipHop-Labels« sprach Jan Wehn, Autor der buchgewordenen Rückschau und ALL GOOD-Redakteur, in einem der seltenen Interviews mit Selfmade-Records-Gründer Elvir Omerbegovic über alte Zeiten, die Definition von Erfolg und den Status von Selfmade Records als erfolgreichstes HipHop-Label in Deutschland.

  • Wie blickst du aus Selfmade-Sicht im Dezember auf das Jahr 2015 zurück?

  • Es war auf jeden Fall ein sehr arbeitsintensives Jahr mit vier erfolgreichen Alben. Wir bringen diese Woche noch das »Zuhältertape Vol. 4« von Kollegah raus. Das beansprucht uns bei Selfmade derzeit rund um die Uhr. Aber das ist positiver Stress. Wir versuchen immer, ein möglichst gutes Produkt abzuliefern. Das heißt: Immer konzentriert arbeiten und nach vorne blicken. Insofern hatte ich, wie leider üblich, noch nicht die Zeit zurückzublicken.

  • Gerade hat Selfmade aber in Form eines Buches doch einen etwas größeren Rückblick getätigt. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

  • Ich habe vor ein paar Jahren mal mit Niko Hüls, dem Chefredakteur von der »Backspin«, gesprochen, weil ich die Idee hatte, eine Ausgabe zu machen, die sich nur mit Selfmade Records beschäftigt. Wir hatten zu dem Zeitpunkt schon sehr unterschiedliche Acts. Die Idee war, das Label und die Künstler mal aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Das haben wir dann aber nicht mehr weiter verfolgt. Als das Jubiläum vor der Tür stand, haben wir diese Idee hier beim Label wieder aufgegriffen und überlegt, dass ein Buch zeitloser ist als ein Magazin und der angemessenere Rahmen für ein zehnjähriges Jubiläum ist. Ich selbst habe auch einige, auf das Musikbusiness bezogene Bücher oder Biografien von Leuten wie Russell Simmons, David Geffen oder Richard Branson gelesen und fand das immer interessant.

    Ich sehe das Buch zum einen als Rückschau auf die letzten zehn Jahre, zum anderen aber auch als Kompendium. Natürlich ist der Bezug zu Selfmade da, aber unabhängig davon erfährt man auch generell etwas über die Strukturen einer Plattenfirma. Das hat es in unserem Bereich bis dato nicht gegeben. Nachdem deutscher HipHop nicht mehr ganz so jung und nun seit einigen Jahren sehr erfolgreich ist, war es meiner Meinung nach an der Zeit, ein solches Buch zu veröffentlichen. Deshalb haben wir es der Deluxe Box zu »Chonik III« für unsere Fans vorab beigelegt und bringen es jetzt einige Zeit später auch noch mal gesondert in den Buchhandel – einmal als klassische Version und einmal in der limitierten Coffeetable-Variante, sowie natürlich auch digital.

  • »An vieles konnte ich mich durch den Dauerstress nicht mehr erinnern.«Auf Twitter teilen
  • Wie war das für dich, die letzten zehn Jahre noch mal Revue passieren zu lassen?

  • Wenn man das Buch in die Hand nimmt, dann merkt man: Es wiegt ein wenig – in den letzten zehn Jahren ist eine ganze Menge passiert. An vieles konnte ich mich durch den Dauerstress nicht mehr erinnern und das kam dann langsam mit den Interviews zurück. Insbesondere die Erzählungen unserer Künstler haben viele Erinnerungen hervorgerufen. Aber ich habe das Buch selbst auch erst einmal während der Entstehung gelesen und brauche sicher noch mal eine ruhige Urlaubswoche, um es mir noch mal ganz in Ruhe anzuschauen. 

  • Lass uns die Historie doch wenigstens mal kurz anreißen: Wie kam es denn damals eigentlich zur Gründung von Selfmade Records?

  • Flipstar und ich waren schon einige Jahre gute Freunde. Ich habe ihn damals auf die Touren von Herbert Grönemeyer und 50 Cent begleitet, wo Creutzfeld & Jakob Vorgruppe waren. Zu der Zeit kannte ich eigentlich niemanden aus der HipHop-Szene, aber habe mir das alles Mal angeguckt – und irgendwie hatte ich schnell den Eindruck, dass das Business hinter der Musik nicht sonderlich professionell aufgezogen wurde. Mir hat da einfach eine Struktur gefehlt. Das war etwas, das ich aus dem Leistungssport kannte, wo es feste Ziele gab und man wettkampforientiert gearbeitet hat. Ich wollte das gerne auf das HipHop-Business übertragen. Das war ungefähr die Zeit, zu der auch Aggro Berlin gegründet wurde. Ich kannte das Label zu dem Zeitpunkt aber noch gar nicht. Irgendwann stand die Idee zur Gründung von Selfmade. Zu der Zeit hat Bushido mich und Flipstar mal in Köln besucht, weil er Flipstar gut fand. Die beiden haben dann später Songs recordet und Bushido hat mir damals sein Album »Vom Bordstein bis zur Skyline« mitgebracht und mir das »Bei Nacht«-Video von Specter gezeigt. Ich fand das Video und das Album krass. Das war ein anderes Level, was die Art der Umsetzung anging. Mein Ansatz für Selfmade war in erster Linie, die besten und ungewöhnlichsten Rapper zu veröffentlichen. Mit besonderem Augenmerk auf die technischen Fähigkeiten.

  • »Mir war immer wichtig, nicht zu viele Künstler zu signen und dafür lieber konzentriert mit den Acts zu arbeiten.«Auf Twitter teilen
  • Wie haben Flipstar und du dann die Künstler rangeholt?

  • Unterschiedlich. Das erste richtige Signing war Rizbo. Der Kontakt kam über einen einen Bekannten zustande, der mal ein Creutzfeld & Jakob-Konzert in Süddeutschland organisiert hat, und den bosnischen Rapper Edo Maajka, der auch Rizbo kannte. Ich habe mir die Sachen angehört und mir war schnell klar, dass ich mit ihm arbeiten will. Relativ zeitnah kam dann Favorite dazu. Es gibt zwar die Geschichte, dass er seine Demo-CD nach einem Creutzfeld & Jakob-Konzert auf die Bühne geworfen hat und dann direkt gesignt wurde. Aber die stimmt so nicht. Ein Bassist, der mit Flipstar zusammengearbeitet hat, hat Favorite im Studio rappen hören und ihn mir empfohlen. Das nächste Signing war Shiml. Das kam zustande, weil Montana Max uns eine Demo-CD von ihm und Shiml geschickt hat. Dann hat Kollegah mir eine E-Mail – die übrigens auch im Buch abgedruckt ist – geschrieben, sein Tape verlinkt und sich so bei uns beworben.

    Er hat mir mal erzählt, dass er die Mail geschrieben hat, weil ihm die Promo zu »Rappen kann tödlich sein« von Favorite und Jason so gefallen hat. Bei unserem ersten Meeting hat er mir dann auch erzählt, dass er Shimls erste Platte »Mittelpunkt der Erde« sehr gut fand. Casper zum Beispiel war großer Favorite- und Kollegah-Fan. So kam dann eins zum anderen und danach kamen dann die 257ers, Genetikk und schließlich Karate Andi. Mir war immer wichtig, nicht zu viele Künstler zu signen und dafür lieber konzentriert mit den Acts zu arbeiten. So sind wir von Release zu Release und Künstler zu Künstler immer besser geworden. Das liegt natürlich aber auch an den Strukturen und den Erfahrungen, die im Laufe der Jahre dazugekommen sind. Wir hatten Zeit zu lernen. Durch das Joint Venture mit Universal haben wir ja seit zwei Jahren nochmal größere Strukturen.

  • Wie kam es denn überhaupt zur Zusammenarbeit mit Universal?

  • Frank Briegmann und ich haben uns lange ausgetauscht und sind zu dem Schluss gekommen, dass das Konstrukt – ein Independent-Label mit der Struktur eines Majors – Selfmade noch mehr Power gibt, aber unsere Kernkompetenzen immer noch wahrt. Durch diese Zusammenarbeit hat man einfach mehr Optionen. Wir sind immer noch ein Independent-Label mit allen Vorteilen, arbeiten aber im Verbund mit Universal und können additiv alles dazu holen, was wir für sinnvoll erachten. Das ist in jedem Fall einzigartig.

  • Über deine Titulierung als »President of Rap« wird ja gerne mal geschmunzelt. Erklär das doch nochmal.

  • Die Bezeichnung »President of Rap« bedeutet zum einen, dass ich für Universal auch beratend tätig bin. Andererseits weist der Titel aber auch darauf hin, das Selfmade nicht eingekauft wurde, sondern wir uns auf Augenhöhe begegnen – etwas, was ich im Dealkonstrukt widerspiegeln wollte. Der Austausch mit Frank macht Spaß und man lernt voneinander. Das ist mir sehr wichtig. 

  • »Man muss Weitsicht mitbringen. In der Langfristigkeit liegt auch der Erfolg.«Auf Twitter teilen
  • Frank Briegmann hat dich im Rahmen eures Joint Ventures mal einen »echten Entrepreneur« genannt. Was hat er damit wohl gemeint?

  • Auch schon vor der Zeit mit Selfmade Records habe ich gerne strukturiert und realisiert – das war hauptsächlich im Sportbereich und eventuell ein wenig im Studium. Nach Gründung der Plattenfirma habe ich das im Textil- und Lebensmittelbereich getan. Einfach, weil es mir Spaß macht, Dinge von A bis Z zu entwickeln und sie dann wachsen zu sehen. So ist es ja auch beim Aufbau eines Newcomer-Rappers. Es gab genug Leute, die gefragt haben: »Was willst du denn mit Kollegah?», »Warum arbeitet ihr mit Farid Bang zusammen?« oder »Casper wird niemals erfolgreich!«. Man muss Weitsicht mitbringen. In der Langfristigkeit liegt auch der Erfolg. Sehr wichtig ist auch die Auswahl aller Partner und Mitarbeiter, einzelne Menschen können alles verändern. Auch hierfür muss man ein Gespür haben. In jedem Venture habe ich proaktive Partner und das nicht ohne Grund. Jeder gute Geschäftsmann muss auch seine Schwächen kennen und deshalb habe ich in jeder Unternehmung Partner, die diese ausgleichen.

  • Noch mal zurück zu den Anfängen. Die waren ja, wie für jedes andere Label auch, schwer. Gab es einen Punkt, an dem das Label Fahrt aufgenommen hat?

  • Das stimmt. Wir waren viele Jahre im Underground unterwegs. Das war hart, aber ich habe erst neulich mit Kollegah darüber gesprochen und wir sind uns einig gewesen, dass diese Zeit uns positiv geprägt hat. Man bleibt geerdet. Gerade weil man hart arbeitet und vielleicht nicht ganz so viel dafür zurückbekommt wie heute. Es waren viele kleine Fortschritte. Den ersten größeren Sprung haben wir 2011 mit »Bossaura« von Kollegah gemacht.

  • Habt ihr mal Fehler gemacht?

  • Es passieren immer Fehler. Egal wie weit du bist: Die Dinge verändern sich ständig, manchmal auch sehr kurzfristig. Es läuft nicht immer alles so, wie es ursprünglich geplant war. Nimm zum Beispiel »KNF« von Kollegah auf »Chronik III«. Den hat er noch einen Tag vor Release recordet und es wurde eine Single. Solche spontanen Änderungen passieren auch intern ständig – und damit muss man umgehen lernen.

  • Gab es denn andersherum auch Dinge, von denen du sagst: »Die haben wir richtig oder besser als andere gemacht.«?

  • Ich habe eher vorausschauend gesignt und bin nicht auf aktuelle Trends aufgesprungen. Wie haben unsere Künstler so lange gearbeitet, bis sie quasi Mainstream geworden sind, ohne sich zu ändern. Besonders war, dass wir a) technisch sehr starke Rapper und b) sehr unterschiedliche Künstler gepusht haben. Damit haben wir Einfluss auf den heutigen Standard genommen. Mittlerweile verfügen wir über ein anderes Standing, sodass wir auch neue Künstler anders in den Markt einführen können. Außerdem waren wir von Tag 1 an sehr internetaffin und haben Tools ausprobiert, die viele andere Labels auf Grund ihrer Größe gar nicht ausprobieren können. Ein Majorlabel ist hier viel unflexibler. Wir haben früh Videoblogs geschaffen, Steelboxen gemacht und marketingtechnisch sehr viel ausprobiert. Parallel haben wir uns früh mit den Datenbanken beschäftigt und kennen die Korrelationen zwischen Abverkäufen, Charts und den Einfluss der Promoplanung auf all das. Da gibt es kein Schema F, sondern so etwas muss man für jeden Künstler maßschneidern.

  • Ihr habt mit Kollegah, Favorite, den 257ers, Genetikk und Karate Andi verhältnismäßig wenig Acts gesignt.

  • Das ist gar nicht so wenig. Wobei ich auch nicht sage, dass wir einen Aufnahmestopp haben. Wenn ich einen Künstler entdecken würde, den ich signen will, dann wäre es machbar. Es ist meiner Meinung nach schwierig, ein Riesenroster am Leben zu halten und alles zu managen. Man muss ja auch im Thema bleiben und wissen, was der Künstler realisieren will und wo er hin möchte. Das ist ein stetiger Vorgang.

  • Eure sehr unterschiedlichen Künstler auf einem Sampler wie »Chronik III« zu vereinen, war sicher auch nicht ganz einfach.

  • Das war eine Herausforderung. Von außen sah das vielleicht aus, als wenn es sowieso ein Erfolg werden würde. Schließlich sind da ja fünf, einzeln sehr erfolgreiche, Künstler auf einem Album. Aber natürlich ist es schwieriger, dem Fan von einem Künstler auch noch Songs von anderen Künstlern zu servieren, die er sonst nicht so stark verfolgt. Das war ein hoher Anspruch und wir haben zum Beispiel über das Executive Producing von Alexis Troy und Koree versucht, eine klare Linie in das Soundbild des Samplers zu bekommen. Das war enorm viel Arbeit, aber wir haben es meiner Meinung nach hinbekommen. Es gibt auf jeden Fall einige Songs von »Chronik III«, die heute morgen noch in meinem Auto liefen. Abgesehen davon ist »Chronik III« in meinen Augen ein Album, das einen sehr starken Fokus auf die Technik legt – auch die Features mit Casper, Farid Bang, Marteria und SSIO waren so hochkarätig wie unterschiedlich. Das passt perfekt zu uns.

  • »Heute kann sich kaum jemand vorstellen, dass Künstler wie Casper, Farid Bang oder Kollegah mal so gut wie keine Platten verkauft haben.«Auf Twitter teilen
  • Mittlerweile sind viele der Acts, die ihr gesignt habt oder mit denen ihr gearbeitet habt, große Namen im Geschäft. Wie habt ihr das so früh erkannt?

  • In jedem Fall nicht, indem wir auf die Verkaufszahlen geschaut haben. (lacht) Die gab es bei all den Künstlern damals nämlich nicht. Heute kann sich kaum jemand vorstellen, dass Künstler wie Casper, Farid Bang oder Kollegah mal so gut wie keine Platten verkauft haben. Ich habe damals das Potenzial in den Acts gesehen und zu dem Potenzial gehören verschiedene Faktoren – abseits der, für meinen persönlichen Geschmack, guten Songs. Es reicht nicht, nur gute Musik zu machen. Es gibt Mechanismen im Künstleraufbau und im Verlauf einer Karriere, die man beachten muss. Daher benötigt der Künstler ein starkes Team um ihn herum. Nur so ist dauerhafter Erfolg möglich. Natürlich geht das auch nicht ohne den Einsatz der Künstler. Talent allein reicht nicht. Für das Label gilt natürlich dasselbe.

  • Wie siehst du das denn in Bezug auf heute, wo viele Acts ihre Sachen im Internet selbst veröffentlichen? Wie wichtig sind ein Label und feste Strukturen denn dieser Tage noch für ein Label?

  • Meiner Meinung nach ist das heutzutage wichtiger als je zuvor. Es ist gar kein Problem, ein paar Songs ins Internet zu stellen und Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber um wirklich ein großer Künstler zu werden, muss man zur richtigen Zeit den richtigen Schritt parat haben. Selbst bei einem Act wie Cro, der relativ schnell groß geworden ist und – was für einen HipHop-Künstler eher ungewöhnlich ist – Hits hat, musste da viel passieren, um ihn gut aufzustellen. Das hat er nicht alleine gemacht. Es muss in Gänze stimmen – und dafür brauchst du Profis, die sich dauerhaft damit beschäftigen, wie sie dich größer machen können.

  • Aber es kann ja auch sein, dass ein Künstler gar nicht so eine Weltkarriere anstrebt.

  • Klar. Aber wenn dein Ziel ist, dass du nur Musik für deine Freunde machen willst, dann brauchst du sie noch nicht mal im Internet veröffentlichen. Sobald du die Sachen ins Netz stellst, wünschst du dir ja auch, dass du gehört wirst. Kein Act kann ohne ein professionelles Umfeld richtig groß werden. The Weeknd hat zu Beginn drei Meisterwerke zum Free Download online gestellt und hat damit eine gewisse Followerschaft aufgebaut. Aber ohne sein Signing wäre er heute kein Weltstar. Als neuer Act würde ich mir anschauen, welches Label die meisten Acts gebreakt, also erfolgreich gemacht, hat. Dann würde ich schauen, wie unterschiedlich diese Künstler waren und wie die Alben vermarktet und gearbeitet worden sind. Es gibt Labels, die ähnliche Künstlertypen haben und alle ihre Acts über dieselben Kanäle und mit derselben Promotion vermarkten. Das ist natürlich legitim. Wir arbeiten jeden Act für sich und das ist um einiges schwieriger, aber auch individueller auf die jeweiligen Acts zugeschnitten. 

  • Wer gehört denn derzeit zum Team von Selfmade Records?

  • Zum einen sitzen in Düsseldorf mit mir Thomas Burkholz, der fast seit Anbeginn dabei ist, und Markus Huber. Wir drei sind der Kern und leisten als Label die wichtigsten Dinge. Wir machen immer noch alles selfmade, aber haben noch weitere Mitarbeiter wie zum Beispiel Max Moenster, der bei Universal unser Produktmanager ist und auch das Label Urban bei Universal mit Künstlern wie Haftbefehl oder MoTrip leitet. Dann gibt es einige Personen im Hause Universal, die uns, falls gewünscht bei TV-, Radio- oder Print-Promotion oder im Vertrieb unterstützen. Das sind mittlerweile über 15 oder 20 Personen. Dazu kommen dann noch die Jungs von The Factory, die unsere Videos machen oder unser Hausfotograf sowie Grafiker und weitere Externe. 

  • »Mir ist kein deutsches Label bekannt, das sieben Nummer-1-Alben in Folge hatte.«Auf Twitter teilen
  • Im Untertitel des Buches heißt es ja »Die ersten zehn Jahre des erfolgreichsten deutschen HipHop-Labels«. Wie begründet sich das denn eigentlich? Durch die Nummer-1-Alben?

  • Mir ist kein deutsches Label bekannt, das sieben Nummer-1-Alben in Folge hatte. Das ist natürlich ein schöner Erfolg, hat aber mit dem Standing erst mal nichts zu tun. Für die Fans und zumeist auch die Medienleute ist es von außen fast unmöglich, das alles richtig zu messen, einzuordnen oder gar zu prüfen. Da werden sehr häufig falsche Parameter wie Klickzahlen oder Follower in sozialen Medien herangezogen. Aber wenn man es nüchtern betrachtet, dann hat Selfmade Records in den letzten drei Jahren die meisten Alben verkauft und mit großem Abstand den meisten Umsatz gemacht. 

  • Welche Labels kommen denn hinter Selfmade Records?

  • Wenn man die Jahre 2013, 2014 und 2015 zugrunde legt, dann liegt an zweiter Stelle Chimperator und danach alle weiteren Labels. Wir werden bis Ende 2015, inklusive Backkatalog, über eine Millionen Alben verkauft haben. Das sind circa 30 Prozent mehr Einheiten als Platz 2. Beim Umsatz ist das noch etwas deutlicher.

  • Was heißt das genau?

  • Wenn man alle Plattenverkäufe zusammenzählt, dann haben wir bis Ende des Jahres den doppelten Umsatz in diesem Zeitraum im Vergleich zu Platz 2 erzielt. Was auch daran liegt, dass wir in der Zeit über 140.000 Deluxe-Boxen verkauft haben. Das sind ganz nüchtern die Fakten. Da geht es nicht darum, wie wir persönlich eine Platte bewerten. Es gab in den letzten Jahren aber natürlich viele weitere erfolgreiche Labels und Künstler, was am Ende sehr gesund für das ganze Genre ist.

  • Wenn wir schon dabei sind: Erklär doch vielleicht noch mal kurz, was der Unterschied zwischen verkauften Alben und Umsatz pro Albumveröffentlichung ist und wie sich das dann in puncto Charts zusammenrechnet.

  • In Deutschland haben wir Wertecharts. Das bedeutet: der Umsatz im Handel – physisch und digital – wird addiert. Das Album mit dem größten Umsatz belegt in der Regel Platz 1 – da gibt es dann noch einige detailliertere Regularien, auf die ich hier nicht eingehen möchte. Es könnte also passieren, dass Platz 2 mehr Einheiten verkauft und dennoch nicht genügend Umsatz akkumuliert. Bei unseren Nummer-1-Platzierungen haben wir bisher immer beides geschafft: die meisten Einheiten und den größten Umsatz. 

  • Das Problem ist halt, dass die Nummer 1 als solches stärker wirkt als das, was im Hintergrund passiert.

  • Es gab im letzten Jahr ein Nummer-1-HipHop-Album, das für diese Positionierung gerade mal 5.900 Alben verkaufen musste. Das lag in erster Linie natürlich an einer sehr schwachen Chartwoche, in der keine anderen relevanten Künstler neue Alben veröffentlichten. Aber es gibt zum Beispiel auch Künstler, die in der ersten Veröffentlichungswoche vielleicht gar nicht in den Top 3 landen, aber in den Wochen darauf konstant abverkaufen. 

    Ein anderes Beispiel ist Prinz Pi, der beständig gewachsen ist und mittlerweile eine große und treue Fanbase hat, die das letzte Album über ein paar Jahre hinweg gekauft hat. Damit ist er auch um einiges erfolgreicher als manche Nummer-1-Künstler, von denen man nach außen eventuell denken könnte, sie wären größer. Es gibt auch einige Künstler, die in den HipHop- und auch Mainstream-Medien eine starke Präsenz haben, aber dennoch keine besonderen Verkaufszahlen.

  • »Es ging darum, Platten von Künstlern zu veröffentlichen, die man persönlich gut findet.«Auf Twitter teilen
  • Wie bewertet man die Musik und den wirtschaftlichen Erfolg als Label-Chef denn im Zusammenspiel?

  • Als Selfmade Records gegründet wurde, wussten wir nicht, wie viele Einheiten wir irgendwann verkaufen würden und der Umsatz hat erst mal keine Rolle gespielt. Es ging darum, Platten von Künstlern zu veröffentlichen, die man persönlich gut findet. Das können wir nach zehn Jahren immer noch von uns behaupten. Der Rest kam quasi als Nebenprodukt unseres Engagements hinzu. Der künstlerische Wert einer Platte lässt sich nicht an den Verkaufszahlen messen. Ich persönlich habe mir in den letzten 12 Monaten zwei Platten von externen Rappern gekauft, die keine Goldacts sind …

  • … welche waren das denn?

  • Das waren »Ebbe & Flut« von GZUZ und »Russisch Roulette« von Haftbefehl. Aber um zum Thema Erfolg zurückzukommen: Was den angeht, muss man da unterscheiden. Ein Label ist am Ende natürlich ein Apparat, der Geld kostet. Wenn man kein Geld verdient, kann auch der Künstler nicht von seiner Musik leben, geschweige denn die nächsten Schritte machen. Das haben wir in den Anfangsjahren selbst erfahren, trotz einiger Platten, die heute den Klassiker-Status haben – sei es jetzt »Zuhältertape Vol. 1« oder »Schläge für HipHop«. »Jung, brutal, gutaussehend« ist dafür ein Paradebeispiel: Vom ersten Teil wurden um die 10.000 Einheiten verkauft, vom zweiten Teil war es dann das 15-fache, bevor die Platte indiziert wurde. Logischerweise ist es überlebenswichtig, wirtschaftlich smart zu agieren. Bei einer kleinen Plattenfirma wie der unseren steht das aber nicht im Widerspruch dazu, familiär zu bleiben.

  • Es gibt ja immer mal wieder Kommentare in Richtung Kollegah, er würde ja bei Selfmade nicht viel verdienen. Woher kommt das denn?

  • Ich werde natürlich keine genauen Angaben zu Kollegahs Einnahmen machen, das ist sein Privatleben. Aber grob gesagt hat er in den ersten zwölf Monaten seit Erscheinen von »King« mehr Geld eingenommen als jeder Labeldeal in Gesamtsumme, der mir bekannt ist – und ein Vielfaches von dem, was einige Gold-Acts für langjährige Albendeals erhalten haben. Das ist enorm. Kollegah ist smart und ein Geschäftsmann. Wir arbeiten partnerschaftlich seit über zehn Jahren zusammen – und das nicht ohne Grund. Es ist eine Krankheit des hiesigen Rapgeschäfts, die Realität nicht akzeptieren zu wollen und Dinge schlechtzureden.  

  • Die obligatorische letzte Frage: Was steht bei Selfmade im nächsten Jahr an?

  • Erst mal kommt jetzt am Freitag das »Zuhältertape Vol. 4« von Kollegah. Das ist in meinen Augen Kollegahs bisheriges Meisterwerk. Die Dichte an Punchlines ist surreal. Sein Wortschatz ist hier noch mal besser in Szene gesetzt und wenn man das Augenzwinkern beachtet, dann hat man permanent zu lachen. Jedes der Tapes von Kollegah hatte ja ein eigenes Soundgewand, was auch hier wieder der Fall und in meinen Augen gleichzeitig eine deutliche Steigerung zu den bisherigen Teilen der Reihe ist. Das ganze ist kein Tape, es liegt weit über den Albumproduktionen der Vorjahre. Aber wir – das Label und die Künstler – arbeiten ja parallel an mehreren Releases. Derzeit warten sehr viele auf Karate Andi. Das Album ist noch nicht fertig, aber wir arbeiten sehr intensiv daran. Ich war gerade erst bei Farhot und Bazzazian im Studio in Berlin, die das Album mit Andi zusammen machen. Die etwas längere Wartezeit wird sich lohnen!