Jan Delay »Im Zweifel stehe ich immer auf der Seite von HipHop.«
Auf vier Soloalben seit 2001, die stilistisch kaum antagonistischer sein können, folgt mit »Earth, Wind & Feiern« nun das neue Jan Delay-Projekt, das einmal mehr schwer zu kategorisieren ist. Alex Barbian traf den selbsternannten »Vagabunden« im virtuellen Raum. Die beiden sprachen über Eißfeldts Zusammenarbeit mit FijiKris von KitschKrieg, die Bedeutung von Instagram-Storys in der Rap-Szene und den Echo-Skandal.

Es wirkt beinahe so, als wolle Jan Delay beweisen, dass die Kernaussage seines unlängst ausgekoppelten Intros wortwörtlich zu nehmen ist. »Ja, es sind finstere Zeiten, aber das muss gar nicht sein / lass uns die Wolken vertreiben, ich hab‘ Sonne dabei«, heißt es da. Das ist das Credo seiner neuen Platte. Jetzt, an einem wolkenlosen Freitagnachmittag im April, sitzt Jan Delay in einem Liegestuhl und hält sich eine Handykamera ins Gesicht. Die Linse wird teilweise so stark von Sonnenstrahlen geflutet, dass sein über beide Ohren strahlendes Gesicht in regelmäßigen Abständen kaum noch zu sehen ist. Der Rap-Veteran scheint bestens gelaunt – nicht nur heute, generell. Er ist mit sich, dem Verlauf seiner Karriere und – ganz besonders – mit seiner neuen Platte im Reinen. Er informiert sich vorab über den Stand der Dinge im deutschen Rap-Journalismus – das interessiert ihn, das ist keine Nettigkeit – und dann geht es los…
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Zwischen deiner letzten Solo-Platte »Hammer & Michel« und dem heutigen Tag liegen sieben Jahre.
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Ja! In dieser Zeit machen die Beatles die größten Alben der Geschichte. (lacht)
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»Hammer & Michel« kam im April 2014. Das war vor PEGIDA, vor der ersten Trump-Wahl, vor der sogenannten »Flüchtlingskrise«, weit vor Corona sowieso. Würdest du sagen, dass das politische Zeitgeschehen der letzten sieben Jahre die Platte mitgeschrieben hat?
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Unbedingt, ja! Es gab zwei große Angstsäulen, die in den letzten Jahren stetige Begleiter waren. Einmal diese ganze weltweite Rechtsruck-Scheiße, die du schon angerissen hast: der zunehmende Nationalstolz, die Bewaffnung rechter Gruppen, all die Drohgebärden und dieser lauernde Kriegszustand. Und dann natürlich die drohende Klimakatastrophe, gepaart mit diesem Nichts-Dagegen-Tun-Wollen. Ich hatte trotz dieser Ängste, auch dieser Wut, keine Lust, zu Meckern, zu Jammern oder zu Heulen – ich wollte was Positives aus diesen Gefühlen machen. Es ging mir darum, den Leuten Kraft zu geben. Und die gewinnt man am besten durch gute Musik und nicht dadurch, dass jemand sagt »Alles ist scheiße«. Musikalisch und textlich war alles erlaubt, die einzige Prämisse war, dass die Energie der Songs eine positive ist. Keine Silbe und keine Hi-Hat sollte einen schlechten Vibe versprühen.
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Wann hast du angefangen, aktiv an »Earth, Wind & Feiern« zu arbeiten? Und wie läuft dieser Prozess des Anfangens bei einem Jan Delay generell ab?
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Eigentlich immer gleich: Wenn eine Platte fertig ist, bin ich’s auch. Dann kann ich mich erstmal für eine gewisse Zeit nicht hinsetzten, um etwas zu schreiben. Irgendwann kommen dann die Promo-Termine und die ersten Gigs und dann, ungefähr ein halbes Jahr nach Veröffentlichung einer Platte, die Tour. Und da habe ich dann meinen Moment. (lacht) Wenn ich nach den Konzerten in der Garderobe oder im Nightliner sitze, mich entspannen kann und gleichzeitig trotzdem noch angestachelt von der Bühne bin, bilde ich mir ein, derbe kreativ zu sein. Das ist für mich der wohligste Moment, den es überhaupt gibt, die absolute Comfort-Zone. Ich mache dann den Rechner oder das Rhyme Book auf, baue einen Beat oder schreibe ein paar Zeilen – meistens nur mit einer Idee und ohne großen Plan. So geht es jedes Mal los. Auf der Tour zur letzten Jan-Delay-Platte saß ich an ersten Reimen für das Beginner-Album, das wir dann 2016 veröffentlicht haben. Ende 2016 sind wir damit auf Tour gegangen. Und da habe ich angefangen, an ersten Beat-Skizzen für »Earth, Wind & Feiern« zu basteln.
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Wie intensiv hast du währenddessen die ökonomischen Veränderungen auf dem deutschen Musikmarkt verfolgt? Die Entwicklungen der letzten Jahre haben ja besonders die Rapszene komplett auf links gezogen.
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Ich bin ein aufgeschlossener Mensch und immer neugierig und nicht zuletzt auch Fan. Und dann ist Musik ja auch mein Beruf. Deshalb setzte ich mich natürlich mit den Entwicklungen auseinander. Diesmal habe ich mir dafür sogar sehr viel Zeit genommen. Als irgendwann klar war, dass ich eine Jan-Delay-Platte machen würde, habe ich Stephan Kunze (ehemaliger »Juice«-Chefredakteur und jetzt Global Editorial Lead bei Spotify, Anm. d. Red.) angerufen, der zu dieser Zeit schon in wichtiger Funktion bei Spotify gearbeitet hat. Ich habe ihm viele Fragen gestellt, wollte wissen, wie das alles funktioniert und wie es sein kann, dass irgendein Vogel aus Deutschland mehr Klicks macht als Drake. (lacht) Gleichzeitig ist natürlich zu mir vorgedrungen, dass das Internet heute mindestens das ist, was 1999 »VIVA« war. Um den ganzen Online-Kram hatte ich mich bisher nie gekümmert und wurde auf diesem Feld deshalb bestimmt auch ein bisschen abgehängt. Das wollte ich ändern, weil ich, wie früher auch schon, den Anspruch habe, dass so viele Leute wie möglich meine Musik hören… Und die muss ich ja irgendwie erreichen.
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Gab es Dinge, die dich während der intensiven Auseinandersetzung mit dem Szene-Status-Quo überrascht, vielleicht sogar irritiert haben?
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Heute ist alles viel abhängiger davon, ob du als Künstler dazu bereit bist, andere Künstler um irgendetwas zu bitten. Das ist teilweise echt ein bisschen beschämend. Und darum ging es früher nicht. Wenn du mit jemandem einen Song machen wolltest, dann wolltest du halt einen Song machen. Klar, wenn derjenige gerade einen krassen Run hatte, dann wolltest du vielleicht ein bisschen was abhaben von seinem Sternenstaub und das haben auch beide Parteien gewusst und das war auch völlig okay. Aber heute scheint es gar nicht mehr um den eigentlichen Song zu gehen. Den Leuten ist es viel wichtiger, wer am Ende Main-Artist bei Spotify ist und dass XY anschließend irgendwas in seiner oder ihrer Story postet. Der Song ist völlig egal. Wichtig ist, dass es Content gibt und die Reichweite stimmt. Jetzt hör’ ich mich selbst schon an, wie so ein DJ Mirko Machine… (lacht) Aber klar, das ist schon so ein bisschen desillusionierend für jemanden wie mich. Das sage ich ganz ehrlich.
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Fühlst du dich der Szene trotzdem emotional verbunden? Oder, anders: Fühlst du dich angesprochen, wenn es im öffentlichen Diskurs um deutschen Rap geht? Nimmst du es als persönlichen Triumph wahr, wenn RapperInnen die meistgehörten KünstlerInnen des Jahres sind? Und fühlt es sich für dich wie eine Niederlage an, wenn Kollegah und Farid unser Genre auf dem Echo blamieren?
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Ich stehe in beiden Fällen komplett auf der Rap-Seite. Ich freue mich riesig für Summer Cem, wenn sein Song zum viralen Welthit wird. Und über die Echo-Geschichte habe ich mich – ganz ehrlich – auch gefreut. Diese Leute hätten sich Farids Lyrics ja auch einfach vorher anhören können. (lacht) Ich habe schon als Zwölfjähriger N.W.A. und 2 Live Crew gehört, die haben von den selben Dingen erzählt wie Farid, nur mit schlechteren Vergleichen und weniger Humor. Die hatten exakt das gleiche beschissene Frauenbild und die selbe beschissene Einstellung zu Gewalt. Aus mir ist trotzdem was geworden. Ich habe mir immer diese Distanz bewahrt – wie der Typ, der aus einem Bruce-Willis-Film kommt und trotzdem nicht alle über den Haufen ballert. Auch in diesen woken Zeiten ist es mir wichtig, Musik mit dieser Distanz hören zu können. Und die Beginner können mit Fug und Recht behaupten, neben Bands wie Freundeskreis oder Advanced Chemistry Wokeness in diesem Land auf die Karte gesetzt zu haben. Ich will kein Spaß-Veganer werden. Ich will Sachen feiern können, die ich feiere, auch wenn darin unkorrekte Wörter gesagt oder unkorrekte Handlungen beschrieben werden. Ein guter Lacher ist ein guter Lacher, auch wenn es selbstverständlich Grenzen gibt, die sich auch für mich verschieben.
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Dieses kompromisslose Bekenntnis zu Rap – und auch zu hartem Rap – hat dich dementsprechend durch alle Stationen deiner Karriere begleitet.
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Ja, absolut. 2007, kurz nach »Mercedes-Dance«, als meine Musik gerade sehr gehyped war, war Deutschrap ja total im Arsch. Gangstarap war zwar angesagt, aber auch schon am absterben, weil keine kreativen Impulse mehr kamen. Und ich saß in jeder Talkshow und alle wollten von mir hören, wie schlimm das alles ist mit Gangstarap und diesem Bushido und dem Muttergeficke und so. Ich habe immer gesagt, dass ich das alles super finde. (lacht) Es gab so viel schlimme Musik in der Zeit und ich habe das alles verteidigt – einfach nur aus einem Zugehörigkeitsgefühl. Im Zweifel stehe ich immer auf der Seite von HipHop.
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»Earth, Wind & Feiern« wirkt im Vergleich zu »Wir Kinder vom Bahnhof Soul« und »Hammer & Michel« wie eine Art Rückbesinnung auf deine Rap-Roots. Gleichzeitig hast du die neuen Sachen als »zeitgemäßeste Mucke, die Jan Delay je gemacht hat« beschrieben. Wie sehr liegt das an FijiKris von KitschKrieg, der mit dir und Tropf am Sound der Platte gefeilt hat?
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Das liegt allein deshalb auch an ihm, weil wir vieles ohne seine Hilfe nicht hinbekommen hätten. (lacht) Bestimmte Disziplinen beherrscht Kris einfach wie kein anderer. Das ist mir schon vor ein paar Jahren klar geworden. Damals lag dieser Loop bei mir herum, aus dem später »Es war einmal« wurde. Dennis, Tropf und ich sind damit nicht weitergekommen, waren mit unserem Latein am Ende. Dennis hat Kris dann den Loop geschickt und keine 24 Stunden später lag er überarbeitet in meinem Posteingang. In dem Moment war klar, dass Kris nicht nur Bass-Wissenschaftler ist, sondern auch einfach die richtige Idee im richtigen Moment hat. Ich wollte ihn unbedingt für meine Solo-Platte im Boot haben. Er hatte Bock und hat uns oft unter die Arme gegriffen. Am Ende des Tages war es aber auch schön, dass wir viele Songs – zum Beispiel »Alexa« – ohne seine Hilfe hinbekommen haben. Es war eine schöne Bestätigung, als Kris den gehört hat und meinte, dass er dem nichts mehr hinzufügen kann. Andere Elemente des Albums, zum Beispiel der Intro-Beat, tragen die Handschrift von Kris. Da hat er die Drums gemacht und das ist unüberhörbar.
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Ich habe beim Hören des Albums eine interessante Beobachtung gemacht: Über die gesamte Tracklist hinweg gibt es Momente, denen Debütalbum-Flavour anhaftet. »Intro« erzählt von deiner musikalischen Sozialisierung, »Saxofon« vom Aufwachsen in deinem alternativen Elternhaus, »Wassermann« ist ein typischer Heimatsong… Es wirkt fast so, als wolltest du dich einem Publikum vorstellen.
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Sehr interessant, vor allem, weil es die Veränderung der Etikette im Laufe der Zeit widerspiegelt. Vor 20, 30 Jahren hast du ein HipHop-Debütalben immer daran erkannt, dass der Partysong, der Song für die Girls, der Crossover-Song für die White Folks, der politische Song und der Conscious-Song drauf waren. (lacht) Deine Beschreibung ist aber auch total schlüssig und du könntest Recht haben. Seit Drake geht es eben viel mehr um diese emotionale Ebene. Warum es bei mir so spät zu solchen Debüt-Gedanken kommt, weiß ich nicht. Wahrscheinlich, weil ich bestimmte Themen erst seit ein paar Jahren aufgreife. Früher hätte es Lieder wie »Saxofon« oder »Zurück« nicht gegeben, weil mir das viel zu peinlich und auch viel zu intim gewesen wäre. Da stecken Sätze drin, die ich mit niemandem hätte teilen wollen. Heute bin ich da irgendwie entspannter. Aber ich weiß nicht, warum das so ist. Vielleicht liegt es an der Herangehensweise an die Platte, über die ich eingangs gesprochen habe – da war eben diese Konzentration auf positive Gedanken.
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Der letzte Song »Nicht nach Hause« erzählt die Geschichte von einer langen Nacht im Club. Verschiedenste Faktoren sprechen dafür, endlich ins Bett zu gehen, aber Eißfeldt bleibt bis zum bitteren Ende. Ist das als Metapher zu interpretieren? Als Hinweis darauf, dass du die Zeit anhalten willst und beim Gedanken an dein Karriereende am Tag X eine Art Torschlusspanik verspürst?
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(lacht lange) Das ist eine lustige Vorstellung: »Ich will noch nicht nach Hause, streamt meinen Song!« Nein, darum ging es mir nicht. Es klingt vielleicht stumpf, aber als allererstes stand der Gedanke, dass Trap und Ska ja im Prinzip das gleiche Tempo haben. Das eine ist Double-Time, das andere Half-Time. Und diesen Gedanken fand ich einfach so super, dass ich mir gedacht hab: »Geil, ich erfinde jetzt Trap-Ska!«. Und das mündete in diesem Song.